Zweiter Blick auf das Leben
Bevorzugung ausgeschlossen
Predigttext: Lukas 8, 1-3 (Reihe I, 2015, Text der Perikopen-Erprobungsphase, Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Jüngerinnen Jesu
Und es begab sich danach, dass er (Jesus) durch Städte und Dörfer zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, dazu einige Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben böse Geister ausgefahren waren, und Johanna, die Frau des Chuzas, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen dienten mit ihrer Habe.
Zum Predigttext
Die drei Verse, Text der „Erprobung“ sind ein Novum in der „Ordnung der Predigttexte“. Sie tauchen in keiner der Perikopen der wohl letzten siebzig Jahre auf. Sie fehlen in der ältesten, mir zugänglichen Predigtmeditation von Wilhelm Stählin (Kassel 1958).
Die einzige Auslegung fand ich bei Walter Lüthi in seiner Lectio-Continua-Auslegung des Lukasevangeliums von 1962.
Der Text steht im Anschluss an die Salbung in Bethanien. Es folgt das Gleichnis vom vierfachen Acker. Er setzt den in der Salbungsgeschichte bereits gesetzten Akzent der besonderen Rolle einer Frau fort. Nicht ohne innere Gewalt könnte man eine Linie von der umfassenden Heilung der Maria aus Magdala zu dem Gleichnis vom vierfachen Acker mit seinem „und bringt Frucht hundertfältig durch das Wort Jesu“ ziehen. Ich unterließ es.
Durch den Abschnitt, 8, 1-3, geht eine Zäsur. Vers 1 steht für sich, die Verse 2 und 3 ihrerseits. Folgt eine Predigt diesem Textverlauf, trägt sie ebenfalls diesen Bruch in sich.
Literaturhinweise
*Das folgende nach Karl Ludwig Schmidt, Art. Die basileia Gottes, in ThWb, hrsg. von Gerhard Kittel, I. Band, Stuttgart 1957, S. 582-595.
**Fred Eidlin, Poppers ethischer und metaphysischer Kongnitivismus, in: Kurt Slamun, Karl R. Popper – Plädoyer für kritisch-rationale Wissenschaft: Zum 85. Geburtstag Karl R. Poppers, Amsterdam 1989, 153-176, S. 158.
***Hans Klein, Das Lukasevangelium, Göttingen 2006, S. 300.
**** Hans Klein, a. a. O., S. 300, Anm.9.
***** Nach Walter Lüthi, Nachfolgerinnen, in: Das Lukasevangelium, ausgelegt und erklärt für die Gemeinde, 1. Band, Lukas 1-10, Basel 1962, 243-248, Lukas 8, 1-3, S.246.
Jesus hatte ein umfangreiches Arbeitsprogramm. Er wanderte durch „Stadt und Dorf“. Es klingt so, als suchte er nahezu jede Stadt und jedes Dorf auf. Es gab keine Bevorzugung. Allen galt es, „das Evangelium von der Königsherrschaft Gottes“ auszurichten. In diesen Worten fassen die Evangelisten den Inhalt der Predigt Jesu zusammen. Was ist das „Evangelium von der Königsherrschaft Gottes“? Inwiefern ist mit diesem „Evangelium“ wiedergegeben, was Jesus den Menschen sagen wollte und will? *
Ein kurzer Blick in andere Texte des Neuen Testamentes belehrt uns, dass die Königsherrschaft Gottes „nicht in Worten, sondern in der Kraft“ besteht (1. Kor.4, 20). Diese „Kraft“ hat nichts mit „Essen oder Trinken“ zu tun, ist also nicht auf körperliche Weise zu erlangen. Wirkt sie in einem Menschen, dann führt sie zu „Gerechtigkeit und Frieden und Freude“ (Röm. 14,17). Darum soll es unser Ziel sein, am ersten nach dieser Königsherrschaft zu trachten. Wird im Lebens- und Tagesablauf, so Jesus in seiner Bergpredigt, zuallererst nach dieser Verinnerlichung der Königsherrschaft Gottes gestrebt, so werden die anderen Aufgaben von selbst gelingen (Matth. 6,33). Wie ein Bauer mit großer Entschiedenheit die Hand an den Pflug legt und nicht zurück sieht, soll dieses Ziel, sich die Königsherrschaft Gottes zu vergegenwärtigen, unverrückbar vor Augen stehen (Luk. 9,62).
