Weisheit führt in den Glauben
Auf Zeichen von Gottes Gegenwart achten
Predigttext: Epheser 5,15-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt,
nicht als Unweise, sondern als Weise,
und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.
Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.
Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt,
sondern lasst euch vom Geist erfüllen.
Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern,
singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen
und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles,
im Namen unseres Herrn Jesus Christus.
Einführung in Aufmerksamkeit, Weisheit und Glauben
Wenn Sie es wie ich mögen, samstags in eine kleine Buchhandlung zu gehen und in den Regalen nach frischem Lesestoff zu stöbern, dann machen Sie im Moment eine überraschende Erfahrung. Gleich am Anfang liegen gestapelt die Bestseller. Dort entdecken Sie in vielen Exemplaren das Buch einer jungen Frau. Der Titel des Buches lautet: 101 Essays, die dein Leben verändern. Das Buch steht trotz des drögen Titels auf den Bestsellerlisten ganz oben. Es wird im Bus und in der Straßenbahn gelesen. Die Leserinnen und Leser haben eine große Sehnsucht, etwas Neues aus ihrem Leben zu machen. Sie leiden unter ihrer dauernden Nervosität, sind unzufrieden mit Lebensverhältnissen und Lebenswelt, vergraben sich in ihrer Grübelei.
Die Buchautorin, eine kaum dreißigjährige Amerikanerin mit dem Namen Brianna Wiest, verspricht Besserung. Ihre kurzen Essays, jeder Abschnitt numeriert, zielt auf die Veränderung der Persönlichkeit: auf unbewusste Gewohnheiten wie Chipstüten, unterdrückte Gefühle wie verhagelte Kollegen, auf unterentwickelte emotionale Intelligenz, auf unaufgeräumte Kleiderschränke und Bücherregale, auf kluges Streiten, auf Selbstwertgefühl und komplette Neuanfänge, auf Verlustängste und kontinuierlichen Bewusstseinswandel. Das kann sehr anstrengend sein.
Wenn Sie dieses Buch im Regal der Buchhandlung Ihres Vertrauens sehen, es attraktiv finden und vielleicht kaufen, dann können Sie ein blaues Wunder erleben. Denn wenn Sie anfangen zu lesen und über hundert Mal danach handeln, dann bleibt kein Stein Ihres Ichs, Ihrer Lebensgeschichte und Ihrer Gewohnheiten auf dem anderen. Das könnte sehr ermüdend werden.
Und stellen wir uns vor, der unbekannte Christ, der den Epheserbrief verfasst hat, hätte in eine moderne Buchhandlung gehen können, ihm wäre dieses Buch sicher ins Auge gefallen, und er hätte es mitgenommen und für den Schluss seines Briefes genutzt. Vielleicht wäre er ein wenig skeptisch gewesen, wenn es darum geht, allein aufgrund der Lektüre einer Reihe von sehr allgemeinen Essays das eigene Leben vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Der unbekannte Briefschreiber gibt auch Ratschläge, wie die amerikanische Bestsellerautorin, aber er beschränkt sich auf ein paar Zeilen am Ende seines Briefes. Und seine Vorschläge sind nicht von überall her zusammengeklaubt, sondern sie leben aus der Tiefe des christlichen Glaubens. Es folgen also sechs kurze Essays, nicht länger als Abschnitte, sechs Chancen, christliches Vertrauen und seine Hoffnung ernst zu nehmen.
Sorgfalt und Weisheit
Wer im Glauben leben will, wird sanft zur Sorgfalt geführt. Sorgfalt steht gegenüber von Oberflächlichkeit und Achtlosigkeit und Gleichgültigkeit. Dem Gleichgültigen ist alles egal, er nimmt Dinge und Personen nicht ernst, er bleibt teilnahmslos, er entwickelt keine Liebe zu den Mitmenschen. Letztere nutzt er ausschließlich als Instrumente seines Wohlbefindens. Sorgfältige Menschen dagegen verhalten sich achtsam. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf die Kleinigkeiten des Lebens und entdecken im herbstlich braunen Ginkgoblatt, das vom Ast gefallen ist, die Schönheit der gesamten Schöpfung. In der Umarmung, die sie von anderen annehmen, und im tröstenden Wort entdecken sie einen Widerschein der Liebe Gottes zu den bedürftigen Menschen. Sie gehen achtsam mit den Dingen um und verschwenden sie nicht. Maßlosigkeit, Überkonsum, Mülldeponien mit Plastik- und Verpackungsmüll sind das Gegenteil solcher Weisheit. Sie bedeutet, die Zerbrechlichkeit der Welt anzuerkennen und ernstzunehmen und für das eigene Handeln daraus Konsequenzen zu ziehen.
