Von Gottes Geistkraft nicht verlassen

Leben und Leben gestalten aus Gottes Kraft, in Liebe und Besonnenheit

Predigttext: 4. Mose / Numeri 11, 11-12.(13).14-17.24-25.(26-30)
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 06.06.2022
Kirchenjahr: Pfingstmontag
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Dr. theol. Heinz Janssen

Zur Grundbestimmtheit menschlichen Lebens gehört die Begegnung, das Einanderwahrnehmen und Aufeinanderzugehen. Der Wunsch nach Kommunikation und – in einem ganz lebenspraktischen Sinn – miteinander die Anforderungen des Lebens anzugehen (“einer trage des andern Last”), ist uns gleichsam in die Wiege gelegt, auch wenn im Lebensalltag das Auseinanderstreben und das Alleingelassensein zu gewinnen scheinen. “Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, ich will ihm ein Gegenüber schaffen, das zu ihm passt”, heißt es am Anfang der Bibel in der Paradiesgeschichte.

I.

Eine besondere Gelegenheit zur Begegnung sind die Feste. Auch wir feiern heute ein Fest, Pfingsten, den Geburtstag der christlichen Kirche. Pfingsten bedeutet “der fünfzigste Tag”. Fünfzig Tage nach dem (Sabbat des) Pesach-Fest(es) versammelten sich schon die Mitglieder der jüdischen Gemeinde, um nach der eingebrachten Ernte ein großes Erntedankfest zu feiern. Später, nach der Zerstörung des Tempels wurde das Fest als “Wochenfest” (Schawuot) mit der dankbaren Erinnerung an die Gabe der Gebote auf dem Berg Sinai verbunden. Schawuot fällt in diesem Jahr 2022 mit dem heutigen Pfingstmontag zusammen. Wir stehen also mit unserem Pfingstfest, an dem wir die Gründung unserer christlichen Kirche feiern, am gleichen wärmenden Feuer wie die israelitisch-jüdische Gemeinde.

Die christlichen Gemeinden sind mit den jüdischen Gemeinden mehr verbunden, als dies in der Geschichte der Kirche deutlich wurde: verbunden in der Sehnsucht nach Kraft, das Leben zu bestehen, nach der Lebenskraft Gottes, seinem Heiligen Geist, der aus aller Lebensverdrossenheit herausreißt. Für Geist Gottes steht in der Hebräischen Bibel “Ruach”. Es ist diese Ruach Gottes, die am Anfang der Schöpfung über den Wasserfluten sich bewegte und auf Gestaltung des anfänglich Chaos gerichtet war. Brauchen wir nicht diese Leben gestaltende, klärende Kraft?

Pfingsten, dieses dritte Hochfest der Kirche  muss die Feiertage überdauern und unserem Lebensalltag die Bewegung geben, den “Drive”, der von aller Lähmung, von hoffnungslosem Rückzug und ängstlichem Stehenbleiben wegführt. So gilt es, dass ich mich ganz persönlich damit befasse, was Pfingsten mir bedeutet, was mich im eigentlichen Sinn in Bewegung setzt. Ich habe in diesen Tagen wieder einmal verschiedene Personen, denen ich ganz ungeplant begegnete, gefragt, was sie mit Pfingsten verbinden. Ich gebe einige Antworten – z.T. nur sinngemäß – wieder: Pfingsten

– ein buntes, farbenfrohes Fest, an dem ich mich über die Pfingstrosen freue, und mir fällt dazu noch der “Pfingstochse” ein,

– viele Menschen von unterschiedlicher Herkunft in Bewegung bringendes und zusammenführendes Geschehen,

– ein geheimnisvolles Fest, das mir sagt: wir können Gott nicht fassen; ich denke an den überspringenden Funken, über den ich nicht verfügen kann,

– ein erleuchtendes Fest, das mich gleichsam mit meinem inneren Auge durch die sichtbare – sehr menschliche – Kirche hindurch die unsichtbare Kirche wahrnehmen lässt, wie Kirche, auch hier vor Ort, gemeint ist und ich mich darum trotz aller Mängel im kirchlichen Alltag für die Kirche engagiere,

– ein ermutigendes Fest, es lädt mich ein, inne zu halten und zu hören, was Gott von mir will, wozu ich da bin, was der Sinn meines Lebens ist. Was muss ich in meinem Leben ändern, wo ist Aufbruch, wo ist Bewegung nötig? –

Soweit die sehr persönlichen Gedanken von verschiedenen Personen. Sie sind wie eine Brücke zum Predigttext aus dem 4. Mosebuch, Kapitel 11:

11 Und Mose sprach zu GOTT: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, daß du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst?
12 Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, daß du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast? –
14 Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer.
15 Willst du aber doch so mit mir tun, so  töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muß.
16 Und GOTT sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den  Ältesten Israels, von denen du weißt, daß sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich,
17 so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen mußt…
24 Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte GOTTES und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte.
25 Da kam GOTT hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf…

II.

