Eine uralte Frage: Was ist der Mensch im Kosmos? Gedanken in sternklarer Nacht. Milliarden von Himmelskörpern über mir. Gibt es da vielleicht irgendwo Leben? Intelligentes Leben? Das Licht der Sterne erreicht mich. Vor wieviel Millionen Lichtjahren mag der Lichtstrahl von dort ausgegangen sein? Und wenn ich Strahlen zu Bildern zusammenfassen könnte, was würde ich hier und jetzt sehen? Ist jetzt auf irgendeinem Himmelskörper ein ähnlich intelligentes Wesen wie ich und denkt in Anbetracht eines Sterns, der sich Erde nennt, genau so? Gedanken in sternklarer Nacht. Was ist der Mensch im Kosmos? Ein Nichts? Einem Sandkorn in der Wüste gleich? Ähnliche Nachtgedanken haben auch Dichter der Bibel niedergeschrieben. So lesen wir z.B. in Psalm 8: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, / den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: / was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, / und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Dankbare Bewunderung der Werke Gottes, deren eines der Mensch ist.
Wenn die Bibel nach der Stellung des Menschen im Kosmos fragt, dann fragt sie nicht in den geist- und luftleeren Raum hinein, sondern sie fragt Gott: “Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst”. Selbst da, wo das Leiden eines Menschen ihn an der Sinnhaftigkeit seines Daseins zweifeln lässt, fragt er in der Bibel noch Gott: „Was ist der Mensch, dass du ihn groß achtest und dich um ihn kümmerst?“ So fragt der leidende Hiob, und der möchte sagen: „Sieh weg von mir, lass mich endlich doch in Ruhe!“
Antwort des Naturalismus
Was ist der Mensch? Die ewige Frage, auch in unserem technisch-rationalen Zeitalter. Da überlässt man die Antwort gern dem Naturalismus, der sich einen Anstrich von Wissenschaftlichkeit gibt: „Der Mensch“, so sagt man, „ist eine zufällige, randständige, zeitlich begrenzte Episode in einem sinnleeren, unermesslichen, extrem lebensfeindlichen Universum. Wie es dem Menschen geht und was er tut, ist diesem Universum völlig gleichgültig“ (Tetens, 55). Wäre das, liebe Gemeinde, die letzte und endgültige Antwort auf die Frage nach der Stellung des Menschen im Kosmos, sie wäre nicht nur trostlos, sondern sie hätte auch entsetzliche Folgen. Ein Beispiel: Jahrelang hat ein nordkoreanischer Lagerkommandant viele Menschen gefoltert und exekutiert, ohne je Mitleid zu empfinden. Mehr noch: Das hat ihm Spaß gemacht. Er konnte beobachten, wie ganze Familien dem Giftgas ausgesetzt wurden und qualvoll zugrunde gingen. Die Menschen starben in Räumen, die von oben durch eine Glasscheibe eingesehen werden konnten: Dort saßen Ärzte und Gefängnispersonal. Die Qualen der Sterbenden erweckten Interesse, aber keine Gefühle. Babys starben unter den Stiefeln der Aufseher, Mütter verfielen in Wahnsinn (nachTetens, 56). Wie wir wissen, ist das kein Einzelfall in der Menschheitsgeschichte. Es ist die Folge einer Weltanschauung, die von der Sinnleere des Kosmos und von der Gleichgültigkeit des Universums gegenüber allem ausgeht, was der Mensch hier tut. Dem allmächtigen Menschen ist alles erlaubt; denn wer wollte ihn je zur Verantwortung ziehen? Alles fällt ja schließlich dem großen gleichgültigen Vergessen anheim!
Antwort der Bibel
Der Trostlosigkeit und dem Entsetzen stellt die Bibel ein anderes Weltbild entgegen, das Weltbild des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Im 1.Johannesbrief ist es in Worte gefasst:
(Lesung des Predigttextes)
„Gott ist die Liebe. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Nicht haltlos in einem sinnleeren Universum schweben wir, sondern wir werden gehalten und getragen von der Liebe. Das erkennt keine Naturwissenschaft, weil ihre Augen dafür nicht geschaffen sind; das erkennt kein Naturalismus, weil er blind dafür ist; das erkennt nur der Glaube. Der Glaube glaubt daran, dass die Liebe vor allem war, auch vor der Entstehung des Universums. Der Glaube glaubt daran, dass die Liebe über allem ist, auch über allem Streit und Chaos dieser Welt. Der Glaube glaubt, dass die Liebe bleibt und dass wir in sie eingehen werden nach unserer Zeit. Diese allumfassende Liebe ist für den Glauben Gottes Liebe, und darum kann der Apostel auch bekennen: Gott ist die Liebe. Wenn ich Gott den tragenden Grund meines Lebens nenne, dann weiß ich auch: Seine Liebe ist der tragende Grund. Darauf kann ich mich verlassen in allen Lebenslagen, an allen Orten, zu allen Stunden.
