Versuchung
Fastenaktion - sensibel werden gegenüber den unzähligen Versuchungen
Predigttext: Matthäus 4,1-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach:Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach:Es steht geschrieben (5. Mose 8,3):»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht. « Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm:Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11- 12):»Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt. « Da sprach Jesus zu ihm:Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6,16):»Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen. « Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm:Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm:Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13):»Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen. « Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Der Teufel versucht Jesus, versucht es mit aller Macht, lockt ihn, provoziert ihn, bearbeitet ihn mit schmeichelnder Stimme und mit starken Bildern, zieht alle Register, spricht alle Sinne an, spielt mit Jesu Not und spielt mit Jesu Wünschen. „Du hast Hunger? Mach diese Steine zu Brot, du kannst es. Was hindert dich?“ Dann: „Du bist Gottes Sohn? Beweis es! Wirf‘ dich von den Zinnen hinab. Teste deinen Gott, ob er dich hält. Das wird er doch wohl tun, oder?“ Und schließlich: „Sieh, ich verspreche dir die ganze Welt. Nur – bete mich an. Mehr musst du nicht tun. Es ist so leicht, das alles könnte deins sein.“ Dreimal versucht der Teufel Jesus, dreimal widersteht Jesus. „Brot ist nicht alles. Ich halte mich an Gottes Wort!“ Dann: „Gottes Liebe muss ich nicht testen!“ Und schließlich: „Gott allein gehört mein Herz. Hinfort, Satan!“ Dreimal siegt Jesus. Dreimal scheitert der Teufel. Und gibt auf. „Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm (Mt 4,11).“ Ende gut, alles gut. Doch war das wirklich alles? Oder hat der Teufel noch ein Ass im Ärmel? Bleibt es bei diesen drei Versuchungen? Nicht ganz.
Da ist noch eine vierte Versuchung, die wohl größte. Jesus im Garten Gethsemane. Wir kennen die Geschichte. Jesus ist allein, seine Jünger schlafen. Dunkel ist es um Jesus und dunkel ist es in ihm. Wenn das Licht schwindet, wachsen die Ängste. Jesus hat sein Schicksal vor Augen, all das Leid, all den Schmerz, seinen Tod am Kreuz. „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ In diesen Worten klingt sie an. Jesu größte Versuchung nimmt Gestalt an in einem Gedankenspiel. „Lass die Geschichte anders ausgehen, lass sie nicht am Kreuz enden!“ In dieser Bitte blitzt die Versuchung auf. Da ist er zu spüren, der Versuch, aufzugeben und der Angst nachzugeben. „Erspare mir das Kreuz, lass mich ins Leben gehen.“ Verständlich dieser Wunsch, denkbar dieses Gedankenspiel.
1988 kam der Film „Die letzte Versuchung Christi“ in die Kinos. Jesus flieht vom Kreuz und geht in ein normales Leben. Heiratet Maria Magdalena, erlebt Freude und Leid. Am Ende seines Lebens trifft er seine Jünger wieder. Auch Judas. Der Verräter von einst nennt nun Jesus einen Verräter. „Auch du, Jesus, auch du hast der Versuchung nachgegeben. Auch du hast verraten, was Gott dir bestimmt hat. Auch du bist vom Kreuz geflohen.“ Bei diesen Worten fällt es Jesus wie Schuppen von den Augen. Und er geht zurück ans Kreuz, nimmt Leid und Tod auf sich und siegt am Ende doch über die Versuchung. Nicht nur im Film, sondern auch in Gethsemane. Jesus erliegt der größten Versuchung nicht. Die Nacht von Gethsemane endet mit einem „Dein Wille geschehe!“. Jesus überwindet die Versuchung und damit Tod und Teufel. „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre (Lk 18,31).“
Das ist seit Adam und Eva so. Schon die haben nicht widerstanden. Sie waren nicht so stark wie Jesus. Zu listig die Schlange, zu verlockend die Versuchung, wie Gott zu sein. Zu süß die Frucht. Verbotene Früchte schmecken am besten, so sagt es schon der römische Dichter Ovid. Überall lauert die Versuchung – in Gestalt einer Schlange, einer schönen Frau oder auch nur in einer Milka-Tafel, der „zartesten Versuchung, seit es Schokolade gibt”. Wir alle werden versucht. Jeden Tag, jede Stunde. Oft gebe ich den kleinen Versuchungen des Alltags nach. Denn viele von ihnen sind leicht und machen das Leben hell und süß. Ein Stück Schokolade gegen den Kummerspeck auf den Hüften wirkt Wunder. Der Kauf eines Sommerkleides mitten im grauen Winter trotz leerem Konto lässt mich die Leichtigkeit der kommenden Tage erahnen.
