Wirklichkeiten

Die Wirklichkeit Jesu Christi geht zwar nicht in dieser Welt auf, ist aber in ihr erfahrbar

Predigttext: Matthäus 17,1-9
Kirche / Ort: Ev.-luth. St. Gertrauden / Magdeburg
Datum: 25.01.2015
Kirchenjahr: Letzter Sonntag nach Epiphania
Autor/in: Dr. habil. Günter Scholz

Christi Gemeinschaft die ganz große Wirklichkeit erleben

Predigttext: Matthäus 17,1-9
(nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg.
2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.
4 Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.
5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr.
7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht!
8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.
9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Exegetische Überlegungen

Mt 17,1-9 steht zwischen erster und zweiter Leidensansage. Mt folgt im Wesentlichen Mk. Die Stellung des Petrus ist ausgebaut (vgl. Mt 16,17-19; 17.14-27). Vorauf gehen die Nachfolgeworte Jesu. Liest man die Verklärungsgeschichte im Lichte der Nachfolgeworte, ergibt sich folgender Sinn: Nachfolge ist möglich, auch wenn Jesus nicht mehr auf Erden weilt, sondern zum Kyrios (17,4) verwandelt ist. Christusbegegnung wird dann Gottesbegegnung sein und umgekehrt. Ihr kann der Mensch furchtlos entgegensehen; denn sie hat etwas positiv Erhebendes an sich (17,6f).

Besonders Matthäus profiliert die Verklärungsgeschichte in diese Richtung. Er betont gegenüber Markus das Herrsein Jesu (Mt 17,4, vgl. Mk 9,5), seine Lichtherrlichkeit (17,2), die auf seine Göttlichkeit hinweist (17,5), und Gericht und Gnade im Zusammenhang mit seiner Erscheinung (Mt 17,6f). So arbeitet Mt den Christophaniecharakter deutlicher als Mk heraus.

Homiletische Überlegungen

Wie soll man über ein Epiphaniewunder an Jesus, das vor Zeugen geschieht, predigen?
Muss, wer Visionen hat, zum Arzt? Oder muss man Visionär sein, um die Welt zu verändern?
Ich nehme das Kirchenjahr als Lernhilfe. Was soll ich in dieser Zeit lernen? Christus ist in dunkler Nacht erschienen (Stern als Wegweiser) – und erscheint auch heute noch, und zwar in jedem Heute. Das ist der Sinn der von Ostern herkommenden Verklärungsgeschichte. Die Kirchenjahreszeit gibt mir das zu lernen. In diesem Licht predige ich über Mt 17,1-9: Christus, weil der Lebendige, erscheint auch noch heute in der Erfahrbarkeit seiner Gegenwart.

Dabei kommt 17,4-5 („Herr, hier ist gut sein“) zu kurz. Das wäre ein eigenes Predigtthema, etwa: Das Ewige ist nicht die Prolongation des Zeitlichen, oder: Die Ewigkeit ist nicht in der Zeit zu finden (statt „Ewigkeit“ und „Zeit“ kann man auch „oben“ und „unten“ oder „Vollendung“ und „Ende“ einsetzen). Sondern es sind zwei unterschiedene Arten von Wirklichkeit, die aber in der einen großen Wirklichkeit Gottes bzw. Christi koinzidieren. Die Wirklichkeit Christi geht zwar nicht in dieser Welt auf, ist aber in ihr erfahrbar.

Zu kurz kommt auch manches Andere: das Schweigegebot. Wie weit kann man über die andere Wirklichkeit reden, ohne sie zu verkürzen oder missverstanden zu werden? – Oder: Jesus nahm die drei „allein“ mit sich (katʼ idían). Ich sage - wie ich meine, zu Recht - : heute sind wir mit dabei. Das „allein“ kommt bei mir an anderer Stelle zum Tragen: „Christus wirkt ‚allein‘ an dir. Mein Kommentar dazu ist überflüssig.“ Allerdings: Der Bogen von 17,1 zu 28,20 ist mir wichtig.

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Weihnachten ist lang her, und doch erst genau einen Monat. Auf Weihnachten haben wir hingelebt und hingefeiert. Mindestens einen Monat lang. Ein schöner Aufstieg zum hohen Fest der Christenheit. Der Abstieg geht schneller. Spätestens nach dem 6. Januar ist festloses Alltagstreiben wieder an der Tagesordnung.

Die Kirche lädt uns ein, noch ein bisschen länger bei Jesus zu bleiben, der uns Heiligabend so in seinen Bann gezogen hat. Die Kirche lädt uns ein, unseren Weg mit Jesus zu gehen auch über Weihnachten hinaus. Dafür hat sie die Sonntage nach dem Epiphaniasfest eingerichtet, also die Sonntage nach dem 6. Januar. Heute feiern wir den dritten und damit letzten Sonntag nach dem Epiphaniasfest. Zum 6. Januar, dem Epiphaniasfest, gehört die Geschichte von den heiligen drei Königen. Gott hat sie einen Stern sehen lassen, der sie zum Gottessohn geführt hat. Ein Stern in dunkler Nacht ist ihnen erschienen, am Ende des Weges aber der Gottessohn selbst. – Am ersten Sonntag danach wurden wir zur Taufe Jesu an den Jordan mitgenommen. Seltsam, dass Johannes der Täufer in jenem Jesus sofort den Himmelskönig erkennt. Erst zögert er aus Ehrfurcht, ihn zu taufen, dann aber lässt er sich von ihm dazu ermutigen und tut es. – Am vergangenen Sonntag haben wir ebenfalls von einer seltsamen Erscheinung gehört: Jesus macht auf der Hochzeit zu Kana Wasser zu Wein. Und der Evangelist Johannes hat auch nicht versäumt zu erklären: Damit offenbarte Jesus seinen göttlichen Glanz.

