Weisheit und Einsicht

Jesu Leben – ein Leben in Vollkommenheit

Predigttext: Jesaja 11, 1-5(6-9)
Kirche / Ort: 14943 Luckenwalde
Datum: 26.12.2012
Kirchenjahr: Christfest (2)
Autor/in: Pfarrer em. Dr. Ulrich Kappes

Predigttext: Jesaja 11,1-5(6-9), übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984

!Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.  2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.  3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören,  4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.  5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. 

(6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben.  7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, daß ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder.  8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.  9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.)

Zum Predigttext und Kasus

Nach unserer Perikopenordnung von 1978 bildet Jesaja 11, 1 – 9 die alttestamentliche Lesung von Christfest II. Im römisch – katholischen Mess- Lektionar ist Jesaja 11, 1- 10 für den 2. Adventssonntag vorgesehen. Offenbar meinte man damit, das Element der Erwartung stärker betonen zu sollen als das der Erfüllung, was die Absicht der evangelischen Zuordnung ist. Im Anschluss an Otto Kaiser, Das Buch des Propheten Jesaja. Kapitel 1 – 12, Göttingen 1981,  sehe ich eine deutliche Zäsur zwischen 11, 1 – 5 und 6 -9. So „erscheint es … doch als geraten, nicht nur V.9, sondern auch die Verse 6 – 8 als thematische Ausweitungen von dem Kern des Orakels in den Versen 1 – 5 abzusetzen.“

Die Historizität der Jesajaworte ist umstritten. Während Hans Wildberger, Jesaja, Kapitel 1 – 12 , Neukirchen – Vluyn 1980, davon ausgeht, dass Jesaja sie selbst sagte und sie „nach dem Sturm der Zeit Sanheribs…(als) Schwanengesang“ eines ganz Großen versteht (S. 445), die beteiligten  Alttestamentler an „Der Bibel mit Erklärungen“, Berlin 1989, z. St., auch davon ausgehen, vermag sich Otto Kaiser dem nicht anzuschließen: „Entgegen der auch heute noch weit verbreiteten Ansicht vermögen wir auch in dem … auf die Verse 1 – 5 abgegrenzten Grundbestand keine jesajanische Prophetie zu erkennen, … denn es fehlt für eine solche der literarische Kristallisationspunkt.“  (S. 241)  Ich folge Kaiser nicht. Hinter einem so wortgewaltigen Text muss zwangsläufig eine große Persönlichkeit gesehen werden, ein Mensch der auf die Frage Adonajs: „Wen soll ich senden? … antwortete: „Hier bin ich, sende mich!“ (6,8) Ausgezeichnet bringt Kaiser den Charakter des Textes auf den Punkt, wenn er ihn als „eine eigentümliche Verbindung zwischen Elementen der alten judäischen Königstradition und weisheitlichem Denken“  beschreibt. Ich selbst meine, dass der weisheitliche Teil dabei dominiert. Eine Predigt, die am Text zu bleiben versucht, kann nicht anders als  - ut desint vires, tamen laudanda voluntas – diese „weisheitliche“ Passagen aufzunehmen. Eine gewisse Sprödigkeit vermochte ich nicht zu vermeiden.

Der 2. Weihnachtstag ist gleichzeitig dem hlg Stephan gewidmet, jenem Mann, den man als Sprecher„der Griechen“ im Apostelkreis verstand. Ein Hauch von griechischer Tugend liegt über Jesaja 11 und natürlich auch über Joh. 1.Von Krippe und Stall ist in keiner der Lesungen mehr die Rede. So sehr die Gottesdienstbesucher vielleicht auch eine Erinnerung daran erwarten, vermochte ich sie mit diesem Predigttext nicht herzustellen. Vielleicht sind andere erfindungsreicher. „Kein dogmatisches Lehrsystem, auch keine kirchliche Weltanschauung kann bei der Predigtarbeit zu Weihnachten helfen, sondern allein die Kunst der Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium. Diese Kunst soll nach Luther die Kunst des Lebens vermitteln.“(Manfred Josuttis, Texte und Feste in der Predigtarbeit. Homiletische Studien, Bd. 3, Gütersloh 2002, S. 69, zit. nach Johannes Block, Pred. med. z. St., in: Pastoraltheologie 2006, 11, 95. Jahrgang, Gütersloh 2006, 46 – 53, S. 52.)

Lied: „Es ist ein Ros entsprungen“´(EG 30).

