Weihnachten, die Nacht seiner heiligen Geburt, ist die Nacht des offenen Himmels: Der himmlische Glanz, in welchem der Engel des Herrn erscheint, blendet die Hirten, es überwältigt sie das Erschrecken vor der Macht des heiligen Lichtes. Und in allem Erschrecken die große Freude: Jesus ist geboren! Gottes Sohn kommt als Mensch zu uns Menschen! Dieses Geheimnis feiern wir mit allen Christen. Wir feiern den neuen Anfang, der schon die Vollendung in sich schließt, wir feiern die Geburt, die uns den Himmel auf die Erde bringt. Nun ist der Weg offen zum Himmel.
Weihnachten als Fest des offenen Himmels. Auch Stephanus, so hörten wir in der Schriftlesung (Apostelgeschichte 7), schaut, bevor er gesteinigt wird, in den offenen Himmel und sieht Jesus zur Rechten Gottes stehn, Jesus als den Menschensohn. Der offene Himmel – über dem ersten Märtyrer Stephanus – der offene Himmel über den Hirten und über uns allen zur Weihnacht: Das gehört beides zusammen, das gibt dem Christfest große Tiefe und Weite. Der heutige Predigttext erzählt ebenfalls von einem Blick in den offenen Himmel, von der Schau des Sehers Johannes auf Patmos.
(Lesung des Predigttextes, Offenbarung 7, 9-17)
Wir schauen mit dem Seher Johannes eine himmlische Szene. Was hier geschieht, ist dasselbe, was auch in der heiligen Nacht geschieht und auf Erden beginnt: Die Anbetung und der Lobpreis Gottes. Die himmlischen Heerscharen sind auf dem Plan, hier wie dort, und alles wird in das Gotteslob einbezogen, alle Kreaturen und eine unzählige Schar von Menschen, die vom Licht Gottes durchdrungen sind: Sie stehen vor dem Thron Gottes und vor dem Lamm und singen ihm den Lobpreis ewiger Anbetung, und die himmlischen Chöre antworten ihnen. Das bekommen wir heute zu sehen, zu schauen! Denn Weihnachtsfreude ist Vorfreude auf den Himmel. Weihnachten feiern, das heißt: Mit den Hirten und den Weisen und den Engeln Jesus anbeten, unseren Heiland und Erlöser, er ist derselbe, der in dieser himmlischen Szene vor Gottes Thron als das Lamm erscheint: Dies Geheimnis wird angebetet – das Lamm in seinem Blut ist der ewige Sieger, „Victor qia victima“, sagten die Kirchenväter, Jesus ist der Sieger als das Opfer, das uns befreit. Was im Himmel gefeiert wird, ist der Sieg der Liebe Gottes, die uns seinen Sohn geschenkt hat, und in ihm durch Glauben und Vertrauen den Weg ins ewige Leben.
Darum sind wir heute am Christfest eingeladen, mit Johannes auf Patmos den visionären Blick in den Himmel zu tun. Wir sehen durch den offenen Himmel hindurch die Schar der Vollendeten und Erlösten, die im Himmel mit den Engeln Gott ohne Ende loben. Die Palmen in ihren Händen sind Zeichen des Sieges. Die weißen Kleider zeigen an, daß sie gereinigt und geläutert, in der Vollendung und am Ziel sind. Durch Jesus, das Lamm Gottes, haben sie dieses Licht, diese durchdringende und verwandelnde Reinheit bekommen. „Sie haben ihre Kleider gewaschen und weiß gemacht im Blute des Lammes“, so heißt es in geheimnisvoller Symbolsprache.
Aber im Himmel ist die Erdenschwere nicht vergessen, man weiß dort um das Leid und die Tragödien der Erde. Danach wird im Himmel durchaus gefragt, darauf hören wir eine Antwort: „Diese Weißgekleideten“, so wird gefragt, „wer sind sie und woher sind sie gekommen?“ So wird der Seher gefragt. Er weiß es nicht, aber er bekommt zur Antwort: „Das sind die, die aus der großen Drangsal kommen“. Aus den vielfältigen Prüfungen des Erdenlebens. Es ist die Schar derer, die wie Stephanus ihr Glaubenszeugnis für Jesus mit dem Leben bezahlt haben . Es ist die Schar der Märtyrer, der Blutzeugen aller Zeiten. Es sind die Glaubenden alle, die Gott hindurchgeführt hat durch die Krisen und Anfechtungen des Lebens, durch alles trostlose Dunkel geschichtlicher Tragödien, hinein in den ewigen Trost seiner heilenden Nähe. Wunderbar, wie hier das Aufatmen der Erlösten im Himmel beschrieben wird: „Der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen zelten. Wie ein schützendes Zelt spannt er über sie seinen lichte bergende Gegenwart. Und sie finden zu den Quellen des Lebens. Wie finden sie dort hin? „Das Lamm, das in der Mitte vor dem Thron steht“, so hören und schauen wir es hier, „das Lamm wird ihr Hirte sein und wird sie führen zu den Wasserquellen des Lebens. Und Gott wird alle Tränen abwischen von ihren Augen“.
