“Wenn der Himmel in unsre Nacht fällt …”

Festtag Christi Himmelfahrt

Predigttext: Lukas 24,44-53
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 14.05.2015
Kirchenjahr: Christi Himmelfahrt
Autor/in: Elisabeth Matthay

Lukas 24,44-53(Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Er sprach aber zu ihnen:Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen:So steht's geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem und seid dafür Zeugen. Und siehe, ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheißen hat. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe.
Jesu Himmelfahrt
Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.

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Abschied

Das wissen wir alle, was das ist und wie das ist: Abschiedsschmerz. “Scheiden tut weh”, sagt der Volksmund. Abschiede, Trennungen gehören zu den traurigen Erfahrungen in unserem Leben. Wir würden sie gern vermeiden. Abschiednehmen fällt schwer, weil es bestätigt, daß etwas zu Ende gegangen ist. Eine Leere, vielleicht eine Ratlosigkeit wird spürbar oder eine Traurigkeit, die nur schwer auszuhalten ist. Um Abschied geht es auch im heutigen Evangelium, das von der Himmelfahrt Jesu erzählt. Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern. Der Sohn Gottes schickt sich an, diese Erde zu verlassen. Eigentlich eine Situation, die nur allzusehr Anlaß zu Trauer und Schmerz geben könnte. Doch davon ist in diesem Text erstaunlicherweise keine Spur zu finden. Ob es daran liegt, daß der Abschied hier in das wunderbare, lichtdurchflutete Bild von der Himmelfahrt gefaßt ist? Das hat ja etwas ganz Leichtes, Lichtes, Verklärtes. Aber halt! Da sind wir bereits ganz am Ende der Geschichte. Ende gut, alles gut? Ja, es ist alles gut in dieser letzten Begegnung Jesu mit seinen Jüngern. Nicht nur das Ende. Jesus hält nämlich für die Zurückbleibenden, uns eingeschlossen, unschätzbare Abschiedsgeschenke bereit.

Das erste Abschiedsgeschenk: Erkenntnisgewinn

Im Evangelium wird zunächst hervorgehoben, daß den Jüngern dank der Worte Jesu ein tieferes Verständnis der Schrift und damit ein überaus tröstlicher Erkenntnisgewinn zuwächst: “Da öffnete er ihnen das Verständnis, so daß sie die Schrift verstanden” (Lukas 24,45). Öffnen, das bedeutet etwas erschließen, eine neue Perspektive ermöglichen. Für die Jünger muß dieser neue “Durchblick”, dieses tiefere Verständnis der Schrift, so etwas wie ein existentielles Aha-Erlebnis gewesen sein. Zuvor wird an vielen Stellen hervorgehoben, daß die Jünger Jesu Wort von der Schrift, die sich an ihm erfüllen müsse, eben gerade nicht verstanden haben. Jetzt aber fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen: Jesus ist nur vordergründig und kurzsichtig betrachtet ein auf der Strecke Gebliebener. Im Licht der Schrift ist sein Schicksal ein erfülltes. Was doch wohl heißt, daß er dem, was mit seinem Leben gemeint war und was sein ihm wesensgemäßer Lebensauftrag war, treu geblieben ist; treu bis zur letzten Konsequenz. So hat er gerade in seinem Scheitern alles gewonnen. Das Kreuz ist in Wahrheit das große, unauslöschliche Pluszeichen, das ein für allemal vor sein Leben gesetzt ist, auch wenn menschliche Augen zunächst nur ein dickes Minus erkennen können. Wo die Jünger vorher nur Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit sahen, erkennen sie auf einmal, daß Jesu Schicksal eingeordnet ist in einen weitgespannten Heilszusammenhang. Welch jubelnde Befreiung, welch einen Vertrauenszuwachs kann das Geschenk einer solchen Bewußtseinserweiterung bedeuten! Wenn sich das scheinbar Sinnlose als das zutiefst Sinnhafte erweist, das scheinbar Vergebliche als die eigentliche Erfüllung, das Scheitern als der endgültige Sieg.

Das zweite Abschiedsgeschenk: Jesu Auftrag

Dieses tiefere Verständnis der Geschehnisse um Jesu Tod hat nun fast zwangsläufig zur Folge, daß die Jünger damit gedrängt und berufen sind, die Wahrheit, die sie erkennen durften, als Zeugen auch an andere weiterzugeben. Jesus beauftragt sie ausdrücklich, “daß gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung des Sünden unter allen Völkern”. “Buße zur Vergebung der Sünden” – das heißt doch im Klartext: Die Vordergründigkeiten, Oberflächlichkeiten, falschen Wertigkeiten, die ganze Scheinwelt, in der wir Menschen uns in der Regel eingerichtet haben, als brüchig zu entlarven und im Leben und in der Lehre Jesu eine neue, absolut verläßliche Orientierung aufzuzeigen. Damit stellt Jesus das Leben der Jünger in einen ganz weiten Aufgaben- und Sinnhorizont. Er läßt sie nicht im Leeren und mit der vernichtenden Bilanz zurück, auf einen Looser gesetzt zu haben, sondern verweist sie auf die zentrale Aufgabe ihres Lebens. Welch ein Geschenk, an etwas Großem und Gültigem mitarbeiten zu dürfen und damit zu der ureigensten Lebensaufgabe gefunden zu haben in der Gewißheit höchster Legitimation!

