Zeit für Gott

Den Kreislauf durchbrechen - innehalten

Predigttext: Markus 2,23-28
Kirche / Ort: Luthergemeinde / 76275 Ettlingen
Datum: 25.10.2020
Kirchenjahr: 20. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dr. Thorsten Maaßen

Predigttext: Markus 2,23-28 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

23 Und es begab sich, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. 24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? 25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, da er Mangel hatte und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: 26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? 27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.

Lesung:
1. Mose 8,18-22

Lied:
„Gott gab uns Atem“ (EG 432, Predigtlied)

 

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Streit um den Sonntag – das kennen wir auch. Immer wieder einmal gibt es Streit darum, wann die Stadt zu Empfängen einlädt, wann die Sportjugend ihre Turniere austragen lässt, und warum ein paarmal im Jahr ausgerechnet auch noch sonntags Geschäfte öffnen. Des Wahnsinns fette Beute ist doch, wer den Ruhetag, den die Menschen als Ebenbilder Gottes nun einmal brauchen, mutwillig zerstört. Wenn dies der letzte Ausweg sein soll, ein Geschäft am Leben zu erhalten, dann ist wohl schon Hopfen und Malz verloren. Ruhe und Erholung, Zeit für Gott, all das braucht es, dass alle einen solchen Tag respektieren. Sonst drehen wir alle allmählich durch.

Das gute Gesetz Gottes

Als Pfarrer, der hin und wieder auch zu Fragen des Sonntagsschutzes befragt wird, habe ich ein großes Verständnis für das Anliegen der Pharisäer, die hier mit Jesus aneinandergeraten. Sie ahnen schon, eine Ausnahmeregelung zieht die andere nach sich. Und bald ist von dem segensreichen Ruhetag Gottes, dem Sabbat, nicht mehr viel übrig. Der Sabbat ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Gesetz des Alten Testaments, die Tora, eine gute Weisung ist, ein echter Segen Gottes. Dafür setzen sich die Pharisäer ein. Und darum kränkt es sie, wenn sie den Eindruck haben, die Schüler des Rabbi aus Nazaret , missachten das Ruhetagsgebot. Denn am Sabbat soll niemand arbeiten. Und Ernten ist nun einmal Arbeit. Da machten sie jetzt keinen Unterschied, ob der Bauer seine Ernte einholt, oder ob die Jünger im Vorbeigehen ein paar Ähren für sich ausraufen, weil sie Hunger haben.

Jesus sagt nicht einfach: Ihr seid zu spitzfindig. In eurer Gesetzeshüter-Mentalität seid ihr übers Ziel hinausgeschossen. Er macht vielmehr deutlich: Durch ihn – durch den Menschensohn, besteht ein neues Verhältnis zu den Geboten Gottes. Er beansprucht tatsächlich die Deutungshoheit. Denn als Gottes Sohn kann ihm keiner etwas dabei vormachen, den Willen seines Vaters zu erschließen. Mit Jesus ist die Menschheit gewissermaßen noch einmal auf Neustart gestellt – so wie einst bei Noah. Mit Jesus traten Gottes Gebote aus dem Schatten heraus, nur das Leben des jüdischen Volkes zu regeln. Jesus wollte die großen Linien nachzeichnen, Gottes Willen für die ganze Welt, die ganze Menschheit galt es bekanntzumachen. Da geht es dann nicht darum, wie genau das Arbeitsverbot gebrochen wird, wenn man doch gerade mal die kaputte Heizung repariert hat oder warmes Essen gekocht hat. Sondern es geht darum, den Sabbat, den Ruhetag als eine Wohltat Gottes an der ganzen Schöpfung wahrzunehmen und zu feiern.

Um der Menschen willen

Denn „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ Dabei bezieht sich Jesus durchaus auf die ureigenste jüdische Tradition, wenn er den großen König David heranzieht. Nun, ob Davids Verhalten der Maßstab für Gesetzestreue sein kann, mag dahingestellt bleiben. Gleich mit mehreren der zehn Gebote hat er einen äußerst flexiblen Umgang an den Tag gelegt. So auch in diesem Beispiel: Als er Hunger hatte, aß er mit seinen Leuten kurzerhand die Schaubrote im Tempel, die eigentlich nur dem Priester vorbehalten sind. Man könnte meinen: Nun ja, ein König kann sich so was erlauben. Aber Jesus nutzt diese Episode aus dem Alten Testament eher umgekehrt: Wenn selbst der große König David in Hungersnot etwas gegen den Hunger unternimmt, was nicht der strengen Auslegung des Gesetzes entspricht, dann können doch um so mehr die wirklich Armen alles dafür tun, dass sie satt werden.

Option für die Armen

Jesus schafft den Sabbat nicht ab. Er will sich nicht lustig machen über das Anliegen der Pharisäer. Aber er bringt in die Streitfrage eine neue Rangordnung der Argumente. Heute würden wir sagen: Die Option für die Armen hat Vorrang. Denn inhaltlich läuft seine Begründung darauf zu: Hunger ist zu beseitigen! Kein Gesetz der Welt kann rechtfertigen, dass wir jemanden vorsätzlich hungern lassen. So weit weg von unserer Zeit heute ist das also gar nicht. An die Grenzen Europas kommen Menschen aus Syrien, aus Afghanistan, aus Afrika, aus Minderheiten, die in ihren Herkunftsländern nicht wohlgelitten sind. Unsere Gesetze sagen: Stopp – da kann nicht jeder kommen und sich in der sozialen Hängematte ausruhen. Wir sind nicht zuständig. Wir können nicht alle Probleme der Welt lösen. Und so weiter. Wir hören solche Argumente bei jeder Talkrunde. Im Prinzip stimmt es ja auch. Aber welches Prinzip eigentlich?