Als Jesus diese Predigt hielt, stand die gesamte damalige Welt unter der Herrschaft Roms. Rom hatte gesiegt, Rom hatte die Völker unterworfen. Was Rom sagte, galt. Wer Rom widersprach, wurde kalt gestellt und umgebracht. „Er zog durch alle Städte und Dörfer und predigte die Königsherrschaft Gottes. Was war von Gott real zu spüren in einer Welt von Roms Gnaden? Die jüdischen Menschen waren in ihrem Glauben Außenseiter. Sie waren nicht selten Verfolgung und Vertreibung ausgesetzt. In alle Teile der damaligen Welt waren sie zerstreut. Was spürten sie von Gottes Herrschaft, wenn sie, kaum sesshaft, wieder aufbrechen mussten, weil eine erneute Welle des Hasses ausbrach? Wie verstehen wir die Worte des Herrn, die uns – in der Regel – heute nicht zum ersten Mal gesagt werden? ‚Ich bin in diese Welt gekommen, damit eine jede und ein jeder sein Leben unter der Königsherrschaft Gottes, unter der Herrschaft des guten Prinzips gegen alle bösen Tatsachen, stehen sieht.’
Was ist der Kern der Predigt von der Königsherrschaft Gottes? Wir werden aufgerufen, uns das Bekenntnis zu Eigen zu machen, dass das Gute siegt, möge uns unsere eigene Befindlichkeit auch das Gegenteil sagen. ‚Ich glaube an eine gute Fügung gegen die vielen leidvollen Erfahrungen, gegen den Tatbestand eines Lebens in Zurücksetzung und Krankheit.’ Wer das verinnerlicht, hat eine Art zweiten Blick oder Meta-Blick auf sein Leben und dieser zweite Blick ist der bestimmende. Ein Schüler von Karl Popper, der Kanadier Fred Eidlin, hat für die Philosophie seines Lehrers gesagt: „Es besteht keine Möglichkeit, die Wahrheit auf wissenschaftliche Weise nachzuweisen.“ ** So ist es, das mag gefallen oder nicht, auch mit der Schrift. Sie ist da. Sie steht vor uns. Sie ist aber keine Ableitung oder Zusammenfassung von dem, was wir sehen und erleben.
Wir hören wenig oder gar nichts darüber, wie die Menschen in den Städten und Dörfern die Predigt von der Herrschaft Gottes annahmen. Es sind seine zwölf Jünger und, so hörten wir, Frauen, die ihn begleiteten, was zu der Annahme berechtigt, dass sie seinen Worten glaubten und sie sich zu Eigen machten. Am Anfang wird Maria aus Magdala genannt. Aus diesem Namen ist zu schließen, dass sie aus „Magdala“ stammte und alleinstehend war. *** Sie war Jesus begegnet oder er ihr und sie war von ihm von sieben Dämonen, ältere Übersetzungen sagen: „sieben Teufeln“, geheilt worden. Einst unter der Macht einer unbeschreiblichen seelischen Erkrankung lebend, war sie nun frei und gesund. Ihr Name enthält ein Wortspiel. „Magdala“ hieß ihr Dorf, weil es dort einen Turm gab. „Magdala“ heißt aramäisch „Turm“. Spricht man, wie anderen Stellen im Neuen Testament, von „Maria Magdalena“ heißt das: „Maria, der Turm“. **** Die zweite Frau in unserem Predigtabschnitt ist Johanna von Chuza. Sie war die Frau des Verwalters des Herodes. Da Herodes seinen Palast in Tiberias am See Genezareth hatte, war sie eine Städterin und gehörte, sozial gesehen, aufgrund der Stellung ihres Mannes zu den höchsten Kreisen. Auch sie war „von bösen Geistern und Krankheiten“ von Jesus geheilt worden. Sie stellte, wie Maria, ihr Vermögen dem Lebensunterhalt der Jesus-Gruppe zur Verfügung. Ihre Entscheidung, mit Jesus zu gehen, ist allerdings noch höher als Marias einzustufen. Sie gab alles höfische Leben, allen Luxus auf. Die dritte Frau hieß Susanna. Über sie erfahren wir nichts weiter.
Diese wenigen Worte über die Jesusbegleiterinnen sind freilich in ihrer Aussage alles andere als klein und unbedeutend. Es war eine hochgradig unkonventionelle und darum mutige Entscheidung des Herrn, Frauen als seine Begleiterinnen zu wählen. Vergegenwärtigt man sich, dass Frauen nur bis zum „Vorhof“ im Tempel wie die Heiden Zutritt hatten und in der Synagoge abgesondert auf einer Empore zumeist hinter Gittern saßen, kommt der Bruch, den Jesus in der Stellung der Frau einleitet, beredt zum Ausdruck. Wenn Philo von Alexandrien (20 v. Chr.–45? n. Chr.), einer der herausragenden jüdischen Theologen, ein Zeitgenosse von Jesus, sagte: „Bei uns hat die Stellung des Mannes die Vernunft inne, die des Weibes aber die Sinnlichkeit“, ***** hat Jesus mit dieser Herabstufung Schluss gemacht. Was ist über die Frauen konkret in unserem Predigtabschnitt zu sagen? Diese Frauen wurden Gefährtinnen Jesu, weil er ihr Arzt wurde und sie heilte. Wird über die Apostel gesagt, dass sie „berufen“ wurden und von keinem einzigen gesagt wird, dass er vordem krank war, so zeigen die Frauen hier, dass es auch diesen anderen Weg zu Christus gibt. Sie haben auch nicht – wie beispielsweise Petrus oder Jakobus oder Johannes – mit Jesus über seine Lehre diskutiert und auch nicht gepredigt. Bei der Feier des Abendmahls waren sie nicht dabei. Unser Text sagt, dass sie Jesus und den Jüngern dienten.
