Vertrauen
Wider das Übermaß an Misstrauen
Predigttext: Hebräer 10,(32)35-39 (Überstzung nach Martin Luther)
35 Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. 36 Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. (37 Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben. 38 Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm«.) 39 Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten.
Vormerkung
Da ich kurzfristig jetzt fürs Predigtforum eingesprungen bin, eigne ich mir aus der mit Abstand besten mir bekannten Predigt zum Text von Prof. Gerd Theißen (in: Lebenszeichen, S. 181 ff ) die Gliederung an und die Geschichte vom Torhüter (nach U. Tworuschka: Himmel ist überall). Ich hoffe, dass meine Aneignung und Ergänzung seiner Predigt einigermaßen echt und stimmig überzeugen kann.
Exegetische Informationen zum Predigttext
Der Verfasser des Predigttextes ist unbekannt. Wahrscheinlich hat ein prominenter und verfolgter Christ eine Predigt in Briefform-Anklängen an seine Heimatgemeinde geschickt. Trotz der vielen Zitate aus dem Alten Testament ist der Brief an eine verfolgte heidenchristliche Gemeinde gerichtet.
Wahrscheinlich ist der Brief um 90 n.Chr. zur Zeit der Verfolgung des Domitian verfasst. Er ermahnt und tröstet. Gegen beginnende Resignation setzt er das Vertrauen. Er ermahnt die Christen auf das Wort Gottes zu hören, am Bekenntnis festzuhalten, im rechten Glauben zu wandeln. Im Mittelpunkt stehen Jesus als Hohepriester zur Rechten Gottes und seine Wiederkunft. Er ist Anfänger und Vollender des Glaubens. Er ist uns nach dem Kreuz vorausgegangen in die Vollendung und schon am Ziel.
Keine Krise ist deswegen so schwer, dass wir das Vertrauen verlieren müssen. Die große Perspektive und Vision trösten die Christen im Hebräerbrief ähnlich wie der erhöhte Christus bei Paulus, Johannes und in der Offenbarung des Johannes! Der moderne Begriff vom kosmischen Christus taucht dem Sinn nach schon im Hebräerbrief auf! Der zentrale griechische Begriff parraesia schillert in den Übersetzungen z.B. zwischen: Vertrauen, Zuversicht, Glaubensmut, Mut, Freimut, freudige Zuversicht, Höpen und Vertruen, confidence, assurance, confianzia.
Homiletisches Hauptthema für die Predigt ist die Ermahnung und die Verheißung zu vertrauen, weil das zum guten Ziel führt. Für uns Christen in verschiedenen Anfechtungen und Zweifeln, mit vielfachen persönlichen und globalen Katastrophen-Ängsten ist diese Botschaft sehr aktuell: Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat! Der Psychologie-Professor Schulz von Thun macht sehr weise darauf aufmerksam: „Des Guten zuviel kann jede Tugend zu einer Störquelle des Miteinander werden lassen“. So ist Vertrauensseligkeit ohne Aufmerksamkeit sicher nicht ungefährlich. Heute steht aber sicher übertriebenes Misstrauen im Vordergrund! Ohne gesundes Vertrauen aber kann unser Leben nicht gelingen! Wer heute nur noch vorwiegend misstrauisch sein kann, ist arm dran.
Jesus hat gesagt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von Gottes Wort! Solch ein Wort, von dem wir leben können, sind die Worte aus dem Predigttext: Werft Euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat!
I.
Weder Brot, noch Gottes Wort, noch das Vertrauen darf man wegwerfen. Wie wichtig und aktuell die Aufforderung ist, sein Vertrauen als Brot des Lebens nicht wegzuwerfen, kann man daran erkennen, wenn man Menschen ansieht, die ihr Vertrauen beiseite gestellt haben. Wenn man ihnen was vom guten und lebensnotwendigen Vertrauen erzählt, schleudern sie einem sofort den bekannten Satz entgegen: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Aber man sieht leicht, dass unser Leben so nicht gelingen kann. Wer das Vertrauen in seine Mitmenschen verloren hat, lebt in ständiger Angst, belogen und betrogen zu werden. Hinzu kommt noch das Misstrauen in Politik und Gesellschaft oder in globale Klima-Katastrophen.
