“Wieviel mehr …”
GOTT ist in de Welt und lässt sich bitten
Predigttext: Lukas 11,5-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
5 Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf. 9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. 11 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? 12 Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion? 13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
Exegetische (1) und homiletische (2) Bemerkungen zum Predigttext
(1) Das Gleichnis vom bittenden Freund (Lk 11,5-8) ist Teil des lukanischen Gebetskatechismus. Er besteht aus der lukanischen Vaterunser-Form (11,1-4), dem Gleichnis selbst (11,5-8), Jesu kommentierender Verheißung (11,9-10) und einem weiteren Gleichnis vom Vater und dem bittenden Sohn (11,11-13). Lk 11,5-8 ist lukanisches Sondergut, 11,9-13 hat Lukas aus Q übernommen, ebenso das Vaterunser. Gebetsparänese ist Lukas wichtig (vgl. auch das Gleichnis 18,1-8). Die lk Komposition in 11,1-13 macht Sinn: Das Gleichnis vom bittenden Freund relativiert die Heiligung des Namens zugunsten der Intensität des Gebets „ohne Scham und Scheu“ (anaídeia, Luther „unverschämt“). Zugleich wird es durch ein „Vorzeichen“ und durch ein „Ausrufezeichen“ ins rechte Licht gerückt: „Dein Reich komme“ stellt Gottes Herrschaft (und seinen Willen, bei Mt) über alles; „Bittet, so wird euch gegeben …“ verleiht dem intensiven Gebet Sinn. Gleichnis und Verheißung werden durch das Vater-Sohn-Gleichnis noch einmal verifiziert.
(2) Unter dem 29.5.2016 habe ich im Predigtforum behauptet: Die Gottesfrage ist als Menschheitsfrage untergründig immer präsent. Dazu stehe ich. Dem steht nicht entgegen, dass ich meinen Hörern Gott nahe bringen muss. Denn wenn es um Kommunikation mit Gott geht (Rogate!), muss er in Sicht- bzw. Hörweite sein. Gott aber wird im Allgemeinen als der ferne Gott wahrgenommen. Zur Überwindung der Distanz möchte ich anleiten und Mut machen. Hier befinde ich mich in Übereinstimmung mit dem lk Jesus, für den die Heiligkeit und die Weltlichkeit Gottes kein Widerspruch ist. Ich muss also ein Gottesbild (nach)zeichnen.
Ich werde die Funktion der Gleichnisse als Teilaspekte des Gottesbildes erläutern. Zur Veranschaulichung dient mir das Gottesmosaik von der Wendelsteinkapelle (im Internet unter Stichwort: Gott-Vater Mosaik). Jedes Gleichnis ist ein Mosaikstein zum Gesamtbild. In Lk 11,5-8 geht es um die Züge im Gottesbild: „Gott ist in der Welt“ und „Gott lässt sich bitten“. Das hat die Predigt herauszuarbeiten und zu einer entsprechenden Haltung und herauszuarbeiten und zu einer entsprechenden Haltung und Handlung Mut zu machen. Lk 11,11-13 wird vernachlässigt.
Zum Leben und Werk Paul Celans sowie zu seinem vollständigen Gebets-Gedicht: www.deutschlandfunk.de/paul-celan-und-die-shoa-der-dichter-und-der-ferne-gott.2540.de.html?dram:article_id=382023) (gesendet:29.3.2017; aufgerufen:30.3.2017). Als alternativer Schluss statt des Gebets von Celan könnte auch ein Abspielen des Country-Songs „I hear them all“ der amerikanischen Gruppe Old Crow Medicine Show stehen. Konfirmanden werden begeistert sein.
Die beiden letzten Sonntage und der heutige wollen uns an elementare Lebensäußerungen erinnern, die wir als Christen nicht vergessen sollen: Jubilate: Seid fröhlich! Kantate: Singt! Rogate: Betet! Elementare christliche Lebensäußerungen. Die erste Lebensäußerung des Neugeborenen ist der Schrei. Er ist wohl die elementarste. Schreit das Kind nicht, wirkt es wie tot. Und wir Christen? Wenn wir nicht mehr Lebensfreude zum Ausdruck bringen können, wenn wir nicht mehr Gott loben und preisen können, wenn wir nicht mehr wissen, wie wir beten sollen, dann wirken wir wie tot; ja, man kann es deutlich sagen: dann ist unser Glaube tot. Das wollen uns die drei Sonntage einschärfen: Jubilate, Kantate, Rogate.
