Wo ist Gott?
Trotz allem auf Gott und seine Hilfe vertrauen
Predigttext: Jesaja 54,7-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. 9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.
Ein Bauer, der fest auf Gott vertraute, lebte einstmals auf einer Insel vor der Küste. Eines Tages kam eine Sturmflut. Da kam eine Rettungsmannschaft mit einem Boot vorbei und fragte, ob er evakuiert werden wolle. Er verneinte. Als das Wasser stieg, sagte er: Ich vertraue auf Gott. Er wird uns auch jetzt helfen. Und er zog mit seinen Sachen ins erste Stockwerk um. Als das Wasser weiter stieg, kam nochmals ein Boot vorbei und rief ihm zu, es sei höchste Zeit, er müsse die Insel verlassen. Aber er lehnte ab und sagte: „Gott wird mir helfen und mich nicht allein lassen“. Schließlich stieg das Wasser weiter und es stand schon über dem Dachfirst und umspülte seine Füße so dass er sich mit Müh und Not am Kamin seines Hauses festhalten konnte. Da kam nochmals ein Boot vorbei und man rief ihm zu: „Jetzt oder nie!“ Aber er sagte: „Auch jetzt noch weiß ich, dass Gott mich retten kann und helfen will“. Darüber ertrank er! Als er gestorben war kam er in den Himmel. Dort trat er empört vor seinen Schöpfer und stampfte mit dem Fuß und sagte: „Du hast dich verborgen gehalten! Du hast dich nicht um mich gekümmert! Du hast mich verlassen! Obwohl ich auf dich vertraut habe, musste ich ertrinken! Sieht etwa so deine Treue und Gnade aus?“ Da antwortete Gott ihm: „Du irrst mein Kind. Ich habe dir drei Mal ein Boot geschickt. Aber du wolltest ja vor lauter Hochmut nicht einsteigen!“
„Wo ist Gott? Wo ist euer Gott angesichts des Elends und des Leides und der Not in dieser Welt? Sieht er denn nicht den Krieg in der Ukraine? Sieht er denn nicht die Erdbeben, Hungersnöte, die Kinder, die Krankheiten, das Elend in der Welt? Selbst dann, wenn es euren Gott gibt, dann wirkt er nicht hinein, dann tut er nichts, dann greift er nicht ein. Dann hält er sich „verborgen“. Er schaut weg. Hat er sich etwa nicht zurückgezogen aus den Händeln und dem Streit der Welt? Hat er sich doch davongemacht und kümmert sich um gar nichts mehr?“
So haben Menschen zu allen Zeiten unter der Verborgenheit Gottes gelitten. Das gibt es bei Gott, dass er sich verborgen hält, dass wir ihn nicht erkennen können. Dass er den Menschen seine Gegenwart nicht mehr schenkt. Aber das ist nicht Gottes wahres Wesen! Vielmehr wendet er sein Angesicht gerne der Welt zu. Sein wahres Angesicht hat er uns in Jesus Christus zugewandt.
In Christus können wir erkennen, wie Gott es wirklich mit uns meint. In Jesus ist Gott nicht verborgen und geht auch nicht an seiner Welt vorüber. In Jesus wendet sich Gott seiner Welt wirklich und ein für alle mal zu. In Jesus ist es wahr geworden, dass „Gott sein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig verborgen gehalten hat“. Das war im Augenblick des Todes Jesu. Da wurde es finster und da bebte die Erde. Da ertönte der Schrei aller Kreatur um die Welt: „Mein Gott mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Da war Gottes Gegenwart verborgen. Aber mit gleichem Nachdruck und mit umso größerer Festigkeit steht gerade darin auch Gottes Ja über uns Menschen: „Denn in Jesus Christus müssen Berge weichen und Grabhügel hinfallen, aber seine Treue und Festigkeit in seinen himmlischen Vater wird dadurch nicht erschüttert“. Im Gegenteil, der Hügel Golgatha fällt, der Felsen wird hinweggerollt, damit Gottes Güte und Treue zu uns Menschen, umso deutlicher und sichtbarer an den Tag kommt.
