Weihnachtskrönung

Wie das Kind in der Krippe die Corona-Schwermut besiegen kann

Predigttext: Hebräer 1,1-4
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 26.12.2020
Kirchenjahr: Christfest (2)
Autor/in: Pfarrer PD Dr. Wolfgang Vögele

Predigttext: Hebräer 1,1-4 (Übersetzung nach Martin Luther)

Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welten gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name.

 

 

zurück zum Textanfang

Corona-Schwermut

Wer gerne Glühwein trinkt und noch lieber an Marzipanbroten nascht, der wird sich gelegentlich die selbstkritische Frage stellen, ob beides mit dem kleinen Kind in der Krippe von Bethlehem so viel zu tun hat.

Aber im Moment, da die Holzhütten der Weihnachtsmärkte geschlossen sind und sich die Menschen in freiwillige Isolation begeben haben, wird allen schmerzlich bewußt, daß an Weihnachten vieles schmerzlich fehlt, wenn man es allein, in Lockdown oder gar Quarantäne, feiert. Videokonferenzen mit den Onkeln, Tanten und Opas und Streams von ‚Oh du fröhliche‘ können nicht ersetzen, was Weihnachten auch ausmacht:

die Gemeinsamkeit, das Zusammensein mit der Familie, die Weihnachtsfeiern im Betrieb, die Weihnachtskarten, die an entfernte Verwandte und Kollegen erinnern, das gemeinsame Raclette oder der Kartoffelsalat mit Würstchen in der Großfamilie, das gemeinsame Schmücken des Weihnachtsbaums.

In diesem Jahr haben vielen Großeltern nicht die Reise zu den Enkeln angetreten. Erwachsene Töchter und Söhne haben Vater oder Mutter nicht aus der Seniorenresidenz geholt, um die Weihnachtstage gemeinsam zu Hause zu verbringen.

Aus medizinischen Gründen mag das alles vernünftig und angemessen sein, aber es schmerzt doch sehr, die eigenen Lieben über die Feiertage nicht um sich herum zu haben. Isolation ist ein Auslöser für verbreitete Corona-Schwermut. Am Ende eines schrägen Jahres, in denen wir Wörter wie Inzidenz, Lockdown und Reproduktionsrate gelernt haben, folgt ein schräges Weihnachten.

Es ist ein Weihnachten, das aus dem gewohnten festlichen Rahmen fällt. Wenn Weihnachten bisher bedeutete, wieder einmal mit dem Bruder, den man eigentlich nicht mag, eine Tasse warmen Tee zu trinken und ein Lebkuchenherz zu essen, dem Kollegen, mit dem man sonst nicht redet, bei der Weihnachtsfeier ein paar Worte zu wechseln, dann fällt das Wiedersehen in diesem Jahr weg:

Die Menge der vielen Menschen ist nicht verschwunden; nur hockt jeder in seinem Wohnzimmer, vor seinem Tannenbaum und denkt an diejenigen, die er sonst, in normalen Jahren, herzlich umarmt und ihnen ‚Fröhliche Weihnachten‘ gewünscht hat.

Ich halte es für ganz selbstverständlich und vernünftig, den Kontakt mit anderen Menschen, wo es möglich ist, zu vermeiden, aber es muß auch möglich sein, ein wenig Traurigkeit darüber zuzulassen. Weihnachten verträgt keine Isolation. Eigentlich soll es Türen öffnen und nicht schließen. Weihnachten steht für Mauerfall, nicht für Mauerbau.

Krippe und Krönung

Allerdings: Wer auf die Krippenfiguren vor dem Lametta blickt, der erinnert sich, daß auch Josef und die hochschwangere Maria gerade zur Zeit von Wehen und Geburt von allen anderen Menschen verlassen waren. Bei der Geburt halfen keine Hebamme und kein Frauenarzt. Als erstes kamen viel später Hirten und Engel dazu, noch später die Weisen aus dem Morgenland.

Der unbekannte christliche Theologe, der den Hebräerbrief geschrieben hat, kannte vielleicht die Krippengeschichte aus Bethlehem gar nicht. Er platziert statt dessen das kleine Baby aus der Krippe unmittelbar in den Himmel. Aus der Geburtsszene im Elend der Krippe wird eine feierliche Krönungszeremonie.

Gott setzt einen Erben ein, der als sein Stellvertreter in der Welt handelt. Wenn das geschieht, so der theologische Denker des Hebräerbriefs, dann verändern sich Himmel und Erde. Die Ordnung des gesamten Kosmos wird neu justiert. Wenn Gott zum kleinen Baby wird, dann verändern sich Glauben und Vertrauen von Grund auf.

