Vertrauen und Liebe
Ein neuer Blick auf Gott und unseren Nächsten
Predigttext | Römer 8,1-11 |
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Kirche / Ort: | Karlsruhe |
Datum: | 05.06.2022 |
Kirchenjahr: | Pfingstsonntag |
Autor: | Pfarrer Dr. Uwe Hauser |
Predigttext: Römer 8,1-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
1 So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. 2 Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. 3 Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, 4 damit die Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, in uns erfüllt werde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. 5 Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. 6 Denn fleischlich gesinnt sein ist der Tod, doch geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. 7 Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch sich dem Gesetz Gottes nicht unterwirft; denn es vermag's auch nicht. 8 Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen. 9 Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, da ja Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. 10 Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. 11 Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.
Ach ja, wer kennt dies von den etwas älter und gewichtiger Gewordenen unter uns nicht: Ein Besuch beim Arzt steht an, ein sogenanntes „Checkup“ muss gemacht werden und danach ist mein Leben voller guter Vorsätze: Mehr Sport machen, abnehmen, weniger fett essen, viel Gemüse und bis zum nächsten „Checkup“ fünf Kilogram abnehmen. Meistens besteht die Woche danach aus lauter Enttäuschungen: „So ein kleines Schokolädchen, schadet niemanden – oder? Heute bin ich besonders müde. Und draußen ist es viel zu heiß, um sich zu bewegen.“ Das sind so unsere menschlichen Schwächen. Aber sind diese Schwächen schon das, was der Apostel Paulus mit „fleischlich gesinnt sein“ bezeichnet? Natürlich ist auch unsere „Schwachheit“ ein Aspekt unserer „Fleischlichlkeit“. Paulus meint aber viel mehr. Er bezeichnet damit die Richtung unseres Lebens, den Grundvollzug, eine ganze Lebenshaltung. Ein Versuch es zu verstehen:
Als Mensch bin ich zunächst und vor allem darauf bedacht, dass es mir gut geht. Gerne habe ich genug zu essen und trinken, einen sauberen und ruhigen Ort zum Wohnen, genug Geld um mir alles leisten zu können, wenn dann noch nette Menschen dazu kommen, die mich umgeben, dann bin ich in aller Regel einigermaßen nett und akzeptabel zu meinen Mitmenschen. Was sollte daran auch verwerflich sein, dass ich mich selbst liebe? Sagt doch die Bibel schon: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Ja, wir dürfen uns lieben, so wie wir sind. Wir ich darf mich und meine Bedürfnisse annehmen, denn Gott hat in meiner Taufe ein Ja zu mir gesprochen. So weit so gut. So könnten ich zufrieden mir sein sein. Ich bin ein ordentlicher. Ich habe noch nie jemanden ermordet, keinen Ehebruch begangen und auch nur ab und zu gelogen. Gut ab und zu schummeln ich bei der Einkommenssteuererklärung. Aber das machen alle anderen doch auch! So im Großen und Ganzen, wenn man nicht gerade das Mikroskop zur Hilfe nimmt, bin ich doch ein ganz ordentlicher Christenmensch. Das war auch in der Gemeinde in Rom der Fall. Dort lebten lauter anständige Menschen.
Warum spricht dann Paulus so nachnachltig davon, vom „fleischlich gesinnt sein“? Paulus blickt tiefer. Gerade in meinem „Anstand“, entdeckt er meine Sünde. Es ist diese Form von Selbstgerechtigkeit, die auf den eigenen Anstand, die eigene Rechtschaffenheit baut, die er entlarvt, als das, was sie ist: Tiefer Unglaube. Warum? Weil ich mich selbst an die Stelle Gottes setze und mich selbst für gut und rechtschaffen halte. Und das, was ich für richtig und gerecht halte, soll gefälligst Gott auch so zu betrachten: „Schau her, ein ganzes Leben über habe ich viel geleistet und gearbeitet und bin dabei immer anständig geblieben. Mein Leben ist eigentlich ganz ok.“ Paulus antwortet: „Gerade damit, dass du so „anständig“ zu sein glaubst, nimmst du an, das könnte Gott irgendeinen Eindruck machen, aber gerade das ist ganz und gar „fleischlich“ gedacht. Sieh auf das, was Gott von dir möchte: Vertrauen und Liebe. Auf ihn darfst du vertrauen, nicht auf deine eigene Gerechtigkeit.“ Machen wir es uns an einem Beispiel deutlich:
Martin M. ist überzeugter Vegetarier. Das erklärt er auch aller Welt. Er kann nur schwer verstehen, wie es hier mehr als zwei Meinungen geben kann. Tiere werden getötet, um Fleisch zu gewinnen. Das sei Mord, insofern verwerflich. Überhaupt bräuchten wir Ehrfurcht vor dem Leben. Also soll kein Fleisch mehr gegessen werden, sondern man möge nur noch pflanzliche Nahrung zu sich nehmen. Auf meinen Einwand hin, dass auch Pflanzen Lebewesen seien, deren Lebensrecht zu achten sei, insofern müssten wir „Frutarier“ werden, also nur noch Früchte essen, geht er nicht weiter ein. Ich wolle eben nur meine Gewohnheiten nicht ändern und mache es mir bequem. Danach steht der Vorwurf im Raum: Hier der Anständige, der es geschafft hat, sein Leben umzustellen. Und dort ich als Ewiggestriger, ein Fleischesser!