Zeit auskaufen
Leben ist nicht stete Gegenwart, die sich nie auflöst und weder Vergangenheit noch Zukunft besitzt. Wer die Zeit auskaufen will, so die Formulierung des Briefes, der weiß, daß er eine Vergangenheit besitzt, aus der er kommt, eine Geburt, eine Familie, die Geschichte eines Erwachsenwerden. Genauso besitzt er eine Zukunft, die er nur unvollkommen berechnen kann. Den Menschen steht Zeit zur Verfügung. Aber diese Zeit ist eine Spanne. Die Gegenwart verlängert sich nicht unendlich in die Ewigkeit, sondern sie ist durch Sterben und Tod begrenzt. Darum gilt es zu überlegen, was Menschen mit dieser Zeit anfangen können, welche kleinen Schritte in Richtung Liebe, Gerechtigkeit und Lebenssinn sie unternehmen können. Das muss kein Mammutunternehmen sein. Der kleinste Schritt in Richtung auf Hoffnung gibt dem Leben einen Sinn. Und er fängt heute in diesem Gottesdienst an.
Den Willen des Herrn verstehen
Wer die Zeit auskauft und sich um Weisheit bemüht, der muss nicht unbedingt glauben. Er kann beide Aufgaben auch als philosophisches Programm verstehen. Aber für den Theologen des Epheserbriefs steht hinter Zeitbewusstsein und Weisheit ein Glaubensprogramm. Glaube und Weisheit gehen für ihn eine enge Verbindung ein. Lebenskunst wird zur Glaubenskunst. Wer die Zeit nutzt und sich um Weisheit bemüht, wird wie von selbst auf Vertrauen in Gott und seine Barmherzigkeit geführt. Begrenzte Zeit und das Wachsen hinein in die Weisheit führen wie von selbst zu der Frage, was sich hinter Leben, Gegenwart, Sterben und Tod verbirgt. Es führt zu der Frage, welchen Sinn dieses Leben macht.
Für den Briefschreiber, der sich um die Gemeinde in Ephesus bemühte, ging dieser Sinn nicht darin auf, dass er sagte: Gott hat die Welt geschaffen – in der Vergangenheit. Er sagt auch nicht nur: Gott wird diese Welt in ein neues Reich führen – in der Zukunft. Er sagt vielmehr: Gott ist stets gegenwärtig. Wir können in jedem Augenblick die Zeichen seiner Gegenwart erkennen. Dafür braucht es Achtsamkeit und Vertrauen. Dafür braucht es die Geschichten der Bibel, um in ihrem Licht die Gegenwart deuten zu können. Denn in dieser Gegenwart drängt sich viel zu oft das Gefühl auf, man könne mit Gott gar nicht rechnen.
In diesem schlimmen Jahr, das die Nähe eines Kriegs, Elend, Gewalt und Sorgen gebracht hat, muss ich das gar nicht groß ausführen. Sie alle verfolgen mit zunehmender Nervosität die Nachrichten oder lesen in den Zeitungen. „Die Tage sind böse“, heißt es im Epheserbrief, und dem ist aktuell gar nichts hinzufügen. Um so wichtiger, dass wir zum eigenen Trost und zum Trost anderer auf Zeichen von Gottes Gegenwart achten.
Heiliger Geist statt Himbeergeist
Wer auf Gottes Gegenwart achten will, muss nüchtern und aufmerksam sein. Der Briefschreiber wird da ganz konkret: keine Besäufnisse, keine Alkoholexzesse, kein Komasaufen. Denn Alkohol beschwingt nach dem ersten Glas, bei weiteren Gläsern und Flaschen allerdings betäubt er die Aufmerksamkeit. Betrunkene leiden unter eingeschränktem Gesichtsfeld, sie reagieren nicht mehr richtig und sind mehr mit sich selbst als mit anderen beschäftigt.
Achtung: Die Bibel verbietet hier nicht jeglichen Alkoholgenuss, sondern nur die Übertreibung, den Exzess. Alkohol ist auch nicht das einzige und entscheidende Thema in der Briefstelle. Am Nebenthema wird deutlich, was das wichtigste ist an einem Leben in Glauben und Vertrauen: Aufmerksam und mutig sein, offen werden für den Heiligen Geist. „Laßt euch vom Geist erfüllen!“ Was bedeutet das?