Damit fällt nicht der Glaube neu vom Himmel. Die Geschichte Gottes mit den Menschen war bis zur Geburt Jesu bestimmt durch Gottes Liebe zum Volk Israel. Gott hat Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit, er hat es aus der Babylonischen Gefangenschaft zurückgebracht, er hat mit dem Volk Israel einen bleibenden Bund geschlossen.

Gottes Liebe richtet sich auf das kleine Israel, den Spielball zwischen den Großmächten Babylon und Ägypten. Immer wieder riefen die Propheten von Jesaja über Ezechiel bis Amos dazu auf, im Vertrauen auf Gott den politischen und privaten Weg in dem Bewußtsein weiterzugehen, daß er Frieden, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit schaffen will.

All das ist durch Jesu Geburt nicht aufgehoben. Vielmehr wird es verstärkt und ergänzt. Das Baby, das uns Weihnachten erleuchtet, rückt in den Fokus himmlischer und irdischer Aufmerksamkeit. Der Theologe des Hebräerbriefs entwirft eine gewaltige Vision, in deren Mittelpunkt das friedlich schlafende Baby aus der Krippe liegt. Das Baby wird erhöht zum Prinzen, ja zum König. Die Vision umfaßt Momente einer Krönungszeremonie. Der Autor redet davon, das Baby sei der Abglanz Gottes, in ihm würde sich seine Herrlichkeit spiegeln. Er sei in besonderer Weise als Gottes Ebenbild geschaffen worden.

Man kann sich diese Vision wie eine Krönung vorstellen, aber seit der Fernsehserie „The Crown“ wissen wir klatschsüchtigen Menschen, die sich nach Neuigkeiten über dänische, schwedische und englische Königshäuser sehnen, ganz genau, daß es in Thronsälen und Ankleideräumen, im Angesicht von Hofpersonal und Kammerzofen sehr, sehr menschlich und verletzend zugehen kann. In einem höheren und tieferen Sinn trifft das auch für diese Krönungsvision zu: Gott wird in diesem kleinen Baby menschlich.

Jan van Eycks Altar in Gent

Wenn man sich diese Vision bildlich vorstellt, so kommt dem Leser und der Hörerin unweigerlich ein Altarbild von Jan van Eyck in den Sinn. Mit dem wunderbaren Altar in der Kathedrale St. Bavo in Gent haben die Brüder van Eyck der biblischen Vision des kleinen weihnachtlichen Kindes eine großartige bildliche Gestalt gegeben.

Genter Altar, St.-Bavo-Kathedrale, Gemälde von Hubert und Jan van Eyck, 1432 od. 1435

Alle auf dem Bild Anwesenden sind konzentrisch, nach der im Mittelalter geltenden Reihenfolge, um das Zentrum herum angeordnet: die kirchlichen und die weltlichen Würdenträger, Bürger und Adel, Engel und Erzengel. Alle huldigen Christus, von Lukas als kleines Baby, vom Hebräerbrief als Erbe beschrieben. Jan van Eyck hat unter vielen biblischen Bezügen ein Bild aus der Offenbarung des Johannes gewählt. Er hat Christus, das weihnachtliche Baby, als Lamm gemalt. Es würde sich nun lohnen, die zahlreichen biblischen Details des Altars zu beschreiben. Ich will mich auf ein einziges Detail konzentrieren. Denn dieser Altar ist nun jahrelang restauriert worden. Seit ein paar Monaten kann man ihn wieder in der Kirche betrachten, und er sieht so aus, wie ihn van Eyck ursprünglich gemalt hat. Aller Schmutz, alle angeblichen ‚Verbesserungen‘ aus vergangenen Jahrhunderten sind verschwunden.

Diese Verbesserungen betrafen auch  den Kopf des Lammes. Bisher waren alle Kunsthistoriker der Meinung, dieses Lamm sei besonders ‚tiergerecht‘ und naturgetreu gemalt worden. Nun hat sich durch das Abtragen sekundärer Farbschichten herausgestellt, daß das Lamm die Betrachter mit ganz menschlichen Augen anblickt. Außerdem fällt auf, daß seine Augen den Betrachter zu verfolgen scheint. Denn wo immer er sich hinstellt, vor den Altar oder stärker seitlich, die Augen des Lammes ruhen auf dem Betrachter. In dieser Menschlichkeit des Lammgesichts ist ein besonderer theologischer Sinn zu erkennen, den der kluge und theologisch gebildete Maler in jedem Fall beabsichtigt hat.

Und dieser weihnachtliche Sinn bringt auf den Punkt, was auch der unbekannte Theologe des Hebräerbriefs seinen Lesern sagen wollte. Wer Christus anblickt, der blickt einen Menschen an – aber zugleich blickt er auch auf die Barmherzigkeit und Gnade Gottes. Wie im Altarbild van Eycks Christus als Lamm im Mittelpunkt steht, so steht im Hebräerbrief Christus, niemand anderes als das Kind in der Krippe, im Mittelpunkt der kosmischen, von Gott gewollten Ordnung.

