“Vergeudung”

Angesichts des Todes erscheinen manchmal „überflüssige“ Dinge wertvoll

Predigttext: Markus 14,3-9
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 09.04.2017
Kirchenjahr: Palmsonntag (6. Sonntag der Passionzeit)
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

 

Predigttext: Markus 14, 3-9 (Übersetzung nach Martin Luther)

Die Salbung in Betanien

Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander:Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach:Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch:Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.

Gedanken beim Lesen des Textes

Vielleicht möchte man spontan in die Kritik der Jünger einstimmen und ebenfalls von einer ungeheuren Vergeudung reden. Auf der anderen Seite geben wir viel Geld für Dinge aus, die uns im Nachhinein nicht der Rede wert waren. Also fasziniert mich dieser Augenblick der „Vergeudung“. Doch im nächsten Gedanken frage ich mich, was besser ist: eine spontane Geldausgabe oder die Unterstützung und Rettung der Armen? Und dann eine dritte Wendung in der Geschichte, die von einer „Salbung“ spricht: Angesichts des Todes erscheinen manchmal „überflüssige“ Dinge wertvoll.

Markus 14,3-9 Eigene Übersetzung Christoph Kühne

3 Und Jesus hielt sich in Bethanien auf - genauer im Haus Simons, des Aussätzigen. Als er (mit ihm) essen wollte, kam eine Frau herein, in der Hand ein Flacon mit Öl von echter und sehr teurer, kostbarer Narde. Sie zerbrach den (versiegelten) Verschluss des Alabastergefäßes und goss das Öl über Jesu Kopf. 4 Nun waren einige Leute im Raum, die das nicht ertragen konnten. Und die sagten zu sich: Was soll eine solche Verschwendung von kostbarem Öl? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als 300 Denare verkaufen und den Erlös den Armen geben können! Und sie wurden handgreiflich gegen die Frau. 6 Aber Jesus sagte: Lasst sie in Ruhe! Warum belästigt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Arme Leute habt ihr immer unter euch. Und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun. Mich habt ihr nicht für immer. 8 Diese Frau hat getan, was sie konnte: Sie hat jetzt schon meinen Körper gesalbt - zum Begräbnis. 9 Amen, ich sage euch, wohin auch das Evangelium in die ganze Welt getragen wird, da wird auch das, was sie getan hat, zu ihrer Erinnerung erzählt werden!

Anmerkungen zum Predigttext

Im Vergleich mit Mt 26,6-13 ist folgendes festzustellen: Mk erzählt V3, Jesus habe sich bereits zu Tische gelegt; Mt betont (26,6) statt des olfaktorischen den finanziellen Wert der Narde; Mk legt (Vers 3bß) Wert auf das Aufbrechen des (versiegelten) Gefäßes.

Während Mk (Vers 4) vom Unmut der Anwesenden spricht, spricht Mt von den Jüngern und damit auch von der christlichen Gemeinde; in Vers 5 betont Mk den ungeheuren Wert des Öls und fügt noch eine heftige Aggression der Umstehenden gegen die Namenlose an. Die Reaktion von Jesus - Vers 6 - ist klar: Lasst sie! (nicht bei Mt); Mk fügt (V 7) noch die Möglichkeit „guter Werke“ an, die jedem Menschen freistehen; aber hier hat jene Frau „getan, was sie konnte“ - und was alle Menschen tun könnten; diese Bemerkung fehlt bei Mt. Der Amen-Satz (V9) findet sich fast identisch auch bei Mt.

Gedanken zur Predigt

Was bedeutet es, Gutes zu tun? Wie können wir Hunger und Armut in der Welt begegnen? Wie ehrt man einen Menschen, der von uns geht? Wodurch bleiben Menschen im Erinnerung? Unsere Perikope hält Gedanken dazu bereit und überlässt die Antworten dem Fragenden.

Lied EG 98 Korn, das in die Erde

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In der Christenheit wird heute der Einzug Jesu in Jerusalem gefeiert. Die Bilder zeigen, wie Jesus, der „König der Ehren“ in seine Stadt einzieht. Seine Anhänger stehend jubelnd am Wege. Sie schwenken Palmzweige und rufen: „Hosianna!“, weil sie Glück uns Hilfe von ihm erwarten: „Hilf doch!“ Dieses große Bild haben die Evangelisten vor die Passionszeit gesetzt, weil sie überzeugt sind, dass jener Wanderprediger, der auf einem Esel in die Hauptstadt geritten ist, begleitet von einer Handvoll Anhänger, der erwartete „Gesalbte“, der Messias, der Christus ist. Zu diesem Bild gesellt sich mit dem heutigen Predigttext das Bild eines anderen „Einzugs“ Jesu – in das kleine Dörfchen Bethanien, das einen Steinwurf von Jerusalem entfernt liegt. Ich lese den Text aus dem Markusevangelium, Kapitel 14, die Verse 3 bis 9:

(Lesung des Predigttextes).

