I.
Gerade hat die Bibel begonnen mit der Erschaffung des Kosmos. Aus dem Nichts wurde Etwas. Aus der Leere wurde Raum und Zeit. Aus dem Dunkel wurde Licht. Aus dem Nie und Nimmer wurde Tag und Nacht. Aus der Einsamkeit wurden Pflanzen und Tiere. Aus dem Gedanken der Liebe wurden Mann und Frau. Wohl formuliert, mit poetischer Leidenschaft, in eine klar strukturierte Form gepackt, Sieben-Tage-Schema, „denn 1000 Jahre sind vor dir, wie der Tag, der gestern vergangen ist.“ Die Weite des Kosmos vor Augen. Die Unergründlichkeit des Seins im Blick. Sich der Tiefe des Geheimnisses bewusst. Noch nichts wissend von Galileo Galileis heliozentrischem Weltbild: Nicht um die Erde dreht sich alles, sondern um die Sonne dreht sich unsere Erde. Nichts ahnend von Einsteins Relativitätstheorie, der Krümmung von Raum und Zeit. Nichts wissend um Max Plancks Quantenlehre. Keinen Gedanken an Atome und Quarks, die unsichtbaren Bausteine unserer Materie.
II.
Und jetzt ein ganz anderes Bild. Den Blick auf den Menschen gerichtet. Er steht im Blickwinkel der Betrachtung dieses Schöpfungstextes aus uralter Zeit: „Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Himmel und Erde machte.“ Niemand war dabei! Nicht einmal die Presse war eingeladen zur Vorstellung der ersten Kreation. Gott schafft im Verborgenen ohne Public Relation und Medienpräsenz. Und bis heute hat er sein Produktionsgeheimnis nicht preisgegeben. An vielen Forschungsstätten ist man bemüht, Licht in dieses Geheimnis zu bringen. „Wie ist das Leben auf dieser Erde entstanden?“ eine bewegende Frage ohne klare Antworten. Hypothesen, Vermutungen, Modelle – mehr können uns die Wissenschaftler nicht anbieten. Sie tappen im Dunkeln und rätseln weiter. Im Genom-Projekt suchen sie den Bauplan „Mensch“ zu entschlüsseln. Eine Riesenaufgabe. Welche Gene wirken wie, wann, warum und wozu. Genährt von der Hoffnung, dann auch erfolgreiche Reparaturen vornehmen zu können, wo die Natur unvollkommen geblieben ist.
Im Blickfeld der Mensch in unserem biblischen Schöpfungstext. Wer meint, der Dichter wisse, wie es gewesen war, als Gott den Menschen schuf, irrt. Es geht nicht um die Beschreibung des „Wie“. Es geht nicht um wissenschaftliche Betrachtungsweise. Es geht nicht um Offenlegung des göttlichen Geheimnisses. In mythologischen Bildern wird gesprochen, nicht in der Sprache der Wissenschaft. In Bildern, die mehr sagen, als „wie es wirklich gewesen ist.“ In Bildern, die tief hinab reichen in unsere Seele und davon künden, was seit Urzeiten den Menschen bewegt: “Wer bin ich?” Davon kündet die “Urgeschichte”, die ersten elf Kapitel der Bibel. Sie geben Einblicke und Tiefblicke in das menschliche Wesen. In das Tun und Trachten des Menschen. In sein Denken und Wollen. In seine Suchbewegungen und Irrwege. In sein Gott-sein-Wollen und Gehaltensein von dem, der ihm den Lebensatem eingehaucht hat. Das ist mehr als die nackte und kühle Betrachtungsweise, wie der Mensch seinen Weg in diese Welt gefunden hat.
III.
Das Bild vom Menschen ist bestimmt von seinem Lebensraum, in den er im wahrsten Sinn des Wortes hineingesetzt ist. „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker.“ Und nicht umsonst heißt der Mensch „Adam“, übersetzt „von Erde genommen, irdisch“. Aus diesem Stoff ist er, der Mensch, aus Erde. Könnte er mehr mit dieser Welt verbunden sein als dadurch, dass er aus dem gleichen Stoff gemacht ist?! Irdischer könnte der Mensch nicht sein. Aber auch das will der Schreiber deutlich machen: Der Mensch ist ein reines Nichts, gekennzeichnet von Nichtigkeit, wie Staub dieser Erde. „… und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“ So drückt sich Zuwendung und Liebe aus, die aus der Nichtigkeit und Vergänglichkeit heraushebt: Gott bläst dem Menschen Lebendigkeit ein. Begabt ihn mit Geist, der materiell nicht zu fassen ist. Belebt ihn mit der Fähigkeit sich zu freuen und zu lieben. Gibt ihm das Verlangen nach Gemeinschaft mit anderen, nach Ergänzung und Bereicherung. Stattet ihn mit dem Gefühl der Verantwortung aus, für sich und andere. Macht ihn damit auch rechts- und rechenschaftsfähig. Der Mensch kann zur Verantwortung gezogen werden, wo er schuldig wird.
