Bedrängte Gemeinden – Zeit der römischen Christenverfolgungen
Freudige Aufregung herrscht unter den Christen der kleinen Gemeinden im kappadozischen Bergland. Ein Brief ist angekommen und wird von Hand zu Hand, von Gemeinde zu Gemeinde weitergereicht, damit alle Christen in den römischen Provinzen Kleinasiens ihn lesen können: die Christen in Pontus und Galatien, die Christen in Kappadozien und Bithynien – alles samt Regionen, die in der heutigen Türkei liegen. Ein Brief geschrieben im Namen von Petrus und übersandt durch seinen Mitarbeiter Silvanus. Die Freude hätte größer nicht sein können! Wie Milch saugen die Mitglieder der kleinen Gemeinde die Worte ihres geistlichen Vaters begierig auf, denn schwierig war ihre Lage, Entmutigung hatte sich breit gemacht. Umso mehr freuen sie sich über die aufmunternden Worte von Petrus.
Wir befinden uns im 1. Jahrhundert nach Christus. In Rom herrschte der Kaiser Domitian, einer der grausamsten römischen Kaiser, der im gesamten römischen Reich eine systematisch organisierte Christenverfolgung angeordnet hatte. Denunziationen, Zwang zur Verleugnung des Glaubens, Verspottung und Schmähungen, Folter der Christen waren an der Tagesordnung. Nachbarn verrieten unbescholtene Bürger, die Christen waren, an die Behörden und lieferten sie damit „an’s Messer“. Ein Klima der Verängstigung herrschte in den kleinen, christlichen Gemeinden, die immer mehr in den Untergrund abgedrängt wurden. Unsicher waren sie geworden, die Christen in Kleinasien, unsicher sowohl was ihr Verhalten nach außen betraf, als auch was ihr Verhältnis untereinander betraf: Wem kann man überhaupt noch trauen? Wie sollen wir uns verhalten gegenüber denen, die uns feindlich gesonnen sind? Was droht uns persönlich? Was wird sein, wenn man jemanden von uns gefangen nimmt? Wie lange können wir in dieser Bedrängnis noch durchhalten? Wie soll es weitergehen?
Ermutigung in der Bedrängnis
In diese Situation der Anfechtung und Verfolgung hinein ist nun der 1. Petrusbrief geschrieben. – Ein Brief der Unterstützung und Ermutigung, auch ein Brief der Ermahnung. – Die Bedrängnis, der die Christen ausgesetzt sind, sagt Petrus, ist eine Bedrängnis um Christi willen, darum braucht sich niemand des gegenwärtigen Leidens zu schämen – im Gegenteil! Dieses Leiden um des Glaubens willen, ist ein Ehrenzeichen, dann darin kommt die Verbundenheit mit Christus selbst zum Ausdruck, der genauso gelitten hat: „Ihr Lieben“, schreibt der 1. Petrusbrief, „Lasst euch durch die Hitze nicht befremden, die euch widerfährt, …. sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet … Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet um des Namens Christi willen, denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch.“ Den Fußstapfen Jesu nachzufolgen, heißt nicht auf goldenen Kissen gebettet zu sein, sondern sein Kreuz auf sich zu nehmen. Es bringt die Gefahr mit sich, genau wie Jesus Schmähungen und Verleumdungen ausgesetzt zu sein. Es bedeutet zugleich, in dieser Verfolgungssituation auszuharren und durchzuhalten, denn es ist ein Leiden um des Guten willen, für das sich niemand schämen muss. Darum mahnt der 1. Petrusbrief die gläubigen Geschwister, nicht nachzulassen im Guten, sondern gerade gegenüber den Ungläubigen mit Gutem das Böse zu überwinden. Er hat keine Scheu, diese dringliche Mahnung in ziemlich drastische Worte zu fassen: „Wer ist es, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert?“ …. „Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr mit guten Taten den unwissenden und törichten Menschen das Maul stopft.“
Mahnung zum Zusammenhalt
Angehalten werden die Gläubigen, auch untereinander, als Gemeinde, zusammenzuhalten und keine Keile zwischen sich treiben zu lassen. Der äußere Druck darf nicht auch noch zu Kämpfen im Inneren der Christengemeinden führen. Darum schärft Petrus den Gemeindegliedern ein: „Endlich aber seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. … Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“