Im Krippenbaby wird Gott Mensch. Bei Lukas trägt es nur Windeln, im Hebräerbrief trägt es einen Krönungsmantel. In dieser kurzen Passage aus dem Brief wird Christus dreifach transparent: Krippe – Krönung – Kosmos. Christus liegt als Baby in der Krippe, bei der Krönung wird er zum Erben ernannt, und im Kosmos wird er zum Ebenbild Gottes.

Alle drei Begriffe, aber auch das Altarbild van Eycks könnten nahelegen, daß hier soziale Hierarchien gestiftet und theologisch verbrämt werden, aber das wäre ein Mißverständnis. Die sozialen Ordnungen werden nicht theologisch verbrämt, sondern gesprengt. Das Baby wird in der Krippe geboren, nicht im Fünfsternehotel. Wenn der Gott, der die Welt einmal erschaffen hat, sich mit diesem Baby identifiziert, so heißt das: Vor Gott sind alle Menschen gleich. Alle Menschen sind auf den Glauben an dieses Baby gewiesen.

Tragen und Reinigen

Bilder, auch Visionen wie die aus dem Hebräerbrief, verführen oft dazu, die Dinge ganz statisch zu betrachten, so als sei – wie es sich auf einem Bild verhält – nichts beweglich. Die Vision aus dem Hebräerbrief zeigt: Das Gegenteil ist der Fall. Es geht nicht um eine Momentaufnahme, auch nicht um Architektur oder Statik, so wichtig beides sein mag. Die Vision des Hebräerbriefs ruft einen tätigen, handelnden Christus vor Augen. Und sie zeigt einen Gott, der sich der Welt und den Menschen in Barmherzigkeit und Gnade zuwendet.

Die Bilder aus dem Hebräerbrief sprechen die Sprache der starken Verben: Christus trägt alle Dinge und reinigt die Menschen von Sünden. Es ist entscheidend, diese einzige Welt, die wir haben, zu erhalten und nicht in ein Ungleichgewicht fallen zu lassen, von dem sie sich nie wieder erholt. Es wird hervorgehoben, all den beabsichtigten und unbeabsichtigten Fehlern der Menschen, die zu Leid, Enttäuschung und Verbitterung führen, etwas entgegenzusetzen.

Es geht um eine Botschaft des Friedens, der Gnade und der Barmherzigkeit, die sich still und unaufdringlich, aber eben nachhaltig unter den Menschen durchsetzt. In den Vordergrund der Vision rückt das Vertrauen, daß diese Welt getragen ist, daß Gott sie mit seiner Barmherzigkeit nicht alleine läßt.

Ich bin überzeugt, daß diese Botschaft auch bei den Menschen verfängt, die wegen des Lockdowns Gefühlen und Gedanken der Schwermut Raum geben. Die Vision des Hebräerbriefs zeigt: Weihnachten ist der kindliche Widerspruch Gottes gegen die Widersprüche der Welt. Diese Widersprüche bedrängen die Menschen, angefangen von der Epidemie, unter der wir leiden, bis zu den Zweifeln an Gottes Gegenwart und Gnade. Das Kind in der Krippe braucht den Schutz seiner Eltern und Mitmenschen, aber in Wahrheit verhält es sich ganz anders: Das Kind, dieses Kind bringt den Menschen Gnade und Barmherzigkeit.

 

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Weihnachtskrönung

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Im diesem Corona-Jahr fehlt uns Weihnachten viel Vertrautes. Aktuell beginnt so die Predigt. Wir sitzen im Wohnzimmerund denken nur an unsere Lieben.Weihnachten aber verträgt keine Isolation. Gott setzt Jesus als Erben ein der uns wie schon den Israeliten im AT uns jetzt voll seine Liebe schenkt. Das bestärkt Pastor Dr Vögele durch das wunderbare Altarbild von van Eyck. Das Kind in der Krippe wird bei der Krönung zum Erben Gottes und im Kosmos zum Ebenbild Gottes. Diese Vision trägt unsere Welt auch in bedrängter Zeit und läßt uns hoffen. Das Kind wird uns durch Jesus universal Gottes Barmherzigkeit bringen. – Diese Perspektive wird heute zu wenig gepredigt. Nach Teilhard de Chardin ist uns allen zwar klar, dass uns durch unsere christliche Kultur die Technik und Wissenschaft eine neue Stufe der Evolution gebracht hat. Wir Christen sollten dran glauben, dass mit Jesus das Reich Gottes und die Christosphäre Fortschritte macht an Humanität. Fast alle tragen so z.B. aus Verantwortung den Maskenschutz. Diese Predigt ist sehr prägnant und klar und hoffnungsvoll.

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.