Predigt

Vergewisserung

Jahreswechsel - Gelegenheit zum Innehalten

PredigttextRömer 8,31b-39
Kirche / Ort:Trinitatiskirche / Berlin-Charlottenburg,
Datum:31.12.2015
Kirchenjahr:Altjahresabend
Autor:Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt

Predigttext: Römer 8, 31b-39 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht (Psalm 44,23):»Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe. « Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Exegetische-homiletische Impulse

Der Römerbrief ist zum theologischen „Testament“ des Paulus geworden (G. Bornkamm). Er ist die reife Frucht der paulinischen Theologie. Der Predigttext steht im Zusammenhang des 8. Kap., in dem es zunächst um die Rettung der Glaubenden geht (Verse 1-30) und am Ende des Kap. wird dann in den Versen 31-39 eine Art Resümee gezogen wird: Die Liebe Gottes zeigt sich in der Menschwerdung Jesu Christi. Im Zentrum seines Briefes begründet Paulus, dass und wie sich die Gerechtigkeit Gottes durch den Kreuzestod und die Auferweckung Jesu Christi so ereignet, dass alle Glaubenden gegenwärtig gerechtfertigt und zukünftig gerettet werden. Seine grundlegende These entwickelt er im 3. Kap. in den Versen 21-29: Durch den stellvertretenden Tod Jesu leistet Gott Sühne für die Sünden der Juden und Heiden, um ihnen durch den Glauben seine Gerechtigkeit zu erweisen: „Jetzt aber ist ohne das Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden … durch den Glauben an Jesus Christus“ (Röm 3,21f).

In Röm 8,1-30 schließt Paulus seine Ausführung der Rechtfertigungsthese ab: Jeder, der aufgrund seines sündigen Wesens vom Tod umfangen ist, wird als Glaubender trotzdem gerettet, weil er durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und dessen Auferstehung Teil des Heilswirkens Gottes ist. Der Predigttext Röm 8,31-39 schließt in einem feierlich gestalteten hymnischen Schluß das 8. Kap. ab: Die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes, die in Jesus Christus für alle Glaubenden fassbar wird, ist der endgültige Beweis der Liebe Gottes. „Wenn Gott für uns ist, wer kann dann gegen uns sein?“ (Röm 8,31) … „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? (Röm 8,35).

Die sich anschließenden Kapitel 9–11 bilden mit der Israel-Problematik einen eigenen klar abgegrenzten theologischen Themenkomplex. Deutlich sind die Rückbezüge unserer Perikope auf den Anfang von Kapitel 8: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Die Verse 1 und 38 f. bilden den Rahmen („in Christus Jesus“) der Argumentation in Kapitel 8. Darüber hinaus kann man Röm 8, 31–39 auch weitergehend als Abschluss des größeren Zusammenhangs von Röm 5–8 ansehen. Im Kontext der vorangegangenen Ausführungen im Römerbrief erscheint 8, 31–39 in jedem Fall als notwendige Ergänzung der Behandlung des grundlegenden Themas der Rechtfertigung. Der Blick des Apostels am Ende von Kapitel 8 hat den ganzen Menschen im Blick, denn kein Bereich der Wirklichkeit wird ausgeblendet (V. 35). Der Sieg von Kreuz und Auferstehung umfasst alle Bereiche des Lebens, weil Gott nichts ausgelassen hat (V. 32). Jesus hat in seinem Leben Gottverlassenheit, Einsamkeit, Leiden, den Tod erfahren und gespürt. Da Jesus Christus und seine Gemeinde lebensgeschichtlich durch Leid und Tod verbunden sind, sind sie auch auf ewig verbunden in der Herrlichkeit Gottes (vgl. Röm 8, 18).

