„Das kann doch nicht wahr sein, dass ich darauf reingefallen bin!“ Die Frau regt sich immer noch auf. Sie wollte ihrer Familie Arbeit ersparen. Die Handwerker an der Tür waren sehr freundlich, schienen ihren verstorbenen Mann zu kennen. Und das Dach wäre hinterher wie neu. Nur ein kleiner Vorschuss müsste sein. Bald darauf waren die Männer mit ihrem Geld auf und davon. Die Frau erstattet Anzeige. Sie ärgert sich. Sie schämt sich. Sie fragt sich, wie ausgerechnet ihr das passieren konnte. Sie ist eine gestandene Frau, aber sie hat sich verführen lassen, besäuseln lassen. „Das kann doch nicht wahr sein, dass ich darauf reingefallen bin!“ Es ist kein Trost, dass sie nicht die Einzige ist, die auf Trickbetrüger reinfällt.
I.
Wir sind verführbar, wenn nur die richtige Masche gewählt wird, uns einzuwickeln. Ich sage bewusst wir und uns. Hören Sie eine Geschichte, die zwei Namen nennt, aber jeden meint.
„Die Schlange war das klügste von allen Tieren des Feldes, die Gott, der HERR, gemacht hatte. Sie fragte die Frau: »Hat Gott wirklich gesagt: ‘Ihr dürft die Früchte von den Bäumen im Garten nicht essen’?« »Natürlich dürfen wir sie essen«, erwiderte die Frau, »nur nicht die Früchte von dem Baum in der Mitte des Gartens. Gott hat gesagt: ‘Esst nicht davon, berührt sie nicht, sonst müsst ihr sterben!’« »Nein, nein«, sagte die Schlange, »ihr werdet bestimmt nicht sterben! Aber Gott weiß: Sobald ihr davon esst, werden euch die Augen aufgehen, und ihr werdet alles wissen, genau wie Gott. Dann werdet ihr euer Leben selbst in die Hand nehmen können.«
Die Frau sah den Baum an: Seine Früchte mussten köstlich schmecken, sie anzusehen war eine Augenweide, und es war verlockend, dass man davon klug werden sollte! Sie nahm von den Früchten und aß. Dann gab sie auch ihrem Mann davon, und er aß ebenso. Da gingen den beiden die Augen auf, und sie merkten, dass sie nackt waren. Deshalb flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Lendenschurze.
Am Abend, als es kühler wurde, hörten sie, wie Gott, der HERR, durch den Garten ging. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor Gott zwischen den Bäumen. Aber Gott rief nach dem Menschen: »Wo bist du?« Der antwortete: »Ich hörte dich kommen und bekam Angst, weil ich nackt bin. Da habe ich mich versteckt!« »Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?« fragte Gott. »Hast du etwa von den verbotenen Früchten gegessen?« Der Mensch erwiderte: »Die Frau, die du mir an die Seite gestellt hast, gab mir davon; da habe ich gegessen.« Gott, der HERR, sagte zur Frau: »Was hast du da getan?« Sie antwortete: »Die Schlange ist schuld, sie hat mich zum Essen verführt!« Da sagte Gott, der HERR, zu der Schlange: »Verflucht sollst du sein wegen dieser Tat! Auf dem Bauch wirst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang – du allein von allen Tieren. Und Feindschaft soll herrschen zwischen dir und der Frau, zwischen deinen Nachkommen und den ihren. Sie werden euch den Kopf zertreten, und ihr werdet sie in die Ferse beißen.«
Zur Frau aber sagte Gott: »Ich verhänge über dich, dass du Mühsal und Beschwerden hast, jedes mal wenn du schwanger bist; und unter Schmerzen bringst du Kinder zur Welt. Es wird dich zu deinem Mann hinziehen, aber er wird über dich herrschen.«
Und zum Mann sagte Gott: »Weil du auf deine Frau gehört und mein Verbot übertreten hast, gilt von nun an: Deinetwegen ist der Acker verflucht. Mit Mühsal wirst du dich davon ernähren, dein Leben lang. Dornen und Disteln werden dort wachsen, und du wirst die Pflanzen des Feldes essen. Viel Schweiß musst du vergießen, um dein tägliches Brot zu bekommen, bis du zurückkehrst zur Erde, von der du genommen bist. Ja, Staub bist du, und zu Staub musst du wieder werden!«
Der Mensch nannte seine Frau Eva, denn sie sollte die Mutter aller Menschen werden. Und Gott, der HERR, machte für den Menschen und seine Frau Kleider aus Fellen. Dann sagte Gott: »Nun ist der Mensch wie einer von uns geworden, und alles Wissen steht ihm offen. Es darf nicht sein, dass er auch noch vom Baum des Lebens isst. Sonst wird er ewig leben!« Und er schickte den Menschen aus dem Garten Eden weg, damit er den Ackerboden bearbeite, aus dem er gemacht war. So trieb Gott, der HERR, die Menschen hinaus und stellte östlich von Eden die Keruben und das flammende Schwert als Wächter auf. Niemand sollte zum Baum des Lebens gelangen können.“
II.