Diese Botschaft von der Treue Gottes dürfen wir zunächst einmal für uns persönlich nehmen. Jeder darf darauf vertrauen, dass Gott es durch Jesus Christus so mit mir meint. Seine Botschaft lautet: „Es kann keine Lage, keine Situation, keinen Augenblick deines Lebens geben, in dem ich dich verlasse. Es kann keine Zeit geben, in der ich dich allein lasse. Siehe, ich bin bei dir alle Tage!“ Du fragst: Wie kann das sein? Ich sage dir: Schau auf Jesus! War er einen Tag seines Lebens von seinem himmlischen Vater verlassen? Er hatte zwar nicht einmal einen Ort, wo er sein Haupt hinlegen konnte, aber er wurde immer versorgt. Er hatte viele und mächtige Feinde, aber sie konnten ihm nichts anhaben und standen am Ende als die Schuldigen da. Er wurde von seinen Freunden im Stich gelassen, aber sein himmlischer Vater verließ ihn nicht.
„Aber“, wendest du vielleicht ein, „das mag alles für Jesus gelten, aber was ich zu tragen habe, ist zu schwer! Was er mir aufgebürdet hat, werde ich nicht schaffen und was ich vor mir habe, übersteigt meine Kräfte.“ Aber der Herr spricht dir zu: „Schau weg von deiner Last, betrachte sie nicht immer von allen Seiten und befühle deinen Puls nicht allzu lange. Ich aber dir etwas versprochen und das werde ich auch halten: ich bin bei dir! Ich werde mein Angesicht über dir strahlen lassen! Vertraue auf meinen Segen! Vertraue darauf, dass alles, was du in meinem Namen anfängst, auch gelingen wird. Verlass dich darauf, dass dein Leben unter meinem Schutz auch wirklich gehalten sein wird.“
„Aber“, wirst du einwenden, was wird sein, wenn Krankheit über mich kommt, was wird sein, wenn der Tod an meine Tür klopft? Was wird sein, wenn mich ein geliebter Menschen verlässt?“ „Ja“, sagt er dann zu mir, „das alles mag sein, das alles, kann das Leben mit sich bringen und das wird nicht einfach für dich. Schau auf Christus, ihm ist es nicht anders gegangen. Er musste durch den bitteren, grausamen Tod des Kreuzes hindurch. Aber am Ende steht der Sieg. Am Ende werde ich auch dort dich nicht verlassen.“ Aber wendest du ein: „wie soll ich erfahren, dass du bei mir bist? Wie soll ich erleben, dass Du mich auch dann bei meiner rechten Hand hältst?“
Da sagt er zu mir: „Weil du alles durchstehst, weil du die Kraft gewinnen wirst, daran nicht zu zerbrechen und darüber nicht zu resignieren! Denn nicht daran erkennst du Gottes Wirken, dass sich alles einfach zu Deinem Besten und zum einfachsten für dich wendet, sondern dass du auch in den schwierigsten Zeiten erfahren darfst: ich zerbreche nicht daran!“ Soweit das, was es dir bedeutet. Und so und mit gleichem Recht, wie es ist wichtig mich so ist es auch für unsere Arbeit in der Gemeinde und an seiner Kirche in dieser schwierigen und gefährlichen Zeit gültig.
Das brauchen wir ja mitten in unserer Arbeit in den Enttäuschungen und Niederlagen, in den scheinbar unentwirrbaren Knäueln und schwierigen Aufgaben, vor denen wir in dieser Zeit stehen. Dass wir wissen, dass Gott mit seinem Volk ist. Dass wir darauf unser Vertrauen und unsere Hoffnung setzen dürfen. Dass wir uns nicht aus dem Tritt bringen lassen, sondern uns darin fest machen, dass Gott dies versprochen hat: Berge weichen, Hügel fallen hin. Gott aber bleibt fest und weicht selbst nicht. Er wird seinem Volk die Treue halten nicht vergehen.
Aber bitte: Nicht, weil die Kirche und die Gemeinde so ein Volk von besonders Anständigen, brauchbaren, grundgütigen, verständnisvollen Vorzeigechristen ist! Nein, sein Volk steckt voller Lügner und Tagedieben, durchtriebenen Kerlen und Angsthasen, voller Spitzbuben und Menschen, die sich ganz und gar nicht an die Gebote Gottes halten wollen. Ja, so ist es! Genauso!
Aber das ist das große Wunder Gottes, dass Gott trotz alledem seiner Gemeine die Treue hält. Nicht wegen uns, aber seinetwegen. Schaut wieder auf Jesus. Wie haben seine Jünger ihn missverstanden! Etliche Male muss Jesus darüber sogar unwillig und zornig werden. Wie haben seine Jünger gar Jesus verraten und verkauft! Seine Treue steht außer jedem Zweifel. Und weil dies so eindeutig und klar ist, hat Gott trotz uns trotzigen und widerspenstigen Christenmenschen eine Absicht mit seiner Gemeinde. Wie heißt es in unserem biblischen Wort: „Mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln“.
Gottes Absicht ist nicht das Zerstreuen und Aburteilen, Gottes Absicht ist nicht wie bei Noah das Strafen und vernichten und hinaustun. Das tun nur die Fanatiker, die meinen, dass sie damit Gott einen Dienst erweisen, indem sie mit Gewalt eine Trennung zwischen Reinen und Unreinen, zwischen Gerechten und Ungerechten herbeiführen wollen. Gottes Absicht ist nicht die Zertrennung und die Trennung von Menschen, sondern das Sammeln um sein Wort und in seiner Gemeinde. Denn das ist Gottes ureigenstes Werk. Dass sich seine Gemeinde zusammentut und ihn lobt. Das ist ein sicheres Zeichen, dass hier Gott selbst am Werk ist, dass die Gemeinde einmütig Gott lobt. Wie heißt es dazu von der ersten Gemeinde in Jerusalem: „Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam“ (Apg 2,42).
In der Gemeinsamkeit in der Sammlung im gemeinsamen Werk, in der Gemeinschaft, die miteinander auf dem Weg ist, liegt eben der Weg Gottes. Denn Gott sammelt wie ein Hirte seine Lämmer in seinem Arm und führt die Mutterschafe. Ja, Gott der Barmherzige wird so genannt: „Der die Versprengten Israels sammelt!“ Der zusammenholt die Zweifler und die keinen Weg wissen. Der die Besserwisser einen besseren Weg wissen lässt und den Gleichgültigen wachrüttelt, der den immer Ablehnenden die Herzen öffnet und diejenigen mit Liebe herbeiholt, die sich partout nicht einfinden wollen. Der verschiedenen Meinungen stehen lässt und sie in Liebe überwindet. Gott sammelt seine Gemeinde. Das ist sein Werk. Da dürfen wir ihm zutrauen und darum will er gebeten sein.
Ja, daran dürfen wir Gott immer wieder erinnern. Dass das sein Werk ist. Dass wir es selbst nicht tun können. Dass wir die Herzen der kleinen Kinder im Kindergarten, der Schüler in der Schule, der Menschen in unserer Nachbarschaft und der Konfirmanden nicht erreichen können. Das muss ganz allein er tun. Er muss sie anrühren und sammeln in seiner Gemeinde. Das wir das nicht machen können. Das wir das nicht erzwingen können, sondern immer darauf vertrauen, dass er es tut. Unsere Aufgabe ist es darum zu beten, es zu leben und es zu verkündigen. Alles andere ist sein Werk. Möge Gott noch viele zu seiner Gemeinde sammeln und rufen, die ihm vertrauen und ihm folgen.