Manchmal tut es der Seele gut, den kleinen Versuchungen nachzugeben. Das ist nicht wirklich schlimm. Aber es gibt Versuchungen, die schwerer wiegen. Da meint es der Teufel ernst. Jemand hat einmal gesagt: Drei Versuchungen gibt es für den Mann, nämlich Frauen, Geld, Macht. Da ist was dran. Wer kennt sie nicht, all die Geschichten von Verführung und Versuchung, die die Kinos und Bücherregale füllen? Wer von uns könnte nicht selbst solche Geschichten erzählen und davon sein ganz eigenes Lied singen? Uralt ist die Erkenntnis und verbreitet auf aller Welt: Ewig lockt das Weib. Wer erliegt nicht gern dem Charme einer schönen Frau? Ein Haar der Frau zieht stärker als der Ochs den Karren, wie ein japanisches Sprichwort sagt. Und wer sich in fremde Betten ziehen lässt, muss – auch das eine alte Erkenntnis – damit rechnen, dass er am Ende von zuhause ausziehen muss. „Das hat dann mit ihrem Singen die Lorelei getan (Heinrich Heine)“ – jene Nixe mit dem langen blonden Haar und dem betörenden Gesang, die die Schiffer von Weg abbrachte.
Wer kennt sie nicht, all die unmoralischen Angebote und die eigene Bestechlichkeit? Reichtum ist eine große Versuchung, ein starkes Argument des Versuchers. Um in den Genuss von Reichtum zu kommen, nimmt man dann schon mal in Kauf, dass ein anderer die Rechnung zahlt. Das müssen nicht immer Bankraub oder Korruption im großen Stil sein, das fängt schon bei „1000 ganz legalen Steuertricks“ an. Auch das ist Bereicherung auf Kosten anderer. Der Versuchung des Reichtums erliegt nicht nur der Einzelne. Das ist keine reine Privatsache. Denken sie an all die Dogmen der Wirtschaft: immer mehr, immer schneller. Eine solche Systemlogik geht auf Kosten der Gesundheit, auf Kosten menschlicher Beziehungen und auf Kosten der Schwachen. Und schließlich: Wer kennt sie nicht, die Verlockungen der Macht, des Teufels raffinierteste Waffe, seine süßeste Frucht?
Alles zu wissen, alles zu können, alles zu bestimmen – damit hat die Schlange schon Adam und Eva rumgekriegt, damit hat schon Mephisto den Faust gekriegt. Für ein Amt verkauft so mancher seine Seele, für Macht wirft so mancher seine Überzeugung über Bord und bricht mit seinen Prinzipien. Um seine eigene Macht zu fühlen und voll und ganz auskosten zu können, kann es dann sogar auch schon mal nötig sein, andere zu mobben und herabzusetzen. Es ist leicht, groß und stark zu sein, wenn man andere klein und schwach macht. Und wer einmal Blut geleckt hat, kommt schnell auf den Geschmack und kann nicht genug bekommen. Denn Macht fühlt sich gut an, im Kleinen und im Großen. Auch diese Versuchung ist keine Privatsache. Die Versuchung der Macht hat schon manchen Traum vom Frieden auf der Welt zerstört. Jeden Abend sind die Nachrichten voll davon.