Mit dieser Erzählung wird – ebenfalls kurz vor der Passion – gezeigt, worum es Jesus in seinem Leben und Werk eigentlich ging. Die Fakten sind kurz erzählt: Der Wanderprediger kommt nach Bethanien. Interessant, dass der Name dieses Dörfchens „Armenhaus“ bedeutet und ein Hinweis darauf ist, dass Armut, Hunger und Durst in der damaligen Zeit das Normale waren. Also findet sich Jesus da ein, wo die Menschen waren. In diesem Fall in dem Häuschen Simons, des Aussätzigen. Auch hier ein Hinweis auf die besondere Gesellschaft, die Jesus gesucht haben mag. Markus berichtet, dass sich Jesus bei dem Aussätzigen niedergelassen habe. War er (noch) krank? War er ein von Jesus Geheilter?

Fest steht, dass Jesus da ist, wo er notwendig war. Vermutlich hatte sich dieser mit seinen Hausgenossen auf diesen merkwürdigen und heilsamen Wanderprediger gefreut … Während sie vielleicht gegessen und getrunken, geredet und gelacht haben, tritt ein Frau ein. Der Evangelist kennt keinen Namen. Sie geht zu Jesus und übergießt seine Haare mit Öl. Der Duft des Öls erfüllt den Raum – wie auch die Reaktion der Anwesenden: Was soll das? Öl ist kostbar! Musste damit der Kopf Jesu gesalbt werden? Hätte man nicht für das Geld was besseres machen können? Etwa arme Menschen unterstützen, Flüchtlingen helfen, die am Rande der Gesellschaft leben, integrieren können? Wofür geben wir Geld aus? Für unsere zwei Autos? Aber die brauchen wir, damit wir beruflich und privat zurechtkommen. Für den Sportclub? Der ist wichtig, weil wir zu lange sitzen und uns zu wenig bewegen. Für manchen heimlichen Luxus? Den brauchen wir, weil Leben nicht nur einfach Leben ist. Wofür wir Geld ausgeben, das ist uns wichtig!

Diese Gedanken mögen auch die Gäste Simons des Aussätzigen bewegt haben. Als sie sehen, wie die unbenannte Frau kostbares Öl auf dem Kopf Jesu ausgießt – scheinbar sinnlos, nutzlos -, werden sie ungehalten. Ja, ihr Ärger steigert sich zu Wut. Sie werden der Frau gegenüber aggressiv und handgreiflich. Hätte man das Geld für dieses Öl nicht besser verwenden können als sie es tut? Die Atmosphäre in dem kleinen Häuschen des Aussätzigen wird finster, kalt, bedrohlich. Was wird Jesus tun oder sagen? Wir hören ein klares: Stopp! Lasst sie in Ruhe! Warum belästigt ihr sie? Den Menschen bleibt der Mund offen stehen. Was sagt Jesus hier? Er tritt für dies Frau ein. Kennt er sie? Woher? Und es folgt eine typisch jesuanische Wendung, als sie ihn sagen hören: Sie hat ein gutes Werk an mir getan! Was geschieht hier?

Wir erleben Jesus mit seiner ganz besonderen Sicht der Menschen und der Dinge. Vielleicht fallen uns jetzt andere Geschichten von ihm ein, in denen er ebenfalls ein andere, neue, kreative Sicht gehabt hat. Denken wir an die merkwürdige Szene, die der Evangelist Markus ein Kapitel früher (Kap. 13) erzählt. Jesus sitzt am Eingang des Tempels und beobachtet die Menschen, wie sie Geld in den Opferstock einlegen. Kommt eine (ebenfalls namenlose) Frau uns gibt nur „zwei Scherflein“ in den Opferstock. Das fällt auf, weil die Anderen deutlich mehr Geld gegeben haben. Aber Jesus sagt zu seinen Jüngern: Lasst sie! Diese arme Witwe (Woran hat er sie als Witwe erkannt?) hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben aller etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte. (Mk 13, 43f).

Man sieht nur mit dem Herzen gut, hat der Dichter Exupery gesagt. Jesus lädt uns ein, die Menschen anders zu sehen als man es gemeinhin tut. Dann verändert sich auch unsere Einstellung ihnen gegenüber. Und so lädt er auch die Tischgenossen des Simon ein, anders, neu, kreativ zu sehen und zu erleben, was jene namenlos Frau getan hat. Es wirkt sinn- und zwecklos. Doch Jesus bietet eine Deutung an, die die Szene in einen völlig neuen Rahmen setzt: Lasst sie, sagt er. Diese Frau hat alles getan und gegeben, was sie konnte. Sie hat jetzt schon meinen Leib gesalbt – zu meinem Begräbnis. Und ich sage euch: Man wird diese Geschichte erzählen, solange das Evangelium in diese Welt getragen wird. Wir sehen hier auch den Evangelisten Markus am Zug. Er hat diese Deutung Jesu aufgenommen und wiedergegeben. Doch diese Deutung verändert alles.

