“Wenn Menschen gemeinsam träumen…”

Wachsam, weise, mutig für Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit eintreten

Predigttext: Epheser 5, 15 - 21
Kirche / Ort: St. Martinskirche / 32139 Spenge
Datum: 19.10.2014
Kirchenjahr: 18. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Brigitte Janssens

Predigttext: Epheser 5, 15 - 20 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

15 So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise,
16 und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit.
17 Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.
18 Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern laßt euch vom Geist erfüllen.
19 Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen
20 und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.

Exegetische (I.)und homiletische (II.) Überlegungen

I.

Der Epheserbrief ist ein Rundschreiben, mit dem sich der Verfasser an heidenchristliche Gemeinden der zweiten und dritten Generation wendet. In ihrem Zusammenleben als Gemeinde haben sich die Christen eingerichtet, konsolidiert und stehen zugleich vor der Herausforderung, sich in „bösen Zeiten“ jeweils neu den aktuellen Herausforderungen in der Gemeinde und im Gegenüber zur Welt zu stellen.

Deutlich in paulinischer Tradition stehend tritt beim Schreiber des Briefes die Kreuzestheologie zurück zugunsten einer engen und unauflöslichen Verbindung von Gottesdienst und Lebensführung. Im Licht Christi gilt es das Leben als Kinder des Lichts zu gestalten, damit sich Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit verbreiten (Eph 5, 8f). Das Doppelgebot der Liebe, Gott und den Nächsten zu lieben, darf nicht nur als Herzstück des Glaubens und christlicher Ethik geglaubt und bekannt werden. Es will umgesetzt und gelebt werden.

Als Weise sollen die Glaubenden jeden Tag neu verantwortlich gestalten, gefüllt vom Heiligen Geist in ihrem Denken, Reden und Handeln. Die gottesdienstliche Gemeinde, die Gemeinschaft mit Gott und untereinander, ist dabei Quelle der Vergewisserung im Glauben und Quelle der Kraft zur Gestaltung des Willen Gottes im Leben und im Alltag der Welt.

II.

Vergewisserung im gewachsenen Glauben, aber auch Ermutigung, sich den aktuellen Herausforderungen des Lebens in der Gemeinde und in der Welt zu stellen verbindet unsere Gemeinden mit denen, an die sich der Epheserbrief richtet. Unzweifelhaft ist das Doppelgebot der Liebe, das den Gottesdienst liturgisch in seinen Texten durchzieht, ein Herzstück christlicher Ethik, dass täglich neu bedacht und gelebt werden will. Zugleich ist da ein sehr genaues Empfinden dafür, dass auch wir in bösen Zeiten leben, denen wir scheinbar machtlos ausgeliefert sind und hilflos gegenüber stehen.

Gegen jede Resignation, gegen das Ausblenden einer zu bedrückenden Wirklichkeit oder die Flucht in eine heile Welt ermutigt der Predigttext zu Wachsamkeit, Weisheit und beherztem Mut – auch zu kleinen Schritten, direkt vor der Haustür. Denn dazu begabt Gott, dazu befähigt die Gemeinschaft mit ihm und untereinander.

Literatur

Dietrich Bonhoeffer, Ethik, 41 f., Gütersloh 1988, zit. nach Wilfried Lenzen z.St., in: Gottesdienst Praxis, VI.PR, Bd.4, Gütersloh 2014, S.75).

Lieder

"So jemand spricht: Ich liebe Gott" (EG 412)
"Such, wer da will ein ander Ziel" (EG 346)

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Wir leben in finsteren Zeiten. Ob wir am Morgen die Zeitung aufblättern, tagsüber die Nachrichten im Radio verfolgen oder abends vor den Fernsehnachrichten sitzen – es vergeht kein Tag, keine Stunde, in der wir nicht konfrontiert werden mit Bildern des Schreckens, der Zerstörung, des Leidens, denen Männer, Frauen und Kinder ausgesetzt sind. Menschen sterben bei den Konflikten in der Ukraine. Der Kampf um die Stadt Kobane ist nur ein Ausschnitt der Auseinandersetzung und Bedrohung der Kurden durch den IS-Terror, und in Afrika kämpfen Menschen gegen die Ebola-Epidemie. Und diese Aufzählung ist nur der Anfang einer noch viel längeren Liste von Krisen und Orten in dieser Welt, von Schicksalen, denen Menschen, Familien, ja ganze Bevölkerungsgruppen ausgesetzt sind. Wir leben in finsteren Zeiten. Da nutzt es nicht, die Zeitung ungelesen ins Altpapier zu werfen. Da hilft es nicht, den Fernseher auszuschalten und so die Wirklichkeit auszublenden, wie es Mackie Messer in seiner Moritat zu Beginn von Bertolt Brechts Dreigroschenoper versucht:

„Denn die einen sind im Dunkeln
und die andern sind im Licht
und man siehet die im Lichte
die im Dunkeln sieht man nicht.“

