Hätte der Bräutigam aus Kana damals schon Internetanschluss gehabt, dann wäre das Wunder Jesu vielleicht gar nicht passiert! Er hätte dann nämlich dasselbe tun können wie der junge Mann, der im Internet einen so genannten Chat anfing – also ein Gespräch, an dem alle die es wollen und die auf der entsprechenden Seite angemeldet sind, sich beteiligen können. Er plante gerade seine Hochzeit. Ins weltweite Netz hinein machte er sich Sorgen, ob er wohl für das Fest genug Wein bestellt hätte. Genau listete er Art und Anzahl der Flaschen auf. Dann begann der Chat, den ich ein paar Stationen weit mitverfolgte.
Einige kommentierten die Qualität des bestellten Weins – aha, dachte ich, wie in Kana, man muss nicht nur Wein anbieten, sondern er muss auch gut sein. Andere empfahlen, aus Gründen der Sparsamkeit Ware auf Kommission zu nehmen. Zwischendurch berichtete der junge Mann noch von einem Freund, bei dessen Hochzeit seine Gäste ihn „leer getrunken“ hätten und wie peinlich und beschämend das gewesen sei. Also tatsächlich: Kana heute! Schließlich kam er zu dem Ergebnis, dass eine Flasche pro Gast wohl doch etwas zu wenig gerechnet sei. Geht man davon aus, dass er ¾ Liter-Flaschen meinte, dann hätte das Brautpaar in Kana mit der Menge, die da zu Wein geworden war, etwa 700-1000 Menschen bewirten können – abgesehen von dem Wein, der schon vorher getrunken worden war. Das dürfte mehr als genug für ganz Kana gewesen sein – eine unglaubliche Menge! Von der Hochzeit wird man noch nach Jahren gesprochen haben.
Ein fröhliches Wunder? Das ist das Schöne an der Geschichte: dass Jesus so ein fröhliches Wunder tut. Die meisten seiner Wunder sind ja Heilungen. Die sind auch schön, aber immer ein bisschen traurig, weil wir dadurch an all die Krankheiten erinnert werden, die ja trotzdem bleiben. Manchmal bekommen wir auch ein schlechtes Gewissen, weil wir uns mehr um die Kranken und Behinderten kümmern sollten. Mich erreichen Spendenaufrufe, die sagen: Jesus hat geheilt, wir versuchen eine ähnliche Not zu lindern, also bitte unterstütze uns. Nichts dagegen – aber eben: ein Beigeschmack bleibt.
Das Wunder zu Kana aber: Das verlangt nichts. Jesus will uns dadurch nicht besser machen, zum richtigen Glauben oder auf den richtigen Weg bringen – er will unser Leben schön und fröhlich machen. Schade, dass nur der Evangelist Johannes dieses Wunder erzählt. Aber immerhin: Bei ihm ist es das erste, das Jesus tut. Damit wird für das ganze Christenleben ein Auftakt von Fröhlichkeit gesetzt.
Etwas quer im Magen liegt uns dabei nur, wie Jesus mit seiner Mutter umgeht. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus fährt sie schroff an: Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Ältere Übersetzungen sind noch drastischer: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? Wörtlich schreibt Johannes: Was ist zwischen mir und dir? Jesus scheint alle Brücken abzubrechen. Nun ja. Eine Mutter, die ihrem Sohn zu verstehen gibt, was er ihrer Meinung nach zu tun hat: Das kennt man ja auch zur Genüge. Aber Maria ist nicht beleidigt! Im Gegenteil. Sie weist die Diener an: Was er euch sagt, das tut. Maria kannte sich in ihrer Bibel gut aus. Sie kannte die Geschichte von Elia und der Witwe von Sarepta mit ihrem Sohn. Da bittet Elia die Witwe um etwas zu essen. Und sie wehrt schroff ab und sagt: Ich habe doch selbst nicht genug. Ich backe für mich und meinen Sohn noch einmal Brot. Dann geht es ans Sterben. Aber Elia sagt: Du wirst nicht sterben. Hab Mut, mir das erste Stück Brot zu bringen. Darauf spielt Jesus an.
Maria versteht den Brückenschlag. Und sie reagiert als gute Bibelkennerin! Was er euch sagt, das tut, sagt sie zu den Dienern. Genauso hat der Pharao von Ägypten zu seinem hungernden Volk gesagt: Geht zu Joseph, der die Idee mit den Vorratsspeichern hatte. Was er euch sagt, das tut. Kein Konflikt also zwischen Maria und Jesus. Eher ein kleines Spiel zwischen beiden, eine Art Geheimsprache, mit einem Lächeln um die Mundwinkel herum. Aber es ging doch in Kana nicht um Hungersnot! Wäre der Wein wirklich ausgegangen, so wäre das zwar peinlich, aber nicht tödlich gewesen. Worauf wollen Jesus und Maria hinaus? Was verbindet all die Geschichten miteinander?
