Es gibt fast nichts, was man nicht vermarkten kann. Sogar das Manna. Im Internet fand ich, es gibt die Manna-Seife, den Manna-Dünger und den Manna-Feigensirup. Seife und Sirup natürlich auf Naturbasis.
I
Was Manna in Wirklichkeit war, lässt sich bis heute nicht 100%ig klären. Ein Sekret der Schildläuse, die sich vom Tamariskenbaum ernähren, sagen die einen. Eine Art Flechte, sagen die anderen. Darüber den Kopf sich zerbrechen kann man dann, wenn man satt ist und keinen Hunger leidet. Die Israeliten hatten aber Hunger. Was ist das, fragten sie neugierig und auch etwas misstrauisch, als sie am Morgen die kleinen Krümel auf dem Boden liegen sahen. Aber anstatt eine Antwort abzuwarten, aßen sie – und es schmeckte köstlich. Das reichte. Mehr mussten sie nicht wissen. Was ist das, auf hebräisch „Man hu“ - das wurde der Name ihres neuen Nahrungsmittels, das ab jetzt an sechs von sieben Tagen in der Woche vor ihren Zelten auf dem Boden lag: Manna. An jedem Morgen neu die Frage. An jedem Morgen neu das Staunen: Gott versorgt uns. Die genaue Herkunft ihres neuen Nahrungsmittels mussten die Israeliten also nicht lernen. Lernen mussten die Israeliten dagegen etwas anderes: Vertrauen.
Vertrauen, das beste Medikament gegen das Murren! Die Israeliten murrten und sehnten sich zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Ich kann es mir richtig vorstellen. Wie sie murren. Mit heruntergezogenen Mundwinkeln Mose und Aaron hinterher stapfen. Den Konflikt nicht offen ansprechen, aber schlechte Stimmung verbreiten. Kennen Sie solche Leute? Man kann sie fragen: Was ist denn los, hast du ein Problem mit mir? Nein, sagen sie – und du weißt, es ist doch etwas. Und wenn du weg bist, fangen sie an zu reden. Hinter deinem Rücken. Wie anstrengend ist das! Sie wissen, wie anstrengend das ist! Man fühlt sich hilflos, aber irgendwann hat man auch keine Lust mehr, das Gespräch zu suchen. Wenn doch nichts dabei herauskommt.
In der Bibel sagen es die Menschen zwar: Ihr habt uns aus Ägpten geführt, nur damit wir hier in der Wüste vor Hunger sterben. Aber dass Mose und Aaron geantwortet hätten, wird nicht erzählt. Ich glaube, sie haben es wirklich mehr gefühlt als gehört. Gott aber hat gehört. Er antwortet: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. So wie er vorher das Jammern des Volkes in Ägypten gehört hat und beschlossen hat ihnen zu helfen. Und komisch: Gott ist weder böse noch beleidigt. Im Gegenteil. Er reagiert sofort: Ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen. Aber Gott reagiert auf seine Weise. Er will dem Murren auf den Grund gehen, die Wurzeln der Unzufriedenheit beseitigen: Die Leute sollen sammeln für einen ganzen Tag. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr. Warum will das Gott? Warum kommt es ihm so darauf an? Und was hat das mit uns zu tun?
Gott will zwei Dinge: Er will, dass die Menschen das Gesammelte nicht horten, sondern darauf vertrauen, dass morgen wieder etwas da liegt. Und er will, dass sie am siebenten Tag in der Woche gar nicht sammeln, weil da Sabbat ist. Darum soll das Manna, das sie am sechsten Tag sammeln, für zwei Tage reichen. Ohnen stinkig zu werden. An einer Stelle in der Geschichte sagt Gott sogar: Er will die Israeliten prüfen, ob sie sein Gesetz einhalten. Darum gibt er ihnen Manna nur für genau einen Tag. Gesetz – da denken wir an die 10 Gebote. Was haben die 10 Gebote mit dem Manna zu tun? Und mit dem Vertrauen? Und mit uns?
Nicht so viel, dachte ich zuerst. Aber dann kam mir in den Sinne, wie Martin Luther die 10 Gebote erklärt hat. Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir – das heißt: Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Dieser Vorsatz ist dann über alle anderen Gebote auch geschrieben. Gott fürchten, lieben und vertrauen – wir konzentrieren uns heute auf das Vertrauen -, das ist die Voraussetzung dafür, dass wir alle anderen Gebote einhalten können. Als ob es nur dieses eine einzige Gebot gäbe: Du sollst Gott vertrauen. Du kannst der beste, ethisch korrekteste Mensch der Welt sein – ohne Vertrauen funktioniert es nicht. Und umgekehrt: Vertrau auf Gott – dann ergibt sich alles andere mehr oder weniger von selbst.