In der exegetischen Diskussion wird darüber gestritten, wie Röm 8, 31–39 traditionsgeschichtlich einzuordnen ist: Haben diese Verse eher hymnischen Charakter oder weisen sie eher in den Bereich einer katechetischen Tradition, die vom Apostel im Stil der Diatribe umgearbeitet wurde? Paulus hat in seinen Briefen immer wieder Traditionsgut verarbeitet oder auch wörtlich zitiert. Für mich weist der Schluss des 8. Kapitels eindeutig mit Peter von der Osten-Sacken und Ernst Käsemann auf hymnisches Traditionsgut hin, das den Kap. 5-8 ihren liturgischen Abschluss verleiht. Der sonntägliche Gottesdienst als Festtag der Auferstehung Jesu Christi oder auch der durch die Kirchenjahreszeit bedingte Gottesdienst ist für die Menschen der Ort, an dem der Sieg über den Tod durch die Heilstat Gottes in Jesus Christus gefeiert wird. Wer am Altjahrsabend zurückschaut auf seine persönlichen Erlebnisse im zu Ende gehenden Jahr 2015, der wird um das Verwobensein seines Lebens mit dem ständig bedrohten Leben in dieser Welt wissen. „Verfolgung“, „Hunger“, „Flüchtlingskrise“, „Asylbewerber“ sind nur einige der Schlagworte des Jahres 2015. – Jahresende – Jahreswende.

In vielen Illustrierten finden sich in diesen Tagen „Horoskope“, in die die Menschen, die eher vom Aberglauben als vom Glauben leben und bestimmt sind, bereitwillig hineinschauen. Dieser sich ausbreitende Aberglaube gehört zu den Kennzeichen unserer Tage. Menschen vertrauen mehr den Horoskopen als dem Zuspruch Gottes wie ihn Paulus z.B. auch in seinem Römerbrief formuliert, denn nichts und niemand kann uns scheiden kann von der Liebe Gottes (V. 35 und 39). Das ist einer der zentralen Gedanken des Predigttextes, der so elementar und grundlegend ist, dass er alles andere überragt, was uns in dieser Welt an Irrungen und Wirrungen, an Enttäuschungen und Sehnsüchten oder an Zukunftserwartungen oder Katastrophenszenarien verunsichern mag.

Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Diese Botschaft des Paulus vermittelt dem Leser und Hörer nicht nur ein soteriologisches Konzept, sondern macht das Zentrum des paulinischen Evangeliums aus, dessen Dreh- und Angelpunkt Kreuz und Auferstehung Jesu Christi sind. Nur wer dies im Glauben annimmt, kann begreifen, dass uns auch gegen allen Anschein der Mächte und Gewalten, nichts mehr von der Liebe Gottes trennen kann. Wir sind als Christinnen und Christen nicht mehr dieser Welt und ihren Gewalten ausgeliefert, sondern sind Teilhaber von Gottes Heilswerk in Jesus Christus. Wir kommen von Weihnachten her und haben als Glaubende seither das Kreuz im Blick, das aber nicht das Ende ist, sondern der Anfang der Liebe Gottes zu den Menschen.

Literatur

H.R. Balz, Heilsvertrauen und Welterfahrung. Strukturen der paulinischen Eschatologie nach Römer 8,18-39, München 1971; P. Fiedler, Röm 8, 31-39 als Brennpunkt paulinischer Frohbotschaft, in: ZNW 68 (1977), 23-34; E. Jüngel, Geistesgegenwart. Predigten I/II, München 1979; E. Käsemann, An die Römer, HNT 8a, Tübingen 1974 (3. Aufl.); E. Lohse, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003; P. von der Osten-Sacken, Römer 8 als Beispiel paulinischer Soteriologie, FRLANT 112, Göttingen 1975; Henning Paulsen, Überlieferung und Auslegung in Römer 8, WMANT 53, Neukirchen-Vluyn 1974; P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, NTD 6, Göttingen und Zürich 1989; M. Theobald, Studien zum Römerbrief, WUNT 136, Tübingen 2001; U. Wilckens, Der Brief an die Römer, EKK VI/2, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1987; Michael Wolter, Der Brief an die Römer.. Teilband 1: Röm 1-8, EKK VI/1, Neukirchen-Vluyn 2014.