Mit einem Übermaß an Misstrauen und Angst zerstören wir selbst unser Leben! Sehr deutlich zeigt das die Weisheitsgeschichte vom Torwächter: Im Mittelalter stand am Eingangs-Tor einer kleinen Stadt ein Wächter. Manchmal kamen Menschen zu ihm, wollten sich eventuell dort ansiedeln und fragten den Torhüter: Wie sind die Menschen in dieser Stadt? Dann fragte er sie zuerst: Wie waren denn die Menschen dort, wo ihr gewohnt habt? Wenn sie antworteten: Ach, eigentlich ganz freundlich und hilfsbereit! Natürlich gab es auch einige fiese Typen, aber im Wesentlichen haben wir uns bei ihnen ganz wohl gefühlt! Dann sagte der Wächter: Genauso sind die Menschen hier auch! – Antworteten die Heimatsuchenden aber: Dort, wo wir herkommen, waren die Menschen schrecklich. Ziemlich hinterhältig, fies und gemein, neidisch und streitsüchtig waren sie. Gewiss, wir hatten auch den einen und anderen Freund, aber den meisten musste man ständig misstrauen! Dann sagte derselbe Wächter: Genauso sind die Menschen hier auch! – Als ihn einer zur Rede stellte wegen seines Widerspruchs, sagte er: Wie soll man erwarten, dass die Menschen hier andere Erfahrungen machen werden als in ihrer Heimat? Wenn sie anderen Menschen schon mit Blick und dem Tonfall ihrer Sprache vertrauen, werden sie sie als vorwiegend vertrauenswürdig erleben. Und wenn sie ihnen schon mit Blick und Körpersprache misstrauen, werden sie diese Menschen als feindselig erleben! Deswegen ist es für uns und unser Leben und Zusammenleben so lebensnotwendig, unser Vertrauen nicht wegzuwerfen, sondern es zu fördern!
II.
Vertrauen lässt sich nicht erzwingen, aber fördern. Das ist leicht gesagt, aber nicht einfach umzusetzen. Wir können das Vertrauen nicht herstellen, so wie wir einen Brief schreiben können. So wenig, wie wir uns zwingen können, Menschen, mit denen wir Schwierigkeiten haben, zu lieben, so wenig können wir uns zwingen, unser Misstrauen gegen Gott und Menschen aufzugeben.
Vertrauen stellt sich aber immer wieder von selbst bei uns ein. Wir können es nicht herstellen, aber diese innere Haltung bei uns fördern. Wir können uns auf den Weg machen, mehr Vertrauen zu gewinnen. Der bedeutende Theologe und Glaubenszeuge in der Nazi-Zeit Dietrich Bonhoeffer hat gesagt: „Es geht immer wieder darum, sich von den kleinlichen (misstrauischen) Gedanken, die uns quälen, hinzuwenden zu den Gedanken, die uns trösten.“ Im Bitt-Gebet machen wir ja genau das! Wir legen Gott unsere misstrauischen und ängstlichen Gedanken vor, legen unser Schicksal in Gottes Hand und bekommen gewöhnlich das Vertrauen geschenkt, dass Gott den Weg für uns weiß. Deswegen ist das Beten der wichtigste Weg, Vertrauen zu gewinnen und in uns zu fördern.
Ich erinnere an ein überaus wichtiges und originelles Buch von dem Psychologie-Professor Julius Kuhl „Gegen den kalten Krieg im Kopf“ heißt der Titel. Er geht von der allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnis aus, dass unsere linke Gehirnhälfte rational denkt. Durch rein vernünftiges Denken und Grübeln kommen wir so aus Sorgen und Misstrauen nicht heraus. Auf jedes Argument findet unsere linke Gehirnseite ein Gegenargument. Die rechte Gehirnhälfte denkt dagegen komplex, ganzheitlich, intuitiv und religiös. Wer betet, kann suggestiv das ewige Grübeln und Pro- und Kontra-Argumentieren der linken Vernunft-Gehirnhälfte verlassen. Man kann sich dem Denken der intuitiven Gehirnhälfte öffnen, sich Gott anvertrauen und Vertrauen gewinnen. Um es persönlich zu beschreiben: Nachts drehen sich meine vielen berechtigten Sorgen in meinen Gedanken im zermürbenden Kreis. Wenn ich bete und dem lieben Gott mein Schicksal in die Hand lege, wenn ich in Gedanken: „Befiehl du deine Wege“ und andere Lieder singe und das Vaterunser und den Psalm vom guten Hirten (Psalm 23) bete, weiten sich meine kleinen ängstlichen Gedanken zu einem tröstlichen Vertrauen, und ich finde zum ruhigen Schlaf.
III.
Gott schenkt uns immer wieder die Möglichkeit zu vertrauen, wir machen es nicht selbst, aber es wird uns geschenkt. Gott möchte aber auch, dass wir das Vertrauen nicht wegwerfen, damit wir unser von Gott geschenktes Leben nicht vertun. Drei Seiten hat diese Aufforderung: Werft das Vertrauen auf euch selbst, untereinander und zu Gott nicht weg! Vertraut dem Wert des Vertrauens.
Werft das Vertrauen auf euch selbst nicht weg! Das klingt im ersten Augenblick verwunderlich. Irgendwie ist doch jede und jeder von sich und den eigenen Fähigkeiten überzeugt, viele sind gar größenwahnsinnig und überheblich. Wenn man genauer hinsieht, kann man schnell sehen, wie sehr Menschen in unserer hochtechnisierten Gesellschaft heute ihren Fähigkeiten misstrauen. Als Beispiel: Früher konnte man einem Fünfjährigen die Bedienung eines Autoradios erklären. Heute drückt man zum Radiohören stattdessen auf ein Menü, das Schiebedach des Autos geht auf, lässt sich nicht schließen, und es fängt an zu regnen! – Gott will uns ermutigen, uns auch auf die neue technische Welt und ihre Chancen einzustellen.
