“Völkerwallfahrt” für Frieden und Gerechtigkeit
Israelsonntag 2012 – Fürbitte und Gedenken für Israel und die Judenheit
Predigttext: Jesaja 62,6-12 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
( 1Um Zions willen will ich nicht schweigen, und um Jerusalems willen will ich nicht innehalten, bis seine Gerechtigkeit aufgehe wie ein Glanz und sein Heil brenne wie eine Fackel, 2 daß die Heiden sehen deine Gerechtigkeit und alle Könige deine Herrlichkeit. Und du sollst mit einem neuen Namen genannt werden, welchen des HERRN Mund nennen wird. 3 Und du wirst sein eine schöne Krone in der Hand des HERRN und ein königlicher Reif in der Hand deines Gottes. 4 Man soll dich nicht mehr nennen »Verlassene« und dein Land nicht mehr »Einsame«, sondern du sollst heißen »Meine Lust« und dein Land »Liebes Weib«; denn der HERR hat Lust an dir, und dein Land hat einen lieben Mann. 5 Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau freit, so wird dich dein Erbauer freien, und wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen.)
6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, 7 laßt ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden! 8 Der HERR hat geschworen bei seiner Rechten und bei seinem starken Arm: Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu essen geben noch deinen Wein, mit dem du so viel Arbeit hattest, die Fremden trinken lassen, 9 sondern die es einsammeln, sollen's auch essen und den HERRN rühmen, und die ihn einbringen, sollen ihn trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums. 10 Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! 11 Siehe, der HERR läßt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! 12 Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.
Exegetisch-homiletische Hinweise und Liedempfehlungen
Die Kap. 60 und 62 rahmen die Heilszusagen in Kap. 61 des Jesajabuches. Alle drei Kapitel sollten den Predigenden gegenwärtig sein. Die Heilszusagen des ersten Jesaja werden vielfältig aufgenommen, zitiert, rezipiert, bestätigt (und in diesem Sinne „erfüllt“). Dass es in Jerusalem hell werde, dass seine Gerechtigkeit aufleuchte, ist keine moralische Aufforderung, sondern eine Zusage der Rechtfertigung. Der Theophanie JHWHs zu begegnen, ist Israel aufgerufen und in seiner Folge die Völker der Welt – eine hermeneutische Leitlinie für Exegese, aber auch für alle Ekklesiologie. Bezeichnenderweise ist die ökonomische Lage nicht ausgeklammert. Vielmehr ist sie ebenso wie die Sicherheit ohne äußere Sicherheitsmaßnahmen (offene Tore!) Indikator der hilfreichen und heilvollen Gegenwart Gottes.
Homiletisch darf durchaus einmal verstärkt der kasuelle Charakter des Israelsonntags zum Tragen kommen, wenn an einem solchen Tag sich Tagesgeschehen und Israelgedenken, politisches Geschehen und theologisches Bedenken, so unmittelbar nahe legen. Beachtenswert ist mit viel Hintergrundmaterial – wie jedes Jahr zum Israelsonntag – die Predigthilfe von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste: asf@asf-ev.de. Ich lese den Predigttext in der Übersetzung „Bibel in gerechter Sprache“, 2006.
Lieder: „An den Strömen von Babylon saßen wir und weinten“, ein gesungener Zugang zur Exilserfahrung. Denn Exil auch als historische Epoche Israels dürfte vielen Gemeindegliedern trotz Bibelwochenarbeit der letzten Jahre unbekannt sein. Zu finden z. B. in: Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder, München 2005.
"Wir glauben Gott ist in der Welt, der Leben gibt und Treue hält“, ein Credolied, das vernachlässigte Topoi (Judesein Jesu, Umkehr, Gerechtigkeit) zum Thema sich nimmt.
Zu finden z. B. in der Predigthilfe Israelsonntag 2012. Jerusalem – Niemand wird dich noch „Verlassene“ nennen (Jesaja 62,4), Hg: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Berlin 2012.
„Herr, der du vormals hast dein Land mit Gnaden angeblicket“, Teile aus Paul Gerhardts Nachdichtung des 85. Psalms (EG 283).
