“Was nun Gott zusammengefügt hat …“

Bekenntnis oder Zumutung?

Predigttext: Markus 10,1-9
Kirche / Ort: Magedeburg
Datum: 18.10.2015
Kirchenjahr: 20. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Dr. habil. Günter Scholz

Predigttext: Markus 10,1-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Und er machte sich auf und kam von dort in das Gebiet von Judäa und jenseits des Jordans. Und abermals lief das Volk in Scharen bei ihm zusammen, und wie es seine Gewohnheit war, lehrte er sie abermals.
2 Und Pharisäer traten zu ihm und fragten ihn, ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau; und sie versuchten ihn damit.
3 Er antwortete aber und sprach zu ihnen:Was hat euch Mose geboten?
4 Sie sprachen:Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden.
5 Jesus aber sprach zu ihnen:Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben;
6 aber von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau.
7 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen,
8 und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.
9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

Markus 10,1-10 (Übersetzung nach Zürcher Evangelien-Synopse 1975)

1 Und er /Jesus bricht von dort auf und nimmt seinen Weg jenseits des Jordan in das Gebiet von Judäa; und wieder läuft eine Volksmenge bei ihm zusammen. Und er lehrte sie wieder, wie er gewohnt war.
2 Und die Pharisäer traten herzu und fragten ihn – um ihn zu versuchen – , ob es dem Mann erlaubt sei, seine Frau zu entlassen.
3 Da antwortete er und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten?
4 Sie aber sagten: Mose hat erlaubt, einen Scheidebrief zu schreiben und [die Frau] zu entlassen.
5 Da sprach Jesus zu ihnen: Mit Rücksicht auf die Härte eures Herzens hat er euch dieses Gebot vorgeschrieben.
6 Vom Anfang der Schöpfung an aber hat er sie als Mann und Weib / Frau geschaffen.
7 „Darum wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe / seiner Frau anhangen,
8 und die zwei werden ein Leib / Fleisch sein.“ Somit sind sie nicht mehr zwei, sondern [sie sind] ein Leib / Fleisch.
9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

Exegetische Überlegungen

In Mk 10,1-45 gibt Markus Regeln für das Leben in der Gemeinde. Dabei sind die einzelnen Episoden Ehe (10,1-12), Kinder (10,13-16), Besitz (10,19-31), Rangfolge (10,35-45) als selbstständige Einheiten bereits vormarkinisch überliefert worden. Jesu Eheverständnis wird in 10,1-9 dargelegt, wenn auch nicht als ipsissima vox, so doch als unter den Pharisäern als bekannt vorausgesetzte Anschauung. Ich beschränke mich auf diese vormarkinische Überlieferungsstufe. Ich empfehle die Zürcher Übersetzung, weil sie die Konturen des griechischen Textes besser wiedergibt. Ausnahme: Lies in v 8 besser: „ein Fleisch“ statt „ein Leib“ (es heißt „sarx“ und nicht „soma“). Klare Konturen in Frage und Antwort:

Die Pharisäer fragen nach dem, was erlaubt sei nach dem Gesetz (10,2.4); Jesus antwortet mit dem, was Gott geboten hat. Höher als Dtn 24,1 steht für ihn Ex 20,14 / Dtn 5,18, Gottes Wegweisung, die in Gottes Verheißung gründet (10,7; vgl. Gen 2,24) und somit zu einem erneuerten, in der guten Schöpfung (10,6f; vgl. Gen 1,27; 2,24) begründeten Gebot führt (10,9). – 10,7 nimmt Gen 2,24 auf und entwickelt es weiter. Aufnahme: 1. „Sarx“ entspricht „bāsār“ („Fleisch“). Das gleiche bāsār ist Zeichen gleicher Abstammung und inniger Zusammengehörigkeit. „Die Verbindung von Mann und Frau … begründet eine solche ‚Verwandtschaft‘, wie sie sonst nur noch durch Abstammung besteht“ (H. Seebass, Art. „Fleisch“ in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament I, Wuppertal 61983, 342-347: 347). – Entgegen landläufiger Übersetzung ist der griechische bzw. hebräische Text zu beachten (kai esontai hoi dyo eis sarka mian): Sie werden in das eine Fleisch hinein werden / wachsen. Das Ganze ist kein plötzliches Anderssein, sondern ein Werdeprozess in eine neue Existenz hinein (vgl. Gen 2,24: wᵊhāju lᵊbāsār ’ächād; das lᵊ ist entscheidend!). 2. Weiterentwicklung: Im hebräischen Horizont wird nur der Mann (īsch) Vater und Mutter verlassen, im griechischen ist es bereits der Mensch (anthropos).