Wir leben in finsteren Zeiten. Das ist kein böser Traum, aus dem man einfach aufwachen und ihn dann verdrängen kann. Und auch, die im Finsteren leben, bleiben nicht im Dunkel, sondern treten hervor, kommen uns nahe – bis in unsere Mitte, in unser Land, in unsere Stadt, in unsere Gemeinde. Kurden, die unter uns leben, machen uns aufmerksam und erzählen vom Schicksal ihrer Familien. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine überschattet und belastet so manches Familienleben auch hier bei uns. Flüchtlinge aus aller Welt suchen Zuflucht und Schutz in Europa, in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen, in Spenge – und sind selbst hier noch nicht in Sicherheit, wie die in Ereignisse in Burbach nur gut 250 km erschütternd vor Augen geführt haben. Mit viel Einsatz und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sind in den vergangenen Tagen in unserer Kreisstadt Herford Überraschend und unangekündigt sind vor wenigen Tagen in unserer benachbarten Kreisstadt Herford 350 Flüchtlinge eingetroffen, für die mit viel Kraft und Einsatz der Verantwortlichen aber auch der Bürgerinnen und Bürger eine Unterkunft hergerichtet wurde.

Das Gefühl der Angst und Bedrohung, das Gefühl der Hilf- und Machtlosigkeit bei allen Versuchen, die eigene Verantwortung zu sehen und auch wahrzunehmen ist zum ständigen Begleiter auch in der Politik, bei den Hilfsorganisationen oder in unseren Kirchengemeinden geworden. Kann es überhaupt in solch finsteren Zeiten noch gelingen, unsere Liebe zu Gott in der Liebe zu unserem Nächsten, auch zu denen, die im Dunkeln sind, umzusetzen und zu leben? Da tut es gut, mit dem heutigen Predigttext einen Brief zu erhalten, der weder die finsteren Zeiten ausblendet noch die, die im Dunkel sind, sondern sie hereinholt in unsere Mitte, in unseren Gottesdienst. Als „Kinder des Lichtes“ werden wir im Brief an die Epheser an vielen Stellen angesprochen – allein dies eine Ermunterung, eine Ermutigung. Ganz konkrete Hilfestellungen bietet uns der Schreiber des Epheserbriefes heute an.

(Lesung des Predigttextes)

Als Kinder des Lichts liegt es in der „Natur der Sache“- nämlich an Gottes Gnade – , dass wir selbst die finsterste Wirklichkeit hell erleuchten und ausleuchten. Für die Kinder des Lichtes gibt es niemandem, der im Dunkeln erst übersehen und dann vergessen wird. Denn als von Gott Begnadete, als von dem Licht Jesu Christi Erleuchtete, haben wir die Begabung und auch Kraft, selbst einer bedrohlichen Wirklichkeit stand zu halten und uns ihr – bei aller eigenen Angst und Hilflosigkeit – ins Auge zu sehen. Dafür können wir Gott nur loben und danken, wie es der Briefeschreiber am Ende unseres Predigttextes tut. Was dann aus dieser Gottverbundenheit erwachsen kann und für uns als von ihm Begabte zu tun bleibt: wie wir in finsteren Zeiten leben sollen und denen, beistehen können, die wir als unsere Nächsten erkennen, benennt der Schreiber des Briefes in vier Stichworten: als Weise leben, die Zeit auskaufen, den Willen Gottes verstehen und einander ermuntern mit Lobgesängen.

Hineingestellt in finsteren Zeiten, in der uns Probleme und Konflikte zu überrollen drohen, wo die Not auch der fernen Nächsten uns immer näher kommt, bedeutet die Aufforderung zur Weisheit zunächst für mich Entlastung und zugleich Entschleunigung, weil sie mich zur Umsicht mahnt. Nicht jede vorschnelle Befürchtung ist ein wirklicher Grund zur Angst. Nicht jede plakative Schlagzeile und nicht jede noch so hochkarätig besetzte Talkrunde im Fernsehen hilft mir, die Guten von den Bösen zu unterscheiden. Eine Welt, in der nur noch schwarz-weiß gesehen, gehört und gedacht werden kann, mag zwar ein schnelles Einordnen von Fakten oder Menschen erleichtern, wird aber am Ende dazu führen, was nach Gottes Willen eben nicht sein soll und darf: „..man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht”.

Als Weise zu leben bedeutet für mich, sehr genau hin zu sehen und hin zu hören, z. B. nach der Ankunft der vielen Flüchtlinge in Herford oder auch bei uns in Spenge sowohl die vielen helfenden Hände zu unterstützen, aber auch die Sorgen der Anwohner ernsthaft an zu hören und zu bedenken, und vielleicht erst im Gespräch mit allen Beteiligten und Verantwortlichen verbesserte oder andere Lösungen zu finden. Als Weise zu leben, bedeutet für mich in unserer Gemeinde, dass Gespräch zwischen politischer und kirchlicher Gemeinde sowie den ehrenamtlichen Kräften, die sich um die Flüchtlinge bei uns bemühen, weiter zu führen und zu pflegen. Denn auch wenn es nicht sofort Patentlösungen gibt, so hilft das Miteinander reden und –tun, nicht nur den anderen, auch uns selbst, weil wir uns eingebunden wissen in ein Miteinander, das die vermeintlich zu schweren Lasten auf die Schultern Vieler verteilt. Als Weise leben bedeutet, immer wieder neu zu fragen, was der eine oder die andere gerade braucht, was ihm jetzt gerade Not tut oder einfach nur gut tut. Das mag zunächst sehr mühsam erscheinen und braucht bisweilen mehr Zeit, als wir zu haben glauben. Aber gerade diese kleinen Schritte sind Schritte aus der Mutlosigkeit heraus, sind Aktivitäten trotz und gegen das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit

Und wenn es in der 2. Aufforderung heißt, die Zeit auszukaufen, dann unterstützt diese Aufforderung uns im Mut zu den kleinen Schritten, weil es uns auch die begrenzten Zeiträume eines 24-Stunden Tages sehr genau ausleuchten lässt. Auch wenn die Lösung großer Probleme Zeit und Geduld braucht, können kleine Schritte oft sofort in die Wege geleitet werden. Wohl ist die persönliche Zukunft der Flüchtlinge in unserer Stadt für viele von ihnen noch ganz ungewiss, aber in der Gegenwart können sie sich bei uns willkommen fühlen, weil es Menschen gibt, die sie in der deutschen Sprache unterrichten und heimisch werden lassen, mit ihnen gemeinsame Fahrradausflüge machen oder sie einfach mitnehmen zum Sport oder zum Singen.

Wie es den sehr individuellen Blick braucht, um zu erkennen, was dem notleidenden Nächsten gut tut, braucht es ebenso das ganz genaue Hinhören auf den Willen Gottes, um sich abzugrenzen von Menschen verachtenden Meinungen oder Trends und sich dort einzubringen, wo es um Gottes- und der Menschen willen Not tut.
Was Dietrich Bonhoeffer in den finsteren Zeiten des 3. Reiches in seiner Ethik schrieb, kann auch heute Leitlinie und Maxime unseres Denkens und Handelns sein: „Der Wille Gottes kann sehr tief verborgen liegen unter vielen sich anbietenden Möglichkeiten. Weil er auch kein von vornherein festliegendes System von Regeln ist, sondern in den verschiedenen Lebenslagen ein jeweils neuer und verschiedener ist, darum muß immer wieder geprüft werden, was der Wille Gottes sei. Herz, Verstand, Beobachtung, Erfahrung müssen bei der Prüfung miteinander wirken. Eben weil es hier nicht mehr um das eigene Wissen um Gut und Böse, sondern um den lebendigen Willen Gottes geht, eben weil … es allein in der Gnade Gottes steht, daß wir seinen Willen erkennen, und eben weil diese Gnade jeden Morgen neu ist …, darum steht es mit diesem Prüfen des Willen Gottes so ernst.«

Weil es mit dem Prüfen des Willens Gottes so ernst steht, deshalb ist es gut, dass der Schreiber des Epheserbriefes die finsteren Zeiten, in denen wir leben, in unseren Gottesdienst hereingeholt hat. Denn hier, im Gottesdienst, sind wir verbunden mit ihm und untereinander. Wir dürfen uns getragen und gestärkt fühlen – von ihm und voneinander, und wir brauchen nichts und niemand ausblenden wie einen bösen Traum, aus dem man am Morgen aufwacht und versucht, ihn so gut wie möglich zu verdrängen. Stattdessen lasst uns gegenseitig mit unseren Liedern ermuntern und gemeinsam träumen. Denn Gott wird unsere Herzen und Sinne mit seinem Geist füllen, damit Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit kein Traum von einer heilen Welt bleiben, sondern Wirklichkeit werden und sich verbreiten, wie es ein Kanon Ludger Edelkötters zu den Worten Dom Helder Camaras besingt: „Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn Menschen gemeinsam träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit”.

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Ein Kommentar zu ““Wenn Menschen gemeinsam träumen…”

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Wir leben in finsteren Zeiten. Das ist das Thema, welches Pfarrerin Janssens im ersten Drittel der Predigt von allen Seiten mitfühlend und aktuell bedenkt. Die Christen aber sind Kinder des Lichts. Gegen das Finstere setzt sie vier Themen und Aufforderungen aus dem Predigttext: 1. Als Weise leben 2. die Zeit auskaufen 3. den Willen Gottes verstehen und 4. einander ermuntern mit Lobgesängen. – Sehr anrührend ist an dieser Predigt die mehrfache engagierte Aufforderung, den Flüchtlingen zu helfen. Tiefsinnig ist das Zitat von Bonhoeffer. Die Frage ist, ob das Dunkle in depressiver Früh- Herbstzeit nicht zu ausgibig besprochen wird, um das Licht des Evangeliums danach noch genug leuchten zu lassen. Übrigens hat ein Chef- Journalist der Zeitschrift der Stern noch im Juli behauptet, dass wir Deutschen für uns genommen als Oase die glücklichste Phase unserer Geschichte erleben.

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