Man sagt ja, man könne die Weisheit mit Löffeln fressen, aber es ist nicht möglich, den Heiligen Geist wie ein Getränk zu sich zu nehmen. Der Geist, der weht wo er will; er beschränkt sich nicht auf die Felder der Frömmigkeit oder der Kirche. Er ist ein Zeichen von Gottes Gegenwart, dem sich diejenigen, die sich zu glauben bemühen, am besten in der Haltung des Abwartens nähern. Das mag merkwürdig klingen, aber der Heilige Geist lässt sich nicht herbeizwingen. Er ist das Geschenk der Gegenwart Gottes. Jeder kann ihn spüren, wenn er sieht, dass Liebe, Gerechtigkeit, Vertrauen unter den Menschen wachsen. Man muss nur warten können.
Singen! Singen! Singen!
Wer an „bösen Tagen“ trotzdem die Gegenwart Gottes spürt, der mag versucht sein, der Freude und dem Dank darüber Ton und Stimme zu verleihen: einstimmig und solo, wenn niemand begleiten will; mehrstimmig und virtuos, wenn Freunde und Mitglaubende dazukommen und gemeinsam das Lob Gottes anstimmen. Musik schafft auch der Trauer auf dem Friedhof Ausdruck und lässt bei aller Melancholie den Trost Gottes spüren. Die Psalmen der Bibel bieten sich dafür an, für Lob- wie Trauergesang. Jeder Kirchenchor und jedes Kantatenorchester bietet in der Gemeinde wöchentlich die Gelegenheit, dafür zu üben, für die Tage und Stunden, in denen der Dankbarkeit Ausdruck verliehen werden soll. Und eine kleine Erinnerung an den Essay davor: Gesang, Töne, Melodien erzeugen ohne Anstrengung und Rausch diejenigen Schwingungen, die Herz und Seele ergreifen – und damit Doppelkorn und Maßkrug überflüssig machen.
Danken
Die Passage aus dem Brief nach Ephesus begann mit der Erinnerung an die „bösen Tage“, die in der Gegenwart herrschen. Die Formulierung löst ein schweigendes Nicken bei uns aus, wir sind schockiert von den Raketen, die in Wohngebieten ukrainischer Städte einschlagen, von dem sinnlosen und überflüssigen Krieg, von der Kriegsgefahr in anderen Teilen der Welt, von der Unvernunft allgegenwärtiger Drohungen. Der Glaube ignoriert nicht die „bösen Tage“, er lässt sie gelten, und es ist vernünftig, sich Sorgen zu machen, erschrocken zu sein, mit den Angehörigen um Tote und Verletzte zu trauern und den Flüchtlingen zu helfen. Aber Trauer, Angst und Schrecken heben für glaubende Weisheit ein Grundgefühl von Dankbarkeit nicht auf.
Dies kann in Musik ausgedrückt werden, im Singen der alten Choräle und im Hören der Kantaten, aber auch – jeder weiß, daß die Konfirmanden anders denken – in Rap und Hiphop und Rhythm’n’Blues.
Gesungen, gesprochen oder gebetet – in all das mischt sich ein Grundton der Dankbarkeit. Wir danken Gott, dass er diese Welt und mich selbst geschaffen hat, gnädig am Leben erhält und in die Zukunft seines Reiches führt. Nur diese Dankbarkeit, die oft in den Hintergrund zu verschwinden droht, hält uns in den Zweideutigkeiten und Widersprüchen, im Grauen dieser elenden Welt am hoffnungsvollen Leben.
Es ist nicht nötig, das eigene Leben vom Kopf auf die Füße zu stellen. Selbsthilfe überfordert sehr oft die Leserinnen und Leser. Im Glauben und Vertrauen genügt es, an allen bösen Tagen, an jedem Tag kleine das Moment der Dankbarkeit zu entdecken.
Der Friede Gottes, der jeden Menschen annimmt und die Kriege dieser Welt übertrifft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Leser werden diese bemerkenswert seelsorgerliche Predigt in düsterer Zeit heute als Lichtblick des Glaubens lesen und ermutigt weitergehen. Sechs Ratschläge kommen aus der seelsorgerlichen Tiefe des christlichen Glaubens. Dadurch ist die Predigt gut zu verstehen und zu lesen. Die sechs Glaubenshoffnungen sind:
1. Achtsam die Schönheiten von Gottes Schöpfung als Liebes-Zuwendungen wahrnehmen und sich erfreuen. 2. Unsere Lebenszeit jeden Tag bewusst in jeder Stunde wahrnehmen und lebendig dabei den Sinn unseres Lebens erfahren und aufbauen.
3.Achtsam ständig Zeichen von Gottes Gegenwart und Liebe wahrnehmen auch von Mitmenschen. In schlimmer Zeit gilt das besonders. 4. Sich nie betäuben mit Alkohol !
5. Singen und Musik hören schenkt Gottes Nähe 6. Gott danken fürs Leben und die Liebe. So können wir ermutigt mit Jesus an der Hand weitergehen !
Leser