Der heutige Sonntag fordert uns auf: Rogate! Betet! Der Himmel hört euch Da mag es Manchem von uns ähnlich gehen wie den Jüngern Jesu. Sie wussten nicht, wie sie beten sollten. Da nützt die ganze Aufforderung nichts. „Herr, lehre uns beten“, bitten sie Jesus. Da stellt er ihnen ein paar Gebetsbitten zusammen, die sie immer und überall beten können und die dann auch in unsere Gebetstradition eingegangen sind als das Vaterunser. Und noch eines gibt er ihnen mit auf den Weg: Wenn ihr betet, noch dazu, wenn ihr so betet, dann werdet ihr gehört. Der Himmel hört euch. Gott hört euch. Das ist die Kernbotschaft des heutigen Sonntags: Hebt die Augen auf zum Himmel, ihr werdet gesehen. Richtet eure Gedanken nach oben, ihr werdet verstanden. Richtet euer Gebet zu Gott, ihr werdet gehört. Jesus erzählt davon Jesus ist ein begnadeter Erzähler. Darum belässt er es nicht bei bloßen Aufforderungen, sondern fasst das Ganze in eine außergewöhnliche Geschichte, die von mir und Gott erzählt. Eine außergewöhnliche Geschichte mit außergewöhnlichen Begebenheiten – ein Gleichnis. Hören wir, was Jesus sagt.
(Lesung des Predigttextes)
Eines ist klar: Bitten, Beten, Suchen hat immer zwei Pole. Auf der einen Seite der Bittende, auf der anderen der Gebetene; auf der einen Seite der Betende, auf der anderen der Erhörende; auf der eine Seite der Suchende, auf der anderen der Gesuchte. Deshalb geht es in der Gleichnisgeschichte, die Jesus erzählt, auch um Beides: Ich finde mich wieder im beharrlich bittenden Freund, Gott ist der aus dem Bett Geworfene. Nun ist da noch ein Dritter, nämlich derjenige, der den Freund um Mitternacht, von der Reise kommend, besucht. Der Freund bittet also nicht für sich selbst, sondern für einen Dritten. Das verdient Beachtung. Er bringt sich für einen Anderen in eine unangenehme Lage: Das verdient Achtung. Aber darf er überhaupt Gott so „unverschämt“ um etwas bitten?
Jesus sagt: Ja, das darfst du. Das sollst du sogar. Denn Gott ist nicht in unvorstellbarer Ferne, sondern dir ganz nah. Schau, wie gehst du notfalls mit Menschen um, die dir nahe sind und bei denen du auf Biegen und Brechen etwas erreichen möchtest? Gilt da nicht: Beharrlichkeit führt ans Ziel? Gilt da nicht manchmal auch: Unverschämtheit siegt? Sei gewiss: Gott ist in der Welt, dir ganz nah, wie dein Freund. Er kann Einiges vertragen. Gott ist dir ganz nah So sagt Jesus etwas ganz Grundlegendes über Gott: Gott ist in der Welt, dir ganz nah. Du kannst mit ihm reden im Blick nach oben, in Gedanken, in der Stille, ja auch hier im gemeinsam gesprochenen Vaterunser. Du kannst ihm danken, du kannst aber auch mit ihm hadern. Nicht mit einem blinden Schicksal, nein, mit ihm. Er hört dich.
Jesus hat mehr als vierzig Gleichnisse erzählt. Die meisten davon sind Geschichten über Gott. Hört zu, schaut her, so ist Gott. Niemand kann in einem Satz sagen, wer oder was Gott ist. Auch Jesus nicht. Selbst wenn er sagt: „Gott ist unser Vater im Himmel“, ist das nächste Gleichnis, das nächste Mosaik des Gesamtbildes vorbereitet. Jedes dieser über vierzig Gleichnisse ist ein Mosaikstein des Gesamtbildes, das am Ende sichtbar wird. Wenn ich bei allen vierzig Gleichnisgeschichten über Gott gut zugehört habe, weiß ich am Ende … auch nicht, wer oder was Gott ist; aber ich weiß, wie er für mich in der Welt da ist.