Heute (12. August) gehen die Olympischen Spiele zu Ende. Es war eine schöne Völkerwallfahrt nach London mit den Zielen der Freundschaft, des Friedens, der Internationalität und des Austauschs. Zugleich haben wir in den vergangenen Wochen auch wieder Ziele wie Ehre um jeden Preis wahrgenommen, Demonstration der Macht, ein Tanz der Eitelkeiten und der Selbstdarstellung, einen Kampf um Fernsehminuten, Einschaltquoten und Werbemaximierung. Wir wären naiv, wenn wir von den ökonomischen Fragen und vom Kommerz absehen würden, die mit den Spielen, mit Wettkämpfen und Sportarten verbunden sind. Mehrere Veröffentlichungen aber lenkten die Gedanken auch zurück zu den Olympischen Spielen vor 40 Jahren in München. Schwarzer September nannte sich das Terrorkommando, das in der Connollystraße des olympischen Dorfes am Münchener Ring israelische Sportler überfiel. Schwarzer September – die Terroristen nahmen damit Bezug auf die blutigen Auseinandersetzungen Jordaniens mit der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation. Die PLO hatte sich nach 1967 zum Staat im Staate Jordanien entwickelt, und die Jordanische Führung ließ sich das nicht mehr gefallen. Nach einem Attentat auf den König 1970 bombardierte Jordanien palästinensiche Flüchtlingslager: ein Schwarzer September für die Menschen, die dort lebten. Dann verdüsterte das Kommando Schwarzer September in München die olympischen Spiele im Nachkriegsdeutschland und verband sie mit Mord und traf die ahnungslosen israelischen Sportler. Es waren dies:
Josef Romano, 32 Jahre, Gewichtheber, in Libyen zur Welt gekommen,
Mosche Weinberger, 33 Jahre, Ringer, geboren in Haifa,
Josef Gutfreund, 41 Jahre, Kampfrichter, geboren in Rumänien,
Kehat Schorr, 53 Jahre, Sportschütze, Trainer im Sportschießen, geboren in Rumänien,
Mark Slavin,18 Jahre, Ringer, geboren in Minsk,
André Spitzer, 27 Jahre, Fechtmeister und Fechttrainer, geboren in Rumänien, in die Niederlande ausgewandert, dann nach Israel gekommen,
Amizur Shapira, Leichtathletiktrainer, geboren 1932 in Tel Aviv,
Jaakow Springer, 51 Jahre, Gewichtheber und Kampfrichter, geboren in Polen,
Elieser Halfin, 24 Jahre, Ringer, geboren in Riga, erst 7 Monate vor den Spielen war er israelischer Staatsbürger geworden,
Seew Friedman, 28 Jahre, Sportschütze, geboren in (?)
David Berger, 28 Jahre, Gewichtheber, geboren 1944 in Shaker Heights, Ohio.
Manche aus der israelischen Mannschaft kamen durchaus mit Vorbehalten nach München, hatten aber Bedenken beiseite geschoben. Die Stadt war den Älteren noch als die „Stadt der Bewegung“ vertraut. Bewegung nicht im sportlichen Sinn gemeint, sondern im Sinne der erstarkenden Nationalsozialisten im München der 20er und 30er Jahre. Die israelischen Sportler kamen, auch wenn vor den Toren Münchens, im Lager Dachau, eine andere, eine schreckliche Sammlung aus vielen Nationen stattgefunden hatte, für viele eine Versammlung zum Tode. Nein, trotz allem waren sie gekommen. Stellten als Gruppe in sich fast eine biblische Sammlung aus den Völkern dar, so unterschiedlich waren ihre Geburtsorte und die Staaten, aus denen sie nach Israel gekommen waren. Polen gehörte dazu und Lettland und Rumänien und die Vereinigten Staaten und die Niederlande und das osmanische Palästina. In München wurden sie Opfer des Schwarzen September, Opfer aber auch der Naivität der deutschen Organisatoren. Die hatten offenbar nicht sehen wollen, was doch auf der Hand lag, was nach Attentaten und Überfällen auch und gerade in Deutschland hätte deutlich sein müssen: dass Juden, dass Israelis nach wie vor als Juden gefährdet sind, als solche besonderen Schutzes bedürfen.
Heute begehen wir den sogenannten Israelsonntag. Den Sonntag, der die besondere Verknüpfung und besondere Verpflichtung der Christenheit gegenüber dem jüdischen Volk, gegenüber Juden in aller Welt zum Thema hat. Der Israelsonntag liegt als 10. Sonntag nach Trinitatis zeitlich ungefähr in der Nähe des jüdischen Trauertages Tischa bAv, in der Nähe des 9. im Monat Av, an diesem Tag wird der doppelten Zerstörung des Tempels gedacht (in diesem Jahr war das der 29. Juli), gedacht wird der Schutzbedüftigkeit von Jüdinnen und Juden und der Gefahren, mit denen sie als solche leben, ein Tag, an dem der Toten und Ermordeten gedacht wird. So steht es auch uns, der christlichen Gemeinde, am Israelsonntag gut an, jener Toten vor 40 Jahren zu gedenken, sie in unsere Fürbitte aufzunehmen, die Familien der Opfer, die israelische Mannschaft der jetzigen und aller kommenden Spiele. Kaum jemand wird sich jemals ganz frei machen können von dem Gedanken an den Sommer in München vor 40 Jahren. Lassen sie uns beten für die jüdischen Gemeinden in unserem Land und in der ganzen Welt, alle, die als jüdische Menschen besonderen Schutz, besondere Solidarität benötigen.
