Ein kleiner Ausschnitt aus einem langen Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom. Den Brief schrieb er im Jahre 56. Die Gemeinde, die der Apostel während seiner geplanten Spanienreise besuchen wollte, sollte darin die Hauptinhalte der christlichen Botschaft erfahren.
I.
Thema des kleinen Briefausschnittes ist der Mensch, seine Bestimmung, seine Wesenhaftigkeit, seine Beziehung zu Gott, mit anderen Worten: der innere Mensch, seine Geistigkeit, der Mensch in seiner Sehnsucht nach wirklichem Leben, in seiner Frage nach Sinn und Ziel des Lebens.
Es ist gut, wenn wir den Blick auch auf andere Religionen werfen, den Islam, den Hinduismus, den Buddhismus. Vergleichen und lernen, sich auseinanderzusetzen, die eigene religiöse Herkunft zu beschreiben und zu artikulieren, sind hohe geistige Werte. Die Suche nach Leben, das mehr ist als was sich vor Augen zeigt, ist sinnvoll. Traurig ist, wenn dabei der Schatz vor der eigenen Haustür übersehen und nicht ausgegraben wird – das Christentum, die eigene Kirche vor Ort, die Gemeinschaft der Menschen in Gemeinde und Gottesdienst, der christliche Geist und die davon inspirierte Gesinnung, die unser Handeln, unsere Lebensethik bestimmt.
II.
Was haben wir an Gott, wie uns sein Wirken in der Bibel verkündigt wird? Der Apostel ruft den Christinnen und Christen in Rom zu: Der Geist, den Gott euch gegeben hat, ist kein Sklavengeist, so dass ihr wie früher in Angst leben müsstet. Es ist der Geist, mit dem ihr als seine Söhne und Töchter beschenkt seid.
Indem Paulus von der Gabe des Geistes durch Gott spricht, lässt er die biblische Schöpfungsgeschichte anklingen, wo es in einem sehr anschaulichen Bild heißt, dass Gott bei der Erschaffung des Menschen ihm “den Odem des Lebens in seine Nase blies” und so der Mensch “ein lebendiges Wesen” wurde (1. Mose / Genesis 2, 7). Der Geist, den Gott den Menschen gegeben hat, ist Atem, Luft, Lebendigkeit, Leben und Lebenskraft für die Beziehung zu Gott und den Menschen, denen ich begegne. Der Apostel erklärt: Der Lebenshauch Gottes “ist der Geist, den ihr als seine Söhne und Töchter habt”. Martin Luther übersetzte: “Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen”. Das Wort “kindlich” steht leich in Gefahr, als “kindisch” und damit als “unmündig” oder “naiv” missverstanden zu werden. Aber daran denkt Paulus gerade nicht. Er vergleicht die Beziehung der Menschen zu Gott mit der eines Kindes zu seinem Vater: Von diesem Geist erfüllt rufen wir zu Gott: “Abba!” – “Abba” ist ein Wort aus der aramäischen Muttersprache Jesu. Mit dieser vertrauensvollen Anrede des Sohnes / der Tochter an den Vater beginnt jenes Gebet, das Jesus lehrte.
III.
Welche Züge trägt unsere Vorstellung von Gott. Wir bekennen uns im Glaubensbekenntnis zu “Gott, dem Vater, dem Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde…” – Paulus sagt: Wie Kinder sich vertrauensvoll ihren Eltern zuwenden , so darf ich mich an Gott wenden; sein Geist macht uns im Innersten gewiss, dass wir Kinder Gottes , seine Töchter und Söhne, sind. Es ist das Evangelium, die gute Nachricht von Jesus Christus, die den Apostel so sprechen lässt. In ihm, Jesus, hat Gott uns sein Gesicht zugewandt, liebend wie ein Vater, tröstend wie eine Mutter, tröstend wie ein Vater, liebend wie eine Mutter.
Die Beziehung, in die Gott uns durch seinen Geist zu ihm stellt, ist eine uns befreiende Beziehung, die für unser Leben nicht ohne (ethische) Folgen bleiben kann. Wir sind gefragt, welcher “Geist” uns “treibt” oder “umtreibt”, wessen Geistes Kinder wir sind. Ist es Gottes Geist, der im Leben und Wirken Jesu anschaubar und kraft seiner Auferstehung bestätigt wurde, so leben wir in unseren menschlichen Beziehungen als Personen die in den anderen Menschen die Kinder Gottes, seine Söhne und Töchter, sehen, die mit Gottes Geist, seinen Lebenshauch beseelt und beschenkt sind. Wir leben als Menschen der Hoffnung, die daran glauben, dass die um sich greifenden menschenfeindlichen Tendenzen nicht das letzte Wort behalten, sondern überwunden werden. Und wir glauben – angesichts von Zerstörung und Tod – mit den Worten des alten Nizänischen Glaubensbekenntnisses “an den Heiligen Geist, der lebendig macht”.
IV.
Was der Apostel Paulus vom inneren Menschen und damit von der Geistesgegenwart, der Gegenwart des Geistes Gottes sagt, ist keine leichte Kost. Es ist ein Aufruf, “mit dem Herzen zu sehen”, im Sinne des Ausspruches von Antoine de Saint Exupéry: “Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für unser Auge unsichtbar”. Orte, an denen der innere Mensch, das Sehen mit dem Herzen, gestärkt wird, und der Mensch zu sich selbst und zu Gott findet, sollen unsere Kirchen sein und uns daran erinnern: “Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit” (2. Timotheus 1,7).
Das von Gottes Geist bewegte Leben äußert sich konkret in unseren alltäglichen Beziehungen: Liebe, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue bezeichnet der Apostel Paulus an anderer Stelle als “Früchte des Geistes Gottes”, und es wirkt Gottes Geist, wo betrübte Herzen getröstet werden. Ein solches von Gottes Geist durchdrungenes Leben ist in diesem Sinn keineswegs etwas Abgehobenes, sondern ein behutsamer Weg von innen nach außen, ein Weg, der in der “Freiheit der Kinder Gottes” wurzelt, die Jesus Christus errungen hat. Zeichen dafür sind die Hl. Taufe und das Hl. Abendmahl, die uns bestärken auf Wegen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.