Paulus würde sagen: Gerade darin, wo du glaubst, perfekt und gerecht zu sein in deinem Tun, bist und bleibst du ein Sünder. Denn deine „Gerechtigkeit“ dient dazu, dich über andere zu stellen und deine Art von Leben durchzusetzen. Das ist die Gerechtigkeit, die wir selbst aufrichten. Und schon ertappe ich mich dabei, dass mir Paulus dazu dient, mich selbst als gut zu betrachten. Denn ich war in diesem Gespräch auch kein bisschen besser als Martin. Ich dachte nämlich so bei mir: „Was für ein selbstgerechter Typ. Will mir etwas von Freiheit erzählen. Ich weiß es aber besser.“ Und schon war eine Spaltung zwischen uns. Und Paulus meint dazu: Das ist das Wesen der „fleischlichen Gesinnung“, dass permanent eingeteilt wird in gut und böse, und auf welcher Seite ich dann stehe ist klar. Damit erledigen ich Gottes Aufgabe, und stellen mich auf die Seite der Guten. Permanent sorge ich dafür, dass ein Anderer die schlechten Karten erhält, der Ungerechte ist. Das tue ich bewusst oder unbewusst. Das Wesen der Sünde, dass Paulus herausarbeitet, ist: Ich spiele so gerne Richter. Ich sitze so gerne auf dem Richterstuhl Gottes und teile ein in richtig und falsch und als Rechtfertigung dafür gebrauche ich Gottes Gebote.
Christus bringt einen anderen Geist unter die Menschen: Den Selbstgerechten seiner Zeit macht er klar, dass sie das Gesetz Gottes nicht zu ihren Gunsten gepachtet haben. Sie sind nämlich der festen Überzeugung: die Jünger Jesu müssen fasten, sie müssen den Schabbat halten, Jesus dürfe nicht am zu heiligenden Tag, dem Schabbat, heilen (Markus 2). Jesus zeigt ihnen auf, wohin das alles führt: in den Tod. Denn es macht die anderen klein und mich selbst scheinbar groß. Vor Gott aber ist es nichts. Um es paulinisch zu sagen: „Fleischlich gesinnt sein ist der Tod. Geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede.“ Wo eingeteilt wird in die, die es richtig machen und die, die ganz böse sind, wenn eingeordnet und kategorisiert wird, gerade dann ist man auf dem sichersten Weg, weg von Christus. Es ist der Tod der Beziehungen, es führt in die Ferne von Gott.
