Waldaufmerksamkeit
Gott handelt und verändert
Predigttext: Jesaja 29,17-24 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen. Darum spricht der Herr, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.“
Kluge Mediziner empfehlen, täglich einen Spaziergang von einer Dreiviertelstunde zu unternehmen. Der Anblick von Ulmenstämmen, Kiefernnadeln und Eichhörnchen beruhigt.
I
Gehen Sie auf einem Waldweg oder durch einen Park. Gar nicht ratsam ist es, sich dabei über Earphones mit lauter Popmusik zudröhnen zu lassen. Denn Knöpfe im Ohr verschließen der Aufmerksamkeit den Gesang der Vögel, das Zirpen der Grillen und das Schnattern der Gänse und Schwäne, die im See baden. Die Augen bekommen so Vieles zu entdecken: die weißen Magnolienblüten im Frühjahr, Rapsblüten im Frühsommer, rote und gelbe Äpfel auf den Streuobstwiesen im frühen Herbst. Dazu gesellen sich Tiere: Wer ein Rudel Rehe auf dem Waldweg sehen will, steht früh auf, nähert sich gegen den Wind und bleibt so still wie möglich. Der Reiher, der im flachen Wasser des Baches Position bezogen hat, läßt sich durch Lärm und heftige Bewegungen ebenfalls schnell verschrecken. Vor einer Rotte Wildschweine sollten alle Jogger vorsichtig sein. Tierbeobachtungen und kleinen Veränderungen von Pflanzen durch die Jahreszeiten hindurch bringen Spaziergänger oder Joggerinnen zum Staunen. Sie üben langsam eine besondere Aufmerksamkeit für Pflanzen und Tiere ein. Sie ist immer in Gefahr, denn sie geht allzu schnell verloren, wenn die spazierengehenden überforderten Menschen den dauernden Streit in der Familie bis zum Ärger im Büro auch noch in die Waldwelt mittragen.
Die idyllische Naturbeobachtung muß in der Gegenwart ergänzt werden durch die nüchterne Diagnose von Borkenkäferbefall, Trockenheit und drohenden Bränden, die Ausbreitung neuer unerwünschter Tierarten wie der Tigermücken. Viele Bäume vertragen die Hitze nicht mehr und werden anfällig für Schädlinge oder sterben gleich ab. Die romantischen Idyllen der Naturbeobachtung sind von kräftigen Rissen des Klimawandels durchzogen.
II
Wer vom Waldspaziergang zurückgekehrt ist und die sehr freundlichen Worte des Propheten Jesaja hört, der staunt über den heiteren, freundlichen Ton seiner Rede. Spuren von Untergangsprophetie und moralischer Überheblichkeit fehlen völlig. Gleich am Anfang springen Wälder und Gärten ins Auge. Jesaja beginnt mit den Zedern des Libanon und den fruchtbaren Feldern des Karmel. Natur verändert sich. Für Jesaja wirkt Gott in der Natur. In diesem Fall zeigt sich der Gott, der die Welt geschaffen hat, nicht als Umweltschützer: Er beseitigt nicht die Tigermücken, nicht die baumfällenden Borkenkäfer und nicht die gefährlichen Eichenprozessionsspinner. Gottes Naturwirken zeigt sich bei Jesaja so, daß er aus den weiten Wäldern des Libanon fruchtbares Ackerland macht. Und umgekehrt: Die fruchtbaren Äcker des Karmel werden wieder zu Wald. Gott greift ein als jemand, der aufforstet und urbar macht; laut Jesaja kümmert er sich nicht um Brandschutz und Schädlingsbekämpfung.
Jesaja zielt auf anderes: Der Gott, der die Welt geschaffen hat, wirkt in dieser Naturwelt. Weil die Zuhörer des Propheten ihn dort als wirksam, handelnd und lebendig erkennen, darum könnte es auch sein, daß Gott auf ähnliche Weise bei den Menschen eingreift. Denn diese Menschen hat er geschaffen wie die Natur. Große Überraschung. Gott verändert den Menschen? Ja – sie müssen sich nur darauf einlassen.