Moses Geschichte war und ist eine Hoffnungsgeschichte. Gott hört die Klage Moses über sein Volk, das sich zurück nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“ sehnt. Mose fühlt sich überfordert. Soll er allein die Verantwortung für sein Volk tragen, dass doch nicht sein, sondern Gottes Volk ist? “Warum bekümmerst du deinen Knecht”, hält Mose seinem Auftraggeber vor. Warum – diese Frage “geistert” seit dem 24. Februar dieses Jahres verstärkt auch durch unsere Gedanken. Warum dieser Krieg gegen die Ukraine, warum noch kein Ende, warum dieses Morden, diese Zerstörung, warum kein Friede? Aber Gott lässt Mose nicht im Stich. Aber er nimmt ihm die Verantwortung nicht ab und handelt für ihn, sondern nimmt ihn in Anspruch, indem er ihn berät und zum Handeln auffordert. Siebzig Männer unter den Ältesten Israels soll Mose zusammenrufen, und Gott wird von seinem (Moses) Geist nehmen und auf sie legen, so werden sie künftig gemeinsam das Volk „tragen“, es führen und leiten.

Musste Mose erst wieder daran erinnert werden, dass er von Gottes Geist nicht verlassen war? Oder erfüllte Gottes Kraft den verzweifelten Mose, als Gott sich ihm zuwandte, mit ihm redete? Der Bibeltext scheint Beides offen zu lassen. Jedenfalls ist Mose von solcher Geistfülle und Geisteskraft, dass er davon nicht nur den siebzig Ältesten abgeben kann, sondern damit auch zwei andere Älteste (Eldad und Medad) erreicht, die aus nicht genannten Gründen fern vom Zelt der Begegnung im Lager blieben (V. 26).

Eine wunderbare „Pfingstgeschichte“, diese Mosegeschichte, diese Erzählung von der Geistfülle und Geisteskraft, womit Gott die Menschen beschenkt. Es ist Gottes Atem, der in jedem Menschen wirkt. Die Hebräische Bibel gebraucht für Geist und Atem nicht zufällig das gleiche Wort.[1] Es ist der Atem, der lebendig macht, Sprechen, Rufen und Singen ermöglicht, kräftigt und stärkt, Durststrecken durchzuhalten. Ich habe immer mehr davon als mir bewusst ist, kann sogar davon weitergeben, andere aufrichten, ermutigen, trösten.

Einige Jahrhunderte später sagt Jesus von Nazareth, dem die biblische Erzählung von der Geistbegabung der „70+2“ Ältesten vertraut war: „Der Wind bläst, wo er will…“[2]. Den fragenden Aposteln verheißt der Auferstandene: „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird…“[3] In Jerusalem „geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie (die Apostel) saßen.“[4] So sind die Pfingstgeschichte des Mose und die Pfingstgeschichte der Apostel miteinander verbunden.

III.

Eine Pfingstgeschichte, ein Pfingststurm oder zarter Hauch Gottes hinein in unsere gefährliche Welt. Mit Mose verbindet uns die Erfahrung: Wie oft wird uns eine Aufgabe zugewiesen, wir meinen, sie nicht zu bewältigen und erfahren auf einmal, dass uns Kräfte zuwachsen, die wir nicht für möglich hielten. Alles was lebens-hemmend ist, hat keine letzte Macht mehr. Dafür steht der lebendige Gott und seine Leben schaffende Geisteskraft.

Wer wollte Gottes Geist begrenzen? Gottes Geisteskraft kann zwar vorübergehend gehemmt, aber nicht auf Dauer aufgehalten werden. Sie bricht durch alle Widerstände und schafft sich Bahn. Die Geschichte von der Geistbegabung der 70 Ältesten ist auch unsere Hoffnungsgeschichte, global weltgeschichtlich und persönlich für jeden einzelnen Menschen. Sie stellt auch uns heute in Aussicht, dass Gott uns mit seiner Geistkraft erfüllt, uns aufrichtet, Mut macht und tröstet.

Die Pfingstgeschichte des Mose ist darum nicht nur eine alte vergangene Geschichte. Sie ist eine Hoffnungsgeschichte, die auch uns in Aussicht stellt, dass Gottes Geist, seine Kraft, in uns wirkt und  aufrichtet. Bleiben wir den schöpferischen Lebenskräften auf der Spur, wir haben diese unverhoffte Möglichkeit! Möchten wir uns doch wieder wundern und darüber freuen können, dass Gott die Menschen aller Völker mit seinem Geist beseelt, kräftigt und – gegen allen Augenschein – heilsam wirkt.

[1] Hebräisch ruach.

[2]  Johannes 3,8.

[3] Apostelgeschichte 1,8.

[4] Apostelgeschichte 2,2.

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Ein Kommentar zu “Von Gottes Geistkraft nicht verlassen

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Pfingsten ist ein Fest der Begegnung. Wir sollen im Glauben nicht allein sein, sondern unsere Lasten gemeinsam tragen. Pfingsten ist sehr verbunden mit Mose und dem Judentum und dem Predigttext. .
    Pfingsten ist ein buntes Fest, ein zusammenführendes , geheimnisvolles , erleuchtendes, ermutigendes Fest. Der Predigttext aus dem AT ermutigt auch uns Christen am Trinitatis- , Dreieinigkeits-Fest. Mose und die Apostel haben die Hoffnung geschaut für alle Völker. Und Jesus hat zur Geistausgiessung gesagt zu den Christen: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Gesites empfangen.
    Diese alte Pfingstgeschichte ist heute ja sehr aktuell. Der Krieg in der Ukraine ist teufisch unsinnig, aber auch Hungersnöte und Dürre stammen ja wohl vom Satan. Allen Menschen hilft heute nur der soziale Hoffnungsgeist Jesu , vom Schöpfer und vom Heiligen Geist. Eine Predigt zum Nachdenken und mit Jesus neu Aufbrechen.

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