Predigt

"Wie sollte das zusammengehen…?"

Wie aber kann ich lernen zu glauben, damit ich am Geschehen des Karfreitag nicht verzweifeln muss?

PredigttextKolosser 1,13-20 (mit Anmerkungen)
Kirche / Ort:74834 Elztal- Dallau
Datum:07.04.2023
Kirchenjahr:Karfreitag
Autor:Pfarrerin i.R. Birgit Lallathin

Predigttext: Kolosser 1, 13 - 20 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Gott hat uns errettet von der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, in dem wir die Erlösung haben, nämlich die Vergebung der Sünden. Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Gewalten, es ist alles durch ihn und zu ihm hin geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm. Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei. Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte. Und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.

Anmerkungen:

Karfreitag, nach wie vor als stiller Feiertag (eigentlich) durch Bundesgesetzte geschützt, muss sich der Betrachtung des Todes Christi und seiner Sinnhaftigkeit widmen. Was bedeutet: „Für mich gestorben“? Der vorgeschriebene Predigttext aus Kolosser 1, 13-20 gibt dazu sehr eigene, in der Tat recht unpaulinische Antworten, deren Wirkungsgeschichte nicht unproblematisch ist.

Der Verfasser des Kolosser, wohl eher nicht Paulus, evtl ein Paulusschüler mit eigenen Schwerpunkten?, verwendet in 1,13-20 einen vermutlich bereits vorliegenden Hymnus oder Bekenntnistext. Beschrieben und verehrt wird der kosmische Christus. Dieser erscheint weltentrückt in einem überirdischen Heilsgeschehen. Der Verfasser nimmt an, das Reich der Erlösung ist von Gott an den Sohn übergegangen. Während in den Evangelien, in den Worten Jesu selber, und bei Paulus stets vom Reich Gottes gesprochen wird, verwendet Kolosser den Terminus: Reich des Sohnes. Das ist auf jeden Fall erklärungsbedürftig. In der Sprache eines Mythos „geschieht das Heil durch die Versetzung der Christen in das Reich des Sohnes und durch die Vergebung der Sünden.“ (Conzelmann/ Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, 5. Aufl 1980, Seite 233). „Christus als Bild Gottes bezeichnet dabei nicht das bloße Abbild, sondern die Seinsweise. Es handelt sich um …einen Hypostasenbegriff.“ (dito). „Dem Lied zufolge besteht das Heilswerk in der Herstellung der Weltversöhnung; der Offenbarer/ Erlöser ist der Schöpfungsmittler, und der Kosmos wird als sein Leib verstanden.“ (dito)

Dieser vermutlich frühe Hymnus wäre als gnostisches Relikt zu verstehen, eine Haltung, gegen die Kolosser sich eigentlich in der jungen Gemeinde energisch verwahrt, hätte der Verfasser nicht einen Einschub versucht, in dem er das Bekenntnis mit paulinischer Theologie zumindest zu harmonisieren versucht: „Und er (erg: Christus) ist das Haupt des Leibes.“ (Kol 1, 18). Demzufolge wird nicht der Kosmos, sondern die Kirche als Leib des Erlösers bezeichnet. So wird es möglich, wie in Kol 1,21 belegt, dass „er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz“.

Was ist traditionsgeschichtlich aus dieser immer noch gnostischen Sprache und kosmologischen Verständnis des Heilswerks Christi geworden? Die Verfasserin hat in ihrer eigen Familie, teilweise der eigenen Erziehung und vor allem in der langjährigen Seelsorge verheerende Folgen für das extrem schlechte Gewissen, das Kolosser, das Heilswerk durch das Blut Christi begründet, erlebt. Wer als „moderner“ Mensch vorgehalten bekommt, das Blut Christi habe ihn erlöst, kann die uralten Zusammenhänge, die vorchristliche (vmtl iranische) gnostische Kosmologie nicht mehr verstehen.

Viele, viel zu viele Prediger des Evangeliums erschufen bei den Gläubigen ein Machtimperium des schlechten Gewissens: „Durch ein Blut sind wir erlöst“ wurde nicht zur Heilsbotschaft, sondern zur nie einzulösenden Schuld bei Christus! „Ich“ bin also Schuld am Tod Jesu. Mein Sünderdasein hat Christus getötet. Der genannte Prediger des Evangeliums bietet die Lösung umgehend an: „Bekenne, dann wirst du gerettet“. Die Freisprechung des Sünders ist leider nur eine potentielle, denn das Sünderdasein wird durch die Taufe und das Bekenntnis zwar gemildert, aber niemals endgültig. Angst herrscht, wenn auch unterschwellig. Macht hat der Prediger als Mittler. Psychologisch verheerend!