Liebe Gemeinde, im Predigttext für den Israelsonntag in diesem Jahr hören wir gleichfalls von einem hoffnungsvoll herbeigesehnten Völkertreffen. Eine Völkerwallfahrt – wie die olympischen Spiele – im Zeichen des Friedens und der Gerechtigkeit. Ziel aber ist der Zion, der Berg Gottes, Ziel ist Jerusalem. Es ist ein Jerusalem, dessen Bewohnern Krieg und Elend, Gefangennahme und Exil vergangener Jahrzehnte noch in den Knochen stecken. Ein Jerusalem, das den Tempel hat untergehen sehen. Diejenigen aber, die anknüpfen an den Vorkriegs- und Vorexilsverheißungen des Propheten Jesaja, lassen von seinen Verheißungen nicht los, sie rufen sie weiter hinaus und hoffen auf eine neue Zukunft. Sie hoffen auf eine Zukunft in einer offenen Stadt, deren Mauer zwar wiederhergestellt, deren Tore aber offen sind, weil die Bewohner endlich einmal nichts mehr zu befürchten haben. Sie erwarten eine Stadt, deren Bewohner nicht mehr hungern, nicht ausgebeutet werden, nicht Tribut zahlen, sondern denen alles, was sie benötigen von den Besuchern (Jes 60, 5ff.) herbeigetragen wird. Eine Stadt, in der ihre Kinder und Schützlinge zusammenkommen können, denen die Völker der Welt nachströmen zum Zion, von wo Gottes Herrlichkeit in alle Welt hinausstrahlt. Der Predigttext lädt uns ein, uns der beharrlichen Hoffnung anzuschließen, wenn es heißt: (Lesung des Predigttextes).
Es ist Gott selbst, der sich für diese Stadt, für ihre Kinder, für ihren Schutz und ihren Glanz, für ihre Heiterkeit und ihre Freude entschieden hat. Gott selbst schenkt ihr Leben und Rechtfertigung. Es ist Gott, der sich für sie entschieden hat. Wer dem biblischen Gott folgt, folgt der Wallfahrt zum Zion, geht auf den Spuren des Friedens und der Zuwendung, des Gebens und nicht der Plünderung, des „ökonomischen“ Segens, des Segens für alle, aber nicht der Ideologie des Marktes. Indem wir uns an dem biblischen Gott und seinem Wort orientieren, bleiben wir in der Fürbitte und im Gedenken für Israel und die Judenheit, bringen Hilfe und Schutz. Wir richten uns aus auf ein biblisch gezeichnetes Treffen der Völker. Wir verstehen jenen Ort und die Gemeinschaft, die Gott sich erwählt hat, als Zeichen für die Völker der Welt. Eingeladen sind wir, das ist unser von den Propheten erklärtes Selbstverständnis als Kirche. Eingeladen in Richtung Zion, in Richtung Israel, in Richtung des biblischen Gottes, dorthin, wo uns auch Jesus, der Christus, leiblich begegnet. Es liegt an uns, als Kirche, als Christenheit, uns solcher Einladung würdig zu erweisen. Es liegt an uns, ob wir der Hoffnung auf eine offene Stadt, auf jüdisches Leben ohne Angst, auf Ausgleich und Segen, auf Gebet, Dank, Umkehr und Jubel, Raum geben. Dazu verhelfe uns der gnädige und barmherzige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Die Predigt lädt ein, “uns der beharrlichen Hoffnung anzuschließen für Jerusalem und einer Völkerwallfahrt zum Zion”. Zu Beginn aber erinnert Pfarrerin Busch-Wagner ausführlich an die schrecklichen Ereignisse bei der Olympiade als Quasi-Völkerwallfahrt vor vierzig Jahren in München. Damals wurden elf israelische Sportler von Terroristen ermordet. Am Israelsonntag, am 10.nach Trinitatis, erinnert die Predigt daran, um zu werben für Schutz und die Solidarität mit jüdischen Menschen durch uns Deutsche. Der Predigttext zeigt uns dazu die hoffnungsvolle Verheißung und Vision einer Völkerwallfahrt nach Jerusalem zum Zion. Von dort wird Gottes Herrlichkeit in alle Welt ausstrahlen. Wir sind eingeladen, “in Richtung Israel, in Richtung des biblischen Gottes,
dorthin , wo uns Jesus, der Christus, leiblich begegnet”. Eine Beziehung zu der Vision des himmlischen Jerusalem (Offenbarung 21), wenn Gott alle Tränen trocknen wird, liegt nahe.