Gibt es eine schönere und tröstlichere Beschreibung der Seligkeit, zu der uns Jesus erlöst hat, auf die wir hoffen und auf die wir uns freuen dürfen? Dieses Bild weckt unsere Sehnsucht. Wie aber kommen wir dort hin? Einfach, indem wir eines Tages sterben und dann automatisch hinübergleiten ins bessere Jenseits? Dass das so nicht stimmen kann, spüren wir wohl selbst. So wie wir sind und gelebt haben, ergibt sich nicht von selbst die himmlische Hoffnung. Wir stehn vor Gott mit leeren Händen, aber wir erhoffen und erbitten seine Gnade in Jesus Christus. Wir strecken unsre Sehnsucht und unsre leeren Hände ihm entgegen. Wir üben das an Weihnachten, indem wir knien vor dem Kind in der Krippe, das der Herr der Welt und der Sieger ist über alle Abgründe der Hölle. In ihm ist Gott selbst auf die Erde gekommen. Seit der Geburt in Bethlehem ist Gott nicht bloß abstrakt überall und nirgendwo, wie unser Verstand es theoretisch beschreiben mag, sondern Gott ist Mensch geworden im Sohn, damit wir ihn anbeten können, damit wir ihn lieben und ihn umfassen können, schon hier unterwegs auf Erden und dann einmal in der Herrlichkeit, dort vor dem Thron, wo sie ihn alle anbeten und loben ohne Ende.
Sie alle miteinander loben Gott, die himmlischen Heerscharen, die geheimnisvollen vier Tiere, jene Ältesten, die voller Weisheit sind und uns trösten und raten – ich denke, das sind die Heiligen der ganzen Kirchengeschichte, es sind die Glaubenszeugen, die das gelebt haben, was uns Jesus geschenkt und vorgelebt hat, und die es jetzt schauen dürfen, was sie geglaubt haben. Zum Beispiel Stephanus, der für seine Mörder betete. Oder Dietrich Bonhoeffer, der seine Mitgefangenen tröstete. Oder Oskar Romero, der Bischof von San Salvador, der Freund der Armen, der in der Messe erschossen wurde. Oder Frère Roger Schutz, der Prior der Brüder von Taizé, der im Gottesdienst ermordet wurde. Von ihnen allen ist hier gesagt, dass Gott sie ewig trösten wird, eine Gegenwart leuchtet über ihnen, umgibt sie wie ein bergendes Zelt, „sie werden nicht mehr hungern noch dürsten, weder Sonne noch Gluthitze wird über sie fallen“.
Wie ermutigend rührt uns das an, wie tut uns das gut, dieser Blick in den Himmel, dieser Aufblick zu dem Gott, der alle Tränen abwischen wird von unseren Augen. Dieser Trost, der uns aufblicken lässt, leuchtet uns auf, wenn wir einfach und gläubig Weihnachten feiern, wenn wir einstimmen und singen: „Welt ging verloren, Christ ist geboren, freue, freue dich, o Christenheit!“ Das stärkt uns und das spornt uns an, mit allen, die überwunden haben und nun dort im ewigen Licht stehn, auch in dunkler Nacht durch alle Prüfungen hindurch Gott treu zu sein und ihn auch im Leiden zu preisen.
So vertieft der zweite Weihnachtstag als der Gedenktag des Erzmärtyrers Stephanus unsere Weihnachtsfreude wunderbar, verankert unsere Hoffnung neu und beflügelt unsere Sehnsucht neu. Wir werden unseres Lebens froh. Wir fassen ihn wieder tiefer, den Sinn des Menschseins. Wer sind wir denn, wir Menschen auf Erden? Wir sind zum Schauen geboren und zur Freude bestimmt. Denn Jesus kam vom Himmel auf die Erde, damit wir wissen, wo unsere Heimat ist. „Wo ist der Freuden Ort? Nirgends mehr denn dort, da die Engel singen mit den Heil`gen all und die Psalmen klingen im hohen Himmelssaal – eia, wär`n wir da, eia wär`n wir da!“
Der Friede Gottes, der all unser Begreifen übersteigt, wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.