Lied

Singt Jubilate. Lieder und Gesänge für die Gemeinde, München-Berlin 2012, 145 Nada te turbe (Bezug auf Römer 8, 35-39) Singt Jubilate, 167 Schenk uns Zeit.

Gebete

Stilles Eingangsgebet mit Fragen Was habe ich in diesem zu Ende gehenden Jahr erlebt, wofür bin ich dankbar? Stille Was ist nicht geglückt, was belastet mich noch? Stille Was nehme ich an Gutem und Schönen mit ins neue Jahr hinüber? Stille Was möchte ich zurücklassen und davon Abschied nehmen? Stille Worauf freue ich mich im neuen Jahr?

Zwischen jedem Stilleteil wird der Kehrvers „Schenk uns Zeit“ einmal gesungen.

Eingangsgebet

Du Gott bist der Ursprung aller Zeit. In dir ist alles das aufgehoben, was wir erleben und auch in Zukunft erleben werden. Vertrauensvoll legen wir das zu Ende gehende Jahr in deine Hände. Nimm es bei dir auf, damit wir frei werden, und damit sich neuer Raum für uns öffnet.

Schlussgebet

Gott, der du Anfang und Ende der Zeiten bist. Der letzte Tag des Jahres 2015 ist fast vorüber, und auch er ist wie alle Tage und alle Jahre unseres Lebens in deinen Händen und deiner Zeit aufgehoben. Wir erinnern uns heute Abend an alles was gestern und heute war. Wir erinnern uns an dieses Jahr 2015 und an das, was es uns gebracht und zugemutet hat. Wir legen es zurück in deine Hände.

Wir lassen los. Gelungenes und Missglücktes. Unerledigtes. Unnötiges. Beglückendes. Schmerzliches. Wir legen es zurück in deine Hände. Wir prägen uns ein, was bleiben soll. Was gut war, was wachsen konnte. Wir denken an das, was wir erhoffen und herbeisehnen. Gott, in deine Hände legen wir alles. Aus deinen Händen empfangen wir alles. Lass unser Leben verwurzelt sein in dir, damit wir getrost ins neue Jahr 2016 gehen können.

Segen

Noch ist er verborgen dein Weg in die Zukunft, geh ihn getrost. Ich wünsche dir ehrliche Weggefährten, liebevolle Freunde erfüllte Augenblicke. Der treue Gott, in dessen Händen Zeit und Ewigkeit liegen, behüte dich und segne deine Schritte. Dies gewähre dir der dreieinige Gott: Vater, Sohn und Hl. Geist. Gemeinde: Amen

Texte der Gegenwart

Psalm der Vergnügtheit

Ich bin vergnügt erlöst befreit Gott nahm in seine Hände meine Zeit mein Fühlen, Denken Hören, Sagen Mein Triumphieren und Versagen Das Elend und die Zärtlichkeit

Was macht dass ich so fröhlich bin in meinem kleinen Reich Ich sing und tanze her und hin vom Kindbett bis zum Grab

Was macht dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen Es kommt ein Geist in meinen Sinn will mich durchs Leben tragen

Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsinn hält weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt.

Hans Dieter Hüsch in: Das Schwere leicht gesagt

Alt und neu Mit alten und neuen Landschaften neuen und alten Worten verlorenen und wiedergefundenen Freunden leben Blicke deuten Vor dem Abgrund die Augen nicht schliessen Sich mit Altem zufrieden geben protestieren Endlos von neuem anfangen.

Rose Ausländer

Neuigkeiten

Aus den Quellen schöpfen

Die mit exegetischen Impulsen, Gebeten und einem Essay zu "Exegese und Homiletik" verbundenen Auslegungen wissen sich in einer weltweiten Communio, die "aus den Quellen des Heils" schöpft (Jesaja 12,3)... mehr lesen

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