Führe ich ein gutes und sinnvolles Leben? Fragen Sie sich das auch manchmal? Es gibt Momente im Leben, in denen man zurückblickt auf das, was man erlebt hat. Man schaut auf das, was man tut, und fragt sich: Ist das alles richtig so? Bin ich auf dem richtigen Weg? Ist das, was ich hier tue, gut und sinnvoll? Wenn Sie sich das manchmal fragen, sind Sie in guter Gesellschaft. Viele Menschen stellen sich diese Fragen.
I
Wenn ich in einer guten Buchhandlung vor dem Regal „Lebenshilfe“ stehe, dann finde ich viele Bücher, die mir empfehlen, wie ich ein gutes und sinnvolles Leben führen kann. Ein Beispiel ist das Buch von Anselm Grün mit dem Titel „Was ein gutes Leben ist“. Andere Bücher finden sich z. B. unter dem Titel „Was ein gutes Leben ausmacht“ oder „Gutes Essen ist gutes Leben“. Auf einer Website zu diesem Thema ist zu lesen: „Fragst du 100 Menschen, was ein gutes Leben ausmacht, wirst du 100 verschiedene Antworten erhalten“. Das Angebot ist erschlagend. Das ist nicht erst seit unseren Zeiten so. Auch zur Zeit Jesu und vor ihm gab es schon viele verschiedene Antworten auf die Frage, was ein gutes und sinnvolles Leben ist.
Unser heutiger Predigttext nimmt uns mit hinein in die Auseinandersetzung darum, wie ein gutes und sinnvolles Leben aussieht. Wie kann ich ein Leben führen, das Gott gefällt und für mich sinnvoll erscheint? Jesus hatte eine eigene, klare Antwort auf die Frage, wie ein gottgefälliges Leben aussieht.
(Lesung des Predigttextes Johannes 5,39-47)
II
Jesus wirft den jüdischen Schriftgelehrten vor, dass sie zwar die Heiligen Schriften studieren und darin das ewige Leben suchen, aber nicht erkennen, dass diese Schriften ihn ankündigen. Obwohl er im Namen Gottes zu ihnen gekommen ist, nehmen sie ihn nicht an. Stattdessen suchen sie menschliche Anerkennung statt Gottes Ehre.
Jesus erklärt, dass nicht er sie vor Gott anklagen wird, sondern Mose, auf den sie sich berufen. Denn Mose hat von ihm, Jesus, geschrieben. Wer Mose wirklich glaubte, würde auch Jesus glauben. Die Schriften weisen auf Jesus hin. Doch wer sein Herz davor verschließt, verfehlt die Wahrheit und das Leben. An dieser Stelle müssen wir ein Missverständnis ausräumen. Wenn hier vom „ewigen Leben” die Rede ist, dann kann man das Wort durchaus so verstehen, dass es um ein Leben geht, das nach unserem irdischen Tod ewig weitergeht. Jesus bietet aber der Gemeinde ein Leben an, in dem sich schon jetzt Himmel und Erde miteinander verbinden. Auch Jesu Gesprächspartner führen ein sinnvolles und gottgefälliges Leben – aus ihrer Sicht, aber sie können sich ein solches Leben, wie es Jesus Christus verkündigt und lebt, nicht vorstellen.
Für die kleine Gemeinde, an die der Evangelist Johannes schrieb, war das damals ein großer Trost. Denn sie fühlten sich in dem bestätigt, was sie selbst lebten und empfanden. Sie glaubten an Jesus Christus als den Retter dieser Welt, und sie waren sich bewusst, dass sie schon jetzt am ewigen Leben teilhatten. Sie waren überzeugt, dass sie durch diesen Glauben an Jesus Christus Gott die Ehre gaben. Sie fühlten sich durch die Haltung Jesu bestätigt. Sie hörten seine Botschaft: Ihr seid angekommen. Ihr braucht nicht länger nach einem sinnvollen und guten Leben zu suchen, denn ihr führt es bereits.
Auch für uns als Gemeinde heute gilt: Wer mit Jesus Christus durch die Taufe verbunden ist und seinem Wort und seinem Leben nachfolgt, hat schon hier Teil am ewigen Leben und führt ein sinnvolles und gutes Leben. Ist das ist nicht eine gute Botschaft für uns alle? Aber natürlich fragen wir uns heute, was das konkret bedeutet. Woran kann ich erkennen, dass ich Anteil am ewigen Leben habe, dass sich in meinem Leben Himmel und Erde verbinden und ich mit Jesus Christus gemeinsam unterwegs bin? Wie kann ich sicher sein, dass ich das Leben so lebe, wie es Gott gefällt? An welchen Kriterien kann ich mich orientieren, ob ich auf dem richtigen Weg bin? Das Johannesevangelium lässt uns mit diesen Fragen nicht allein.
Die Auseinandersetzung um die Frage, was ein gutes und sinnvolles Leben ist, steht im Johannesevangelium im Zusammenhang mit einigen Zeichenhandlungen Jesu. Sie weisen darauf hin, was seine Gegenwart und ein Leben mit ihm bedeuten. Die erste dieser Zeichenhandlungen wird auf der Hochzeit zu Kana beschrieben. Eine Hochzeitsfeier. Dem Brautpaar geht der Wein aus. Die Gesellschaft ist fröhlich und trinkt mehr als erwartet. Es droht das Ende der Feier und eine riesige Blamage. Jesus ist Gast dieser Hochzeit und greift ein: Aus einigen Krügen mit Wasser wird der beste Wein. Die Jünger Jesu haben diese Zeichenhandlung später so verstanden, dass in Jesu Gegenwart Fülle und Freude darüber herrscht, mit Gott verbunden zu sein.
