Zuversicht

Wollen und vollbringen

Predigttext: Jeremia 31,31-34
Kirche / Ort: Berlin
Datum: 20.05.2012
Kirchenjahr: Exaudi (6. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer em. Dr. Ulrich Kappes

Predigttext:  Jeremia 31,31-34 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

31 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen,  32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloß, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR;  33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.  34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, klein und groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

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Wir hörten Worte des Propheten Jeremia, jenes Jeremia, der über sich sagt: „Herr, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich und jedermann verlacht mich.“ (20,7) Nietzsche lässt seinen Zarathustra zweieinhalbtausend Jahre später ausrufen: „Da stehen sie, da lachen sie. Ich bin nicht der Mund für ihre Ohren“. Ist Jeremia der „Mund“ für unsere Ohren? „Siehe es kommt die Zeit, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen. Ich will meine Thora in ihr Leibesinneres geben, und ich werde meine Thora in ihr Herz schreiben, und ich werde ihnen zum Gott sein.“ Fremdartig wehen diese Worte durch den Raum einer Zeit von 2600 an unsere Ohren, doch lassen wir uns davon nicht abschrecken. Dreimal wird in den vier Versen gesagt, dass es sich um Gottesworte, nicht Gedanken des Propheten  handelt, dreimal heißt es „Spruch des Herrn“. „Siehe es kommt die Zeit, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen.“ Mit dem Hause Israels und mit dem Hause Judas. Haben wir ein Recht, das auf uns zu beziehen, gehören wir doch nicht zum „Hause Israels und zum Haus Judas“? Dürfen wir uns diese Worte als Christen und Christinnen zu Eigen machen? Es ist eine prinzipielle Frage, die es bei jedem Text aus der Hebräischen Bibel, die wir das Alte Testament nennen, zu stellen gilt, und es ist auch hier und jetzt fest zustellen, dass diese Worte zuerst den Juden gesagt sind. Wir sind nicht die ersten Adressaten dieser  Worte. Dürfen wir sie auf uns beziehen? Wenn wir Paulus für uns zur Richtschnur und zum Maßstab nehmen, dann sagt er uns: „Gehört ihr aber zu Christus, so seid ihr Abrahams Kinder und Erben der Verheißung“ (Gal 3,29). In Jesus Christus erhalten wir die Brücke zur Verheißung, die sich ursprünglich allein an die Juden richtete.

„Siehe es kommt die Zeit, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen. Ich will  mein Gesetz  in ihr Leibesinneres geben, und ich werde  mein Gesetz in ihr Herz schreiben.“ „Siehe, es kommt die Zeit …“ – wann ist diese Zeit? Wenn wir sagen, dass diese Zeit eine Zeit in meiner Zeit sein muss, dann rücken diese Worte ganz dicht  heran. Es gibt dann in der realen Zeit unseres Lebens eine Zeit, in der Gott sein Gesetz in mich hinein legt. Wie können wir das verstehen? Ich hörte kürzlich von einem jungen Kollegen, dass sein Freund eine Doktorarbeit mit dem Titel „Der Text der Bibel als Raum“ schreiben werde. Die Bibel als Raum zu verstehen, bedeutet, von der Vernetzung vieler Sprachräume innerhalb der Bibel auszugehen. Sie sind miteinander verbunden, weisen gegenseitig aufeinander. Oft kann ich nur dann einen bestimmten Raum betreten, wenn ich mir zuvor einen anderen erschlossen habe. Den Schlüssel zum Verständnis des einen Raumes empfange ich nicht selten in einem Raum davor oder daneben. Der Raum, mit dem unser heutiger Text verbunden ist, war Predigttext des Sonntages Jubilate und sprach vom „inneren Menschen“ in uns. Paulus sagt (2. Kor 4, 16): „Ob auch der äußere Mensch verfällt, wird doch der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert“. Hier und an anderen Stellen geht Paulus davon aus, dass in uns ein innerer Mensch existiert, der in ständiger Erneuerung begriffen, alle Lasten des Lebens ertragen hilft, vor allem die des Verfalls des äußeren Menschen. Der Paulusschüler und Autor des 1. Petrusbriefes wird diesen Gedanken weiter entfalten und vom verborgenen Menschen des Herzens sprechen, der unzerstörbar ist (1. Petrus  3,4). Nur dann, wenn wir bereit sind, mit dem Neuen Testament an die Existenz eines verborgenen, inneren Menschen zu glauben, werden wir einen Zugang zu unserem Text erlangen.