Auch wenn der äußere Anschein nur ein Bild der Schwäche und Ohnmacht zeigt, sagt der Brief: ihr Christen in Kleinasien braucht euch nicht zu schämen oder über die Maßen zu ängstigen, denn ihr steht unter der Gnade Gottes! Nicht mit vergänglichem Silber oder Gold seid ihr erlöst, sondern durch Christus selber, wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Die Lage der jungen Christengemeinden mag dem äußeren Schein nach trostlos aussehen, die Christen mögen innerlich zweifeln, furchtsam und ängstlich sein, aber letztlich stehen sie doch unter der großen Verheißung Gottes, die stärker ist als die Angst vor dem, was ihnen in dieser bösen Weltzeit durch Menschen und Mächte passieren kann. Sie dürfen trotzallem in eschatologischer Perspektive Hoffnung haben. Darum spart der Petrusbrief nicht an Ehrbezeichnungen für diese angefochtenen, jungen Christen zur Zeit der großen Christenverfolgungen, die sich selber eher wie Fremdlinge in dieser Welt fühlten, schutzlos den politischen und staatlichen Mächten und der Bösartigkeit mancher ihrer Zeitgenossen und Nachbarn ausgeliefert. Ausgerechnet diese verängstigten und unsicheren Menschen werden im Brief des Petrus mit fast hymnischen Worten „das auserwählte Geschlecht“, „die königliche Priesterschaft“, „das heilige Volk“, „das Volk des Eigentums“, „das Volk Gottes“ genannt! Alles das sind höchste, an die hebräische Bibel angelehnte ursprünglich jüdische Ehrentitel, die ihnen sagen: Ihr seid etwas wert! Ihr seid wertvoll in den Augen Gottes, von ihm erwählt – auch wenn Menschen Euch mit Füßen treten und Böses antun.
Jesus Christus – Eckstein und Garant
Im Bild vom Haus verdeutlicht der Petrusbrief der jungen, kleinasiatischen Christengemeinschaft, dass sie sicher steht, trotz äußerer Bedrängnis, weil sie fest ineinandergefügt ist und Jesus Christus zum Eckstein hat. Die Gemeinde ist das geistliche Haus, schreibt er, und jedes einzelne Gemeindeglied als lebendiger Stein hat darin seinen Platz und seine Funktion. Jeder einzelne Stein ist in einer solchen Gewölbekonstruktion statisch unverzichtbar und wird gebraucht; kein Stein ist austauschbar oder kann weggelassen werden. Alle zusammen ergeben sie eine feste Konstruktion, zusammengehalten durch den Eckstein, den Stein ganz oben im Gewölbebogen, in dem sich alle Fliehkräfte bündeln und der dem ganzen die nötige Stabilität gibt. Dieser Eckstein für die Gemeinde als geistliches Haus ist Jesus, der lebendige Stein, von den Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und kostbar. Ohne ihn stürzt alles ein wie ein Kartenhaus, aber mit ihm steht das geistliche Gebäude, die christliche Gemeinde, fest für immer, denn, so schreibt der 1. Petrusbrief, „…Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.“
Christenverfolgung und Repressionen nicht nur damals
Auszuharren in einer Situation äußeren Drucks, das christliche Bekenntnis durchzuhalten inmitten einer feindlich gesonnenen Umgebung, sich zur Gemeinde zu halten trotz Anfechtungen, Spott und Repressalien – eine Wirklichkeit, mit der christliche Gemeinden nicht nur zur Zeit Domitians zu kämpfen hatten, sondern eine Wirklichkeit, die sich zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten im Laufe der Geschichte oft wiederholt, bis heute. In Ländern wie beispielsweise China mit seinen in die Illegalität gedrängten Untergrundkirchen oder Nigeria kommt es auch heute noch zu systematischen oder spontanen Christenverfolgungen. So wie ganz aktuell durch die Entführung der mehr als 200 christlichen Schülerinnen durch die extremistisch-islamistische Splittergruppe Boko Haram in Nigeria.