Homiletische Bemerkungen

Ich entscheide mich für Mk 10,1-9. Legalismus (10,10-12) ist homiletisch nicht ergiebig, und Hochschätzung der Kinder und ihres Wesens ein anderes Thema. Die Fokussierung auf 10,1-9 ist mir nicht leicht gefallen. Ich bin seit 42 Jahren glücklich verheiratet und rede gewiss anders als jemand, der den Schmerz des Scheiterns ertragen muss(te). Lässt sich von daher eine Dialogpredigt organisieren? Umso mehr werde ich mich bemühen, Evangelium zu predigen und nicht Gesetz, einzuladen zu Jesu Ehe-Modell ohne pharisäerhafte Besserwisserei. Wichtig dabei ist mir, das Wachstum zu leiblich-seelischer Einheit als Gnade herauszustellen, aber auch dazu zu ermutigen, mit Jesus das Gnadenangebot Gottes wahrzunehmen. Dabei befreit mich die Bindung an die Schöpfungsordnung von der Fremdbestimmung durch andere Normen wie Natur, Statistik oder allgemeiner Konsens.

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Bilder

Ich habe ein Bild vor Augen. Ein Ölbild gedruckt. Der Künstler ist mir unbekannt. Adam und Eva unter dem Paradiesbaum. Adam und Eva sind nur konturhaft als Gestalten zu erkennen, vor allem je zur Hälfte durch den Baumstamm verdeckt. Das Grün des Paradiesgartens ist rundum zu sehen. Und um Adam und Eva herum ein sonnengelber Flammenkreis. Er fügt alles zur Einheit zusammen, vor allem die beiden Hälften von Adam und Eva. „So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ Manchmal überzeugt ein Bild mehr als viele Worte. Worte ermuntern zu Widerworten, über Worte und mit Worten kann man trefflich streiten – wir sehen das ja an dem Streitgespräch, das die Pharisäer mit Jesus führen. „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ – „Wer will wissen, was Gott zusammengefügt hat und was nicht?“ Manchmal überzeugt ein Bild mehr. Ich betrachte Adam und Eva, wie sie eine Einheit sind hinter dem Stamm des Baumes, umfasst vom einen hellen Schein. Ja, so könnte es sein, so sollte es sein, so ist es gut. Ich bin sicher: Es geht nicht nur mir so. Hier wird ein tief in uns liegendes Bild vom Menschsein angesprochen: das Leben von Mann und Frau in geheiligter und gesegneter Einheit.

Jesu Ehemodell und zeitgenössische Widerreden

Jesus lädt ein, es zumindest zu versuchen, zu zweit eine leib-seelische Einheit zu werden, so wie es das Ölbild zeigt. Und er hat allen Grund, dazu einzuladen. Denn offenbar war bei manchen Leuten nicht die Frage: Wie gestalte ich eine gelingende Ehe, die Krisen meistert, Frustrationen aushält und Gewöhnung akzeptiert? Sondern: Unter welchen Umständen ist Scheidung möglich? Da gibt es ein Gesetz, das auf Mose zurückgeführt wird. Das erlaubt eine Scheidung, wenn die Frau „nicht Gnade findet vor seinen Augen, weil er etwas Schändliches an ihr gefunden hat“ (Dtn 24,1). Das halten die Pharisäer hier Jesus entgegen, weil sie wohl wissen, dass er ein Mann ohne Wenn und Aber ist. Sie wissen auch, ebenso wie Jesus, dass es drei religiöse Rechtsgelehrte gibt, die das Schändliche, das der Mann an der Frau findet, sehr unterschiedlich beschreiben. Schammai legt das sehr eng aus: „… nur wenn die Frau fremd geht.“ Hillel ist da schon großzügiger: „… wenn sie die Suppe anbrennen lässt.“ Schließlich Rabbi Aqiba: „…wenn er eine Schönere findet.“ Dafür aber durfte bei ihm auch die Frau die Ehe auflösen, wenn Krankheit oder Beruf des Mannes für sie unzumutbar wurden.

Ich glaube, das ist es, was Jesus stört. Die Frage: Wie komme ich notfalls wieder aus der Ehe raus?, ist keine Grundlage für eine tragfähige Gemeinschaft. Diese Frage – so Jesus – hat etwas mit der Natur des Menschen zu tun, mit seiner Hartherzigkeit und Gefühllosigkeit. Gott aber – so meint er – hatte von Anfang an ein anderes Bild vor Augen, eines, das zur guten Schöpfung passt: „… und die zwei werden zu einem Fleisch werden. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.“ Können auch wir uns von Jesus einladen lassen zu seinem Ehemodell?

Jesu Ehemodell und moderne Widerreden

Ich will nicht leugnen, dass das bisweilen schwierig ist. Die Statistik sagt, dass jede dritte oder zweite Ehe geschieden wird. Das ist Fakt. Niemand kann die Augen davor verschließen, und wir alle wissen, dass es außer der traditionellen Ehe auch andere Modelle von Partnerschaft gibt. Niemand hat hier dreinzureden, auch die Kirche nicht. Umgekehrt aber gilt auch: Was Fakt ist, muss noch lange nicht Maßstab des Handelns sein. Wenn Statistik mich untergründig auffordern will, mich im Sinne ihrer vermeintlichen Ergebnisse zu verhalten, macht sie sich zur Norm. Will ich dieser Norm gehorchen, oder gibt es da noch eine andere?

