Die alte Haustür an meines Großvaters Haus habe ich noch gut in Erinnerung. Wenn ich zu ihm kam, fand ich sie immer offen. Eine alte Holztür war es, die man über abgelaufene Stufen erreichte. Und selbst wenn ich sie einmal verschlossen vorfand, wusste ich doch, dass der Schlüssel unter der Matte lag. Nein, mein Großvater hielt nicht viel davon, die Türen abzuschließen. Warum auch? Schließlich waren Besucher immer willkommen. Und: Wer sollte auch schon kommen und etwas holen und selbst wenn, selbst wenn? Ja, mein Großvater!
Aber das ist schon so lange her, dass es fast nicht mehr wahr ist. Meine Haustür halte ich fest verschlossen. Schließlich lebe ich in der Stadt und nicht auf dem Land, schließlich sind die Zeiten nicht mehr danach und vor allem: die Menschen. Und wie es sich mit den Türen verhält so auch mit den Herzen: zu oft belogen, zu oft hintergangen, zu oft enttäuscht.
I
Es gibt viele und vor allem auch gute Gründe die Türen in unseren Tagen fest verschlossen zu halten. Der Staubsaugervertreter ist out, der Enkeltrick in. Wachsamkeit lohnt sich.. Der oder die „Andere“ könnten gefährlich sein, mich gar bedrohen. Also lieber kein Vertrauen, sondern Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Die Jünger, die Jesus nachfolgen, öffnen ihre Herzen. Sie sind geprägt von Vertrauen und Zuversicht, in das, was Jesus tun kann und auch tun wird. Sie hören Jesu Wort, einen Esel zu holen und sie gehen hin und tun, was er sagt. Im Vertrauen darauf, dass sein Wort tragen wird, dass das, was er gebietet sich auch ereignet. Damit beginnt das Kommen Christi, dass wir seinem Worte vertrauen und es einfach tun. Vieles von Jesu Worte kommt uns unglaublich, fast verrückt vor. „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ Das Wort Jesu an die Jünger: „Geht in das Dorf, das vor uns liegt, ihr werdet eine Eselin finden, bindet sie los und führt sie zu mir.“ War dieses Wort etwa einfach und logisch und leicht einzuhalten? Das Kommen Jesu beginnt damit, dass wir seine Worte hören und dann auch tun.
Nun kommt Jesus vor die Tore der Stadt. Er kommt zu den Menschen. Und wie er kommt! Ohne Gewalt und Macht, sanftmütig, mit einer stillen Freundlichkeit. Unaufdringlich aber die Menschen zutiefst beeindruckend. Und das ist wohl der bestimmende Zug im Leben Jesus: Stille Freundlichkeit. Wir dürfen uns auf einen Herrn einlassen, der sanftmütig daherkommt, in aller Freundlichkeit uns einlädt. Er spricht zu uns: „Mein liebes Kind, zu dir mit deinem enttäuschten Herzen will ich kommen, zu dir mit deinem harten Herzen, zu dir, der du verbittert bist über das viele, das dir Menschen angetan haben. Mit all dem, was dich misstrauisch gemacht hat, gegen deinen Nächsten, mit deinen Enttäuschungen und deiner Verbitterung. Ich habe sie gesehen.
Ja so sind Menschen. Diese Menschen habe ich nicht aufgegeben. Du darfst immer wieder mit ihnen neu beginnen.“ So kommt der sanftmütige König auch zu uns. Und sein Königtum besteht darin nichts zu fordern, sondern alles zu bringen. Und darin ist seine Sanftmut die Gestalt der Macht, die zählt.
II
Hoffentlich geht es uns nicht wie den Menschen in Jerusalem, die vorsichtig und skeptisch bleiben. Denn in der Stadt wird die Frage ist laut: „Wer ist der?“ Wer ist der, dass ihm die Leute huldigen, dass sie ihm zurufen: „Hosianna! Hilf doch!?“ Die Frage distanziert, sie lässt den Frager immer in skeptischem Abstand. Sie ringt sich zu keinem Bekenntnis und zu keiner Klarheit durch, sie bleibt befangen in der Ungewissheit.
