“Wie sollte das zusammengehen…?”
Wie aber kann ich lernen zu glauben, damit ich am Geschehen des Karfreitag nicht verzweifeln muss?
Predigttext: Kolosser 1, 13 - 20 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Gott hat uns errettet von der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, in dem wir die Erlösung haben, nämlich die Vergebung der Sünden.
Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung.
Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare,
es seien Throne oder Gewalten, es ist alles durch ihn und zu ihm hin geschaffen.
Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.
Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei.
Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte.
Und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.
Anmerkungen:
Karfreitag, nach wie vor als stiller Feiertag (eigentlich) durch Bundesgesetzte geschützt, muss sich der Betrachtung des Todes Christi und seiner Sinnhaftigkeit widmen. Was bedeutet: „Für mich gestorben“? Der vorgeschriebene Predigttext aus Kolosser 1, 13-20 gibt dazu sehr eigene, in der Tat recht unpaulinische Antworten, deren Wirkungsgeschichte nicht unproblematisch ist.
Der Verfasser des Kolosser, wohl eher nicht Paulus, evtl ein Paulusschüler mit eigenen Schwerpunkten?, verwendet in 1,13-20 einen vermutlich bereits vorliegenden Hymnus oder Bekenntnistext. Beschrieben und verehrt wird der kosmische Christus. Dieser erscheint weltentrückt in einem überirdischen Heilsgeschehen. Der Verfasser nimmt an, das Reich der Erlösung ist von Gott an den Sohn übergegangen. Während in den Evangelien, in den Worten Jesu selber, und bei Paulus stets vom Reich Gottes gesprochen wird, verwendet Kolosser den Terminus: Reich des Sohnes. Das ist auf jeden Fall erklärungsbedürftig. In der Sprache eines Mythos „geschieht das Heil durch die Versetzung der Christen in das Reich des Sohnes und durch die Vergebung der Sünden.“ (Conzelmann/ Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, 5. Aufl 1980, Seite 233). „Christus als Bild Gottes bezeichnet dabei nicht das bloße Abbild, sondern die Seinsweise. Es handelt sich um …einen Hypostasenbegriff.“ (dito). „Dem Lied zufolge besteht das Heilswerk in der Herstellung der Weltversöhnung; der Offenbarer/ Erlöser ist der Schöpfungsmittler, und der Kosmos wird als sein Leib verstanden.“ (dito)
Dieser vermutlich frühe Hymnus wäre als gnostisches Relikt zu verstehen, eine Haltung, gegen die Kolosser sich eigentlich in der jungen Gemeinde energisch verwahrt, hätte der Verfasser nicht einen Einschub versucht, in dem er das Bekenntnis mit paulinischer Theologie zumindest zu harmonisieren versucht: „Und er (erg: Christus) ist das Haupt des Leibes.“ (Kol 1, 18). Demzufolge wird nicht der Kosmos, sondern die Kirche als Leib des Erlösers bezeichnet. So wird es möglich, wie in Kol 1,21 belegt, dass „er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz“.
Was ist traditionsgeschichtlich aus dieser immer noch gnostischen Sprache und kosmologischen Verständnis des Heilswerks Christi geworden? Die Verfasserin hat in ihrer eigen Familie, teilweise der eigenen Erziehung und vor allem in der langjährigen Seelsorge verheerende Folgen für das extrem schlechte Gewissen, das Kolosser, das Heilswerk durch das Blut Christi begründet, erlebt. Wer als „moderner“ Mensch vorgehalten bekommt, das Blut Christi habe ihn erlöst, kann die uralten Zusammenhänge, die vorchristliche (vmtl iranische) gnostische Kosmologie nicht mehr verstehen.
Viele, viel zu viele Prediger des Evangeliums erschufen bei den Gläubigen ein Machtimperium des schlechten Gewissens: „Durch ein Blut sind wir erlöst“ wurde nicht zur Heilsbotschaft, sondern zur nie einzulösenden Schuld bei Christus! „Ich“ bin also Schuld am Tod Jesu. Mein Sünderdasein hat Christus getötet. Der genannte Prediger des Evangeliums bietet die Lösung umgehend an: „Bekenne, dann wirst du gerettet“. Die Freisprechung des Sünders ist leider nur eine potentielle, denn das Sünderdasein wird durch die Taufe und das Bekenntnis zwar gemildert, aber niemals endgültig. Angst herrscht, wenn auch unterschwellig. Macht hat der Prediger als Mittler. Psychologisch verheerend!
