Predigt

Worte, die Raum geben

Wovon wir leben, was wir brauchen, was wir weiter geben

PredigttextJesaja 55,(6-9)10-12a
Kirche / Ort:Hamburg
Datum:03.02.2013
Kirchenjahr:Sexagesimae (60 Tage vor Ostern)
Autor:Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Jesaja 55,(6-9)10-12a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(6 Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; rufet ihn an, solange er nahe ist. 7 Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. 8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, 9 sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.) 10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und läßt wachsen, daß sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen, 11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. 12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.

Eindrücke beim ersten Lesen des Predigttextes (I.), zur Situation des Predigttextes (II.), zur Exegese (III.) und Gedanken zur Predigt (IV.)

I. Der Aufruf zu Beginn erreicht und bewegt mich sofort! Der Prophet lädt mich ein, auch wenn meine Gottsuche bislang nicht so ernst gemeint war! Dann reisst Jesaja den Horizont auf: Gott ist größer als wir. Und dann ein Naturbild. Es könnte von Jesus stammen. Gott wirkt und hat positive Auswirkungen auf uns und unser Leben.

II. Die heutige Perikope bildet (fast) den Abschluss des Deuterojesaja-Werks (Js 40-55). Der anonyme Deuterojesaja gehört mit Hesekiel und Anderen zu den Propheten des Exils. Sie haben den Auftrag, dem „Rest Israels“ zu verkündigen, dass Gott trotz Alledem sein Volk nicht verlassen hat. Mit den letzten Versen (Js 55, 12+13) kehrt der Prophet wieder zu zu seinem Prolog (40, 9-11) zurück. Mit diesem Rahmen formuliert er seine Botschaft: Gott ruft sein Volk aus der Klage heraus zu neuer Hoffnung – Gott (der Gott dieses geschlagenen Volkes), wirkt (in der Geschichte) weiter. „Deuterojesaja“ lebt wohl 200 Jahre nach dem Ersten Jesaja am Ende des babylonischen Exils. Er schreibt ein Trostbuch, in das er die „Gottesknechtslieder“ einfügt. Er tritt in der 2. Hälfte des 6. Jhs. v.Chr. auf. Hatte er eine Funktion im Gottesdienst der Exilsgemeinde? In seiner Zeit erobert der Persische Großkönig Cyrus (559-529) das gewaltige Reich Babylonien. 538 erlässt er das Tempelbauedikt (von Deuterojesaja nirgends erwähnt!). Dieses ermöglicht die Rückkehr nach Jerusalem und den Aufbau des Jerusalemer Tempels.

III. Der Abschnitt hat einen schlüssigen, fast poetisch-lyrischen Aufbau. Einige Anmerkungen zum Text: V6 Was bedeutet das hebr. „be“? Dass Gott klar zu finden ist, wenn man ihn sucht („da er sich ...“)? Oder dass Gott sich gelegentlich verbirgt („solange er sich ...“)? Oder dass ein Gottesfund nur selten vorkommt („wenn er sich ...“)? Ja, sollte er in meiner Rufnähe sein (bß)? V7 werden Menschen genannt, die einen falschen Weg gehen, die falsche Gedanken denken; JHWH wird wie ein Vater handeln und den „verlorenen Sohn“ bzw. die „verlorene Tochter“ bedingungslos auf- und annehmen. V8 Die nächsten drei Verse beginnen mit ki - drei pointierten Begründungen für Sein Handeln:1. Seine Gedanken sind ebensowenig menschliche Phänomene wie Seine Wege. 2. (V9) Seine Gedanken und Wege sind so weit entfernt wie Himmel und Erde; der Apparat bietet die Verbindung „wie hoch ..., so hoch ...“ 3. (V10) Sein Wort befruchtet die Erde, ist Brot für den Essenden (vgl. Joh 6,35 „Ich bin das Brot des Lebens“); zwei ki-im-Verbindungen erläutern (10aß, 11b). V12 Ein 4. ki zeigt die Folge göttlichen Handelns für sein Volk, dessen Aufbruchsaktion unterstützt wird.