Aber bevor ich das erläutere, noch eine Warnung. Denn diese Einsicht Jesajas steht quer zu den einfachen Parolen des linksdrehenden Agitprop, wie er in einem banalen Protestantismus Mode geworden ist und lautstark verkündet wird. Dieser entstellte Protestantismus läßt den Glauben an einen handelnden, verändernden Gott nur noch als Motivation zu, um die handelnden Menschen zu politischen Aktivitäten von Klimawandel, Migration, Querdenken bis Feminismus zu bewegen. Der Glaube wird abgedrängt und auf die Rolle von Brennholz reduziert, um bei den Bäumen zu bleiben. Die Hitze des verbrannten Holzes soll die Glaubenden zu größerer Aktivität und stärkerer Intensität motivieren. Mehr ist nicht nötig und auch – in dieser Sicht des banalen Protestantismus – nicht glaubwürdig. Glaube wird in dieser Sicht zum „Incentive“ – wie es in der Marketingsprache heißt. Im englischen Wort steckt das deutsche „Anzünden“. Entfacht wird die Tätigkeit von Aktivisten, die in Trägheit und Langeweile zu versinken drohen.
III
Jesaja aber hält seinen Zuhörern kein „Incentive“ hin, mit dem sie das Feuer der Politik neu anfachen. Bei Jesaja handelt Gott selbst. Der Gott, der die Welt erschaffen hat, der erhält sie, der verändert die Natur. Und er verändert die Menschen und ihre sozialen Verhältnisse. Man könnte jetzt denken, die Veränderung bestünde darin, daß Gott bei Jesaja einfach die Verhältnisse zum Tanzen bringt und die Untersten nach oben bringt und umgekehrt. Aber das ist nicht der Fäll. Es ist die Mühe wert, sich das Reformprogramm Gottes für die Menschen genauer anzusehen. Sie sollen jedenfalls nicht in Politaktivisten verwandelt werden, die nur noch mit einer Hand an der Liebe Gottes kleben, wie das neulich ein politischer Kirchentagsprediger unbedingt meinte sagen zu müssen.
Ich will jetzt nicht jede einzelne der humanen Ankündigungen Jesajas durchgehen und erläutern. Aber es fällt doch Einiges auf beim Durchdenken der Prophetenworte.
Das erste: Die Menschen, die Armen und Elenden zuerst, werden wieder fröhlicher. Sie finden Freude an Gott. Traurigkeit beschädigt und verkehrt ein Menschenleben. Wer traurig und verzweifelt ist, der zieht sich in sich selbst zurück. Aber kein Mensch kann sich vor seinem eigenen Schöpfer verstecken. Gott macht Pläne mit den Menschen, die durch seine Schöpfung laufen. Und diese Pläne fangen mit Freude und Freundlichkeit an. Moralapostel, auch protestantische, säen nur Verzweiflung aus, indem sie alles schwarz und schwärzer malen. Freude an Gott finden heißt: In der Welt regiert nicht der Zufall, regiert auch nicht nur menschliche Politik. Freude an Gott finden heißt, sich auf den zu beziehen, der die Welt geschaffen hat und erhält. Glaubende beziehen sich auf Gott in Gebet, Gesang und im Hören auf Gottes Wort.
Gott wendet sich zweitens gegen Machtmißbrauch, gegen die, die Jesaja Tyrannen nennt. Ein Tyrann ist ein Symbol für extreme Ungleichheit: Alle Macht konzentriert sich in einer Person. Aber es gilt, sich gegen Ungleichheit zu wenden: Ungleichheit in der Verteilung wirtschaftlicher und finanzieller Ressourcen, Ungleichheit in der Ausübung von Macht. Positiv formuliert: Es geht um Zugang für alle zu allen Möglichkeiten menschlichen Handelns in der Gesellschaft. Die am besten geeigneten Instrumente dafür sind Demokratie, Grund- und Menschenrechte, Gewaltenteilung. Wir leben in einem demokratischen Staat, dessen vorläufige Grenzen wir in den Jahren seit dem Fall der Mauer schmerzhaft erkennen mußten. Demokratie ist nicht vollkommen, aber sie erscheint als der bestmögliche Kompromiß, das beste Abwehrmittel gegen das Auftreten von Diktatoren und Tyrannei. Die folgenden beiden Schlußfolgerungen Jesajas scheinen mir dafür bestens geeignet: Wenn Gott handelt, dann nehmen die Menschen Verstand an. Wenn Gott handelt, dann „murren“ sie nicht mehr.
Verstand und Vernunft sind wirksame Heilmittel gegen alle Formen von billigem Aktivismus und symbolischer Politik, die niemandem hilft und nur ihre Vertreter zu künstlicher Popularität aufbläst. Und ich wähle ein Beispiel aus dem evangelischen Raum: Für billige symbolische Politik halte ich zum Beispiel den Beschluß der EKD-Synode, Amtsträgern in den klerikalen Verwaltungen ein Tempolimit zu verordnen. In einer Demokratie besteht politisches Handeln in wenig anderem als darin, daß Menschen unterschiedlicher Herkunft, Weltanschauung und Religion gemeinsam überlegen und mit Mehrheiten entscheiden, welche Gesetze, Verordnungen und Bestimmungen am besten und schnellsten zu bestimmten selbstgewählten Zielen führen. Zwar spricht Jesaja in seiner Predigt ausdrücklich von Gottes Handeln. Aber ihm liegt an einem göttlichen Handeln, das die Menschen wieder instandsetzt, Fröhlichkeit und Freude zu empfinden. Sie treffen dann vernünftige Entscheidungen, die eben auch Kompromisse sein können. Das ist das Gegenteil eines besinnungslosen frommen Aktivismus, der nur Parolen verbreitet.
