Zuspruch, der gut tut
Die dunklen Seiten des Lebens nicht ausblenden
Predigttext: Jesaja 49,13-16 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
13 Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.
14 Zion aber sprach: Der HERR hat mich verlassen, der Herr hat meiner vergessen.
15 Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.
16 Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern sind immerdar vor mir.
Vorbemerkungen
Ich habe versucht, dicht am Text zu bleiben und sein Anliegen, göttlichen Trost zu vermitteln, herauszustellen und für die heutige Gemeinde fruchtbar zu machen. Die dabei auftauchende Theodizzeefrage habe ich weitgehend zurückgestellt und lieber den tröstlichen Zuspruch der Gottesworte bearbeitet. Die geschichtliche Situation, in die dieser Text hineingesprochen wurde, ist nur angedeutet. Mir war wichtiger, die Bilder in ihrer Bedeutung der Gemeinde nahe zu bringen.
„Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen“. Welch ein Jubel braust hier auf. Er gilt der Güte und Barmherzigkeit Gottes, der seinem Volk Trost schenkt, der sich der Elenden erbarmt, der die Seinen nicht vergisst.
Von Gott vergessen?
Die ersten, die diese Botschaft hörten, waren Juden im babylonischen Exil. Sie hatten schwere Zeiten hinter sich und eine ungewisse Zukunft vor sich. Das einst so stolze Volk wurde tief gedemütigt. Die Schlachten wurden verloren. Jeder Widerstand brutal gebrochen. Die Hauptstadt Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht. Der herrliche Tempel zerstört. Das Staatswesen aufgelöst. Tausende sind umgekommen. Große Volksteile wurden verschleppt. Da lag der Gedanke nahe, dass Gott sein Volk verlassen und vergessen hat. Das wird ausgedrückt mit den Worten: „Zion aber sprach: „Der Herr hat mich verlassen, der Herr hat meiner vergessen.“ Wie viele Menschen stimmen in dieses Klagelied ein: Ich fühle mich von Gott verlassen und vergessen. Da sind die, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden und darüber nicht zum Frieden gefunden haben. Da sind die Flüchtlinge, die Opfer von kriegerischen Konflikten, von Naturkatastrophen und schrecklichen Krankheiten. In einem zeitgenössischen Lied wird das traurige Los von Kindern besungen, die taubstumm sind. Ihr Schicksal wird gedeutet mit den Worten: „Diese Kinder hat der liebe Gott vergessen.“ Ich sprach mit einer alten Frau, sie war über 90 Jahre alt. Sie konnte fast nichts mehr hören, war erblindet und konnte sich aus eigener Kraft nicht mehr fortbewegen. Sie wollte nicht mehr leben und betete täglich, Gott möge sie von diesem Erdenleid erlösen. Aber sie musste viele Jahre in diesem beklagenswerten Zustand aushalten. „Der liebe Gott hat mich vergessen.“ So erklärte sie ihre unglückliche Situation. Aber Gott hatte sie nicht vergessen. Eines Tages erhörte er ihr ständiges Gebet und rief sie aus diesem Leben ab.