IV. Die Perikope zu Sexagesimä, „60 Tage“ vor Ostern und 2 Wochen vor der Passionszeit, sind erfrischende, ansprechende, ermutigende, hoffnungsvolle Worte. Vielleicht ursprünglich an müde und „glaubensarme“ Israeliten gerichtet, die mit dem Verlust des Jerusalemer Tempels auch den Verlust Gottes beweinen. Die Einbettung der Perikope in die (Kirchen-) Jahreszeit zwischen Weihnachten und Ostern mag diese Situation wiederspiegeln: Der Winter kämpft mit dem Frühling. Sehnsucht nach der wärmenden Sonne. Leben im „Noch nicht“. Die Passionszeit kündigt sich an. Dennoch ist Gott nahe. Er lässt sich auch im „normalen“ Leben finden. Sein Wort will - wie es das Evangelium des Sonntags vom Vierfachen Ackerfeld (Lk 8, 4ff) kündet - unter uns „aufgehen“! Darum: Verlasst falsche Wege und Gedanken! „Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395,1)! Zertretet das Wort Gottes nicht - und tretet es auch nicht breit! Dann ist Gott wie ein Vater: Er nimmt den heimkehrenden Sohn mit offenen Armen wieder auf und an. Er lässt sich von der Tochter finden, gleich gültig, was sie tat. Die Gute Nachricht Jesu ist hier mit Händen zu greifen! Gott wendet sich zu. Er „läuft über“ von Verzeihen. Sein Wort ist „Brot in Wüstennot“ (EG 171,1), das dem Essenden gegeben wird. Gott selber als Brot. Eucharistia! Das Wort Gottes, das „einfach“ wirkt, eine Wirklichkeit ist für den, der Ihn sucht, anruft, der falsche Wege verlässt und umkehrt und das Brot Gottes annimmt - unio mystica.

Das Wunder geschieht: Die letzten vier Worte der Perikope (im masoretischen Text) sind Antwort auf die Eingangs-Suche, sind Ziel der Lebenswege des Volkes Gottes: 1. Auszug aus Elend, Not, Langweile - mit Freude (lukanischer Kernbegriff!): das Leben hat wieder einen Sinn! 2. „Mit Mutterhänden leitet er / die Seinen stetig hin und her“ (EG 326,5) - in Frieden. Die Predigt kann die Gott- und Sinnsuche vieler Menschen heute aufnehmen. Auch das Suchen nach dem richtigen Weg, Auszüge aus falschen Situationen wie auch die Scheu, den Aufbruch zu wagen und sich der Leitung Gottes zu überlassen, sich getragen zu fühlen und zu wissen von Ihm und seinem Wort, sind Gedanken, die Menschen heute beschäftigen. Vertrauen Gott und Menschen gegenüber, Angst vor Ablehnung, vor (gerechter) Strafe, sich wie ein „verlorener“ Mensch fühlen und kein Recht auf „Frieden“ zu haben, können Menschen verzweifeln lassen. Dann die Erfahrung von Worten, die sättigen, die Raum und „Frieden“ geben, die mit „Freude“ erfüllen, sodass Leben Sinn-voll ist.

Eine Predigt über Gott, der sich finden lässt, nicht weil er sich versteckt hat, sondern weil er im Wort enthalten ist. Gespräch heilt. Heilsame Worte sind Lebensmittel, „Lebensbrote“, die auch Menschen untereinander (ver-) teilen sollen: Dann werden alle satt! Die Predigt kann sich an folgenden Kernworten orientieren: - Menschen können Ihn suchen, anrufen, falsche Wege verlassen und zu Ihm zurückkehren. - Wir können das Alte verlassen, Auszug aus Elend, Langweile, aus „Ägypten“ und die „Freude Gottes“ (Lukas!) spüren. - Der Mensch kann spüren, von Ihm getragen, geleitet zu sein und Frieden finden. - Das Wort Gottes will Brot „in Wüstennot“ sein, nachhaltig, sättigend, wirkend. - GOTT ist hoch wie der Himmel über der Erde, und er ist nahe, in Rufweite.

Lieder

„Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“ (EG 326) „Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395) (Wochenlied) „Herr, für dein Wort“ (EG 196) bzw. „Es wolle Gott“ (EG 280) „Vierfach ist das Ackerfeld“ (Kanon) „Bewahre uns, Gott“ (EG 171)

Literatur

Lothar Veit, Gottes Engel weichen nie, aus: Widerworte, 2012 - R. Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen Bd. 2 3. Aufl. 2002 S. 246 ff.

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