” … wir haben nur getan, was uns aufgetragen war”
Christlicher Dienst und christliche Freiheit
Predigttext: Lukas 17, 7-10 (Übersetzung nach Martin Luther)
Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen:Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht:Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Vorüberlegungen zum Predigttext
Inhaltlich ist für den modernen Menschen eine Zumutung. Jedenfalls auf den ersten Blick. Niemand will Knecht oder Sklavin sein. Auf den zweiten Blick: vielen Menschen scheinen der „starke Mann“ (Donald Trump) oder die „starke Frau“ (Marine Le Pen) kein Schreckensbild, sondern die Lösung aller Probleme. Einer / eine sagt, wo es langgeht, alle anderen folgen - dieses Modell der einfachen Lösungen ist für viele attraktiv in einer unübersichtlichen Welt. Wer allerdings glaubt, dass Gott Himmel und Erde gemacht hat, wird auch ihm allein die Herrschaft überlassen wollen und sich in der Pflicht sehen, nur dem Einen zu dienen.
Ich möchte in der Predigt herausarbeiten, dass Dienerin oder Knecht sein keine schlechte Stellung ist. Wenn Gott der Herr ist, hat der Sklave, die Sklavin die größtmögliche Freiheit. Außerdem beziehe ich den Kontext der Perikope ein, um darzustellen, dass es nicht um Dienen bis zum Umfallen geht. Um eine positive Stimmung zu haben, beginne ich mit Rittern und Lords aus einem Roman. Dann erst gehe ich zum Predigttext über in der Übersetzung der Guten Nachricht.
Manchmal muss es einfach ein Roman sein. Mit dem Buch in der Hand bin ich weg, obwohl ich auf dem Sofa sitze. Zu bedauern wer das nicht kann: Zwischen Buchstaben abtauchen in eine andere Welt. Z. B. in die Welt des mittelalterlichen England. Die Ritter des Königs üben sich im Schwertkampf, die Lords spinnen Intrigen um Macht und Geld, bewundern die schönen Frauen bei Hofe. Jeder Lord hat sein eigenes Landgut. Je besser die Landwirtschaft läuft, umso reicher ist der Lord. Ab und an reitet Ihre Lordschaft vom königlichen Hofe nach Hause, mit befreundeten Rittern und Knappen im Schlepptau. Mitten in der Nacht werden die Stallburschen geweckt, um die Pferde zu versorgen, die Köchin muss was Essbares auf den Tisch bringen und die Magd holt in Windeseile Bier für die Herrschaften. Natürlich ist der Held ein gerechter Ritter. Einer der dafür sorgt, dass die Bauern nicht mehr Steuern zahlen müssen als sie besitzen. Der Held versteht seine Untergebenen, anstatt sie zu prügeln. Aber oben und unten, Herr oder Knecht, Dame oder Magd, das ist von Geburt an klar und an der Kleidung sofort zu sehen. Faszinierende fremde Welt aus Buchstaben.
(Lesung des Predigttextes, Übersetzung “Gute Nachricht”)
»Stellt euch vor, jemand von euch hat einen Sklaven und der kommt vom Pflügen oder Schafehüten nach Hause. Wird er wohl gleich als Erstes zu ihm sagen: ‘Bitte, komm und setz dich zu Tisch’? Gewiss nicht! Er wird ihm sagen: ‘Mach mir das Essen fertig, binde dir die Schürze um und bediene mich bei Tisch! Wenn ich fertig bin, kannst du auch essen und trinken.’ Wird er sich etwa bei dem Sklaven bedanken, weil der getan hat, was ihm befohlen war? So ist es auch mit euch. Wenn ihr alles getan habt, was Gott euch befohlen hat, dann sagt: ‘Wir sind Diener, weiter nichts; wir haben nur getan, was uns aufgetragen war.’«
Faszinierende fremde Welt ist auch die Bibel. Jesus erzählt seinen Jüngern eine Alltagsgeschichte. Nur das Dumme ist, er spricht uns an und macht uns zu Knechten und Dienerinnen. Er lässt uns keine Möglichkeit, in die Rolle des Helden zu schlüpfen. „Wir sind Diener, weiter nichts; wir haben nur getan, was uns aufgetragen war.“ “Das ist nicht meine Rolle. In der Geschichte spiele ich nicht mit.“ So möchte man sagen. Nur: Sie und ich, wir können uns aus dieser Geschichte gar nicht verabschieden. Gott hat uns ins Leben gerufen. Gott hat uns gewollt. Wir verdanken unsere Existenz keinem Zufall. Wir verdanken uns Gott. Ich kann nicht tauschen: Ich bin die, die Himmel und Erde geschaffen hat und Gott muss mir gehorchen. Gott gehört alles, was könnte ich ihm geben? Nichts. Ein Mensch kann mit Gott keinen Deal machen, keinen Handel abschließen. Unter Menschen wird abgemacht: Wir erlauben die Stromtrasse an unserem Dorf entlang zu legen, wenn ihre Firma die Leitungen unter der Erde verlegt und an uns Steuern zahlt.