Die Menschen, die sich um Jesus herum befinden, haben auf diese Frage eine eindeutige Antwort. „Er ist der Messias, der kommende Retter, an ihm und unserer Stellung zu ihm entscheidet sich alles für unser Leben. Er ist der König, von dem wir alles erwarten dürfen.“ So antworten die Leute, die sich auf ihn einlassen. Dass Menschen „verschlossen“ sind, so dass man nicht an sie herankommt, dass man keinen Zugang zu ihnen findet, dass sie „zugemacht“ haben, das kennen wir. Das ist heute nicht anders als damals.
Warum sich Menschen verschließen? Vielleicht sind es Erfahrungen, wo ich von anderen enttäuscht wurde. Vielleicht ist es nur Vorsicht, vielleicht aber auch die Angst davor, eine schlechte Erfahrung zu machen. Vor lauter Fragen und lauter Vorsicht kann er an einem vorübergehen. Kühles Achselzucken angesichts dessen, was um uns herum geschieht. Nein, vielleicht wird bei uns diese Frage nicht mehr gestellt: „Wer ist der?“ Ein Prophet? Vielleicht? Ein guter Mensch? Vielleicht. Ein Wunderheiler? Ein Therapeut? Vielleicht. Aber er ist eben mehr: der den Gott gesandt hat. Er ist der Messias, der Gesalbte Gottes, derjenige den Gott eingesetzt hat, um die Welt zu wandeln.
Für viele in Jerusalem wird an diesem Einzugstag ein normaler Tag angebrochen sein. Viele Händler werden ihre Stände vorbereitet haben für den Andrang in der nahen Passahzeit. Andere haben ihre Arbeit vollbracht wie immer, und haben sich abends todmüde ins Bett gelegt. Als wäre nichts geschehen und als könnte sich nichts ändern. Die Stadt verweigert ihrem Herrn die Huldigung. Aber damit hat sie auch die Stunde ihrer Zuwendung verpasst. Wie heißt es dann bei Matthäus: „Und Jesus ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus.“.
III
Unser Herz zu öffnen bedeutet: die Stunde zu erkennen, in der wir gerufen, gefordert und berufen werden. Die Stunde zu erkennen, auf die es ankommt. Und damit ist die Frage unabweisbar gestellt: In dieser Stunde der Entscheidung als es wirklich um alles geht, als alles auf des Messers Schneide steht, da entscheiden sich das Volk gegen Christus.
Hören wir den Text genau. Nur die Menschen draußen vor den Toren der Stadt, die nicht zu den Städtern gehören, das Volk des Landes, ruft dem kommenden König die Huldigung zu. Aber die Hauptstadt Jerusalem verweigert die Aufnahme des Herrn. Und damit haben sie die Stunde verpasst. Solche Stunden gibt es auch in unserem Leben. Zeiten in denen wir besonders gefordert im Letzten gefragt und wichtig sind. Aber gerade in der Gleichgültigkeit und in der Skepsis vollzieht sich das Gericht. Darin, dass die Stunde nicht einmal wahrgenommen wird, dass die Stunde vorübergehen kann, ohne dass irgendetwas erfolgt. Wir sollen die Stunde erkennen, in der wir gerufen sind!
Vielleicht verstehen wir unser Leben unter diesem Blickwinkel neu: Vielleicht sind die Probleme, die jetzt über mich kommen, nicht die Last, unter der ich zerbreche, sondern die Zeit und die Stunde, in der sich mein Glaube bewährt und in der ich mich selbst verwandle. Vielleicht ist die Krise, die ich mit meinen Kindern oder mit meiner Frau erlebe, eine Stunde, in der ich gefragt bin, mich auf den rechten Weg zu begeben und ihm nachzufolgen.
Vielleicht ist jede Krise auch eine Frage an unser Gottesverhältnis, eine Stunde der Entscheidung. Vielleicht auch: Dass ich mir Hilfe hole von außen und darin ein Mensch werde, der sich eingesteht, dass er anderer Menschen bedarf. Vielleicht ist der berufliche Wechsel, der Umzug, der mir bevorsteht, eine Stunde, in der ich in die Entscheidung gestellt bin.