„Siehe es kommt die Zeit, da will ich mein Gesetz,  in ihr Leibesinneres geben und ich werde  mein Gesetz in ihr Herz schreiben und ich werde ihnen zum Gott sein.“ Was bedeutet es, wenn Gott selbst in uns sein Gesetz schreibt? Was ist das für ein Gesetz? Beachten wir, dass Gott sagt: Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen. Es ist sicher nicht ein anderes Gesetz als das Gesetz, das Mose am Sinai erhielt und weiter gab. Es muss aber dennoch verschieden von dem Sinaigesetz sein, nicht einfach dasselbe, wird doch durch dieses Schreiben in die Herzen der Menschen ein neuer Bund begründet. Was können wir über Gottes Gesetz in uns sagen? Bevor ich eine Antwort versuche, lassen Sie mich auf ein Kunstwerk verweisen, das vor 380  Jahren entstand. Rembrandt hat es 1632 gemalt  und sein Titel ist „Die Anatomie des Dr. Tulp“. Zu sehen sind sieben Herren aus der Gilde der Mediziner, alle mit weißer Halskrause, nur der Universitätsprofessor Dr. Tulp trägt einen Hut. Er ist dabei, einen toten Arm zu sezieren, der auf den ersten Blick zu einem aufgebahrten Toten gehört. Zu Füßen des Toten sieht man ein riesiges aufgeschlagenes Buch, auf das alle sieben starren. Die Interpretation dieses Bildes, die ich Ihnen vortrage, entnehme  ich dem Film Christian Petzoldts mit dem Titel „Barbara“. Der Hauptschauplatz ist eine Kleinstadt in DDR – Zeiten nahe der Ostsee und ein Krankenhaus. Die Ärztin Barbara ist wegen eines Ausreiseantrages hierhin strafversetzt worden. Der leitende Arzt Dr. André Reiser trägt  im Verlauf des Filmes seine Sicht des Rembrandt-Bildes  vor. Schaut man genau auf das Bild und erst recht in einer Ausschnittvergrößerung, so wird gar nicht der Arm des aufgebahrten Toten seziert, sondern ein ganz anderer Arm, der neben den Toten gelegt wurde, was offenbar keiner merkt. Die Ärzte sind völlig gebannt, schauen nicht auf den Toten noch auf den Pathologen Dr. Tulp, sondern auf das riesige Buch, in dem die Gesetzmäßigkeiten der Anatomie dargestellt werden. Die Wirklichkeit vor ihnen nehmen sie nicht wahr. Sie starren, wie der Regisseur Christian Petzoldt in einem Interview sinngemäß sagte, wie Funktionäre in die Luft, die ihre Lebenswirklichkeit nicht mehr wahr nehmen Was hat das mit unserem Predigttext zu tun?

Manchmal beherrscht uns eine Theorie, eine Meinung eines Menschen, eine Meinung in den Medien so, dass das für uns zum Gesetz wird. Es kann mich etwas Fremdes geradezu besetzen, mich gefangen nehmen und zum Lebensgesetz für eine Zeit werden. Dann bin ich einer von den sieben Medizinern, die an der Realität des Lebens vorbei leben. Gott, der ein Gott der Wirklichkeit und des wahren Lebens ist, wird mir nur solch ein Gesetz einpflanzen, das mich mein Leben sehen lässt, wie es ist. Dieses Gesetz kann mich dieses mein Leben annehmen lassen. Es kann mir aber auch sagen, dass ich es ändern muss, weil es so nicht weiter geht. Es hat jedenfalls nichts mit einem Starren nach Luftschlössern zu tun, sondern wird mir helfen, mein und kein anderes Leben, mit seiner Schlichtheit und Banalität zu leben und anzupacken. Das ist das erste, was ich über den Charakter jenes Gesetzes sagen will, das Gott in uns legt. Fragen wir weiter! Was ist die Stimme des Gesetzes Gottes in uns? Worin besteht sie? Welches Organ hört sie? Wie äußert sich Gott, der sein Gesetz in mein Inneres legt? Ist die Stimme des Gesetzes Gottes die Stimme der Vernunft? So naheliegend das vielleicht klingt und es absurd ist, einen Widerspruch zwischen Gott und Vernunft zu behaupten, so sehr zögere ich, Gottes Gesetz mit der Stimme der Vernunft in eins zu setzen. Gott sagt nach den Worten Jeremias:  „Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und in ihr Herz schreiben.“ Von Vernunft ist nicht die Rede. Wenn Gott sich das Herz als das menschliche Organ aussucht, in das er sein Gesetz schreiben will, so klingen den Bibelkundigen die Ohren. Nach 2. Mose 32,16 schrieb Gott mit eigener Hand auf die Tafeln aus Stein die zehn Gebote. Nun schreibt er sie auf die ‚Tafeln’ der Herzen. Der Neue Bund besteht demnach aus Menschen, die fühlen und mitfühlen, mitlachen und mitweinen, mithoffen und mitbangen können. Sie sind das Gegenteil von „Stein“. Ein warmer Strom geht durch den Körper eines älteren Menschen, wenn ihm das Treppensteigen schwer fällt und ein jüngerer Mensch ihm hilft. Sein Worte „Wie Sie es schaffen, Tag für Tag einzukaufen und alles selber hoch zu tragen, ist bewundernswert!“ bauen für Tage auf. Da hat Gott, ich bin sicher, ein Gesetz in ein Herz geschrieben und in dem, dem die Herzlichkeit erwiesen wurde, blühte neues Leben  auf. „Mit dem Herzen denken und sehen“ können die wenigsten von Natur aus. Wo wir es dennoch vermochten, folgten wir Gottes Gesetz in unserem Herzen.

Ein weiteres Kennzeichen des Gesetzes Gottes in uns kommt mit Worten karg daher, ist aber aus meiner Sicht das Entscheidende. Das, was Paulus im Römerbrief (Kap. 7) so dramatisch beschreibt: „Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der  Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern“, dieser unglaubliche Zwiespalt, zu wollen und nicht zu können, ist beendet, wenn Gott mir die Gnade erweist, sein Gesetz in meinen inneren Menschen zu schreiben. Ich sage: Legt Gott in den inneren Menschen sein Gesetz, dann wird es ein Gesetz sein, bei dem zum Wollen das Vollbringen kommt. Es wäre absurd zu meinen, dass Gott in mich ein Gesetz, einen Auftrag, einen Befehl legt, den ich nicht erfüllen kann und das unwirklich und unwirksam bliebe. Wo Gottes Buchstaben seines Gesetzes mein Herz erfüllen, regieren sie mich auch. Gottes Gesetz in mir heißt: Ich schaffe es.  Zuversicht will uns Gott aus dem Munde des Propheten Jeremia zusprechen.

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