II
Wie schwer das ist, mit dem Vertrauen, das merken Mose und die Israeliten und vor allem Gott sofort. Entgegen von Moses Gebot verbrauchen einige Familien das Manna doch nicht am selben Tag. Sondern sie horten es, weil sie der Sache nicht über den Weg trauen. Wer weiß, ob morgen wieder etwas da liegt. Mit dem Erfolg, dass das gehortete Manna am Morgen schon schimmlig ist und voller Würmer. Nur am Tag vor dem Sabbat, da klappt es mit dem Horten. Weil Gott will, dass sie am nächsten Tag frei machen. Und nicht sammeln müssen.
Ich habe das mal einen Tag lang ausprobiert. Mich in verschiedenen Situationen gefragt: Wie wäre es, wenn du jetzt einfach mal vertrauen würdest? Ich habe gemerkt, wie schwer das ist! Die erste Situation war, als ich etwas zu lange vor mir hergeschoben hatte und dann daran erinnert wurde: Das hast du noch nicht gemacht. Und heute wäre die letzte Gelegenheit dafür gewesen. Sehr peinlich. Würde ich es noch schaffen? Und was, wenn nicht? Wie viel Ärger würde ich kriegen? Warum hatte ich es noch nicht gemacht? Weil ich wusste, dass ich es nicht so gut kann. Mein Manna, mein Grundnahrungsmittel, das wonach ich mich sehne, was ich dringend brauche – das war in diesem Fall mein Sicherheitsgefühl und mein Bedürfnis nach Harmonie. Ärger kann ich nicht brauchen und nur schwer aushalten. Würde Gott mir dieses Manna schenken? Ehrlich gesagt – es hat geklappt. Ich habe die Sache gerade noch so hingekriegt und mir gleichzeitig gesagt: Und wenn es schief geht, dann ist es eben so. Du kannst nicht überall gut sein. Auch ein Gespräch kam zustande, offen, aber ohne Ärger. In dieser ganz konkreten Situation Gott zu vertrauen, das war nicht leicht. Letzlich hat es mich aber entspannt.
Die andere Situation war eine zwischenmenschliche. Eine von der Sorte, bei der man sich fragt: Ist der Zug schon abgefahren, wirst du mit dieser Person irgendwann noch zurecht kommen oder nicht? Die Szene, die nicht gut abgelaufen war, rotierte in meinem Kopf. Jetzt vertrau doch einfach mal, dachte ich, irgendwie wird es sich klären. Ob es das tun wird, weiß ich noch nicht. Aber es tat gut, so denken zu können. Auch das entspannte. Man muss sich nicht so festfahren in seinen Vorstellungen. Dieses Festfahren passiert aber oft. Wenn etwas nicht so läuft, wie wir es uns vorstellen. Insgeheim scheinen wir zu erwarten, alle 24 Stunden am Tag müssten perfekt sein. Oder zumindest halbwegs anständig. Und wenn eine oder eine halbe es nicht ist, dann ist der ganze Tag hinüber. Wir fahren uns fest in unseren inneren Bewertungen, von einem Menschen, von unserer Arbeit, vielleicht von uns selbst. Unser tägliches Brot gib uns heute, betet Jesus mit uns. Und täglich neu sollen die Menschen nach Manna suchen. Täglich neu sollen wir frei sein für neue Bewertungen. Und darauf vertrauen, dass sie gut ausfallen können.
III
Leicht ist es nicht. Man muss über den eigenen Schatten springen. Vertrau auf Gott, in jeder Situation, die nicht ganz so angenehm ist, die dir aus irgend einem Grund das Leben schwer macht. Man kann es nur ausprobieren. Durchbuchstabieren. Die Israeliten mussten Erfahrungen sammeln. Das Gute war, dass sie dabei merkten: An unseren Fähigkeiten liegt es nicht! Der eine konnte viel sammeln und der andere wenig – aber jeder konnte so viel sammeln, wie er zum Leben brauchte. Vertrau darauf: Du wirst auskommen mit dem was du hast. Begabung, Schönheit, Liebenswürdigkeit – vertrau darauf, es wird dir reichen. Auch das Geld? Nein, das Geld manchmal nicht. Das Geld reicht manchen nicht zum Leben in diesem reichen Land. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Hier von Vertrauen zu predigen, wäre umbarmherzig. Trotzdem glaube ich, dass es einen Unterschied macht, auch in solch einer Situation das Vertrauen nicht ganz zu verlieren. Und vor allem: sich nicht zu schämen deswegen.
Leicht ist es nicht. Aber hilfreich. Das Manna war so klein. Es wurde überhaupt erst sichtbar, nachdem der Tau weggetaut war. Unser tägliches Brot gib uns heute, unser tägliches, situationsgerechtes Vertrauen gib uns heute – die Bitte schließt ein, auf das Kleine zu achten. Und sich auch da nicht festzufahren. Man hu, fragten die Israeliten, was ist das? Vielleicht finde ich, wonach ich nicht gesucht habe. Vielleicht tun sich, wenn ich an einer Stelle das Festhalten loslasse, ganz neue Türen auf. Vertrauen heißt, an jedem Morgen neu vor die Tür des Zeltes zu treten und wieder zu fragen: Was ist das? Was schenkst du mir, Gott, an diesem Tag?