Predigt

"Wenn sie in meinem Rat gestanden hätten..."

Menschenwort und Gotteswort

PredigttextJeremia 23,16-29 (mit Einführung)
Kirche / Ort:Magdeburg
Datum:02.06.2024
Kirchenjahr:1. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Pastor Dr. habil. theol. Günter Scholz

Predigttext: Jeremia 23,16-29 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch, sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. 17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen –, und allen, die im Starrsinn ihres Herzens wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. 18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? 19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. 20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. 21 Ich sandte die Propheten nicht und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen und doch weissagen sie. 22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. 23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? 24 Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR. 25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. 26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen 27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, so wie ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? 28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der HERR. 29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Verkündigungsorientierte Exegese

Jeremias Worte gegen die falschen Propheten aus der Zeit Zedekias haben überzeitliche Bedeutung. Darum hilft eine klassisch historische Exegese nicht weiter, sondern eine Konfrontation dieser langen Perikope mit anderen biblischen und außerbiblischen Texten.

Ich strukturiere das kunstvolle „Gewebe“ wie folgt:

a) Das Bild der falschen Propheten (23,16-18.21-22.25-28) b) Das Bild Gottes in seiner Ambiguität und All-Präsenz (23,19-20.23-24.29)

Ich werde nicht über das ambivalente Gottesbild predigen, sondern über falsche Propheten. Daher nehme ich die entsprechenden Verse ins Visier.

Wer ist ein rechter, wer ein falscher Prophet?

Grundsätzlich hat sich der Heilsprophet, nicht der Unheilsprophet zu rechtfertigen (vgl. Jer 28,9). Im Einzelnen gilt:

Wer sein eigenes Wort als Herrenwort ausgibt, ist ein falscher Prophet (Jer 23,31; vgl. Hes 13,4-9; Dtn 18,20). Wer Frieden prophezeit im Namen des Herrn, ohne beauftragt zu sein, ist ein falscher Prophet (Jer 23,32f; vgl. Jer 14.14f; Hes 13,10). Wer sich nicht ausdrücklich auf den Herrn berufen kann (= „im Rat des Herrn gestanden“ hat) (Jer 23,18.22), wer also Gesichte aus dem Herzen (Jer 23,16; vgl. Hes 13,6f), Träume (Jer 23,16.25.28). „Plagiate“ (Jer 23,30).verkündigt, ist ein falscher Prophet.

Wer von der „Last / dem Orakel des Herrn“ redet statt vom „Wort des Herrn“, der „verdreht“ das Wort des Herrn (Jer 23,33-40). Ein Prophet, der im Namen anderer Götter weissagt (Dtn 18,20) oder zur Verehrung anderer Götter verführen will (Jer 23,27; vgl. Dtn 13,3f), ist ein falscher Prophet. Ein Prophet, der (angeblich) im Namen des Herrn redet, dessen Wort sich aber nicht erfüllt, ist ein falscher Prophet (Dtn 18,22).

Anstelle einer homiletischen Besinnung

Hier stelle ich Texte zusammen, die „Träume des Herzens“ sind, die diese Träume in Frage stellen und die deren Konsequenzen aufzeigen.

1. Träume des Herzens: 1.1. Vgl. das „Evangelium“ Iwans in der Predigt (Die Brüder Karamasow, 4. Teil, 11. Buch, 9. Kapitel) 1.2. Rakitin, ein Freund Aljoschas: „Die Menschheit wird in sich selbst die Kraft finden, für die Tugend zu leben, auch ohne den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele! In Liebe zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wird sie diese Kraft finden.“ (Die Brüder Karamasow, 1. Teil, 2. Buch, 7. Kapitel) 1.3. „Ich glaube in der Tradition der Aufklärung, dass die Welt sukzessive vernünftiger wird. So bin ich empirisch, aber auch moralisch aufgestellt. Für mich sind Vernunft und Moral nicht zwei Bereiche, die man ins Verhältnis setzen muss, sondern die Moral kommt aus der Vernunft.“ (Karl Lauterbach, F.A.S. vom 6.3.2022)

2. Infragestellung 2.1. „Gottes- und Weltbezug zusammen charakterisieren … das Wesen des Menschen … Dieses Verständnis, das dem Menschen nicht die Position eines seiner selbst mächtigen Zentrums zuschreibt, sondern ihn dezidiert als ‚Mensch Gottes‘ sieht, spricht für die Orientierungsleistung der biblischen Anthropologie in der anthropologischen Debatte der postsäkularen Öffentlichkeit.“ (Bernd Janowski in: A. Wagner, Anthropologische Aufbrüche, Göttingen 2009, 40f)

3. Konsequenzen 3.1. Ohne Religion „bezögen die Gesellschaften ihre Moral allein aus säkularen Quellen, un was an spirituellem Bedarf übrig bleibt, würde anderweitig gedeckt: etwa durch das handelsübliche trinitarische Heilsversprechen des Kapitalismus – Wachstum, Wohlstand, Fortschritt.“ (Th. Assheuer, DIE ZEIT vom 25.11.2021)

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