 

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Bitte stellen Sie sich in Gedanken ein gleichseitiges Dreieck vor. Nun noch eines, dass Sie mit der Spitze nach unten auf dieses Dreieck legen. Sie haben dann einen sechseckigen Stern, den berühmten Davidsstern, vor sich. Wenn Sie jetzt in Gedanken einen Strich von Zacke zu Zacke des Davidssternes ziehen, entsteht ein Sechseck, Hexagon auf Griechisch. Das Sechseck oder das Hexagon ist in der Natur eine einzigartige Grundform. Um nur zwei zu nennen: Jede Bienenwabe ist im kleinsten Teil ein solches Sechseck, Schneeflocken und Eiskristalle haben sie. Etwas Besonderes ist das „Wintersechseck“ am Sternenhimmel, das man ab Mitte Januar bewundern kann. Es wird aus sechs, hell leuchtenden Fixsternen gebildet. Wir wissen nicht, welchen Stern die drei Sterndeuter einst sahen. Denkbar, dass es ein Stern im „Wintersechseck“ war, denn die Zahl Sechs steht für Gott und Gottes Allmacht. 1 – der Vater, 2 – der Sohn 3 – der heilige Geist. 1 + 2 + 3 ergibt 6. (Vgl. dazu u. a. Christoph Wetzel, Das Lexikon der Symbole, Darmstadt 208, S. 304.) Ich verlese uns den Predigttext des 2. Weihnachtstages. Obwohl die Zahl sechs nicht vorkommt, werden Sie diese entdecken.

(Lesung Predigttexte Jesaja 11, 1 – 5)

Zur Zeit Jesajas lag das Königtum Israels am Boden. Gegen den ausdrücklichen Willen Jesajas verbündete sich Hiskia mit Ägypten gegen die Großmacht der Assyrer. Damit war der Untergang des Nordreiches vorgezeichnet. Jesaja verheißt aus dem Baumstumpf „Isai“, lateinisch: Jesse, einen neuen König. Wie einst David aus der unbedeutenden und unbekannten Familie des Isai hervor kam, so der neue König. Wann und wie wird dieser König kommen? Am Ende der Tage. Er wird das Recht auf der Erde für alle Menschen begründen und er wird Frieden zwischen Mensch und Tier herbeiführen. Das ist keine Esoterik, keine Vergeistigung, sondern als historische Wirklichkeit gedacht. Bleiben wir bei dem zentralen Spruch über die Eigenschaft des verheißenen Königs. „Auf ihm wird ruhen  der Geist der Weisheit und Einsicht. Auf ihm wird ruhen der Geist der Entschlusskraft und der Willensstärke. Auf ihm wird ruhen der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht.“ Wie bei einem Sechseck werden dem künftigen König sechs Eigenschaften zugeschrieben, wobei immer zwei Eigenschaften zusammen gehören. Ein herausragender Ausleger des Buches Jesaja sagt über diese Worte:„Das Gedicht ist eine Perle der hebräischen Poesie.“ (Wildberger, a. a. O., S. 441) „Auf ihm wird ruhen  der Geist der Weisheit und Einsicht.“ Was heißt das?

Weise wird ein Mensch in der Regel erst im Alter. Weisheit entsteht, wenn ein Mensch aus Fehlern gelernt hat. Er hat seine Schlussfolgerungen aus den Fehlern anderer gezogen. Das ruht in ihm wie ein Bodensatz.  Der Weise ist souverän, weil er Erfahrungen gesammelt hat, die am Leben erprobt und gehärtet sind. Zur Weisheit gehört  nach Jesajas Spruch die Einsicht. Einsicht bedeutet, dass ein Mensch weiß, wie weit er gehen kann. „Ich sehe ein, so geht es nicht weiter. Ich sehe ein, dass ich zurückrudern muss. Ich sehe ein, dass ich von falschen Erwartungen aus gegangen bin.“ Einsicht wird, je älter ein Mensch wird und eine festgelegte Struktur zum Leben braucht, immer schwieriger. Einsicht setzt Beweglichkeit und den Mut zur Änderung voraus. „Auf ihm wird ruhen der Geist der Entschlusskraft und der Willensstärke.“ Versuchen wir den nun den Mittelteil des Gedichtes zu verstehen, so stellen wir fest:  Werden die ersten beiden Eigenschaften, Weisheit und Einsicht, der Vernunft zugeordnet,  so folgen jetzt auf dem Fuß Verhaltensweisen, die das  praktische Leben betreffen. Der Intellektuelle zaudert und zögert nicht selten. Er weiß und er kennt so viel und weiß nicht, wofür er sich entscheiden soll. Man sagt, dass Menschen, die nur klug sind, unfähig zum Regieren sind. Der Wille und das Zupacken müssen dazu treten. Der geweissagte König ist eine Einheit von Klugheit und Tatkraft. Er vermag einzugrenzen und zu handeln.