Gott vergisst dich nicht
Welch ein Trost liegt da in der Zusage Gottes, die er uns durch seinen Propheten zukommen lässt: Du meinst, Gott hat dich vergessen? Nein und noch mal nein. Das stimmt nicht. Gott vergisst dich nie. Auch wenn du ganz unten bist, wenn Sorgen dich umstellen, wenn Menschen dich enttäuscht haben, wenn Krankheit nach dir greift, wenn du meinst, alles ist aus: Gerade dann gilt, was in dem Lied „Harre meine Seele“ der Glaube weiß und besingt: „Wenn alles bricht, Gott verlässt uns nicht; größer als der Helfer ist die Not ja nicht“. Es gibt keinen Augenblick in deinem Leben, in dem Gott nicht bei dir wäre. Nicht eine Sekunde lässt er dich aus den Augen. Voller Liebe begleitet er jeden Schritt, den du tust. Mit Worten des 139. Psalms möchte ich sagen: Gott umgibt dich von allen Seiten, er hält seine Hand über dir. Ganz gleich, in welcher Lage du dich befindest: Vielleicht hast du gerade eine Glückssträhne erwischt. Du darfst Dich darüber freuen. Vielleicht ist dir gerade der Gang durch ein dunkles Tal verordnet ist, wovor dir graut. Dann sollst du wissen: Du bist nicht allein. Der Beter des 23. Psalms fasst es in wunderbare Worte: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich“. Stecken und Stab sind Waffen, die der Hirte zum Schutz seiner Herde einsetzt. Manche Ausleger sehen darin ein Symbol für die beiden Balken des Kreuzes, an dem Jesus seinen Sieg über die Macht der Finsternis und des Todes ausrief: „Es ist vollbracht“. Das Heilswerk, das unserer Rettung dient, ist vollendet. Was kann uns mehr trösten als solche Gewissheit. Der Heidelberger Katechismus stellt gleich am Anfang die Frage, was uns im Leben und Sterben Trost bringt und antwortet: „Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst; und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt kann fallen, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss.“
Mancher mag solchen Glaubensgewissheiten skeptisch gegenüber stehen, weil so vieles dagegen zu sprechen scheint. Wie kann ich das eigene Leben und das anderer Menschen deuten? Wie kann ich unverdientes Glück und unverständliches Leid einordnen? Wenn es uns gut geht und wir uns im Aufwind befinden, ist die Antwort einfach. Da dürfen wir unserer Dankbarkeit Ausdruck verleihen, und wir tun es hoffentlich. Da können wir mit Freude einstimmen in das Lied: „Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad gelegen“, wo es an einer Stelle heißt: „Der mich bisher hat ernähret und mir manches Glück bescheret, ist und bleibet ewig mein. Der mich wunderbar geführet und noch leitet und regieret, wird forthin mein Helfer sein.“ Darum lasst uns daran denken, wie viel Gutes wir schon erfahren haben. Wie viel glückliche Stunden wir erleben durften. Aus wie viel Nöten wir gerettet wurden. Wie viele Menschen uns geholfen haben. Wie viele uns Freundschaft geschenkt und Treue gehalten haben. Wie oft er uns die tröstende Gegenwart eines Engels in Menschengestalt schenkte.
Zufall, Schicksal und Bestimmung
Aber ich will die dunklen Seiten des Lebens nicht ausblenden: „Ich denke an jenes Kind, das mit völlig entstelltem Gesicht auf die Welt kam und von seinen Eltern weggeben wurde? Welchen Sinn soll dieses Geschick haben? Wie verstehe ich den Verlust von geliebten Menschen? Was sagen mir Enttäuschungen? Es gibt dafür drei grundsätzliche Optionen: 1. Ich deute solche Geschehnisse als Schicksal, das gnädig oder auch grausam sein kann 2. Ich verstehe sie als Zufall, der mir dies oder jenes Geschick zuwürfelt? 3. Oder ich sehe darin eine Bestimmung in der Hoffnung, dass letztlich alles, was geschieht einen tieferen Sinn hat. Kann es sein, dass diese drei Optionen, das Leben zu deuten, einander die Karten zu spielen? Wenn es so ist, dann bedürfen sie in ihrer Bedeutung einer Rangordnung. Dann haben im Vordergrund des Lebens die Begriffe „Zufall“ und „Schicksal“ die Deutungshoheit, aber im Hintergrund des Daseins wartet die Karte „Bestimmung“ drauf, ausgespielt zu werden. Ihr gehört der letzte Stich. Paulus drückt es so aus: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Römer 8,28)
Das Bild von der guten Mutter