Plötzlich wird das Öl zu einer köstlichen (indischen) Narde, deren Duft das Haus erfüllt. Die Hütte des Aussätzigen wird zu einem Schloss, in dem die Salbung Jesu stattfindet. Freude wacht auf. Die finsteren Gedanken verziehen sich. Es wird hell unter den Menschen. „Liebe wächst auf, die längst erstorben schien“ (EG 98). Vielleicht haben Sie dies auch schon einmal erlebt, dass Sie in der U-Bahn ins Gespräch gekommen sind. Vielleicht waren Sie traurig oder nachdenklich. Oder ein schwerer Gedanken hat Sie belastet. Im Gespräch erleben Sie plötzlich eine Leichtigkeit, Freude, die Sie ansteckt. Vielleicht wissen Sie gar nicht mehr, wie dies gekommen ist. Aber als Sie dann aussteigen und zum Dienst oder nach Hause gehen, sind Sie beschwingt, leicht.

Der Blick hat sich geändert. Das Leben lohnt sich wieder. So stelle ich mir die Hausgenossen des Aussätzigen vor: Gewandelt, neu, lebendig. Ein kleines Wort hat ihre Einstellung geändert. Was war es? Jesus hat „gesehen“, was jene Frau gewollt und getan hat. Sie hat mir gegeben, was sie konnte, hat er gesagt. Wie könnte ich daran Kritik üben? Und was ist mit dem Geld für die Armen und Hungrigen und Verfolgten und Geflüchteten? Interessant, dass Jesus in einfache Weise auf diese Frage eingeht: Arme habt ihr immer unter euch. Und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen jederzeit Gutes tun. Also überlegt immer, was jetzt dran ist. Wer dich jetzt braucht mit deiner Gegenwart, mit deinem Wort, deiner Tat.

Jesus zieht ein – in Jerusalem wie auch bei Simon, dem Aussätzigen. Aber auch in Gestalt von Menschen, denen wir begegnen. In seiner Erzählung „Martin der Schuster“ erzählt der russische Dichter Tolstoi, wie Menschen zufällig zu dem „aussätzigen“, isolierten, verbitterten Schuster Martin kommen und er ihnen einfach so hilft, weil er jedesmal glaubt, Gott würde ihn besuchen. Am Ende wird dem Schuster klar, welche Bedeutung seine Hilfe für diese Menschen gehabt hat.

“Was ihr einem unter diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan“. Mit diesem Zitat aus dem Matthäusevangelium (Kap. 25) wird Tolstoi seine Geschichte beschließen. Und er zeigt, wie Martin sein Isolierung verlässt und wieder zu den Menschen geht. Und so ziehen die Hausgenossen Simons des Aussätzigen aus dem kleinen Häuschen aus und tragen diese Geschichte in die Welt. Und die Menschen werden fröhlich und lebendig. „Liebe wächst auf, die längst erstorben schien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.“ Ein gutes Bild für uns. Lasst uns auf den Weg machen und losgehen und dieses Evangelium allen Menschen weitergeben.

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Ein Kommentar zu ““Vergeudung”

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Ganz schwungvoll predigt Pastor Kühne über die Salbung in Bethanien. Es gibt nicht nur den begeisternden großen Einzug Jesu in Jerusalem , sondern auch den anrührenden Einzug Jesu in ein Armenhaus im nahegelegenen Bethanien. Aber die Gäste sind empört über Jesu Salbung durch wertvolles Öl. Man hätte lieber Arme speisen sollen mit dem Wert des Öls. Jesus ist aber kein unmenschlicher Ordnungs-Fanatiker, sondern weiß, dass manchmal kreativ der Überschwang des Herzens angebracht ist. Ebenso wie auch bei der Witwe am Opferstock im Tempel. Es gibt nach Paul Tillich: Heilige Verschwendung. Mit dem Dichter Saint Exupery und Kirchenliedern ünterstützt der Prediger diese Perspektive. Diesen Blick sollten wir übernehmen und nicht nur herzlos und unbarmherzig gerecht sein. Überlegt was dran ist, um Gutes zu verbreiten! Anrührend und tiefsinnig schließt diese faszinierende Predigt mit Tolstoi und der Aufforederung, uns auf den Weg zu machen. Nach der Predigt überlegt man gleich, was man im Sinne Jesu schon lange erledigen wollte. Ein besonderer Schwung zieht sich durch diese Predigt. Hinweisen möchte ich auch auf eine zweite besonders gelungene Predigt von Paul Tillich im zweiten Band seiner Predigten: Das neue Neue Sein : Heilige Verschwendung S.53 ff

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