Wege, wo unser Auge keine erkennt
Jesus hebt die Trennung zwischen uns und Gott auf
Überlegungen zu Gottesdienst und Predigt
Gründonnerstag angesichts der Corona-Pandemie: in den Gemeinden wird mit jeweils guten Gründen der Tag verschieden begangen werden: mit digitalen Angeboten, als Präsenzgottesdienst mit Abendmahl in einer angepassten Form, als Präsenzgottesdienst ohne Abendmahl. Die vorgelegte Predigt ist nach langem Schwanken für einen Gottesdienst mit Abendmahl entstanden. Dementsprechend musste sie sich auch im Umfang stark beschränken, da Präsenzgottesdienste sich derzeit an einer Gesamtlänge von 30 Minuten orientieren sollten. Dennoch auch Hinweise für eine Predigt, die nicht auf eine Abendmahlsfeier zuläuft:
- Bei Matthäus ist kein Wiederholungsbefehl vorhanden. (Solches tut …)
- Vielmehr steht im Schlussabschnitt der Verzicht Jesu im Vordergrund, „von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks“ zu trinken.
- Eine Predigt könnte also gerade auch diese Zeitspanne des Verzichts beleuchten. Die Gemeinde erlebt nicht nur ihr gottesdienstliches Leben, sondern den gesamten gesellschaftlichen Alltag in der Spannung zwischen „schon jetzt“ und „noch nicht“. Impfstoffe sind gefunden, vieles über die Coronaviren wird bekannt, aber die Gefahren der Pandemie sind eben noch nicht vorüber. Auf vieles, was für das Zusammenleben wesentlich ist, muss derzeit verzichtet werden. Der Verzicht, sogar auf die zentralsten gottesdienstlichen Vollzüge im Kirchenjahr, kann geboten scheinen.
- Wichtig wäre hierbei natürlich, die Analogie der Coronasituation auch zu überschreiten, um eine Identifikation von „meines Vaters Reich“ und „Zeit nach der Pandemie“ zu überwinden. Der nunmehr hier vorgesehene Gottesdienst akzentuiert eher die Jünger-Perspektive:
- Wir sind einbezogen in die Vorbereitung (hier ließe sich weiter entfalten: Vorbereitungen von Abendmahlsfeiern in der Gemeinde, etwa bei Konfirmandenfreizeiten …), in das Geschehen, mit dem das befreiende Handeln Gottes im Fest vergegenwärtigt wird.
- Wir sind auf das erschütterndste angesprochen auf menschliche Schuld
- Vergebung befreit von Sünde und Schuld, befreit zu Lob und Weitergehen.
Die Predigt steht im Kontext des gesamten Gottesdienstes. Der Predigttext strukturiert dabei die gesamte Eingangsliturgie.
Liturgie
EG 789.2 Bleibet hier und wachet mit mir
Eröffnung und Gebet
Lesung in drei Teilen: Mt 26,17-19 (Bereitung)
Haben wir den Tisch gedeckt – Sind wir bereit zur Gemeinschaft mit Jesus, unserem Herrn? Sinnen wir darüber nach, was wir dafür vorbereiten wollten, wenn Er zu uns kommt!
- Stille -
Strophe nL 180 Meine Hoffnung und meine Freude
Mt 26,20-25 (Verrat)
Bin ich’s? Womit habe ich Gottes Liebe verraten? Welche eigensinnige Idee wäre besser nie entstanden? Was würde ich gerne rückgängig machen, damit ich versöhnt leben kann mit Gott, mit meinen Schwestern und Brüdern.
- Stille -
Strophe: Bleib mit deiner Gnade bei uns EG 789.7
Mt 26,26-30 (das Mahl zur Vergebung)
Wir alle gehören an seinen Tisch. Auf die Vergebung der Sünden sind wir angewiesen. Wir leben daraus. Jesus stärkt uns. Darum haben wir es gut. Wir danken.
Strophe Lobgesang
EG 789.1 Laudate omnes gentes
Predigt
Lied: nL 155 Ich bin das Brot
Abendmahl / Vaterunser
Segen
Nachspiel
Wir sind als Jünger angesprochen. Jesus will uns dabei haben. Er will uns beteiligen. Er will unsere Gemeinschaft aufbauen. Zugrunde liegt die Erfahrung des Volkes Israel: Gott befreit. Gott begleitet und bewahrt in der Krise. Er zeigt uns Wege, wo unser Auge keine erkennt. Das Passafest ruft dies alles in Erinnerung. Im Zentrum dieses Berichts vom letzten Abendmahl aber plötzlich:
Schuld, Verrat, Selbstprüfung eines jeden einzelnen: „Herr, bin ich’s?“ Wer wollte sicher sein, ob nicht wir selbst Verrat üben. Wir wissen doch inzwischen allzu gut Bescheid. Mit fast allem, was wir tun, leben wir auch auf Kosten anderer. Jesus spricht Schuld und Verrat in vernichtender Tiefe an: Es wäre für den Menschen besser nicht geboren zu sein, als so schuldig zu sein. Ja, es gibt Schuld, die so schwerwiegende Folgen hat, dass es nicht möglich erscheint, damit zu leben. Die vernichtende, verneinende Dimension der Schuld kommt auf den Tisch. Das verdirbt den Appetit.