Wer wird uns erlösen von diesem Kreislauf der Überlegenheit und Rechthaberei? Wer macht uns zu fröhlichen und freien, zu „geisterfüllten“ Menschen? Wie geht das, Abschied zu nehmen von allem, wie komme ich heraus aus diesen Sackgassen? Zunächst: das muss Gott tun. Ich kann nur darum bitten, dass er mein Innerstes erneuert, dass er seinen Geist sendet und aus mir einen neuen Menschen macht. Meine tägliche Bitte könnte lauten: „Erneuere deine Kirche und deine Welt und fang bei mir an. Sende deinen Geist, dass ich jeden Menschen mit deinen Augen anschaue. Mache mich frei vom Geist der Besserwisserei und Rechthaberei. Überwinde meine Trägheit und Bequemlichkeit und hilf mir das Gute und das Gerechte zu tun und nicht nur darüber zu reden.“
Und dann einen neuen Blick auf Gott und unseren Nächsten: Unser himmlischer Vater lässt seine Sonne jeden Tag neu über mich und über den anderen scheinen. Da will ich mir ein Beispiel an seiner großen Freundlichkeit nehmen und auch die Sonne meiner Freundlichkeit über alle scheinen lassen. Und: Ich muss nicht immer recht haben. Ich muss nicht immer bewerten, einordnen, abkanzeln und auf der Seite die Richtigen stehen. Denn auch ich mit meinen Vorstellungen, Meinungen und Einschätzungen, und Taten werde mich einstmals vor Gott verantworten müssen. Und bin ich wirklich der, den ich gerne so vor den anderen gebe? Groß, gerecht und klug? Und es ist so tröstlich, dass Gottes Geist zu mir spricht: „Vertraue mir, dem Geist der Liebe und des Vertrauens, dem Geist Christi. Ich nehme dich mit auf meine Seite der Welt und in meine Sicht der Dinge hinein und du darfst alle Menschen betrachten mit den Augen der Liebe und der Barmherzigkeit. Denn so schaut Gott dich an. Dann bist du auf dem Weg ein „geistlicher Mensch“ zu werden“.
Geistlich sein ist ein tägliches Einüben, einen anderen Blick auf meine Nächsten und die Welt zu bekommen. Es ist so ein Jesusblick. Das fällt schwer angesichts dessen, was auf dieser Welt alles so geschieht. Aber ich muss ja nicht die Welt verändern, es genügt, wenn ich Gott anfangen lasse, mich zu verändern, aus mir einen neuen, einen anderen Menschen zu machen. Und diese tägliche „geistliche Auferstehung“ beginnt jeden Morgen. Für uns ist immer Herren-, sprich Sonntag, der Tag der Auferstehung, an dem Gott der Schwachheit unseres Leibes aufhilft, uns befreit von uns selbst, uns Mut macht Menschen nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen. Für geistliche Menschen ist jeder Tag Pfingsten. Und der Geist Gottes verändert unser Denken und unser Tun!
In der sogenannten „Wendezeit“ erbte ein junger „Wessi“ über Nacht ein wertvolles, gut vermietetes Mehrparteienhaus in Leipzig. Was sollte nun werden? Für die erste Hausversammlung mit dem Erben hatten sich die Hausgemeinschaft „organisiert“, keineswegs wollten sie sich „entmieten“ und „vertreiben“ lassen. Den „Wessies“ würden sie es schon zeigen. Aber es kam anders. Der junge Mann lächelte freundlich und teilte den Mietern mit, er werde das Haus in Eigentumswohnungen aufteilen und den Mietern die Wohnungen schenken und die Notarkosten werde er auch übernehmen. Schließlich sei er selbst begütert und es gehe ihm gut. Das sei sein Beitrag zur Wende und zum Frieden in unserem Land. Tja, so kann der Geist Gottes wirken: Großzügigkeit und Freiheit vom Besitz, im Vertrauen darauf, dass es für alle reicht und ich deswegen etwas abgeben kann.
Oder: Hausbesuch zum 75. Geburtstag bei einem sehr begüterten Ehepaar. Nach ein paar Häppchen im Stehen, geleitet mich die Herrin des Hauses in die Küche, kramt in ihrer Geldbörse und findet dort noch einen Schein: Das sei für die Armen in der Gemeinde. Ich denke mir meinen Teil, bedanke mich artig, aber nicht überschwänglich, und ziehe mich zurück. Der unmittelbar anschließende Besuch führt mich in das Zwei-Zimmer-Appartement eines alten, Russlanddeutschen Ehepaar, die von ihrer winzigen Rente leben. Auf dem Tisch liegt ein sauberer weißer Umschlag, in dem sich 100 € befinden. Sie verabschieden mich mit den Worten: „Wir haben nicht viel Herr Pfarrer, aber was wir haben, geben wir gerne für die Gemeinde.“
So einfach kann das sein, mit dem fleischlich und geistlich gesinnt sein. Gerne hätte ich ihnen die Geschichte anders herum erzählt. Kann ich aber leider nicht. (Aber verurteile ich hier nicht schon wieder das begüterte Ehepaar…? Nein, ich habe ja ihre Namen nicht genannt..). Sich Gottes Geist öffnen, die Angst abstreifen, gelassen leben, angesichts aller Krisen, darauf vertrauen, dass er auch mein kleines Leben sieht. Frei werden von allem, was ich für so wichtig und unverzichtbar halte: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Tröste mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem freudigen Geist rüste mich aus.“