Der Name Adam bedeutet Erdling. Von Gott aus Erde gemacht. Ein Prototyp. Adam steht für alle Menschen. Eva ist von Gott geschaffen, damit der Mensch nicht allein ist. Sie ist auch ein Prototyp. Eva bedeutet: Mutter alles Lebendigen. Also Adam und Eva, sind Sie und ich, Menschen eben.
Die Erzählung von Adam und Eva ist eine Geschichte der Menschheit. Sie versucht eine Antwort zu finden auf die ewigen Fragen des Lebens. Warum ist es mühsam seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Warum sind Geburten schmerzhaft? Gibt es einen Grund, warum der Mensch sterben muss? Warum sind wir nicht immer glücklich, sondern manchmal einsam, verloren oder traurig. Die Erzählung von Adam und Eva versucht die Sehnsucht des Menschen nach einem leichten, mühelosen Leben zu erklären. Wir haben es solches Leben gehabt, wir durften es aber nicht behalten. So die Kurzform.
„Der Sündenfall“ wird so wird die Erzählung genannt. Oder „Die Vertreibung aus dem Paradies“. Ich suche einen neuen Titel: „Wo bist du?“ würde mir gefallen oder „Gott kümmert sich trotzdem“. Nackt – ist das Reizwort in dieser Erzählung. Es hat in vergangenen Zeiten dazu geführt, die menschliche Sexualität als den Sündenfall schlechthin zu definieren. Das ist Blödsinn. Eva zerrt Adam nicht ins Bett, sondern gibt ihm zu essen. Die Frucht ist allerdings eine sehr besondere: Sie macht klug. Die Schlange verspricht: „Sobald ihr davon esst, werden euch die Augen aufgehen, und ihr werdet alles wissen, genau wie Gott.“
Alles wissen, unabhängig sein, sein Leben selbst bestimmen, darum geht´s. Das ist die große Verlockung: So sein wie Gott. Sein Leben selbst in die Hand nehmen, ist heute eine Tugend. Bei uns zählen die leistungsfähigen, selbständigen, gutverdienenden Erwachsenen. Kinder werden früh auf Leistung getrimmt. Kinder, die nicht der Norm entsprechen, eine Lernschwäche haben oder sonst eingeschränkt sind, werden nicht für voll genommen. Pflegebedürftige Menschen sehen sich zum Teil selbst als wertlos: „Ich möchte keinem zur Last fallen.“ Menschen mit dunkler Haut oder asiatischem Gesichtsschnitt finden keine Wohnung.
III.
Menschen sind allwissend und bestimmen, wie Menschen zusammenleben, wie die Wirtschaft läuft und mit der Erde und ihren Lebewesen umgegangen wird. Aber so langsam dämmert es uns, dass wir überfordert sind und nur Gott spielen: Schon seit vielen Wintern kein Schnee mehr, dafür ein Sturmtief nach dem anderen. Sollte das der Klimawandel sein?
Einmal so sein wie Gott. Entscheiden über Leben und Tod. Ist das ein Motiv in eine Shisha-Bar zu gehen und Menschen zu erschießen? Einmal bekannt sein und tun, was niemand anderes tut, zum Beispiel mit einem Auto Kinder und Erwachsene anfahren, ist das „Sein wollen wie Gott“ ? Wie Gott sein wollen ist Sünde – ist böse. Aber es ist immer fette Schlagzeilen wert. Eine andere Art Gott zu spielen, wäre Leben erschaffen. Aber dass Paare Kinder bekommen, liegt nicht einfach an ihrem Wunsch und Willen. Immer noch ist jedes Kind ein Wunder und ein Geschenk Gottes. Und dieses Geschenk bedeutet: Ringe unter den Augen nach den durchwachten Nächten. Kinder haben ist anstrengend und wunderschön, aber keine Schlagzeile wert.