Gott können wir nichts anbieten, was ihm nicht ohnehin schon gehört. Wir schulden Gott Gehorsam, wie ein Sklave seinem Herrn. Dieser Gedanke stimmt uns nicht froh. Wir sind heute gewohnt, dass wir niemandem Rechenschaft schuldig sind. Warum erzählt Jesus die Geschichte vom Herrn und seinem Sklaven? Die Jünger haben ihn gebeten: Herr, stärke uns den Glauben! Und Jesus sagt als Erstes: Wenn ihr nur Gottvertrauen habt, soviel wie eine Briefmarke wiegt, dann könnt ihr Berge versetzen. Und dann diese Geschichte: „Wenn ihr alles getan habt, was Gott euch befohlen hat, dann sagt: ‘Wir sind Diener, weiter nichts; wir haben nur getan, was uns aufgetragen war.’“ Jesus sagt diese steilen Sätze nicht, um seinen Freunden eine Last aufzulegen, sondern ganz im Gegenteil. Jesus redet gegen den frommen Leistungswahn. „Stärke uns den Glauben“ – braucht Gott nicht tun. Der kleinste Glauben ist genug. Was muss ich alles tun, damit ich Gott gefalle? Nichts Besonderes. Mach einfach deinen Job. Tu das, was dir als Mensch, als Dienerin Gottes aufgetragen ist: Tu deine Pflicht.
Das Wort “Pflicht” in den Mund zu nehmen, ist unmodern geworden. Pflicht klingt altmodisch und nach großer Last. Demotivierend. Aber deshalb gibt es die Pflicht trotzdem. Und sie kann sehr schön sein. Wenn Frau und Mann Eltern werden, dann ist es oft mit der Nachtruhe vorbei. Wenn das Baby schreit, steht ein Elternteil auf und sieht nach, was das Kind braucht. Windel wechseln, zu Trinken geben, Singen und das Kind auf den Armen wiegen – das tun Eltern ganz selbstverständlich. Sie klagen vielleicht manchmal, wie anstrengend es ist. Aber ein Neugeborenes versorgen ist selbstverständliche, wunderschöne Pflicht. Wenn ein Paar seine Pflicht dem Kind gegenüber vernachlässigt, dann schütteln alle den Kopf: „Was sind das bloß für Menschen?“ Es gibt Dinge, da sieht jeder ein: Das ist Pflicht. Das muss ein Mensch tun.
Machen wir ein Gedankenexperiment. Wir übernehmen die Rolle doch: Sie und ich sind Sklaven und Sklavinnen Gottes. Gott ist unsere Herrin. Er ist unser Herr. Je nachdem, ob Ihnen die weibliche oder männliche Variante lieber ist. Ich sage: Wir haben es bei Gott gut getroffen. Unser Herr ist wie der Held aus meinem Mittelalterroman. Er weiß, was ich brauche. Ich brauche ein Dach über dem Kopf, Essen, Kleidung, Freunde, ab und zu ein rauschendes Fest. Gott sorgt für mich. Doch es gibt noch andere, die etwas von mir wollen: Was, du warst noch nie in Dubai? Die schönsten Hotels der Welt muss man einfach mal gesehen haben, wenigstens von außen. Andere sagen: Was du bist dafür, dass wir Flüchtlinge in unser Land lassen? Die nehmen unsere Arbeitsplätze weg, die sprengen unsere Weihnachtsmärkte in die Luft. Die sollen zu Hause bleiben. Und die Sklavin antwortet: „Gott ist mein Herr, und ich bin seine Dienerin, und du hast mir gar nichts zu sagen. Ich werde gehen, wohin Gott mich stellt, und werde nicht hinter dem hinter herfliegen, was gerade angesagt ist. Ich werde danach fragen, was Gott will, und nicht nachplappern, was andere denken”.