Am Wendelstein gibt es eine Kapelle, in deren Außenmauerwerk ein Mosaik von Gott-Vater eingelassen ist. Es zeigt Gott bärtig, mit wallendem Haar, die rechte Hand Achtung gebietend erhoben, in der linken die Weltkugel; im oberen Halbkreis einen Strahlenkranz seiner Herrlichkeit. Ich kann die Mosaiksteinchen nicht zählen, nur schätzen; es sind wohl weit über 1000. Alle Mosaiksteinchen zusammen ergeben dieses Bild. So ist es auch mit den Geschichten, die Jesus über Gott erzählt. Sie alle zusammen ergeben ein Bild. Aber hier ist es so: Auch schon eine einzige lässt etwas von der Nähe Gottes aufleuchten, die wir bejubeln, besingen und im Gebet erfahren können. Von der Nähe Gottes, die wir auch ziemlich „unverschämt“, d.h. ohne Scham und Scheu, herausfordern dürfen. Zeigt es uns nicht Jesus selbst am Kreuz: Sein Gebet in Gethsemane hat Gott nicht für ihn aufstehen lassen.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus redet so mit Gott, auch in seiner letzten Stunde, ohne Scham und Scheu. Gott lässt das mit sich machen. Daraus zieht der berühmte Mystiker und Theologe des Mittelalters, Meister Eckart, die Konsequenz und sagt: „Wer Gott selbst lästert, lobt Gott.“ Der katholischen Kirche ging das damals zu weit. Diesen Satz des Magisters hat sie verurteilt. Dennoch: Gott ist uns nah, und so können und sollen wir auch mit ihm umgehen. Das ist die Botschaft Jesu. Und er malt das Bild von Gott weiter aus. Wir dürfen aufdringlich sein – wie der Freund gegenüber dem Schlafenden; denn Gott lässt sich bitten.
Gott lässt sich bitten. Dieser Zug gehört unbedingt zu seinem Bild dazu. Gott lässt sich bitten. Wenn wir diesen Satz mitnehmen heute am Sonntag Rogate, haben wir Gott verstanden. Der Satz ist einfach, nichtsdestoweniger klingen in ihm verschiedene Töne auf. Gott lässt sich bitten, d.h.: Gott drängt sich mir nicht auf, im Gegenteil, er lässt mir meine Freiheit. Ich weiß, dass es in einer Gemeinde einmal im Monat das Krankengebet gibt. Wer für sich oder einen ihm / ihr Nahestehenden beten lassen möchte, kann das aufschreiben. Gott lässt mir diese Freiheit. Er ist mir aber auch nicht böse, wenn ich andere Wege der Hilfe beschreite.
Gott lässt sich bitten, d.h.: Auch er ist frei. Er muss meine Bitten nicht erfüllen. Vor knapp zwei Monaten starb unter starker medialer Anteilnahme die Schauspielerin Christine Kaufmann. Viele, die ihr nahestanden, haben gebetet, dass sie es packt, berichtete das Fernsehen. Aber Gott entschied anders. Jesu Mutzuspruch zum Gebet ohne Scham und Scheu hat ein Vorzeichen: das Vaterunser. Denn darin heißt es: „Dein Wille geschehe.“
Gott lässt sich bitten, d.h. schließlich: Er hört mich und wendet sich mir zu. Jemandem zuhören und ihm Hilfreiches zusprechen zu können, ist ja auch eine menschliche Begabung. Sie gehört auch zu meinem Berufsbild und nennt sich „kommunikative Kompetenz“. Jesus sagt: Auch Gott besitzt „kommunikative Kompetenz“. Manchmal müssen deine Wünsche unverschämt und aufdringlich sein, manchmal musst du laut werden. Du darfst darauf vertrauen, dass er dich schließlich hört. Auch wenn Jesus am Anfang unsere Erwartungen mit einem Vorbehalt bremst („Dein Wille geschehe“), so begleitet er sie am Ende doch mit einer Verheißung: Beten ohne Scham und Scheu lohnt sich: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Der jüdische Dichter Paul Celan schreibt angesichts des grauenhaften Schicksals der Opfer im KZ:
ö„Nah sind wir, Herr, nahe und greifbar. Gegriffen schon, Herr, ineinander verkrallt, als wär der Leib eines jeden von uns dein Leib, Herr. Bete, Herr, bete zu uns, wir sind nah.
Nach der gründlichen und tiefsinnigen Predigtvorbereitung folgt eine grundlegende und tiefsinnige Predigt übers Beten. Zentrales Thema ist die Aussage:” Gott ist in der Welt, dir ganz nah.” Einleitend erinnert der Pastor Dr Scholz , dass Gott loben, singen und beten zu den grundlegenden Lebensäußerungen der Christen gehören. Jesus sagt seinen Jüngern, wenn ihr so betet, wie ich es sage, werdet ihr von Gott gewiss gehört und verstanden. Dann erählt Jesus im Gleichnis: Für den beharrlich bittenden Freund ist der andere Freund, im Bild Gott, der aus dem Bett Geworfene. Jesus hat vierzig Glechnisgeschichten erzählt. Sehr geistreich finde ich die Formulierung: Wenn ich bei allen vierzig zugehört habe, dann …..weiss ich immer noch nicht , wer Gott ist. Aber ich weiss, dasss er da ist. Am Beispiel der Wendelstein-Kapelle wird das erläutert. Gott ist uns nah und lässt sich bitten. Er erfüllt aber nicht alles nach unserem Wunsch. Sehr gut vermittelt die Predigt Gottes Nähe im Gebet und ermutigt, sogleich ein kurzes , stilles Gebet zu sprechen.