Der Mensch ist ein Stück Natur! Das ist nicht zu leugnen. Aber er ist durch den Lebenshauch Gottes kulturfähig geworden. In den Garten hineingesetzt, hat er seine Aufgabe: Diesen Garten zu bebauen und zu bewahren. In diesem Lebensraum Garten liegt viel von Schönheit, Lust und Freude. Eine chinesische Weisheit sagt: „Willst du einen Tag glücklich sein, trink dir einen Rausch an! Eine Woche, schlachte ein Schwein! Ein Jahr, heirate! Aber ein Leben lang? Dann sorge für einen Garten! Matthias Claudius entrann seiner Armut durch ein Amt in Darmstadt. Das gab er wieder auf und zog in den Norden zurück. Begründung: „Kein Garten, kein Garten!“ Das Bild vom Garten lässt unsere Phantasie lustwandeln. Schöne Blumen, herrliche Früchte, anmutige Tiere. Zeit zur Ruhe und Entspannung. Sich freuen an den Farben und sich vollziehenden Lebensprozessen. Eine Aufgabe und Arbeit, die Mühe macht, aber auch erfüllt.
IV.
Die Arbeit gehört wesentlich zum Menschsein dazu. Die Aufgabe des „Bebauens und Bewahrens“. Nicht des Zerstörens und Vernichtens. Nicht des Überforderns und Ruinierens. Nicht des Ausbeutens und Beraubens. Die Aufgabe des verantwortungsvollen Umgangs mit der Natur, von der wir ein Teil sind. Und weil wir ein Teil davon sind, wird die Zerstörung uns am Ende selbst vernichten. Das Klima ist in Gefahr. Mikroplastik gerät in dir Nahrungskette. Wasser wird Mangelware. Das Artensterben bedroht das biologische Gleichgewicht. Darum, mit Bedacht leben und wirken. Mit Weitsicht handeln und wandeln. Mit Liebe sorgen und planen. In der Arbeit wird der Mensch Gottes Kompagnon, Mitarbeiter, Verbündeter. Die heutige Aufgabe im „Garten Erde“ haben wir vor Augen: Brot für 8 Milliarden Menschen schaffen. Lebensgrundlagen erhalten. Arbeit und Auskommen ermöglichen. Unerträgliche Lebensbedingungen verbessern. Schlicht „bebauen und bewahren“. Das sind gewaltige Aufgaben! Diese und andere werden uns noch viel Kopfzerbrechen bereiten.
V.
Der Dichter will sagen, dass Gott uns einen grandiosen Lebensraum gegeben hat. Er hat dafür gesorgt, dass diese Erde bewohnbar wurde. Mit all dem Schönen, das es zu entdecken und zu bestaunen gibt. Mit all dem Nützlichen, das unser alltägliches Leben ermöglicht. Mit all dem Sinnlichen, daraus die Freude erwächst. Aber auch mit dem „Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen“ inmitten des Gartens. Mit dem Reiz des Anziehenden und Lustvollen Mit der Versuchung, der niemand widerstehen kann, Mit der Erkenntnis, dass unser Leben auf Zeit ist. Gott hat uns mit Vernunft begabt. Hat uns die Freiheit der Möglichkeiten geschenkt. Hat uns die Aufgabe zuteilwerden lassen, diesen Lebensraum zu bebauen und zu bewahren. Mit dem Geist, den er uns eingehaucht hat, hat er uns leidens- und liebesfähig gemacht.
„Wer ist der Mensch?“ Der von Gott Geliebte – der im Spüren dieser Liebe über seine Nichtigkeit hinauswächst. Der Begabte – der immer neue Fähigkeiten entwickeln kann, die ihm gestellten Aufgaben zu bewältigen. Der Empathische – der ein Gefühl dafür hat, was ihm und anderen guttut. Der Sinnliche – dem ein Gespür eignet für Schönheit und Himmlisches. Der Spirituelle – der sich berühren lässt, erschaudert und seinem Schöpfer danken kann.