Visionen

Beflügelnde Hoffnungsbilder

Predigttext: Jesaja 35,3-10
Kirche / Ort: SRH Heidelberg
Datum: 09.12.2918
Kirchenjahr: 2. Sonntag im Advent
Autor/in: Dr. Harald Pfeiffer, Pfarrer im Ehrenamt

Predigttext: Jesaja 35,3-10 (Übersetzung nach Martin Luther)

Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen:»Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen. « Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

zurück zum Textanfang

Die Wüste – ein Ort des Lebens

Das sind ja wirkliche faszinierende Bilder: Blinde können sehen, Lahme gehen, Stumme sprechen, die Wüste wird zum Ort des Lebens. Da stockt einem fast der Atem, so märchenhaft hört sich das an, geradezu utopisch. Das klingt ja so wie: Rollstuhl, Blindheit, Krebs adé, Hass und Gewalt passé, Panzer und Bomben – die gibt’s nicht mehr. Bilder, die mich ansprechen. Sie machen einem Hoffnung, dass alles besser wird. Und dabei strahlen sie eine große Freude aus. Da wird einem richtig warm ums Herz. So wie wir es in der Adventszeit mögen. Der Prophet Jesaja sendet Lichtzeichen in dunkler Zeit. Er macht dem Volk Gottes Mut in leidgeprüften Tagen. Krieg, Zerstörung, Fremdherrschaft hatten die Menschen schon ganz zermürbt.

Was muss das für sie bedeutet haben, wenn der Prophet in auswegloser Zeit ein Trostlied anstimmt und geradezu jubelt: In der Wüste brechen Quellen hervor, und Bäche ergießen sich durch die Steppe. Der glühende Sand wird zum Teich und das durstige Land zu sprudelnden Quellen. Das ist keine Fata Morgana, sondern eine Zukunftsvorstellung. Endlich eine Vision nach Jahren der Enttäuschung. Endlich eine Lebensperspektive in dürftiger Zeit! Der Prophet Jesaja malt klare und starke Hoffnungsbilder, um sein Volk zu neuen Kräften zu verhelfen. Er startet sein Mutmachlied mitten in der öden leeren Wüste und sagt: „Hier, in eurer Wüste, in eurer Einsamkeit, in eurer Ratlosigkeit kommt Gott zu uns. Ohne unser Zutun. Er will uns erretten. Haltet fest am Vertrauen zu Gott.“

Propheten gegen den Strom

Wenn er doch auch in unsere Wüste kommen würde! Wüste bei uns? O ja! Wie sie aussieht? Von A wie Angstmacher, über H wie Hass, K wie Kinderschänder, R wie Rechtsradikale, W wie Waffenhandel bis Z wie zerrüttete Familien. Jetzt liegt es an uns, uns anstecken zu lassen von der prophetischen Vision unseres Jesaja-Textes. Wir haben die Aufgabe, der Wüste unserer Zeit mit Oasen der Hoffnung entgegenzutreten.
– Darum hören wir aufmerksam zu und bieten contra, wenn die Angstmacher, die Fremdenhasser, die Dauernörgler ihre unseligen Parolen hinausposaunen.
– Darum sagen wir einem, der auf dem rechten Auge blind ist, unsere Meinung, wenn er mal einen rassistischen Spruch raushaut. Darum treten wir einem Lahmen, der sein Hinterteil nicht hochbekommt, auch mal in dasselbe, um ihn aus seiner Lethargie zu reißen.
– Darum sprechen wir auch mal einen Bettler vor dem Supermarkt an und sagen ihm: „Sie haben doch zwei gesunde Hände, können Sie nicht etwas arbeiten?“ Manchmal bedarf es der Denkanstöße.
Wenn es uns doch gelänge, Menschen aus der Wüste ihrer Bequemlichkeit herauszuholen und eine Oase der Hoffnung aufzuzeigen.

Der ZDF-Moderator Peter Hahne weist darauf hin: „Christen haben das zu tun, was sie in dieser Welt konkurrenzlos wichtig macht: Hoffnung geben…., Licht in die Finsternis bringen. Alles andere können Rotes Kreuz und Gewerkschaft auch. Wir brauchen Propheten, die gegen den Strom der Zeit predigen. Leute mit Visionen, Perspektiven und Lebenszielen. Menschen, denen man vertrauen kann. Keine Angst- und Panikmacher, sondern Mutmacher. Keine Bedenkenträger, sondern Hoffnungsträger. Zum Überleben brauchen wir Hoffnung. Nur echte Hoffnung gibt Mut für Morgen.“

Jesaja, der Prophet ist solch ein Hoffnungsträger mit Vision. Und seine Vision strotzt vor Wunder: Blinde, Lahme, Taube, Stumme, alles wird heil. Sogar die Umwelt profitiert auf wundersame Weise: Keine Wüste mehr, nur blühendes Land. 3000 Jahre später fasziniert dieses Bild immer noch. Ben Gurion, der Begründer des modernen Israel, hat diese Vision verfolgt.