Nicht ein gleichgültiges Universum lässt mich allein in Macht und Ohnmacht, sondern ich lebe umgeben von der Liebe Gottes. Dessen werden wir uns heute an diesem Sonntag und in diesem Gottesdienst wieder neu bewusst. Wir leben in der Liebe Gottes, und Gott wohnt in uns. Der Geist der Liebe Gottes durchdringt uns. Wir tauchen in ihn ein, und er ist zugleich auch in uns. Wie die Wärme, die von außen kommt, in der wir uns wohlfühlen, und die zugleich in uns eindringt und uns von innen heraus erwärmt. So ist das auch mit Gott und seiner Liebe. Sie kommt von außen nach innen, wohnt in uns und bewegt uns zu Taten der Liebe und zu Zeichen der Hoffnung.
Nun gibt es natürlich auch Menschen wie jener Lagerkommandant. Er hat von der Liebe Gottes noch nichts gehört. Er ist von ihr noch nicht berührt worden. Wenn er aber je davon berührt werden sollte, dann wird er sich fühlen wie neu geboren; denn er hat den tragenden Grund seines Lebens gefunden. Er ist aus dem Tod ins Leben gekommen (1.Joh 3,14). Dass Gottes Liebe der tragende Grund unseres Lebens ist, hat sich sogar bis in unsere Grußformeln hinein eingeprägt: „Behüt dich Gott“ oder bayrisch: „füert di“ ist nichts anderes als der Wunsch, Gottes Liebe walte über dir auf all deinen Wegen. Ebenso „Adieu“, d.h. mit Gott. Mit Gott weiter voran!
Der Glaube glaubt an die Macht der Liebe und an die Kraft der Hoffnung. Wer daran nicht glaubt, bleibt der Sinnleere des Universums verhaftet und muss sie mit seiner Allmacht füllen zuungunsten der Ohnmächtigen. Ist nun Allmachtsglaube auch ein Glaube? Gewiss! Kann ich mich nun außerhalb der beiden Weltanschauungen stellen, gleichsam auf einen archimedischen Punkt, und sagen: Nun gut, der eine glaubt eben dies, der andere das? Theoretisch schon. Praktisch aber kann ich meinen Glauben nicht zur Disposition stellen, denn ich weiß: Gott begleitet mich. Gott begleitet uns alle. Eben weil er die Liebe ist. Und er begleitet uns auch über unser Leben hinaus. Deshalb verschwindet nichts in der Versenkung des Vergessens. Das Gute nicht und das Böse nicht.
Mit allem, wir aus der Liebe heraus getan haben, können wir uns vor Gott sehen lassen, jetzt und in Ewigkeit. Darum schreibt Johannes: „Wir können Zuversicht haben am Tag des Gerichts“. Das würde ich auch dem Lagerkommandanten wünschen. Denn auch er wird Rechenschaft ablegen müssen, wenn nicht hier, dann vor Gott. Er irrt, wenn er glaubt, dass er das nicht muss. Darum kann es mir nicht gleichgültig sein, was jemand glaubt, darum wünsche ich ihm, dass auch er von der Liebe Gottes angerührt würde.
Manchmal ist der gute Wunsch für den anderen auch schon eine Tat der Liebe. Den guten Wunsch für den anderen nennt man in unserer kirchlichen Sprache „Fürbitte“. Von solch einer beispielhaften Fürbitte möchte ich Ihnen erzählen. Abraham durfte sich von Gott von Grund auf geliebt wissen. Denn Gott hat ihn auf seinem weiten Weg aus dem Zweistromland nach Ägypten begleitet. Da kam er auch bis vor Sodom und erfuhr davon, dass der Herr Sodom und Gomorra untergehen lassen wolle. Da bittet er für seine Brüder und Schwestern in den Städten, Gott möge sie nicht umbringen; denn es gäbe vielleicht 50 Gerechte darin. Die könne Gott doch nicht zusammen mit den Bösen vernichten. Gott sagt das zu.
Da bittet Abraham weiter: Auch bei 45 Gerechten wäre es doch ungerecht, alle miteinander umzubringen. Gott sagt Verschonung der Städte zu bei 45 Gerechten. Da versucht Abraham Gott weiter zu bitten: Auch 40 Gerechte müssten reichen, um die Städte zu verschonen. Gott sagt das zu. Da geht Abraham runter auf 30, dann 20 und schließlich 10. Gott sagt Verschonung zu. Dann geht er weg. Mehr will er nicht mit sich handeln lassen. Aber immerhin. Er lässt mit sich reden. Fürbitte, der gute Wunsch für gefährdete Schwestern und Brüder ist nicht das Schlechteste, was wir tun können. Dass am Ende nur einer, nämlich Lot, sich aus den brennenden Städten retten kann, ist Gottes freies Walten. Wahr bleibt: Gottes Liebe hebt das Gericht nicht auf. Wahr bleibt aber auch: Wenn wir in der Liebe bleiben, haben wir das Gericht nicht zu fürchten. In diesem Sinne gilt: Behüt dich Gott, füert di und adieu.