Gottes Diener und Dienerinnen haben einen Herrn, haben eine unabhängige oberste Instanz. Und dadurch gewinnen wir Sklaven unsere wahre Freiheit. Diese Freiheit ist doppelt: Es ist eine Freiheit von den äußerlichen Dingen. Ein finanzielles Polster auf dem Konto, Haus, Auto, Urlaub, geschmackvolles Essen, ein guter Tropfen – schön zu haben. Kann man gut genießen. Aber das macht nicht das Leben aus. Der Wert eines Menschen sinkt nicht, auch wenn er nichts hat. Und: ich kann nichts davon festhalten. Irgendwann muss ich gehen, und ich gehe wie ich gekommen bin: nackt. Der zweite Teil der Freiheit, ist die innere Freiheit. Wenn ich mich nach Gott richte, können mir Menschen alles Mögliche vorschwatzen. Ich werde es nicht unbesehen übernehmen. An Gottes Wort kann ich prüfen, ob menschliche Worte etwas taugen oder nicht. Ich lasse mir nichts vormachen. Ich bin frei zu denken, was ich will. „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.“ So spitzt Martin Luther den Gedanken der Freiheit zu.
Gott redet, und ich höre. Gott ist Herr. Ich seine Dienerin. Dieses Verhältnis ist keine Qual, sondern eröffnet Freiheit. Ich muss mich nicht selbst erfinden. Ich bin drehe mich nicht um mich selbst: Gott sagt, wo es lang geht. Nach Gottes Willen handeln, ist das Normalste der Welt. Genauso normal, wie nachts aufstehen, weil das Kind weint. Schön und anstrengend. Gottes Willen tun. Wie das geht, das würde ich Ihnen natürlich jetzt gern in drei Worten sagen: „Yes wie can!“ Aber 1. übe ich das selbst immer noch; mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Ich denke nicht, dass ich irgendwann ganz gewiss weiß, was in Gottes Augen richtig ist. 2. Wollen Sie hier nicht noch stundenlang sitzen. Lassen Sie mich nur so viel sagen: Was Gott will, müssen wir aus der Bibel lesen. Aus den 10 Geboten, aus der Bergpredigt, aus den Geschichten von Jesus, wie der von heute.
Viele Dinge, die uns heute beschäftigen, hat es zurzeit Jesu nicht gegeben. Das heißt : Wir müssen die Buchstaben der heiligen Schrift verlassen, den Geist und Sinn dahinter suchen und danach handeln. Und es ist gut, mit anderen gemeinsam auf die Heilige Schrift zu hören. Sich korrigieren zu lassen von Mitsklaven. Wenn wir uns keinen Rat wissen, nicht wissen, was unser Gott will, dann sollten wir mit ihm reden. Wie der Diener mit seinem Herrn redet, wenn er nicht genau verstanden hat, was getan werden soll. Mit Gott reden kann dauern, bis wir ahnen, bis uns klar wird, was richtig ist.
Ach ja ich bin Ihnen noch einen zweiten Satz von Luther schuldig: “Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan”. Gottes Knecht sein schließt ein, den Menschen zu dienen. Meine Mitsklavinnen gibt es ja auch noch. Ich bin nicht allein mit Gott. “Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ So umschreibt Luther christlichen Dienst und christliche Freiheit. Nicht manchmal, nein immer muss einfach Gott sein. Gott redet, und ich höre. Gott ordnet an, und ich gehorche. Gottes Willen zu tun, ist meine Pflicht. Diese Pflicht zu tun, ist selbstverständlich. Zu bedauern, wer das nicht einsieht. Zu bedauern, wer zwischen den Buchstaben der Heiligen Schrift nicht Gottes Freiheit für sich findet.
Der Predigttext ist für heutige Menschen zuerst eine Zumutung und erstmal kein Evangelium. Sehr geschickt stimmt Pastorin Handelsmann in die früheren Verhältnisse und in die Welt der Bibel ein, weil sie von einem Roman spricht mit Herren und Dienern. Wir schulden Gott als seine Geschöpfe Gehorsam wie Knechte oder Dienerinnen. Jesus spricht aber gegen den frommen Leistungswahn: Tu einfach deine Pflicht. Sehr anrührend und überzeugend spricht die Pastorin als Beispiel von der Eltern – Pflicht gegenüber ihrem Baby, eine selbstverständliche, wunderschöne Pflicht, eine Freude, ein Glück! Im Schlussteil der Predigt aktualisiert Pastorin Handelsmann den Text mit der Dialektik von Luther: Ein Christ ist ein freier Herr aller Dinge; ein Christ ist in der Liebe ein dienstbarer Knecht für Gottes Reich. Sie schließt mit der Dialektik: Gottes Willen tun ist meine selbstverständliche Pflicht. Zu bedauern aber ist derjenige, der zwischen den Buchstaben der Bibel nicht Gottes Freiheit findet. – Über einen fremdartigen, unfrohen Text gelingt der Pastorin eine sehr überzeugende Predigt für heutige Christen. “Nach Gottes Willen handeln ist das Normalste der Welt.”
… hinreißend, mitreißend, und die Sprache ist eine reine Freude!