Die Ben Gurion-Universität in der Wüstenstadt Be’er Sheva hat das Ziel, Wüsten zu beleben. Hier werden Bewässerungstechniken und Pflanzenanbau in Wüstengebieten erfolgreich erforscht. Das Motto der Universität sind unsere Jesaja-Worte: „Jauchzen sollen Wüste und Öde, die Steppe soll blütenreich erblühen.“ (Jesaja 35) „Visionen“ – so las ich kürzlich – „sind die Leitbilder der Gegenwart und sie verändern die Zukunft.“ (Dipl. Betriebwirt Rainer Stawski). Unlängst ließ mich eine Passage in dem Buch „Prominente schreiben ihren Enkeln“ aufhorchen. Reinhard Höppner, der frühere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt gibt seinen Enkelkindern Folgendes mit:

„Visionen und Träume sind so wichtig. Lasst Euch Eure Visionen nicht rauben. Glaubt daran, dass die Zukunft auch angenehme Überraschungen für uns bereithält. An den Zusammenbruch der Machtblöcke, die viele Jahre die Welt geteilt haben, hat auch keiner geglaubt. Dann kam der Fall der Mauer plötzlich wie ein Geschenk vom Himmel. Wir mussten es nur noch auspacken und etwas Vernünftiges draus machen. Zu den vielen Lebensweisheiten in der Bibel gehören auch die Worte über die Visionen. Bei den Sprüchen Salomos steht: ‚Ein Volk ohne Visionen geht zugrunde‘, oder wie Luther übersetzt: ‚Ein Volk ohne Verheißung wird wüst und wild‘, nach innen hohl, nach außen aggressiv‘“.

Visionen

„Visionen“, so Albert Einstein, „geben dem Fortschritt Impulse.“ Fortschritte im wahren Wortsinn hat die ehemalige Krankenschwester Sabine Theurer-Beyer im Badischen erfahren. Sie berichtet: „Als ich vor vier Jahren mein Bein verloren haben, hätte ich nie für möglich gehalten, eines Tages mit meinem Mann auf dem Abschlussball meines Sohnes zu tanzen.“ Das war ihr mit Hilfe einer Beinprothese möglich geworden. Bekannte und Freunde stellten ihr diese Vision, mal zu tanzen, vor Augen; ohne die hätte sie es nicht geschafft.

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte recht, als er 1980 sagte. „Wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen.“ Genau das tun wir. Wir gehen zum Arzt aller Ärzte, Jesus Christus. Sein Kommen erwarten wir im Advent. Als Johannes der Täufer Jesus fragt: „Bist du der Retter, der kommen soll oder müssen wir auf einen anderen warten?“ – da antwortet Jesus und spielt damit auf sein eigenes Tun an: „Blinde sehen, Gelähmte gehen, Aussätzige werden gesund, Taube hören, Tote stehen auf und den Armen wird die gute Nachricht verkündet,“ (Matthäus 11,2f) Das sind die Worte aus unserer Prophetenvision. In diesem Kommen Jesu liegt unser Glaube begründet. Vielleicht ermutigt uns dieser Glaube zum Handeln:

– Auch wenn wir der Krankheit und dem Leiden hilflos gegenüberstehen, so können wir doch kranken und leidenden Menschen beistehen, sie trösten und für sie beten.
– Auch wenn wir Menschen aus ihren Notlagen nicht befreien können, so kann unsere Unterstützung für die Betroffenen zum Zeichen der Hoffnung werden.
– Auch wenn wir uns hilflos fühlen angesichts des Flüchtlingselends, so können wir doch Menschen auf der Flucht vor Hunger und politischer Verfolgung aufnehmen und ihnen Lebensperspektiven mitgeben. Wichtig ist, Jesus zuzutrauen, dass er das in Ordnung bringt, was uns nicht gelingt. Wenn ich Gott zutraue, dass er kommt, dann traue ich ihm auch zu, dass er einen Wandel bewirkt. Dass Menschen neues Leben erblicken. Gott kommt, dass er die Welt durch uns zum Guten verändert.

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Visionen

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Die Predigt sendet gleich zu Beginn Lichtzeichen großer Freude durch den Predigttext aus. Der Prophet hat ja damals schon in trüber Zeit für das Volk ein Mutmachlied angestimmt. Ganz bewegend spricht der Pfarrer dann über unsere in manchem trübe Situation und dass wir andere ansprechen sollen und aus der Wüste der Bequemlickeit herausholen und eine Oase der Hoffnung aufzeigen. Die Hoffnung auf blühende Wüsten ist ja zum Teil heute in Israel verwirklicht worden. Ausführlich und hoffnungsfroh spricht der Pastor über die Bedeutung der Vision. Jesus hatte Visionen. Auch heute im Advent sollten wir die Visionen der Bibel aufnehmen. Diese Predigt ist besonders klar und hoffnungsfroh mit vielen prägnanten und poetischen Formulierungen. Ich habe sie mir fotokopiert, was ich selten mache und empfehle diese schöne Adventspredigt weiterzugeben an andere als Adventsgeschenk.

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.