Wenn die Angst vor dem Mangel uns leitet – Ich versetze mich noch einmal in die Szene hinein. Der Wein wird knapp. Der Bräutigam wird unruhig. Der Speisemeister schaut nervös immer wieder in die verbliebenen Weinschläuche hinein. Er fängt an, die Becher nicht mehr ganz so voll zu gießen. Schon hat er den ersten verwunderten Blick dafür geerntet.Wie lange wird es noch dauern, bis die Gäste beginnen, einander vielsagend anzuschauen? Alle Gelassenheit, alle Fröhlichkeit ist dahin.
Und die Witwe von Sarepta? Sie wollte Elia nichts abgeben. Sie war nicht frei genug dafür, obwohl sie damit eherne Regeln der Gastfreundschaft durchbrach. Die Angst, dass es nicht reicht, macht das Herz eng. Dann geschieht das Wunder. Elia zaubert ihr nicht die Schränke voll. Er stellt kein 5-Gänge-Menü auf den Tisch. Er sorgt einfach dafür, dass Mehl und Öl nicht ausgehen. Und das Einfache schmeckt köstlich. Wunderbar. Es könnte nicht besser sein.
Und Josef? Da bedrängen die Menschen den Pharao: Wir haben Hunger! Aber der Pharao sagt: Geht zu Josef. Verlasst euch auf ihn. Macht einfach was er sagt. Der Pharao vertraut Josef. Und die, denen der Hunger das Herz eng gemacht hat, lernen auch wieder Vertrauen: Josefs Vorräte werden reichen! Das erste Brot, das sie damals gebacken haben – wie köstlich wird es geschmeckt haben! Aus der Gnade leben – Auch Jesus hat einmal Hunger gelindert. Und die Menschen damit Vertrauen gelehrt. Die Gelassenheit zu glauben, dass es auch anders gehen kann als sie es sich vorgestellt haben. Die Jünger hatten geglaubt: Es funktioniert nur so, dass wir die 5000 Menschen wegschicken und jeder für sich selbst sorgen muss. Sie lernten: Jesus macht aus der Not ein Fest! Die 5000 dachten: Es funktioniert nur so, dass jeder das isst, was er mitgebracht hat. Sie lernten: Wir geben erst mal ab, haben weniger – und dann auf einmal wird es mehr. Das zu lernen, das ist auch eine Art Heilung. Und darum glaube ich, die Erzählung vom Weinwunder in Kana ist im Grunde genommen auch eine Heilungsgeschichte! Der Bräutigam und der Speisemeister hatten Angst es würde nicht reichen. Eigentlich war es ja kein Drama. Keiner wäre verdurstet.
Und warum soll man nicht auch feiern können, wenn kein Wein mehr da ist? So ähnlich bei uns, wo die meisten sich so viel auf den Tisch stellen können, dass es jeden Tag wie ein Festessen ist – warum soll es nicht auch mal weniger sein? Wir legen uns auf unsere Vorstellungen fest, wie etwas zu sein hat, und bekommen Krisengefühle, wenn von diesen selbstgesetzten Standards abgewichen wird. Das ist auch eine Art von Armut, die der Heilung bedarf. „Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren“, sagt der Speisemeister zum Bräutigam. So macht man es, so kann man sparen ohne geizig zu wirken. Jesus will darauf hinaus: Ihr handelt aus der Angst heraus, zu wenig zu haben. Diese Angst bestimmt euch. Wo aber ich bin, da wird es nicht zu wenig sein. Da ist Leben, Freude, Gemeinschaft. Da brauchen nicht selbstgesetzte Standards zu ehernen Gesetzen erhoben werden, da reicht es für alle. Da kann Wasser so köstlich schmecken wie Wein, da kann man hergeben ohne Angst. Was er euch sagt, das tut!
Manchmal sagt uns Jesus vielleicht, so wie in Kana: Ihr habt ganz viel, genießt es und freut euch dran. Manchmal sagt er auch: Es ist jetzt nun einmal weniger, anders als Ihr Euch das gedacht habt – aber leben und es euch gut gehen lassen könnt ihr trotzdem. „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“, heißt es im ersten Kapitel des Johannesevangeliums, das ja wie so eine Art Weihnachtsgeschichte ist. Seine Fülle – das ist das Gefühl: Es ist genug. Es wird reichen. Essen, Trinken, aber auch überhaupt unsere Möglichkeiten, die wir haben. Unsere Kräfte, unsere Gaben, unsere Zeit – es wird reichen. Wo Jesus ist, geht der Wein nicht aus. Daraus entspringt die Gabe zu feiern, die Gabe zu teilen, die Gabe den Becher voll zu schenken und Situationen zu nehmen wie sie kommen. Wasser kann so köstlich schmecken wie Wein. Aber wenn Wein da ist, dann kann man ihn auch trinken. Wo du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen.