Wohltuende Botschafterinnen und Botschafter

Heilsamer Auftrag

Predigttext: Matthäua 9,35 -10,1(2-4)5-10
Kirche / Ort: Emden
Datum: 21.07.2019
Kirchenjahr: 5. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Dipl. Theol. Christiane Borchers

Predigttext: Matthäus 9,35-10,10 (Übersetzung nach Martin Luther)

9,35 Und Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen.
36 Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.
37 Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.
38 Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.

10,1 Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.

2 Die Namen aber der zwölf Apostel sind diese: zuerst Simon, genannt Petrus, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder;
3 Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus;
4 Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verriet.

5 Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter,
6 sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.
7 Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.
8 Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus. Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es auch.
9 Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben,
10 auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert.

Exegetische Vorüberlegungen

Die vorgeschlagene Perikope umfasst drei thematische Abschnitte, die in der Lutherbibel folgende Überschrift tragen:
Die Große Ernte ( Mt 9,35-38), Die Berufung der Zwölf,( Mt 10,1(-4)),
Die Aussendung der Zwölf (Mt 10,5-10).

Der Abschnitt vor dem Predigttext handelt von drei Heilungsgeschichten mit dem Resultat, dass die Pharisäer Jesus als einen bezichtigen, der böse Geister mit Hilfe des Beelzebubs austreibt. Dahinter steht die z. Zt. Jesu verbreitete Ansicht, dass Böses nur durch Böses vertrieben werden könne.

Die Verse nach dem Predigttext ( Mt 10,11-15) kalkuliert die Möglichkeit ein, dass die Jünger abgewiesen werden und enden mit einem Gerichtswort.

Den Schwerpunkt in meiner Predigt lege ich auf die Jünger, die ausgesandt werden. Sie bekommen einen Auftrag, der ihre Kräfte übersteigt. Wie gehen sie damit um? Die große Ernte und die wenigen Arbeiter schneide ich in diesem Zusammenhang nicht an, lese diese Verse (V 37 u. 38) auch nicht als Predigttext vor. Ebenso wenig thematisiere ich die Weisung Jesu, dass die Jünger nicht zu den Heiden und Samaritern gehen sollen, sondern ausschließlich zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels.

Ich könnte in der Predigt mutmaßen, warum Jesus die Sendung der Jünger ausdrücklich auf das eigene Volk beschränkt. Es könnte z.B. für die Jünger eine Entlastung bedeuten, nicht über die Grenzen Israels hinausgehen zu müssen. Die Jünger sind in fremden Gebieten mehr Gefahren ausgesetzt als im eigenen Land. Mit Jesu Auftrag zu den Verlorenen des Hauses Israels zu gehen, birgt schon genug Gefahr und Anfeindung in sich.

Ein anderer Aspekt ist, dass Jesus zur Zeit der Aussendung der Jünger sein eigenes Sendungsbewusstsein auf das eigene Volk beschränkt. Erst durch die Begegnung mit der kanaanäischen Frau verändert Jesus seinen Blick und erweitert sein Sendungsbewusstsein auf alle Völker (vgl. Mt 15,21ff). Auch diese Verse (Mt 10,5 u.6) lese ich nicht als Predigttext vor.

Lied:
"Dir, dir, o Höchster will ich singen" (EG 328)

 

 

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„Wer kümmert sich um mich?“  Tobias sitzt vor den Toren des Tempels, streckt die Hand aus und bittet um eine milde Gabe. Die Leute gehen vorbei, die meisten schauen weg. Manche geben eilig einen halben Schekel, laufen weiter zum Taubenstand, kaufen Opfertiere. Vereinzelt gibt es auch welche, die stehen bleiben. Sie zeigen Mitgefühl und blicken ihn an. Tobias lässt den Kopf gesenkt, er mag den Leuten nicht in die Augen schauen. Er schämt sich, fühlt sich klein, unwert. Das Schlimmste ist: Er ist gefangen in einer großen Trauer. „Warum bist du so traurig?“, hat ihn neulich ein Tempelbesucher gefragt. Die Traurigkeit steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er weiß selbst nicht, wie es gekommen ist, dass er antriebslos herumsitzt. Einen konkreten Grund für seine Trauer gibt es nicht. Abgesehen davon, dass er nicht anders sein Geld verdienen kann als am Tempeltor um Almosen zu bitten – sein Körper gehorcht ihm nicht – hat er dennoch sein Auskommen. Es müsste ihm eigentlich gar nicht so schlecht gehen, wenn doch nur diese abgrundtiefe Traurigkeit nicht wäre.  Mit größter Anstrengung schafft er es, morgens zum Tempel zu gehen. An manchen Tagen musste er schon zu Hause bleiben, weil er einfach nur dagesessen und geweint hat. Die Tränen flossen ununterbrochen, hörten den ganzen Tag nicht auf. „Wer kümmert sich um mich? Ich brauche Hilfe, aus eigener Kraft schaffe ich das nicht“, das ist Tobias klar.

Als Jesus mit seinen zwölf Jüngern vorbeikommt, jammert es ihn. Er geht zu dem Bettler Tobias, sieht ihn voller Erbarmen an, nimmt seine Hand und richtet ihn auf. Jesus heilt diesen Menschen, treibt den bösen Geist der Traurigkeit aus. Für Tobias wird die Begegnung mit Jesus zu einer zweiten Geburt. Sein Leben beginnt noch einmal neu. Außer sich vor Glück und Freude dankt er Jesus und verlässt den Tempel.

Die zwölf Jünger haben die Heilung miterlebt. Simon sorgt sich: „Jesus, du kannst nicht allen helfen, du musst mit deinen Kräften haushalten, die Leute saugen dich aus, wenn du nicht aufpasst“. Thomas ist in anderer Weise beunruhigt: „Sei vorsichtig, die Leute reden schon: Du stehst mit dem Beelzebub im Bund, sagen sie, wenn du böse Geister austreibst“. Jesus lässt sich nicht von diesen bösen Unterstellungen nicht ins Bockshorn jagen. Sein Mitgefühl ist größer als das Gerede böser Zungen. Ihn rührt die Not eines unglücklichen Menschen. „Als er das Volk sah, jammerte es ihn“, schreibt Evangelist. Jesus geht nicht erbarmungslos an Krankheit und Gebrechen vorbei. Er lässt sich anrühren, hilft und heilt. Er ist betrübt, wenn er sieht, wie ein Mensch zugrunde geht. Es tut ihm weh, wenn ein Mensch niemanden hat, der sich um ihn kümmert.

Wer kümmert sich um mich, wenn ich verloren bin? Wer hilft mir auf, wenn ich falle und daniederliege? Wer zeigt mir den Himmel, wenn mir die Sonne nicht scheint? Wenn ich am Boden bin, brauche ich einen Menschen, der mich aufrichtet. Wenn ich in Bedrängnis geraten bin, brauche ich Menschen, denen ich vertrauen kann, damit ich den Himmel wieder sehe und Hoffnung habe.

Jesus sucht sich Unterstützer, die anderen den Blick für den Himmel öffnen. Die Jünger sollen vom Reich Gottes predigten, sie sollen helfen und heilen so wie er. Es braucht viele Menschen, das Himmelreich auf Erden sichtbar zu machen, damit viele Menschen wie Tobias erleben, wie sich Traurigkeit auflöst und in Freude verwandelt.

Jesus schickt seine zwölf Jünger mit einem großen Auftrag los. Sie sollen predigen, heilen, Tote aufwecken und böse Geister austreiben. Was glauben Sie? Trauen die Jünger sich diese großen Aufgaben zu? Wie ist ihnen wohl zumute, wenn sie ausziehen? Schauen wir zwei von ihnen, wie sie losgehen, zu.

Mehr als ihre Kleidung, ein Stück Brot und einen Wasserschlauch haben Simon und Andreas nicht bei sich. Schweigend gegen sie eine Zeit lang nebeneinander her. „Simon“, beginnt Andreas das Gespräch: „Was glaubst du, was meint Jesus damit, wenn er sagt: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen?“ Nachdenklich antwortet Simon nach einer Weile: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Himmelreich bald kommt. Himmelreich, da bricht doch das Reich Gottes an, da sind alle Menschen in Frieden miteinander. Bei uns ist kein Friede, vielleicht zwischen einzelnen Menschen, vielleicht in manchen Familien, aber bei vielen ist das nicht so “.

„Wir haben aber von Jesus den Auftrag, davon zu predigen, dass das Himmelreich bald kommt“, beharrt Andreas. „Vielleicht ist das auch eine Warnung, dass die Menschen umkehren müssen“, meint Simon. „Das kann sein“, sagt Andreas „das macht den Auftrag nicht einfacher. Wer will denn etwas von Umkehr hören. “ „Das ganz gewiss nicht“, bekräftigt Simon. „Wir werden sehen, was auf uns zukommt, mach dir nicht im Voraus zu viele Sorgen. Jesus hat uns einmal geraten, als wir nicht recht wussten, wie es weiter gehen kann: Blickt  nicht zu weit in die Zukunft. Weißt du noch, als er sagte: „Es genügt, dass ein jeder Tag seine eigene Plage hat“. „Du hast Recht, Simon, so wollen wir es halten: Schritt für Schritt, Tag für Tag.” Die beiden laufen schweigend weiter.

Zwei weitere Jünger sind aufgebrochen: Jakobus und Johannes. Auch sie haben nur das Nötigste mitgenommen: Brot und Wasser für einen Tag. Die Sonne steht hoch am Himmel. „Johannes“, sagt Jakobus zu seinem Freund: “Wir sollen Kranke gesund machen. Wie sollen wir das denn machen? Wir sind doch keine Ärzte“. „Darüber denke ich auch schon die ganze Zeit nach“, antwortet Jakobus. „Bist du schon mal krank gewesen, ich meine: richtig krank, keinen Schnupfen oder eine Erkältung, sondern richtig krank?“  „Ja, da war ich aber noch klein“, erinnert sich Johannes. „Ich war so krank, meine Mutter dachte, ich sterbe. Das hat sie mir später erzählt. Meine Mutter und meine Schwestern waren Tag und Nacht an meinem Bett. Ich glaube, nicht nur die Medizin, sondern auch ihre Fürsorge hat mir geholfen und mich gesund gemacht“.  „Vielleicht bringen wir tatsächlich Heilung, wenn wir uns kranken Menschen zuwenden.“ „Wir können es versuchen.“ Vertrauensvoll setzen Jakobus und Johannes ihren Weg fort.

Zwei weitere Jünger sind auf dem Weg: Philippus und Bartholomäus. „Ich bin froh, dass ich nicht allein gehen muss“, sagt Philippus zu Bartholomäus. „Das geht mir auch so“, versichert Bartholomäus, „allein wüsste ich überhaupt nicht, was ich machen sollte und wo ich anfangen soll.“ „Der Auftrag ist unmöglich“, fährt Philippus fort: „Wir sollen heilen, böse Geister austreiben, sogar Tote aufwecken. Heilen mag ja vielleicht noch gehen. Böse Geister austreiben kann ich mir in gewisser Weise auch noch vorstellen, aber Tote aufwecken? Das kann doch kein Mensch, das kann nur Jesus. „Jesus hat einmal ein totes Mädchen auferweckt“, erinnert sich Bartholomäus „das war etwas ganz Großes und Gewaltiges. Als das Mädchen aus der Haustür trat, verschlug es allen Leuten, die vor dem Haus standen und gespannt gewartet hatten, den Atem“. „Jesus kann Tote lebendig machen, wir doch nicht“, flüstert Philippus, „Wie stellt der sich das denn vor, wie wir da machen sollen.“ „Das weiß ich auch nicht“, antwortet Bartholomäus, „er traut es uns offenbar zu.“ Aufmunternd reicht er seinem Freund einen Schluck Wasser aus seinem Wasserschlauch.

Thomas, Matthäus, zwei weitere Jünger mit Namen Simon und Jakobus, Thaddäus und Judas Ischariot wollen lieber als Gruppe gehen. Sechs Personen haben es schwerer, eine Unterkunft für die Nacht zu finden, aber in der Gruppe fühlen sie sich stärker und sicherer. Es ist keine Kleinigkeit, was Jesus von ihnen verlangt. Die sechs Jünger sind schon den ganzen Tag unterwegs, es ist Abend geworden. Es wird Zeit, sich eine Herberge zu suchen. Geld haben sie nicht dabei. Das wollte Jesus nicht. „Ihr sollt weder Geld noch Silber oder Kupfer in euren Gürteln tragen“, hat er gesagt. „Ich weiß nicht so recht“, sagt Thomas, „mir wäre es lieber gewesen, wir hätten Geld dabei. Wir können doch nicht von fremden Leuten erwarten, dass sie uns umsonst unterbringen und beköstigen.“ „Ich bin auch nicht gerne Bittsteller“ bestätigt Matthäus, „auf der anderen Seite haben wir etwas zu bieten. Wir predigen vom Reich Gottes. Das sollte den Leuten etwas wert sein.“ „Wenn sie’s denn hören wollen“, bezweifelt Thaddäus. „Viele wollen von unserer Botschaft nichts hören, tun uns als Spinner ab.“ „Es gibt genug, die Jesus ablehnen. Wer ihn nicht akzeptiert, wird uns erst nicht akzeptieren“, sorgt sich Simon. „So ist das wohl“, meldet Judas sich zu Wort. „Ich habe vorsichtshalber ein wenig Geld eingesteckt. Für die erste Zeit wird es uns über Wasser halten.“ „Das ist aber nicht in Ordnung“, kritisiert Matthäus, nimmt aber doch Judas Angebot an, für sie alle eine Unterkunft für die Nacht zu bezahlen.

Wir haben die Jünger ein wenig auf ihren Weg begleitet. So oder ähnlich könnten sie gesprochen haben. Jesu Auftrag ist Freude und Last zugleich. „Wer kümmert sich um mich“, hat Tobias am Tempeltor gefragt. Er sehnt sich nach Zuwendung und ein bisschen Glück. Jesus traut und mutet seinen Jüngern etwas zu. Er lässt sie mit ihren Aufgaben nicht allein. „Er gab ihnen Macht, böse Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Gebrechen zu heilen“, schreibt der Evangelist. Jesus sendet seine Jünger nicht unvorbereitet aus. Er rüstet sie aus und sendet sie aus, so wie Eltern ihre erwachsenen Kinder in die Welt entlassen.

Die Jünger werden nicht überall Gehör finden und aufgenommen werden, sie werden gar auf Widerstand stoßen. Die Aufgaben, die Jesus ihnen zumutet und zutraut, versprechen ein Leben voller Herausforderungen und Überraschungen, nicht ohne Schmerz und Traurigkeit, aber auch nicht ohne Freuden und Glücksmomente. Letztlich sind alle, die Jesus nachfolgen, aufgehoben in der Gottes großer Liebe, die uns umfängt und uns befähigt, unseren Weg zu gehen.

 

 

 

 

 

 

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