Erstaunlich: gerade Zeichen größter Nähe zeigen hier den Verrat an: Judas hat die Hand mit Jesus in die Schüssel getaucht. Und später zeigt sein Kuss an, wen die Soldaten zu verhaften haben. Durch die Coronapandemie hat dies eine ganz neue Aktualität gewonnen: Nähe kann gefährlich werden. Das wirft vieles durcheinander, was uns wertvoll und wichtig ist. Die Gemeinschaft ist durcheinander. So wie bei den Jüngern an dem Abend: mal wütend, mal müde, mal feige, mal mutig. Was geschieht ist unausweichlich.
Mancher Schuld kann man offensichtlich nicht entgehen. Denn wir könnten fragen: warum vermeiden die Jünger nicht diese Begegnung, wenn doch die Gefahr schon bekannt ist. Nein, es passiert so, die Geschichte wird nicht aufgehalten dadurch, dass Jesus mit ihnen darüber spricht. Auch unsere Gottesdienste und Gebete haben die Coronakrise nicht beendet, die Gebete Moses haben den Weg durch die Wüste nicht verkürzt. Und doch geschieht im Verlauf dieser Abendmahlsfeier eine wichtige Wandlung.
Nachdem Jesus deutlich gemacht hat, wie vernichtend Schuld den Menschen zugrunde richtet, gibt er dem Teilen von Brot und Wein eine neue Bedeutung: Und zwar, indem er gerade die Schuld des Judas einbezieht. Der Leib, der gebrochen wird, das Blut, das vergossen wird, die werden gewendet zur Frohen Botschaft: „für viele vergossen zur Vergebung der Sünden.“ Damit kommt Neues ins Spiel. Und das ist eine echte Befreiung. Denn als Jünger können wir jetzt trotzdem weiterleben. Wir müssen uns nicht aufgeben, müssen Gott nicht aufgeben. Wir dürfen uns weiter zu ihm halten, auf ihn vertrauen, die Gemeinschaft mit ihm suchen.
Die eigene Unzulänglichkeit, die Inkonsequenz in unseren Lebensvollzügen, sie trennt uns nicht von Gott. So wie die Schuld in aller Tiefe vorher auf dem Tisch lag, kommt jetzt die Vergebung auf den Tisch. Die Erinnerung an die Befreiung bekommt eine neue Dimension, einen neuen Horizont, eine neue Zukunft. Jesus spricht diese Zukunft an. Auch wenn der Abend jetzt seine Wendung zu einem Abschiedsmahl bekommen hat, so spricht Jesus nun von dem Tag, an der er aufs Neue davon trinken wird.
Kein irdisches Mahl ist gemeint. Sondern „in meines Vaters Reich“ – das himmlische Freudenmahl. Und in diese neue Wirklichkeit bezieht Jesus seine Jünger, bezieht er auch uns mit ein: „mit euch“ werde ich davon trinken. Damit ist klar: all die Geschehnisse dieses Abends, die mehr von Versagen, Angst und Schuld belastet sind als von Heldenmut und Tapferkeit, reißen die Verbindung zu Jesus nicht entzwei. Denn der Kelch, aus dem sie trinken, hält ihnen die Vergebung der Sünden gegenwärtig. Jesus hebt die Trennung auf, die sich immer wieder zwischen uns und Gott schiebt. Er geht konsequent auf diese neue Wirklichkeit zu.
Ist es zum Verzweifeln, was passiert? Ja, schon. An diesem Abend werden Tränen geweint, gelogen, jähzornig gewütet, Wichtiges verschlafen. Zeichen der Nähe verkehren sich zu Zeichen der Entfremdung, der Lebensweg kreuzt den Todesweg. So wie es tagtäglich passiert. Doch Brot und Wein vergegenwärtigen die Zukunft.
Jesus reicht uns mit Brot und Wein die Hand vom Reich Gottes aus, also von jener Wirklichkeit her, die uns befreien kann aus jeder Verzweiflung. Wo sich einst vor den Israeliten das Meer öffnete und sie von den Verfolgern trennte, öffnet Gott vor uns einen Weg jenseits der Sünde. Die Verzweiflung über das, was wir einander – auch indirekt – antun, die Erkenntnis unserer Schuld und Sünde: „Herr, bin ich’s?“ – weicht dem, dass wir aus der Quelle der Vergebung trinken. Ein Weg öffnet sich, den wir weiter gehen können. Ein Weg, der uns Gott wieder loben lässt: „Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.“
Vergebung eröffnet Zukunft, Vergebung ermöglicht, dass man sich wieder in die Augen schauen kann, Vergebung macht das Herz frei, so dass wir trotz aller Krise auch wieder Lobgesänge singen können, Vergebung setzt uns in Bewegung, weiter zu gehen. Darum stärken wir uns heute an der Mahl der Vergebung. Legen wir all das, was bei uns besser nicht geboren wäre, all das, was unser Herz schwer macht, bei Jesus auf den Tisch und greifen das Brot des Lebens, den Kelch des Heils, zur Vergebung der Sünden, damit die Müden wach, die Sünder gerecht werden, damit aus der Not neue Lobgesänge wachsen, und wir auch die Wege im Dunkeln gehen im Vertrauen auf sein Licht.