Politik im übrigen machen Menschen in einer Demokratie nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen. Mit dem Herzen neigen Glaubende wie Nicht-Glaubende zu Murren und Meckern. Blicke richten sich in diesem Fall stets auf die Defizite, das Fehlende, das Unvollkommene, das möglicherweise gar nicht Reformierbare. Jesaja sagt: Von Gott bewegte Menschen murren nicht. Sie orientieren sich an Zielen und versuchen, mit den ihnen verfügbaren Mitteln, diese gemeinsam mit anderen zu erreichen.
Ich bin der Überzeugung, daß Jesaja seinen Zuhörern keine Utopie vor Augen malt. Sie verwirklicht sich nicht erst, wenn das von Jesus von Nazareth verkündigte Reich Gottes eintritt. Jesaja sagt ganz nüchtern: Gott verändert die Natur. Wir sollten diesen Veränderungen Aufmerksamkeit widmen. Gott verändert die Menschen, die Glaubenden wie die Nicht-Glaubenden. Niemand sollte sich gegen diese Veränderungen sperren. Viele Menschen, auch Glaubende, haben heute Schwierigkeiten mit diesem Gedanken eines Gottes, der in die Geschichte eingreift. Aber ich hätte auch Schwierigkeiten mit einem Gott, der das nicht mehr tut. Man muß den Gedanken des Eingreifens Gottes in die Welt nicht so plastisch fassen, wie das Jesaja tut. Man kann sich ein mittelbares, indirektes, sanftes und unscheinbares Eingreifen Gottes in die natürlichen und sozialen Verhältnisse der Welt vorstellen.
Das ist die für unsere Ohren ungewohnte Vision des Jesaja: Schwierige politische und umweltpolitische Verhältnisse führen ihn nicht zu Apokalyptik oder Unheilsprophetie. Er verweist auf einen der Welt zugewandten Gott. Er tut das Gegenteil dessen, was die Aktivisten tun. Er stellt heraus, daß die Menschen niemals allein mit ihrem politischen Handeln, mit ihren Zweifeln und ihrem Murren sind. Aktivismus rechnet nicht mehr mit Gott und zieht daraus den Fehlschluß, die Bürgerinnen und Bürger mit Forderungen zu überhäufen und zu überlasten.
Dieser Aktivismus erweist sich als kaschierter Unglaube, auch wenn er seine Forderungen mit göttlichem Gebot begründet. Jesaja dagegen macht den Menschen Mut, mit Gott zu rechnen und darin mit allen Unvollkommenheiten und Unzulänglichkeiten menschlicher Politik besser zurecht zu kommen. Der große Schweizer Theologe Karl Barth hat das in den kurzen Satz gefaßt: Es wird regiert. Und diese Regierung zielt auf Freude und Fröhlichkeit, auf den nüchternen Gebrauch des eigenen Verstandes und auf das Vertrauen, daß diese Welt nicht alleingelassen ist.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was die Menschen hervorbringen und herstellen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Jesaja findet erstaunlich positive Worte. Gott fördert das Ackerland und rüstet den Wald neu auf.Gott will die Naturwelt und auch die Menschenwelt fördern. Gott handelt selbst auch in unserer Welt mit Klimawandel und Migration mit einem Reformprogramm 1. Die Armen sollen wieder froh werden bei durch und bei Gott . 2. Er ist gegen Machtmißbrauch. Gut ist unsere Demokratie die Fröhlichkeit ermöglicht. Jesaja sagt uns, dass wir mit dem Murren aufhören sollen. Demokratie ist ein guter Lebensweg. 3. Jesaja weist hin auf einen nicht unnahbaren , sondern unserer Welt und uns zugewandten Gott. Jesaja macht den Menschen Mut,mit Gott im Leben zu rechnen. Karl Barth hat in unserer Zeit gesagt:” Es wird regiert. ” Er und Jesaja machen Mut, mit Gottes Wirken zu rechnen. Und der Friede Gottes soll unsere Herzen und Sinne regieren.
Eine eindrucksvolle Predigt vom Theologie-Professor Dr Vögele