Diese, zugegeben etwas sehr verkürzte Sicht auf streng evangelikale oder pietistische Glaubenswelten ist natürlich zu allgemein, aber nichtsdestotrotz sehr gefährlich. Nicht ohne Grund nannte der Psychoanalytiker und Theologe Horst Eberhard Richter diese Form des ewig-schlechtes -Gewissen Glaubens die „Gottesvergiftung“, die ein emanzipiertes, wirklich freies Glaubensleben in Verantwortung vor Gott und der Welt nicht möglich sein lässt.
Der Glaubende bleibt gebunden in bleibender Angst. Wie oft musste die Verfasserin erleben, dass scheinbar fröhliche, fromme Christenmenschen, die sich rühmten, die Gnade Gottes erlebt zu haben, tief im Inneren zweifelten, diesen Zweifel, Anfechtung genannt haben und Angst davor hatten, ihre Zweifel zu äußern. Bis ins Sterben hinein blieb die Angst vor dem schlechten Gewissen, der Gnade Gottes vielleicht doch verlustig zu gehen.
Die Verfasserin vermisst in der Predigtperikope, die die hohe Theologie ihrer Zeit darstellt, ganz einfach die Liebe Christi. Weil ihr diese allerdings unabdingbar für das Geschehen am Kreuz, um es überhaupt verstehen zu können, ist, wagt sie es in diesem Fall, sozusagen „gegen“ das Predigtwort zu predigen. Das Kreuz Christi ist die Ohnmacht des liebenden Gottes. Er, der alles Schlechte hätte vernichten können (Noah und die Sintflut), wird zum leidenden Menschen. In allem uns, den Menschen gleich, die an der Welt verzweifeln. Das Kreuz ist kein weltentrücktes Geschehen, sondern durch und durch diesseitiges Leid und Ohnmacht. Der leidende, der sterbende Christus ist den Menschen so nah, wie es näher nicht geht. Wer mich, als Mensch in Not, so versteht wie Christus am Kreuz, dem kann ich vertrauen, mein Leben geben.
Das Vertrauen in den menschlichen, den aus Liebe gestorbenen Christus, mindert nicht die Schuld am Versagen und der Gottferne der Menschen. Ganz im Gegenteil. Die Antwort auf die Liebe ist die Verantwortung. Sie kann sich als Weltverantwortung, Schöpfungsverantwortung oder an der Verantwortung den allernächsten gegenüber zeigen.
Wenn ich beherzige, wie Kolosser 1,13-20 schließt. „indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz“, dann ist das Blut kein mythisches Opferblut wie in heidnischen Kulten zur Versöhnung einer zornigen Gottheit, sondern Zeichen der unbedingtesten Liebe, die nur möglich ist. Mehr Verbundenheit geht nicht!
Wir sehen, wenn wir die Liebe Christi hineindenken in die Karfreitagsperikope, wird auch Machtmissbrauch Einhalt geboten. Der durch die Liebe (!) versöhnte Mensch ist ein aufrechter Christ, eine aufrechte Christin.
Zur Ergänzung der klassischen Karfreitagschoräle sei an dieser Stelle hingewiesen auf neuere Lieder. U. a. im neuen Anhang zum Gesangbuch der Ev. Landeskirche in Baden, Württemberg und Elsass zu finden: „Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder“ (2018).
Nr. 127 "Du für mich, wie so groß ist die Liebe" beschreibt die unmittelbare Annahme des Menschen durch den Gekreuzigten, dessen „Arme so weit“ eine liebvolle Umarmung darstellen, ohne dass das Heilsgeschehen vollkommen begriffen werden kann. Ein Stück von der Theologie der Heiligen Therese von Avila oder Johannes vom Kreuz, der „in der dunklen Nacht der Seele“ den Gekreuzigten findet. Christliche Mystik, ganz existentiell!
Nr. 181 "Menschen gehen zu Gott in ihrer Not" ist eine moderne Vertonung des Gedichts „Christen und Heiden“ von Dietrich Bonhoeffer, 1944 in der Haft nach dem 20. Juli verfasst. Die Bonhoeffersche Theologie des verborgenen, diesseitigen Gottes im Weltgeschehen, der auch in tiefster Schuld und Schuldübernahme im Vertrauen gegenwärtig ist, bleibt immer wieder zu entdecken. Beachte: Bei Bonhoeffer stirbt Christus für Christen und „Heiden“ und „vergibt ihnen beiden“. Buchstäblich: ein starkes Stück!