Fülle und Reichtum beobachte ich auch in meiner unmittelbaren Umgebung. Wenn ich im Supermarkt stehe und die große Auswahl an Waren sehe, wird mir bewusst, in was für einem reichen Land ich lebe. Ich habe jederzeit die Gelegenheit, Dinge, die mir wichtig sind oder die ich zum Leben brauche, einfach nebenan kaufen zu können. Ich bin dankbar dafür, dass ich auf eine ganz besondere Art und Weise beschenkt bin, all das haben und genießen zu dürfen. Die Erfahrung dieser Fülle kann uns achtsam dafür machen, was Gott uns schenkt. Ein gutes und sinnerfülltes Leben im Sinne Jesu ist ein dankbares Leben, in dem wir Gott die Ehre geben.
III
Die Fülle, die Gott schenkt, reicht ja nicht nur für mich selbst, meine Familie und meine Nachbarschaft, sondern auch für die anderen Menschen. Die Tafeln in Deutschland verteilen das, was nicht aufgegessen oder rechtzeitig verbraucht werden kann, an Menschen, die es dringend brauchen. Der Reichtum in unserem Land ist so groß, dass er nicht nur für das ausreicht, was man bezahlen kann, sondern auch für die Versorgung vieler Menschen, die sich diese Dinge sonst gar nicht leisten könnten.
Die Dankbarkeit für die Fülle und den Reichtum, den wir erleben dürfen, führt uns allerdings auch in die Verantwortung, mit diesem Reichtum und der Fülle gut umzugehen. Die Tafeln und ihre vielen ehrenamtlichen Mitarbeitenden sorgen dafür, dass der Überfluss Menschen erreicht, die ohne diese Unterstützung nicht zurechtkämen. Dass sie das in einem so reichen Land tun müssen, ist eigentlich ein Skandal. Das sollte es nicht geben. Aber die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle an diesem Überfluss teilhaben, ist auch in Jesu Sinn Teil eines sinnerfüllten und guten Lebens. Teilhabe und Inklusion – so nennen wir das, was Jesus schon durch seine Zeichen damals deutlich gemacht hat: bei Gott soll niemand ausgeschlossen werden. Alle haben Anteil an der Fülle, die Gott schenkt.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie ewiges Leben auch in unserem Leben aussehen kann, ist die Heilung am Teich Bethesda. Die Geschichte erzählt die Heilung eines seit über 30 Jahren schwer erkrankten Menschen. Er ist schon so lange krank, dass er sich eine Heilung gar nicht mehr vorstellen kann. Er hat sich mit seiner Krankheit und allen Einschränkungen, aber auch mit den Freuden, die trotzdem bleiben, arrangiert. Jesus schenkt diesem gelähmten Menschen die Möglichkeit, wieder gehen zu können. Diese Wundergeschichte macht deutlich, worauf es Jesus ankommt: Der Kranke am Teich Bethesda erlebt, dass nach langer Hoffnungslosigkeit und einer scheinbar aussichtslosen Situation ein neues Leben beginnen kann. Jesus schenkt ihm eine neue Perspektive für sein Leben. Himmel und Erde berühren sich, wo Menschen sich um hoffnungslose oder kranke Menschen kümmern.
IV
Jeder Besuch bei einem kranken Menschen, jede Begleitung in einer schwierigen Situation wird so für beide Seiten zu einem kleinen Zeichen des Lebens, das im Sinne Gottes gut und sinnvoll ist.
Wenn sich Menschen für Angehörige und andere einsetzen, die Pflege benötigen, wenn sie tagtäglich da sind, die kleinen Nöte und Sorgen des Alltags miteinander teilen und dafür sorgen, dass das Ganze trotz aller Schwere der Situation getragen werden kann und dennoch hin und wieder Freude einkehrt, dann geschieht das, was Jesus erreichen wollte. Hier wird die Gegenwart Gottes gerade in den kleinen Dingen spürbar. Himmel und Erde berühren sich, und es wird erfahrbar, dass man nicht allein ist, auch wenn es schwer ist.
Führe ich ein gutes und sinnvolles Leben? Das war die Frage am Beginn dieser Predigt. Aus der Sicht Jesu tue ich das dann, wenn ich so lebe, dass seine Gegenwart und meine gute Verbindung zu ihm in meinem Leben erkennbar werden. Zwei Beispiel haben wir genauer angeschaut. Es ist der Fall, wenn ich die Fülle erkenne, die er für mein Leben schenkt. Wenn ich dankbar diese Fülle so nutze, dass auch andere erreicht werden. Inklusion und Teilhabe sind dabei die Zeichen, an denen man erkennen kann, dass dieses Leben in Jesu Sinne ist. Oder wenn ich mich um Kranke, um Pflegebedürftige, um Menschen kümmere, denen die Hoffnung abhandenkommt.
Wenn ich für diese Menschen da bin, mit meiner Zeit, mit meiner Kraft, mit allem, was ich dazu beitragen kann, verbinden sich aus Jesu Sicht Himmel und Erde. Wenn ich so lebe, kann ich die eingangs gestellte Frage nach einem guten und sinnvollen Leben beantworten.