Was heißt das? Es heißt, dass es – ganz allgemein und nicht geschlechterspezifisch – sehr unterschiedliche Wege zu Christus gibt oder, umgekehrt, Christus selbst sehr unterschiedliche Wege wählt, um Menschen in seine Nachfolge zu berufen. „Nachfolge“ ist ihrerseits breit gefächert und heißt bei einem dies und einem anderen jenes.
Maria aus Magdala, Maria, der Turm: Ein Leuchtturm innerhalb der Gestalten des Neuen Testamentes wurde sie, denn sie war Zeugin der Kreuzigung (Matth 27,56) und ihr erschien der Auferstandene im Garten des Josef von Arimathias. Sie wollte ihn berühren, hörte aber: „Rühre mich nicht an!“ (Joh. 20,11 ff.) Gewichtet man, wer mehr Zeuge oder Zeugin des Leidens am Kreuz oder Zeuge oder Zeugin der Auferstehung wurde, Männer oder Frauen, so neigt sich die Waage zugunsten der Frauen. Ist das Neue Testament ein Gegentext zu Philo, wonach es gerade Frauen sind, die Offenbarungsempfängerinnen wurden? Herausragend ist, dass Jesus zwar unterschiedliche Wege hat, Menschen in seinen Dienst zu rufen, sich aber unabhängig davon offenbart, wem er will. Er fragt in Blick auf die Frauen nicht, ob eine Berufung zum Apostel vorlag. Indem der Herr einmal Männer und ein anderes Mal Frauen erwählt, in ihr Leben zu treten, wird vielmehr gezeigt, dass das natürliche Geschlecht nebensächlich ist. Christus kommt in unser Leben und keine und keiner bringt von sich aus die Voraussetzungen dafür mit.
Er wählt, wen er will. Bevorzugung ist ausgeschlossen und darum Stolz wegen seines Geschlechtes ebenso.
Der Predigttext enthält nach Pfarrer Dr.Kappes zwei Themen: Jesu Predigt der Königsherrschaft Gottes und Jesu Anhängerinnen. Der Text ist neu probeweise als Predigttext aufgenommen worden. Der Grund liegt auf der Hand: In diesem Sondergut des Lukas wird betont, dass Jesus einige Anhängerinnen hatte, welche er geheilt hatte und welche ihm sogar folgten. Der große Missionserfolg der Christen von Anfang an beruht ja auch darin, dass Jesus den Frauen ein neues, gleichberechtigtes Selbstbewusstsein gab, größer als in anderen Religonen. Zuerst predigt Pfarrer Dr.Kappes über die Kraft und die Freude und den Frieden, welche Jesu Predigt und Wirken für die Königsherrschaft Gottes verbreiten. Jesus predigte sie in einem Land, welches total und brutal der römischen Herrschaft unterstand. Wer Jesus glaubt, bekommmt einen glücklicheren Meta- und Über-Blick über sein Leben und die Welt. Er kann trotz Leid an gute Fügungen glauben. Dann handelt die Predigt ausführlich vom zweiten Zentrum des Bibeltextes: Nicht nur die zwölf Jünger, sondern ganz sensationell ungewöhnlich für die Zeit damals auch einige Jüngerinnen, welche Jesus geheilt hatte, folgten ihm. Die untergeordnete Stellung der Frau damals führte besonders zu seelischen Leiden, die dann körperliche Krankheiten verursachten. Maria Magdalena ist eine Geheilte von Jesus und hat besondere Bedeutung. Immer wieder gibt es Vermutungen über eine besondere Beziehung Jesu zu ihr. Auch eine Frau aus höheren Kreisen, Johanna aus Chuza, ist dabei. Interessant ist, dass die Frauen mit ihrem Geld die Jünger und Jesus versorgten, die sonst von Gastfreundschaft sich ernährten. Zum Schluss fasst der Prediger zusammen, dass Jesus mal Männer und mal Frauen erwählte. Das natürliche Geschlecht ist für Jesus nebensächlich. Er wählt, wen er will. Diese schöne, klare und aufklärende und interessante Predigt könnte inspirieren, eine aktuelle feministische Predigt zu halten. Wegen der sehr erhellenden, psychosomatischen Deutung der Heilungen Jesu, besonders an Frauen, möchte ich auf die tiefsinnige Auslegung Eugen Drewermanns hinweisen (in: Das Evangelium des Lukas, Bd. 1.