Gegen Jesu Ehemodell wird auch eingewandt: Wir leben in einem ganz anderen gesellschaftlichen Kontext. Da passt dieses Modell nicht mehr hinein. Unser Leben wird vom Wechsel bestimmt: Wohnort, Beruf, Partnerschaft. Dass man sich irgendwann wieder trennt, ist gesellschaftlicher Konsens. Nur: Auch hier lauert die Gefahr, dass ich mich in meinem Verhalten vom vermeintlichen gesellschaftlichen Konsens leiten lasse. Was sich als Konsens ausgibt, gewinnt Macht über mein Denken und Handeln. Will ich das?

Noch etwas Drittes kann Macht über mich gewinnen. Ein Gefühl, das plötzlich hineinfunkt in meine bis dahin glücklich gelebte Partnerschaft. Ein Gefühl, gegen das man sich anscheinend und angeblich nicht wehren kann und das sich auf eine dritte Person richtet. Man nennt es Liebe, um – sich rechtfertigend – fortzufahren, dass man ja gegen Liebe machtlos sei. Nun ja, „es passiert einfach“. Und wer verliebt ist, der darf alles, der darf sich „weiterentwickeln“ mit der Neuen oder dem Neuen. Jesus sieht das aus einem anderen Blickwinkel. Diese Art von Gefühl nennt er Gefühllosigkeit, diese Art von Liebe nennt er Lieblosigkeit.

Jesu Ehemodell

Jesus lädt mich ein, seinem Ehemodell zu folgen. Er wendet sich gegen jede Art von Fremdbestimmung, sei es Statistik, gesellschaftlicher Konsens oder Natur. Meine Bestimmung ist nach seinen Worten, schöpfungsgemäß zu leben; nicht statistikgemäß, nicht konsensgemäß, nicht naturgemäß, sondern schöpfungsgemäß. Denn ich bin nach seinen Worten Teil von Gottes guter Schöpfung. Er erinnert mich daran: „Von Beginn der Schöpfung an hat Gott die Menschen geschaffen als Mann und Frau“. Mich als Mann und dich als Frau. Und er hat etwas ganz Wunderbares und Einzigartiges damit verbunden: Dass du und ich hinausgehen werden, um eines Tages den Menschen zu finden, der für dich und der für mich bestimmt ist. In Gottes Schöpfung, so sagt Jesus, ist die Verheißung, ist dieses Versprechen inbegriffen. Du kannst Gott beim Wort nehmen. Und wenn du diesen Menschen gefunden hast, dann ist nicht gleich alles ganz anders – nein, dieser Romantik erliegt Jesus nicht! Sondern – und nun muss man genau in seine Worte hineinhören – „es werden die Zwei in ein einziges Fleisch hineinwachsen“.

Jetzt, wenn man sich auf Gottes „Fügung“ und aufeinander einlässt, beginnt ein Prozess, den man nicht steuern kann, der aber stetig voranschreitet und der zu einer erlebbaren leiblich-seelischen Einheit führt. Das Es ist ein Prozess, der sich über Jahre und Jahrzehnte erstreckt, ein lebenslanger Prozess. Das Bild von Adam und Eva als Einheit im hellen Schein wird wahr. Es wirdä. Es geschieht. Man kann es nicht steuern. Man kann es nicht erzwingen. Es wird gegeben. Es wird geschenkt. Das ist Jesu Ehemodell. Er lädt dazu ein, es als Mann und Frau miteinander zu wagen, zu sagen: „Auf dein Wort!“, und die Einheit als Glück zu erleben. In der Natur steckt Hartherzigkeit, in Statistik und Konsens steckt Fremdbestimmung, in der Schöpfungsordnung steckt Gnade und Segen. Dessen – so Jesus – sollte man sich nicht begeben. So lädt er zu seinem Modell des Hineinwachsens in die Einheit mit Gottes Hilfe ein.

„Was nun Gott zusammengefügt hat …“ – Bekenntnis oder Zumutung?

Ein Stachel freilich bleibt bei diesem Modell: Ehen können scheitern, auch ohne Hartherzigkeit und Fremdbestimmung. Mann und Frau werden ihren Weg dann im Rückblick deuten müssen. So bleibt der Satz: „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“, eine Herausforderung und Zumutung. Wohl erst im Nachhinein, erst nach der Erfahrung der Gnade, nach dem Erleben des Zusammenwachsens zur leiblich-seelischen Einheit werde ich sagen können: Es war Gottes Fügung. Oder wie der Dichter Matthias Claudius formuliert: „Ich war wohl klug, dass ich dich fand. Doch ich fand nicht. Gott hat dich mir gegeben. So segnet keine andere Hand”.

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