Zwar ist die äußere Situation im 1. und im 21. Jahrhundert nicht unmittelbar vergleichbar, aber es gibt durchaus Parallelitäten zur jüngsten Vergangenheit auch in unserem eigenen Land, sprich Ähnlichkeiten zwischen der bedrängten Situation der Gemeinden, an die Petrus schreibt und der Situation der Kirche in der DDR unter dem dortigen kommunistischen Regime. Das christliche Bekenntnis war riskant im sozialistischen Staat, der die Religion als „Opium für das Volk“ verdächtigte und die Kirche immer stärker aus dem öffentlichen und gesellschaftlichen Leben zu verdrängen versuchte. Wer sich zur Gemeinde hielt, riskierte persönlich etwas: Pfarrerskinder und Kinder aus bekennenden christlichen Familien durften nicht ohne weiteres Abitur machen und waren meist automatisch von höherer akademischer Bildung ausgeschlossen – von ein paar wenigen christlichen Schulen abgesehen, für deren Abgänger dann aber auch nur kirchlich-theologische Berufe offen standen. Wer sich in der DDR offen als Christ zu erkennen gab, galt als unzuverlässiges, bürgerliches Element, als „konterrevolutionär“, wie das im DDR-Politjargon hieß – bis hin zu Verdächtigungen und Bespitzelungen. Gott sei Dank ist diese dunkle Zeit lange vorbei! In diesem Jahr feiern wir den 25. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer und wir können uns diese Vorgänge staatlicher Repression gegen den christlichen Glauben in unserem Land kaum noch vorstellen. Aber blicken wir in andere Länder wie China, wird uns schlagartig klar, dass es auf der Welt auch heute noch manche Christen gibt, die wegen ihres Glaubens verfolgt und bedrängt werden und Gemeinden, die ihre Gottesdienst nur heimlich und verborgen vor den staatlichen Behörden im Untergrund feiern können.
Kirchliche Zukunftsaorgen
Im Vergleich zu den Herausforderungen, die unserer christlichen Brüder und Schwestern in anderen Gegenden der Welt schultern müssen, relativieren sich darum manche Zukunftssorgen, die wir als Kirchengemeinden in unserem Land heute haben, z.B. dass unsere finanziellen Möglichkeiten enger werden und vielerorts die Gemeinden demographisch überaltern oder dass die Stimmen immer lauter werden, die den geschützten Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Verhältnis zum säkularen Staat massiv in Frage stellen. Manches ist heute auch bei uns nicht einfach – aber was wiegen diese Probleme und Ängste gemessen an der Existenzangst der Christen im 1. Jahrhundert in Kleinasien und der verfolgten Christen im 21. Jhdt. weltweit! Mit Schikanen und Hindernissen haben wir hier, in Deutschland, wie überhaupt in allen westlichen Industriestaaten, als Christen i.d.R. nicht zu kämpfen. Allenfalls werden wir belächelt von unseren Zeitgenossen als „unzeitgemäß“, „altmodisch“ und „naiv.“ Dankbar sollten wir darum sein, dass wir als Christen unseren Glauben frei leben und uns offen dazu bekennen können.
Die christliche Hoffnung verbindet
Wir alle, als Christinnen in freien und in unfreien Ländern, als wohlgelittene oder als bedrängte Gemeinden, gehören gemeinsam zu dem einen geistlichen Bau mit Christus als Eckstein. Wir alle haben den gleichen Auftrag, uns in unserem christlichen Bekenntnis von der Hoffnung leiten zu lassen, so wie der 1. Petrusbrief schreibt: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung die in euch ist.“ Den Mut, Rechenschaft zu geben über unseren Glauben, brauchen wir alle – die ersten Christen in Kleinasien brauchten ihn; die Christen in der DDR brauchten ihn; die verfolgten Christen heute brauchen ihn und wir brauchen ihn, damit wir lebendige Steine im Bau der Gemeinde Gottes sind. Nehmen wir diesen Auftrag an!