Wenn Anschläge, Unfälle oder Morde passieren, wird die eine Frage gestellt: Was ist der Grund? Was für ein Motiv steckt dahinter? Wo kommt das Böse her? Darauf gibt die Geschichte von Schlange und Frau und Mann keine Antwort. Die Schlange wird nicht als das Böse bezeichnet. Nein, die Schlange ist das klügste Tier im Garten Eden. Woher das Böse kommt, wird nicht erzählt. Das Böse ist einfach da, zwischen uns, um uns herum und auch in uns selbst. Wir sind nackt. Wir sind nicht unbefangen. Wir berechnen, was uns nützt und was uns schadet. Wir sind aus dem Paradies Vertriebene und alles, was wir tun hat Konsequenzen – im Guten wie im Schlechten. Und wenn wir nichts tun, hat das auch Folgen.
IV.
„Wo bist du?“ ruft Gott den Menschen. Denn der Mensch versteckt sich, als ihm die Augen aufgehen. „Wo bist du?“ ruft Gott. Das klingt freundlich besorgt. Gott ahnt, was passiert ist. Gott ahnt, dass eine Grenzüberschreitung stattgefunden hat, aber er rastet nicht aus. Für mich klingt auch die zweite Frage traurig und besorgt: „Was hast du nur getan?“ Gottes Kopfschütteln ist zu hören. Alles muss der Mensch probieren, 99,9 % reichen nicht, es muss alles sein. Leicht zu überreden und dümmer geht´s immer, so ist der Mensch. Der Mann und die Frau. „Was hast du nur getan?“
Gott hatte eine rote Linie gezogen: Für den Fall der Fälle, dass der Mensch vom Baum der Erkenntnis nascht, sollte er sterben. Jetzt sitzt Gott in der Falle. Wer rote Linien zieht, wird daran gemessen. Gott bleibt keine Wahl: Er muss etwas tun. Die Menschen müssen die Konsequenzen ihres Handels fühlen. Aber die schlaue Schlange hatte recht: „Ihr werdet nicht sterben!“ Anders als ihre Giftzähne, ist die Frucht vom Baum nicht totbringend. Der Mensch fällt nicht sofort um. Gott überlegt sich etwas Anderes. Er vertreibt die Menschen aus seinem Garten. Nun ist der Mensch ein Vertriebener. Oder eine Getriebene, Gehetzte. Das leichte Leben ist vorbei. Ab jetzt ist immer irgendwas. Dornen und Disteln, Schmerzen und Schweiß stehen dafür als Beispiel.
„Und Gott, der HERR, machte für den Menschen und seine Frau Kleider aus Fellen.“ Bevor die Menschen gehen müssen, sorgt Gott für die beiden. Er lässt sie nicht ohne Schutz. Er wirft sie nicht einfach raus. Er betüddelt sie erst, bevor sie gehen. Dann erst fällt die Tür zum Paradiesgarten hinter dem Menschen ins Schloss. Die Tür wird bewacht, damit der Mensch nicht noch andere Früchte nascht. Der Tod ist dem Menschen immer noch gewiss. Niemand ist ewig außer Gott allein.
„Wo bist du, Mensch?“ mit dieser Frage geht die Geschichte zwischen Gott und den Menschen weiter. Nach dem ersten Mord sucht Gott den Täter und verurteilt ihn nicht zum Tode, sondern ermöglicht ihm das Leben. Nach ganz viel Bosheit auf der Erde, spült Gott die Erde ab mit einer großen Flut. Und verkündet unter dem Regenbogen: „Das tue ich nie wieder.“ – Der Mensch tut es immer wieder: so sein wollen wie Gott. Die Menschen versuchen, einen Turm zu bauen bis in den Himmel. Und Gottes Strafe? Fällt wieder milde aus.
Gott geht den Menschen wieder und wieder suchen. „Wo bist du?“ „Was hast du getan?“ es klingt fast zärtlich: „Was hast du wieder angestellt?“ Gott geht uns nach, sucht uns. Trotz all unserer Grenzverletzungen. Wegen unserer Grenzüberschreitungen?! Als wollte er belohnen, so richtet Gott die Welt. Ich hoffe, er überlegt es sich nicht anders.