Die Kirche lädt uns ein, an diesen Sonntagen etwas von dem göttlichen Glanz Jesu zu erleben. Das geht natürlich nur, wenn wir glauben, dass Jesus lebt! Ein Toter strahlt keinen Glanz aus. Wenn wir bekennen, dass Jesus lebt, können wir getrost den Weg mitgehen, den die Kirche uns führt: zu einer Gemeinschaft mit dem lebendigen Christus schon in unserem Leben. Es lohnt sich, der Einladung zu folgen. Was wir mitnehmen, wird unser Leben bereichern. Am heutigen Sonntag führt uns die Heilige Schrift mit Jesus und drei Jüngern auf einen hohen Berg. Heute dürfen wir mit dabei sein. Lassen wir uns mitnehmen:

(Lesung des Predigttextes)

Wir waren mit hinaufgegangen auf den Berg, langsam, Schritt für Schritt die Füße aufgestampft auf dem Boden, bis wir oben standen. Und am Ende sind wir wieder hinabgestiegen, Schritt für Schritt, immer festen Boden unter den Füßen. Den Bodenkontakt haben wir nie verloren. Auch als oben auf dem Berg alles hell wurde, Jesus wie eine Lichtgestalt erschien und wir uns fast in eine andere Welt versetzt sahen. Mose und Elia, beide damals schon rund 1000 Jahre tot, als lebendige Lichtgestalten neben ihm und mit ihm im Gespräch. Und wir dabei als Zeugen. Nein, wir sind noch nicht im Himmel. Unsere Füße stehen noch fest auf dem Boden, aber in der Lichtgestalt Jesu, die wir gesehen haben, ist Gott zu uns auf den Berg gekommen. Zwei Welten sind sich begegnet: unsere Welt und Gottes Welt. Zwei Wirklichkeiten sind sich begegnet: Gottes Wirklichkeit und unsere Wirklichkeit. Beides ist Wirklichkeit: unsere Wirklichkeit, auf die wir unsere Füße stellen, und Gottes Welt, die wir unerwartet erfahren dürfen. Das geschieht so. Und dabei bleiben wir mit beiden Beinen in unserer Welt. Wir heben nicht ab. Gott kommt in der Lichtgestalt Christi zu uns. Da erleben wir die andere Wirklichkeit in unserer Welt. Die ganze Wirklichkeit ist eben größer als der Boden, auf dem unsere Füße stehen.

Wir wollen uns dieser größeren Wirklichkeit öffnen. Wir wollen uns dem lebendigen Christus öffnen, der nicht nur damals den drei Jüngern als Lichtgestalt erschienen ist, sondern auch uns heute seine Nähe spüren lässt. Denn wer seine Gegenwart schon erlebt hat und um seine Nähe weiß, der kann bezeugen, wie erhellend für das Leben die Gemeinschaft mit Christus ist. Da ist der orientierungslos gewordene, gefährdete Mensch, der in Christus Halt und Orientierung gefunden hat. Ich muss mir das nicht erklären können; denn Christus hat allein an ihm und für ihn gewirkt. – Da ist der in Schuld und Schuldgefühlen gefangene Mensch, dem Christus Entlastung, Freiheit und ein neues Leben schenkt. Ich darf das nicht problematisieren und wegerklären wollen; denn Christus hat allein an ihm und für ihn gewirkt. Da ist der von Lebensangst und Verzagtheit niedergeworfene Mensch, den Christus anrührt und ermutigt, den nächsten Schritt im Vertrauen auf ihn zu gehen. Ich muss das nicht verstehen; denn Christus hat allein an ihm und für ihn gewirkt. – Und da bin ich, und da seid ihr, und da sind Sie. Uns allen gilt Christi Versprechen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Wie gut dass die Gemeinschaft mit ihm nicht nur auf unsere Lebtage beschränkt ist. Wie gut, dass die Gemeinschaft mit ihm die ganz große Wirklichkeit umfasst.

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Ein Kommentar zu “Wirklichkeiten

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Diese Predigt wird jeden Jesus – Anhänger sehr erfreuen. 1. Der Prediger zieht einen Bogen von der lichten Verklärung Jesu auf dem Berg mit Mose und Elia bis zu Matthäi am Letzten (28,20 ): Dort verspricht Jesus : Ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende. – Die Predigt beginnt damit , dass wir in der Nachweihnachtszeit mit den Heiligen Drei Königen noch weiter den Glanz von Weihnachten spüren sollen. Durch den Predigttext will Jesus drei Jünger auf einen hohen Berg führen, damit sie noch etwas mehr von Jesus als Lichtgestalt für sie und für uns erleben. 2. Gegen die Gefahr einer Christusvergessenheit in unserer Zeit, wo Jesus manchmal nur ein vorbildlicher, göttlicher jüdischer Prophet ist, spricht die Predigt vom erhöhten Christus zur Rechten Gottes. Seine Welt und unsere Welt stehen dadurch ineinander. Gott kommt durtch Christus zu uns. Wir wollen und können uns der großen wirklichkeit Gottes öffnen. 3. Im Schlußteil werden die Hörer darauf aufmerkdsam gemacht, dass das Leben mit Christus erhellend ist und Vertrauen schafft. Auch die von Lebensangst niedergeworfenen Menschen können sich vertrauensvoll erheben und mit Christus gehen, der “bei uns ist alle Tage.” Der Prediger ergänzt: …. auch über unsere Lebtage auf der Erde hinaus. – Eine sehr leuchtende und helle Predigt mit der göttlichen Lichtgestalt Jesus im Zentrum. Ich bin so eingenommen, dass ich erst jetzt auf die überzeugende Auslegung und Predigtvorbereitung hinweisen kann.

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