Irgendwann erliegen wir alle. Irgendwann beißen wir alle in den Apfel. Jeder hat seine Schwachstelle und seinen wunden Punkt. Früher oder später verlässt uns alle die Widerstandkraft. „Menschen, die der Versuchung widersehen, verschieben nur ihre Kapitulation auf Morgen (Charles Maurice de Talleyrand).“ Denn der Teufel versteht sein Handwerk. Seine Verführungskünste erschöpfen sich nicht in der Darbietung eines Apfels oder der lockenden Stimme einer schönen Frau. Der große Verführer erscheint in vielerlei Gestalt und beherrscht unzählige Strategien; seine Fallstricke sind überall und kunstvoll ausgelegt. Der Teufel ist eben ein wahrer Meister seines Fachs. Er schmeichelt und lockt. Er provoziert und argumentiert. Er kennt unsere Begehrlichkeiten und weiß um unseren Hunger nach Macht, Liebe und Brot. Gekonnt spielt er mit unseren Sehnsüchten – und mit unserer Not. Denn da sind wir am verwundbarsten, da hat der Teufel sein leichtestes Spiel.
Wir kennen sie wohl alle, solche dunkeln Nächte wie in Gethsemane, in denen man versucht ist, sein Leben und seinen Gott aufzugeben. Bittre Stunden der Prüfung. Unsere Ängste arbeiten dem Teufel in die Hand. Immer wieder. Wie oft kommt es vor, dass anderen wehgetan wird. Eigentlich müssten wir helfen. Doch dabei kann man selbst zum Opfer werden, das kann unbequem sein oder sogar gefährlich enden. In solchen Momenten ist die Versuchung groß, der Angst nachzugeben und einfach wegzusehen, wegzuhören, wegzugehen. Und so greifen wir nicht ein, wo jemand in Not ist, so stellen wir uns nicht auf die Seite des Opfers, wo jemand ausgegrenzt oder gemobbt wird. Da sind die Momente, in denen der Teufel gewonnen hat. Das sind seine kleinen Siege.
Unzählig sind die Fallstricke unseres Versuchers, mannigfaltig seine Strategien. Doch wir sind nicht machtlos. Wir können all die Verlockungen abwehren, wenn wir uns auf das besinnen, was unser Leben ausmacht und was nicht. Es braucht keinen Reichtum, um satt an Seele und Leib zu sein. Gottes Liebe ist mehr als wir fassen und wünschen können. Es braucht keine Macht über andere, um glücklich zu sein. Wir müssen die Welt nicht aufteilen in Herren und Sklaven. Wir alle sind Gottes Kinder, Brüder und Schwestern. Wie schnell und leicht gehen diese Gewissheiten in den Anforderungen und Anfechtungen des Alltags verloren! Vor uns liegt die Fastenzeit. Wir könnten zur Ruhe kommen, einen Gang runterschalten und Achtsamkeit üben. Das kann uns sensibel gegenüber den unzähligen Versuchungen machen, denen wir täglich ausgesetzt sind. Viele verzichten in diesem Wochen auf all die süßen Sünden, vielleicht auch mit dem Hintergedanken, wieder in die Sommerkleider zu passen.
Die diesjährige Fastenaktion der evangelischen Kirche lenkt unseren Blick auf etwas anderes. „7 Wochen ohne Runtermachen!“ Dieses Motto kann unsere Aufmerksamkeit für eine der größten Versuchungen schärfen, nämlich die Versuchung der Macht. Sich mächtig fühlen und andere runtermachen hängt oft zusammen. Denn es ist verlockend, sich auf Kosten anderer zu profilieren und da kann es passieren, dass man um des eigenen Machtgefühls willens andere runter und sogar kaputt macht. Das darf nicht sein und das muss auch nicht sein. Versuchen wir es anders! Sieben Wochen ohne der Versuchung nachzugeben, seine Macht auf der Ohnmacht anderer aufzubauen. Sieben Wochen ohne den Versuch, sich selbst Ehre zuzuschreiben, indem man andere in Unehre setzt. Das wäre was. Sieben Wochen ohne der Versuchung der Macht zu unterliegen. Einen Versuch ist es wert. Denn immer, wenn uns das gelingt, hat der der Teufel verloren. Und darauf kommt es an, jeden Tag und jede Stunde!