Schließlich das letzte Paar des Sechsecks in Jesajas Weissagung: „Auf ihm wird ruhen der Geist des Erkenntnis und der Gottesfurcht.“ Was hier mit „Erkenntnis“ beschrieben wird, lässt sich am besten mit einer anderen Bibelstelle erklären. Maleachi 2, 7 heißt es: „Des Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren…“  Für „Lehre“ steht im hebräischen Text das gleiche Wort wie bei Jesaja das Wort für Erkenntnis. Maleachi legt „Erkenntnis“ mit „Bewahrung der Lehre“ aus. Mit Maleachi sagen wir, dass „Erkenntnis“ bei Jesaja bedeutet, dass  der neue König in der Schrift beheimatet ist. Das letzte Element des Sechseckes heißt „Gottesfurcht“. Damit ist  nicht die Furcht der Menschen vor Gott wie im Mittelalter gemeint, sondern das Bewusstsein, sich einmal vor Gott zu verantworten zu müssen. Gottesfurcht ist das Gegenteil von billiger Gnade. Was sagen uns diese Worte Jesajas? Sie stehen im Alten Testament und sind darum zuerst Worte an Israel. Deshalb lassen wir diese Prophezeiung, die einen einzigartigen König für Israel voraussagt, als solche stehen. Sie ist Israels Eigentum. Wir schauen aber, ob das, was Israel für einen König der Endzeit hofft, eine Beschreibung unseres Herrn ist.

Der 2. Weihnachtstag ist der Tag de Betrachtung unseres Herrn. Nach dem Evangelium, das wir hörten und mit „Im Anfang war das Wort …“  begann, wird unser Herr als das „Wort“ bezeichnet. Kein Geringerer als Goethe hatte im Faust seine Schwierigkeiten mit dieser Übersetzung. Man kann mit gutem Recht auch „Im Anfang waren Weisheit und Einsicht“ übersetzen. (Hermann Kleinknecht, „logos“, in ThWb IV, S. 82, Z. 37 u. ö.) Nach Johannes ist Jesus dann der Inbegriff von Weisheit und Einsicht. Wir wissen zudem, dass Willensstärke und Entschlusskraft seinen  Weg über diese Erde prägten: Er hat sich aus seinem Elternhaus gelöst, ging zu Johannes an den Jordan, ließ sich taufen, reiste nach einem klaren Programm durch Israel und ging den Weg ans Kreuz. Schließlich: Immer wieder zog er sich zum Gebet zurück. Es gab offenbar keinen Pharisäer, der ihm in der Kenntnis der Thora und der Propheten gewachsen war. Es ist Schritt für Schritt, Zug um Zug in seinem Leben zu erkennen, dass die alte Weissagung von ihm gelebt wurde: Auf Christus ruhte  der Geist der Weisheit und der Einsicht. Auf ihm wird ruhte der Geist der Entschlusskraft und Willensstärke. Auf ihm wird ruhte der Geist des Glaubenswissens und der Gottesfurcht. In der Sprache des Gedichtes von Jesaja war sein Leben ein Sechseck der Vollkommenheit. Wie eine Kapelle auf sechseckigem Grundriss steht er vor unseren Augen.

Wer sind wir in dieser alten Weissagung? Im Unterschied zu jenem, der in seinem Wesen einem kunstvollen Hexagon glich, sind wir wohl in dem Text eher der tote Baumstumpf. Wir wissen, was es heißt, ein Baumstumpf zu sein, aus dem kein Leben kommt. Zur Genüge durchziehen Brüche und Risse unser Leben.  Dieser „Baumsstumpfgemeinde“ sagt das Evangelium, dass die Weisheit und Einsicht Gottes Mensch wurde. Gott senkte sich hinein in einen Acker, der aus lauter Baumstümpfen besteht. Das feiern wir zu Weihnachten. Indem er sich in diese Welt begab, in sie „einleibte“, bedeutet dies, dass der Baumstumpf, der mehr oder weniger vor sich hin welkt, nicht dahin siechen und sterben soll. „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Kraft, Gottes Kinder zu heißen“ heißen die letzten Worte des Evangeliums heute. Es liegt alles am „Aufnehmen“, an der Offenheit und Hinwendung zu ihm, ob Menschen Gottes Kinder werden. Gottes Kinder? Es sind die, bei denen ein winziger Reflex von der Lichtgestalt ihres Herrn zu bemerken ist. Worin besteht dieser Reflex? Menschen lassen sich von Vernunft und Einsicht leiten. Sie tun das als „Kinder Gottes“, der sich in dem Christus offenbarte. Sie leben damit, dass er sie stärkt, ihnen Willensstärke und Entschlusskraft schenkt. Sie haben verstanden, dass die Lehre der Schrift ihre Rettung ist. So mögen sie, die „Kinder Gottes“, in manchem ganz normalen Menschen gleichen. Ihre Kraft freilich und ihre innere Ausrichtung stammen von dem Mensch gewordenen Gottessohn, in dem sie das vollkommenste Hexagon der Menschheitsgeschichte erblicken.

 

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