Gemeint ist da das Prinzip, dass alles seine Ordnung und jeder unbescholtene Bürger seine Ruhe hat. Populisten schlachten dies immer einseitig aus. Doch Jesus setzt ein anderes Prinzip dagegen: Lasst die Leute erst einmal satt werden. Der Hunger muss weg. Dann können wir weiter sehen. Die boat people im südlichen Mittelmeer einfach wieder abzudrängen und zu hoffen, dass sie entweder wieder in Afrika verschwinden oder im Meer ertrinken, ist jedenfalls ein Skandal. Wer vor Not, Hunger und Elend an unsere Türen klopft, mag aus der Sicht des Gesetzes ein „Wirtschaftsflüchtling“ sein. Doch auch dieser soll leben. Darum ist es eine gemeinsame Aufgabe der Menschen auf unserem Kontinent, diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, satt zu werden. In einem zweiten Schritt können wir dann mit ihnen gemeinsam überlegen, was getan werden kann, damit in ihren Herkunftsländern Hunger, Elend und Fluchtgründe verschwinden.

Durch den Menschensohn Gottes, durch Jesus wird das Gesetz dem Leben untergeordnet – oder besser: zugeordnet, keinesfalls aber übergeordnet. Wenn der Ruhetag eine Wohltat für den Menschen sein soll, kann kein Gebot den Menschen dazu zwingen, am Sabbat zu verhungern.

Ruhetag

Noch einmal: Der Ruhetag ist damit nicht außer Kraft gesetzt. Im Gegenteil: Er ist in dieser neuen Perspektive bestätigt, zu neuem Glanz aufgerückt. Denn die Jünger hätten ja gar nicht die Möglichkeit an diesem Tag Ähren auszuraufen, wenn es ein Erntetag wie jeder andere wäre. Der Bauer würde sie wohl vom Felde jagen und sie an den Kaufmann verweisen. Wenn jeder Tag ein Geschäftstag ist, wird alles aus der Erde herausgepresst. Der Ruhetag hingegen ist ein Tag, an dem nicht die Gier das letzte aus den Feldern und aus den Arbeitskräften herauspresst, sondern es ist ein Tag, an dem sich die ächzende Schöpfung erholen, die geschundene arme Bevölkerung regenerieren kann.

Ein Leben ohne Ruhetag ist ein gnadenloses Leben. Ich spüre das selbst, wenn ich ein paar Wochen lang keinen Tag richtig frei gemacht habe. Nur anders als die Wohlstands-Workoholics von heute mit oft selbstgewählter unvernünftiger Rastlosigkeit haben es gerade die unteren Einkommensschichten bitter nötig, dass ein Gesetz wie der Sabbat ihnen die Möglichkeit zum Atemholen, zum Kräfteauftanken am Ruhetag einräumt. Denn sonst würden sie zum Profit anderer, Arbeitgeber, Aktionäre usw. auch noch um diese wertvolle gemeinschaftliche Pause gebracht werden. Den Ruhetag zu feiern und zu schützen, das sollen auch wir Jünger Jesu.

Aber Jesus macht deutlich, dass dieser Ruhetag wirklich für den Menschen geschaffen ist. Ihn zur Gängelung der Menschen zu benutzen, ist der Holzweg der Pharisäer. Jesus legt den wahren Sinn des Sabbatgebotes frei, nämlich, dass dieser Tag frei bleibt von Gewinnstreben und Habgier und frei wird für das Stillen des Hungers und für die Zuwendung zu Gott und den Menschen. Alles, was Gott uns gegeben hat, die ganze Welt, die seit Noahs Zeiten unter Gottes Regenbogen steht, soll dem Menschen dienlich sein, und nicht dazu genutzt werden, andere zu unterdrücken.

Gott sei Dank, es ist Sonntag. Als Christinnen und Christen sind wir aktive Schützer des Ruhetags. Indem wir sonntags zur Kirche gehen, durchbrechen wir den Kreislauf des Gewinnstrebens. Wir bezeugen, dass es etwas Höheres und Wichtigeres gibt als den maximalen Konsum, den maximalen Spaß, den maximalen Gewinn. Nämlich Gott und die Menschen, die er uns zeigt – die Hungrigen zu sättigen, die Not zu lindern. Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht. So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.

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Ein Kommentar zu “Zeit für Gott

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Mit dem interessanten Problem der Sonntagsheiligung heute beginnt die Predigt aktuell und interessant. Als Pfarrer und Christ kann man viel Verständnis haben für die Frage der Pharisäer zum erlaubten Ährenraufen am Feiertag. Jesus macht deutlich, dass er die Deutungshoheit hat zu den Geboten. Der Einsatz für die Hungernden hat Vorrang zur Gebotsbeachtung der Feiertagsheiligung. Damit ist dieses Problem heute aktuell. Hungende Menschen wollen als Flüchtlinge bei uns aufgenommen werden. Unsere Gesetze verbieten das. Aber wir können sie als Christen nicht verhungern oder ertrinken lassen. Durch Jesus wird das Gesetz dem Überleben untergeordnet. Die Überlebenshilfe geht vor den Geboten. – Trotzdem bleibt für uns der Sonntag der Ruhetag, damit ohne Gewinnstreben und Arbeit wir uns Gott zuwenden und im Glauben gestärkt werden, um unser Leben zu bestehen und unsere Energie zur Nächstenliebe zu bestärken. – Eine überraschend aktuelle und gut formulierte und konstruktiv aufgebaute Predigt. Man kann den eigentlich sperrigen Text gut verstehen und wird erfreulich bestärkt im Glauben, in der Hoffnung und in der Nächstenliebe.

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