Das dritte Abschiedsgeschenk: “Kraft aus der Höhe”

Nun könnte man ja befürchten, die Jünger würden vielleicht verzagen angesichts der Größe der Aufgabe, die ihnen da von Jesus übertragen wird. Wie sollen sie, die sich ja selbst mit dem Verstehen so schwertaten, Jesu Leben und Werke und Lehre so verkündigen, daß sie andere Menschen damit erreichen und ihnen eine Umkehr, einen Neuanfang ihres Lebens ermöglichen? Jesus sieht diese Schwierigkeiten. Fürsorglich begrenzt er zunächst einmal den Aktionsradius der Jünger: “Fangt an in Jerusalem. – Ihr aber sollt in der Stadt bleiben”. Sie sollen nicht sofort “alle Völker ” in den Blick nehmen; das wäre nur entmutigend und demotivierend. Jesus weiß, daß Menschen aus eigener Kraft eine solch gewaltige Aufgabe nicht bewältigen können. Darum gibt er ihnen ein überaus tröstliches und Mut machendes Versprechen: Sie werden nicht alleingelassen mit dieser ungeheuren Aufgabe, sondern sie werden “ausgerüstet mit Kraft aus der Höhe”. Sie werden von Jesus selbst eine besondere Hilfe und Stärkung zugeteilt bekommen, die sie befähigt, ihren Auftrag zu erfüllen. Jesus läßt seine Leute nicht im Regen stehen, sondern versichert sie des Beistandes. Mit welcher inneren Ruhe und Gelassenheit und Zuversicht kann man ans Werk gehen in der Gewißheit höheren Beistandes!

Das vierte Abschiedsgeschenk: Segen

Dies ist die letzte Gabe, die Jesus den Seinen hinterläßt. Segnend entfernt er sich von ihnen. So ruht dieser Segen fortan für alle Zeiten auf den Jüngern, den Männern und Frauen, auf jedem Menschen, der zum Zeugen für Jesus wird. Dieser Segen ist Befreiung und Ermutigung zu dem Weg, der vor ihnen liegt. Er macht “zukunftsfähig”. Die Segensgebärde Jesu steht als das unverbrüchliche Zeichen der Gottesnähe fortan über ihrem Leben und Wirken. Sie sind nicht allein, sie bleiben nicht zurück mit leeren Händen: Die Verbindung mit Jesus wird bleiben, der sie vor seiner “Himmelfahrt” so reich beschenkt hat. Ja, dieser Segen mündet gleichsam in die “Himmelfahrt”, hat selbst emporhebende, himmelöffnende Kraft. Jesus nimmt die Jünger mit hinein in die göttliche Sphäre, sie erfahren schon jetzt als Zeugen, daß es einen Himmel gibt, einen Ort Gottes, der auch ihnen in Jesus nahe ist. Welch ein Geschenk, gesegnet, von Gott angenommen und bejaht zu sein.

Abschied zur Freude

Daher, weil sie so reich beschenkt sind, kann es ihn gar nicht geben, den Abschiedsschmerz. Es gibt stattdessen nur die große Freude: Freude über die geöffneten Augen, Freude über die Vollendung des Lebens Jesu, Freude darüber, sein Werk fortsetzen zu dürfen, Freude über Jesu Zusage seines weiteren Beistands, Freude darüber, daß sie Gesegnete sind. So können die Jünger gar nicht anders, als Jesus anzubeten und Gott zu preisen. Diese Grundhaltung der Freude, der Anbetung und des Lobpreises hat ja die Kraft, Menschen emporzuheben aus den Niederungen des alltäglichen, trivialen Lebens und ihnen einen Anflug von Himmel zu vermitteln. Denn Himmelfahrt ist kein exklusives Erlebnis Jesu, sondern auch uns zugedacht, wie es anklingt in dem neuen Lied: “Wenn der Himmel in unsre Nacht fällt und die Erde uns nicht mehr festhält, wenn uns aufgeht, wir dürfen hoffen, Gottes Zukunft steht allen offen: Dann gehen wir dem Himmel entgegen, und alle gehen mit. Dann gehen wir dem Himmel entgegen, und alle gehen mit”.

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