Beim Neolinguistisches Programmieren geht es im Kerm darum, bei Problemen in Gedanken an Erfolgserlebnisse der Vergangenheit anzuknüpfen. Dasselbe macht auch der weitere Predigttext (V32): Gedenkt der früheren Tage, an denen ihr erduldet habt einen großen Kampf des Leidens! Denkt daran, was ihr schon bewältigt habt an Verfolgungen! Ermutigt euer Herz! Ganz andere Probleme habt ihr schon bewältigt! Auch das nächste werdet ihr schaffen! Gott wird euch dazu immer wieder neue Kraft wachsen lassen!
Werft das Vertrauen in eure Mitmenschen nicht weg! Leider ist es ja so, dass man immer wieder gerade die Menschen verletzt, die man liebt. Manche Enttäuschungen sind so schwer, dass man sie nie, nie, nie wieder erleben möchte. Bei Jesus aber können wir ermutigt werden, wieder neu mit unseren Mitmenschen anzufangen. Jesus selbst vergibt uns ja auch die Fehler unserer persönlichen Vergangenheit. Er fängt immer wieder neu an mit uns. Wir sind gut dran. Es gibt keine Religion, bei der so sehr Vergebung und Neuanfang im Mittelpunkt steht wie in der christlichen Religion. Das verdanken wir Jesus. Ihm sollten wir nachfolgen, um das Vertrauen unter uns zu fördern.
IV.
Werft das Vertrauen auf Gott nicht weg! Von ihm stammt alles Vertrauen in der Welt. Jedes Baby wird geboren mit der Anlage zum Urvertrauen. Nach einer alten Legende kommt nach der Geburt ein Engel zu den Kindern und streicht ihnen über die Stirn, damit sie lange alles Schlimme in der Welt nicht wahrnehmen. Sie sollen fröhlich und wagemutig ins Leben gehen. Deswegen lächeln ganz kleine Kinder alle Menschen an.
Bei Erwachsenen erneuert Gott das Vertrauen immer wieder. Wenn es nicht massiv gestört oder vernichtet wird, wächst es immer neu heran. Leider gibt es Vertrauensmörder, vor denen man sich schützen muss. Sonst aber kann man aus dem Staunen nicht herauskommen, was Menschen in Krieg und Krankheit, Folter und Verfolgung, Mobbing und Malaisen erlitten haben und danach trotzdem wieder vertrauensvoll in die Zukunft blicken. In den Psalmen gibt es sehr viele Dankgebete an Gott, der die Not gewendet hat, so in Psalm 28: Gott ist meine Stärke! Auf ihn hofft mein Herz und mir ist geholfen. Nun ist mein Herz fröhlich, und ich will ihm danken mit meinem Lied!
Warum ist das Vertrauen auf Gott durch nichts zu ersetzen? Vertrauen heißt ja wohl dem deutschen Wortsinn nach: durch und durch trauen. Dazu gehört nicht nur so Alltägliches wie: Ich vertraue deiner Information, dass sie wahr ist, lieber Mitmensch – sondern dass der andere alles zum guten Ziel führen wird. Weil unsere Kräfte und unsere Lebenszeit begrenzt sind, kann nur Gott uns zum Ziel führen, der Vollendung der Welt. Wir brauchen das Vertrauen auf Gott, damit unser Leben und seine Entwicklung, die ganze Evolution, zur sinnvollen Vollendung geführt wird. Gott wird dann alle Tränen trocknen, und der Tod nicht mehr sein wird noch Leid. Wir dürfen das Gottvertrauen nicht wegwerfen, weil nur die Verbindung mit dem ewigen Gott uns die Gewissheit des ewigen Lebens geben kann! Der Erzmärtyrer Stephanus gibt uns ein besonderes Beispiel.
Die Zeit nach den Weihnachtstagen, die vor uns liegt, ist wie der Weg in eine neue Stadt. Der Torwächter wird uns fragen: Gehst du mit einem Übergewicht von Vertrauen oder aber von Misstrauen in die Stadt mit ihren Problemen und Chancen? „Ein Übergewicht von 51 % Vertrauen gegenüber 49 % Misstrauen“, so hat der weitbekannte Seelsorger Gunnar von Schlippe aus Hamburg immer gesagt, „reicht erst mal schon aus, um getrost weiterzugehen!“ Gott hat mit dir viel vor, damit Gutes und mehr Güte in deine Stadt kommt! Er sagt dir: Wirf dein Vertrauen nie weg! Es führt dich zum Ziel!