Das kleine Mädchen, kürzlich vier Jahre alt geworden, springt fröhlich vor seinen Eltern her. Gemeinsam mit der großen Schwester unternehmen sie einen Sonntagsspaziergang über die frühlingsduftenden Felder. Herrlich, wie die Sonne scheint, die Vögel singen, die ganze Luft erfüllt von Frühling! Erst kürzlich war die Familie aus der großen, lärmenden Stadt auf das Land gezogen, aus dem rein protestantischen Gebiet in ein streng katholisches Umfeld.
I.
An einer Wegkreuzung bleibt das Kind plötzlich wie angewurzelt stehen. Schreckensbleich dreht das Mädchen sich zu den Eltern um. „Mama“, stammelt sie erschrocken, „da haben sie einen angenagelt!“ Die Eltern wissen natürlich sofort, was das Kind so erschüttert hat: Auf der Wegkreuzung, umrahmt von Lindenbäumen, steht ein überlebensgroßes Kreuz aus Stein. An das Kreuz angebracht ist der leidende, sterbende Jesus in seiner letzten Stunde. Das Kind, an diesen Anblick nicht gewöhnt, musste annehmen, vor einem tatsächlich hier gefolterten und gekreuzigten Menschen zu stehen. Es bedurfte einiger längerer Gespräche, beruhigender Art, um das Kind zu überzeugen, dass hier eine Erinnerung, so etwas wie ein Denkmal an ein lange vergangenes Ereignis dargestellt war. Das Kind hatte schon viel vom lieben Gott, von Jesus, der Heiligen Familie und den Anhängern Jesu gehört, aber wie sollte das zusammen gehen? Der liebe Gott, der verständnisvolle Jesus, der doch zu allen Menschen, besonders Kindern, so gut war, war ermordet worden? Mit diesem schrecklichen Ausdruck auf dem Gesicht wie an dem Wegkreuz in der Feldmark? Lange dachte das Kind nach.
Viele Jahre später war das Mädchen zu Besuch in einem Kloster. Am Eingang des Klosters, gegenüber der Klosterpforte: Wieder ein lebensgroßes Kreuz, diesmal aus weichem Holz geschnitzt: Der leidende Schmerzensmann, Jesus Christus mit einer Schrift darunter, eine Frage: „Das tat ich für dich. Was tust du für mich?“ Mit dem Anblick seit vielen Jahren vertraut, ist es nicht mehr der Schockmoment, der die Jugendliche aufwühlt, sondern die Inschrift. Ja, es stimmt, Jesus hat sein Leben für die Menschen gegeben, die in ihrem Leben verstrickt waren in Schuld und Leiden. Dafür war ihr Dank groß, auch wenn die ganze Dimension dieses Opfers im Grunde für sie unerreichbar und gewaltig erschien. Gestorben – ja, für alle Menschen?
Das hatte sie gelernt: Aus Liebe ist es möglich, das eigene Leben für die zu geben, die einem anvertraut sind. Die Frage aber, die in der Inschrift steckte, schien ihr anmaßend. Diese ungeheure, alles Maß sprengende Liebestat sollte aufgewogen werden durch eigenes Tun? Wie sollte das gehen? Auf einmal war der Druck ungeheuer groß, eine Last, die Jesus ihr durch sein Opfer für sie – und alle Menschen – auferlegt hatte, auszugleichen. Da war keine Befreiung, da war erneute Schuld! Niemals ist oder wird ein Mensch, nicht einmal die ganze Menschheit in der Lage sein, diese Last abzutragen, diesen Auftrag zu erfüllen. Sie stellte sich die Nonnen dieses Klosters vor, die wohl täglich dieses Kreuz passieren müssten. Sie hatten ihr persönliches Leben ganz in den Dienst des Gekreuzigten gestellt. Sie hatten vermutlich auf die Erfüllung persönlicher Wünsche und Lebensgestaltung verzichtet und sich ganz unter den Gehorsam gestellt. Kann es das sein, was Jesus als Vergeltung forderte? Verzicht und wohl auch ständige Schuldgefühle?
II.