Diese Art des Denkens und Deutens bringt uns auch der Prophet Jesaja mit eindrucksvollen Bildern nahe: Gottes Handeln an uns ist wie der liebevolle Umgang einer guten Mutter mit ihrem kleinen Kind: „Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.“ Ich stelle mir vor: Der kleine Junge hat sich die Knie aufgeschlagen und läuft weinend nach Hause. Die Mutter wendet sich dann doch nicht ab. Sie setzt sich doch nicht vor den Fernseher und verfolgt die Folge einer Seifenoper und vergisst ihr Kind. Nein, sie schaut sich umgehend die Wunde an, macht sie sauber, verbindet sie, nimmt den Kleinen auf den Schoß, herzt ihn, küsst ihn, redet tröstlich auf ihn ein. Sie versichert ihm, dass alles wieder gut wird und wie lieb sie ihn hat. Wie wohltuend ist solch mütterliche Trost. Für viele eine unauslöschlich schöne Erinnerung, die sich in die Seele eines Kindes tief einprägt und eine starke, unauflösliche innere Verbindung zur Mutter bewirkt. Von Soldaten, die kurz vor dem Sterben waren, wird immer wieder berichtet, dass sie in den letzten Minuten ihres Lebens nur noch nach ihrer Mutter gerufen haben. Die gute, fürsorgliche Mutter: Ein schönes und treffendes Bild, das Jesaja für die Barmherzigkeit, Zuwendung und Liebe Gottes gefunden hat. Über die schlechte Mutter, die ihr Kind vernachlässigt, will ich nicht weiter sprechen. Ich erwähne sie nur deshalb, weil sie in unserem Predigttext vorkommt. Zu diesem Thema lässt Jesaja dem Sinne nach Gott folgendermaßen zu Wort kommen: Wenn eine Mutter auch ihr Kind vergessen sollte, so ist es bei Gott ganz anders. Er vergisst seine Kinder niemals. In dem Lied: „Lob Gott getrost mit Singen“ heißt es im Blick auf eine Mutter, die ihr Kind verstößt im Gegensatz zu Gottes Treue: „Kann und mag auch verlassen ein Mutter je ihr Kind und also gar verstoßen, dass es kein Gnad mehr findt? Und ob sich’s möcht begeben, dass sie so sehr abfiel: Gott schwört bei seinem Leben, er dich nicht lassen will.“
Das Bild von den Händen Gottes und den Mauern
Und nun noch ein Blick auf das Bild von den Händen Gottes, in die wir gezeichnet sind. Häufig tätowieren Verliebte den Namen ihrer großen Liebe auf ihre Haut. Das drückt ihr gegenwärtiges Gefühl aus: „Ich will dir in Liebe und Treue auf ewig verbunden sein. Ich will immer an dich denken.“ Misslich, wenn sich die Gefühle eines Tages auf jemand anderes richten. Die Tätowierung ist nur schwer zu entfernen. Bei Gott ist es anders. Seine Treue zu uns steht fest. Seine Liebe zu uns ist unerschütterlich. Er würde nie auf den Gedanken kommen, meinen und deinen Namen zu löschen. Das ist eine sichere Zusage für unsere Erlösung und ewige Errettung. Auch das Bild von den Mauern, die Gott ständig vor Augen hat, geht in diese Richtung. Die Mauern, die hier gemeint sind, beziehen sich auf die Stadtmauern Jerusalems. Sie bedeuten Schutz und Bewahrung. Sie signalisieren Gottes Wille: Es soll uns gut gehen und wir sollen seinen Schutz und seinen Segen hier auf Erden und eines Tages in der Ewigkeit reichlich erfahren. Und so möchte ich schließen mit dem Segenswort, das diese Zusage als Bitte aufnimmt und unterstreicht. Wir verdanken es dem Reformator Martin Bucer: „Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist gebe dir seine Gnade: Schutz und Schirm vor allem Bösen, Stärke und Hilfe zu allem Guten, dass du bewahrt wirst zum ewigen Leben“.
“Du meinst, Gott hat Dich vergessen ? Nein und noch mal nein !” Über dieses Thema predigt Pastor Krüger in mehrfachen Ansätzen. Nach der Einführung in die überschwänglich tröstlichen Verheißungen des Deuterojesaja verschweigt er die vielfältigen Leiden der Menschen nicht. Die Predigt passt sehr gut zur düsteren Zeit “zwischen den Jahren”, in der Geister und Dämonen nach altem Aberglauben die Menschen verwirren wollen, sodass sie bis heute mit Böllern und Horoskopen ihnen entgehen wollen. Der Prediger geht einen überzeugenden anderen Weg. Man kann sagen, dass seine Predigt eine großartigen Sammlung von Trostargumenten des Glaubens ist: von den Propheten und Psalmen , Liedversen bis zu Katechismusausagen und der Mutterliebe. – Eine überaus tröstliche Predigt angesichts des Leids in der Welt heute !