Diese, zugegeben etwas sehr verkürzte Sicht auf streng evangelikale oder pietistische Glaubenswelten ist natürlich zu allgemein, aber nichtsdestotrotz sehr gefährlich. Nicht ohne Grund nannte der Psychoanalytiker und Theologe Horst Eberhard Richter diese Form des ewig-schlechtes -Gewissen Glaubens die „Gottesvergiftung“, die ein emanzipiertes, wirklich freies Glaubensleben in Verantwortung vor Gott und der Welt nicht möglich sein lässt.

Der Glaubende bleibt gebunden in bleibender Angst. Wie oft musste die Verfasserin erleben, dass scheinbar fröhliche, fromme Christenmenschen, die sich rühmten, die Gnade Gottes erlebt zu haben, tief im Inneren zweifelten, diesen Zweifel, Anfechtung genannt haben und Angst davor hatten, ihre Zweifel zu äußern. Bis ins Sterben hinein blieb die Angst vor dem schlechten Gewissen, der Gnade Gottes vielleicht doch verlustig zu gehen.

Die Verfasserin vermisst in der Predigtperikope, die die hohe Theologie ihrer Zeit darstellt, ganz einfach die Liebe Christi. Weil ihr diese allerdings unabdingbar für das Geschehen am Kreuz, um es überhaupt verstehen zu können, ist, wagt sie es in diesem Fall, sozusagen „gegen“ das Predigtwort zu predigen. Das Kreuz Christi ist die Ohnmacht des liebenden Gottes. Er, der alles Schlechte hätte vernichten können (Noah und die Sintflut), wird zum leidenden Menschen. In allem uns, den Menschen gleich, die an der Welt verzweifeln. Das Kreuz ist kein weltentrücktes Geschehen, sondern durch und durch diesseitiges Leid und Ohnmacht. Der leidende, der sterbende Christus ist den Menschen so nah, wie es näher nicht geht. Wer mich, als Mensch in Not, so versteht wie Christus am Kreuz, dem kann ich vertrauen, mein Leben geben.

Das Vertrauen in den menschlichen, den aus Liebe gestorbenen Christus, mindert nicht die Schuld am Versagen und der Gottferne der Menschen. Ganz im Gegenteil. Die Antwort auf die Liebe ist die Verantwortung. Sie kann sich als Weltverantwortung, Schöpfungsverantwortung oder an der Verantwortung den allernächsten gegenüber zeigen.

Wenn ich beherzige, wie Kolosser 1,13-20 schließt. „indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz“, dann ist das Blut kein mythisches Opferblut wie in heidnischen Kulten zur Versöhnung einer zornigen Gottheit, sondern Zeichen der unbedingtesten Liebe, die nur möglich ist. Mehr Verbundenheit geht nicht!

Wir sehen, wenn wir die Liebe Christi hineindenken in die Karfreitagsperikope, wird auch Machtmissbrauch Einhalt geboten. Der durch die Liebe (!) versöhnte Mensch ist ein aufrechter Christ, eine aufrechte Christin.

Zur Ergänzung der klassischen Karfreitagschoräle sei an dieser Stelle hingewiesen auf neuere Lieder. U. a. im neuen Anhang zum Gesangbuch der Ev. Landeskirche in Baden, Württemberg und Elsass zu finden: „Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder“ (2018).

Nr. 127 "Du für mich, wie so groß ist die Liebe" beschreibt die unmittelbare Annahme des Menschen durch den Gekreuzigten, dessen „Arme so weit“ eine liebvolle Umarmung darstellen, ohne dass das Heilsgeschehen vollkommen begriffen werden kann. Ein Stück von der Theologie der Heiligen Therese von Avila oder Johannes vom Kreuz, der „in der dunklen Nacht der Seele“ den Gekreuzigten findet. Christliche Mystik, ganz existentiell!

Nr. 181 "Menschen gehen zu Gott in ihrer Not" ist eine moderne Vertonung des Gedichts „Christen und Heiden“ von Dietrich Bonhoeffer, 1944 in der Haft nach dem 20. Juli verfasst. Die Bonhoeffersche Theologie des verborgenen, diesseitigen Gottes im Weltgeschehen, der auch in tiefster Schuld und Schuldübernahme im Vertrauen gegenwärtig ist, bleibt immer wieder zu entdecken. Beachte: Bei Bonhoeffer stirbt Christus für Christen und „Heiden“ und „vergibt ihnen beiden“. Buchstäblich: ein starkes Stück!

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