Die Großmutter schenkte dem Mädchen zur Konfirmation ein Johannesevangelium mit Kommentaren zu allen Schriftstellen. Interessiert und angezogen von der christlichen Botschaft, wie sie war, las sie. Aber, zugebenerweise nicht wirklich lange. Der Kommentator schien nur ein Thema zu kennen. Zu fast allen Textstellen schrie es ihr fast entgegen: „Du musst erkennen, dass du ein Sünder bist! Ja, eine Sünderin! Die Schlechtigkeit sitzt tief in jedem Herzen und muss ausgemerzt werden. Dazu gibt es nur einen, wenn auch schmerzhaften Weg: Erkenne, dass du die Erlösung brauchst, beuge dich vor dem Herrn, bereue, dann wird er dich gnädig erhöhen.“
Konnte es denn sein, dass das ganze Evangelium nur diese eine Botschaft haben sollte? Musste der Mensch erst klein gemacht werden, um errettet zu werden? Die frisch Konfirmierte war empört. Dankbar blickte sie auf eine Erziehung zurück, die ihr zeitlebens einen liebenden Gott nahegebracht hatte. Jesus war nahe in den Gebeten, die sie nachts, wie in einem Gespräch mit einem Freund, mit Jesus zu sprechen gelernt hatte. „Furcht ist nicht in der Liebe“, das hatte Jesus doch gesagt. Die Eltern hatten ihr von Kindheit an viel Eigenverantwortung beigebracht. Sie vertraute, mit allem, ja wirklich allem, zu Jesus kommen zu dürfen. Und leben bedeutet: Verantwortung zu tragen. Ein Leitspruch war: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Aber es kam ihr nicht in den Sinn, dass Jesus irgendwann eine Rechnung aufmachen würde, die nur zu ihrem Ungunsten ausfallen konnte. Leben mit Jesus wäre auch durchaus unbequem, billige Entschuldungen konnte es um Jesu willen nicht geben. Aber aus Furcht vor Strafe oder aus Scham vor Versagen sich kleinmachen und kleingemacht werden? Das kann nicht die Botschaft Jesu sein. Stehe aufrecht vor Gott, vertraue auf Jesus, deinen Bruder, so wollte sie leben.
Im Laufe ihres Lebens besucht sie gerne Kirchen. Sie liebt christliche Kunst. Und immer wieder erschauert sie vor den gewaltigen Darstellungen früher Kirchenkunst von Jesus als Weltenrichter. In riesigen Mosaiken oder Bildern, zu denen sie aufblickt, sieht sie Christus auf dem Regenbogen wie auf einem Thron sitzen, vor sich aufgeschlagen das Buch des Lebens, das Richtschwert in der Rechten. Vor seinem unausweichlichen Blick müssen sich alle verantworten am Ende aller Tage. „Hüte dich,“ sagt die Botschaft, „alles in dieser Welt ist endlich, Reichtum, Macht, Herrschaft, Alles. Und du wirst dich verantworten müssen, wie du dein Leben gelebt hast.“ Christus ist der Richter, ihm hat Gott alle Gewalt im Himmel und auf der Erde überantwortet. Auf den Bildern sieht man die ehemals Mächtigen neben den Armen, nichts schützt mehr, was in der Welt Respekt gebot, keine Kronen, keine prachtvollen Gewänder. Und Jesus Christus blickt herab vom Regenbogen und schaut den Betrachter der Jetztzeit an, blickt scheinbar in sein Innerstes, um ihn zu ermahnen: „Schau, der Ohnmächtige ist nun der Mächtige.“
III.
Ich denke, zu allen Zeiten hatten Menschen, die unter Not. Krieg, Hunger, menschengemachten Katastrophen litten, den Wunsch nach Vergeltung, nach Gerechtigkeit. Diese unbändige Wut steigt auch in uns heute auf angesichts der schrecklichen Ereignisse dieser Tage. Ich könnte Gott sofort viele Namen entgegen schleudern, Täter, die ein baldiges, strenges Urteil mehr als verdient haben. Doch hier müssen wir nachdenken und bekennen: Ist es nicht der ureigenste und menschliche Wunsch, der Gott zum Erfüller unserer Wünsche und Vergelter, zum Erfüller der Rache werden lässt?
Das Predigtwort aus den Versen des Kolosserbriefes lässt all diese Bilder und Erlebnisse wieder in mir aufsteigen und ich sehe, wie groß die Gefahren sind, wenn wir begreifen wollen, was das Sterben Jesu bedeuten soll. Können wir das überhaupt begreifen? Selbst wenn wir ein Leben lang nachdenken über die Passion Christi, erschauern wir doch immer noch wie das kleine Mädchen vor dem Feldkreuz, das ich einmal war, vor der ungeheuren Brutalität, die Jesus erleiden musste und fragen uns weiter, suchen nach dem Sinn; nach dem „Wozu?“ Und manche Aussagen in der Sinnsuche führen zu sehr menschlichen Antworten, der Ohnmacht Gottes einen Sinn zu geben. Und wo Prediger die Sinnsuchenden klein halten und Schuldgefühle nicht in der Liebe lösen, sondern wach halten, da liegt sogar geistlicher Missbrauch nahe.
Ich, wir alle, kennen genügend Menschen, die mit der Botschaft des leidenden und für – mich – gestorbenen Jesus kleingehalten wurden in einer Kirche, die von schlechtem Gewissen erfüllt war. Es gibt so viele Menschen, die nicht mehr zum Abendmahl gehen konnten, weil ihnen in Brot und Wein nicht der liebende Christus begegnete, sondern das Schreckbild vom Blut Christi. Wie war ihnen eingebleut worden: „Wer unwürdig zum Tisch des Herrn geht, isst und trinkt sich selbst zum Gericht.“ Gerade Menschen mit großem Gerechtigkeitsempfinden und mit ernsthaften Gewissen empfinden bei solch strenger Auslegung Skrupel und keine Befreiung. Das ist schlimm! Ja, ich suche in den Worten des heutigen Predigtwortes zum Karfreitag vergeblich Worte der Liebe. Ich lese Dogmatik, lese ein fernes Geschehen. Wie aber kann ich lernen zu glauben, damit ich am Geschehen des Karfreitag nicht verzweifeln muss? Ich wage es, die
L i e b e zum Predigtwort zu ergänzen.
Nach meiner tiefsten Überzeugung kann ich den Tod Jesu nur verstehen, wenn ich begreife, dass er aus
L i e b e Mensch geworden ist und aus L i e b e in den Tod ging. Christus, Gottes Sohn, der Erstgeborene der Schöpfung, wird in allem so wie wir und bleibt doch Gott. Sein Leiden am Kreuz ist keine sinnlose Quälerei, sondern Mit-leiden. Das ist es, was den großen Unterschied macht. Das Mit-leiden ist es, was ihn mit uns leben lässt, ganz nah. In allen Lebenslagen zeigt sich seine Liebe zu uns, ist er uns nahe. Und in der tiefsten eigenen Gottverlassenheit und Einsamkeit, im eigenen Sterben, da ist er uns am nächsten. Die Versöhnung, von der der Kolosserbrief schreibt, ist die Versöhnung in Liebe. Wo Jesus mich in Liebe annimmt, kann ich auch mich selber annehmen, ohne Furcht leben. Zugegeben, es ist kein leichter Weg. Lassen Sie uns auf das Predigtwort antworten mit einem neuen Passionslied. Es lädt uns in die Liebe Christi ein, der mit seinen weit ausgebretteten Armen am Kreuz uns umfängt und leben lässt.
Refrain:
Du für mich, wie so groß ist die Liebe.
Du für mich, deine Arme so weit.
Strophen:
Du am Kreuz, das ist mehr als ich fassen kann, eine Quelle der Gnade, und so ziehst du mich an.
Du am Kreuz, das ist Ohnmacht, die stärker ist als der Hass und das Dunkel. Welch ein Licht du doch bist!
Du am Kreuz, das ist Kraft zur Versöhnung hin. So wie du zu vergeben, alle Hoffnung darin.
Du am Kreuz, das ist Weg und ist Ziel zugleich, will das Leben ich finden, in der Armut so reich.
Nach den sehr ausführlichen und konstruktiv -kritischen Textanmerkungen von Pfarrerin Lallathin , folgt eine konstruktiv kritische Predigt über das Opferblut Jesu. Das dient nicht einem mythischen Opferkult zum Vergelten , sondern ist ein Zeichen von Jesu Liebe. Einleuchtend sind die ablehnenden Gedanken eines Mädchens. Für sie widerstrebt der Opfertod der Liebe Gottes. Darüber sieht sie später im Kloster. Bei der Konfrmation ist sie erschüttert von Jesus als Opfer für Sünder und als Richter, Der Wunsch nach Vergeltung gibt es auch heute allüberall. Und das Leiden der Menschen ist seit je vielfältig. Der tiefste Sinn vom Tod Jesu aber ist, dass er aus Liebe den Tod erlitt aus Solidarität und Zeichen des Mitleidens mit uns . — Das soll am Schluss auch ein Lied verdeutlichen. Zu dem Mysterium des Kreuzes hat Pfarrerin Lallathin eine tiefsinnige und mitfühlende Predigt für uns geschrieben.