Was verbindet den heutigen Himmelfahrtstag mit Weihnachten? Beide sind die bekanntesten Feiertage und beide sind mit den schönsten Farben ausgemalt. Wer hätte nicht ein Bild von dem Berg, auf dem die Jünger stehen und nach oben blicken? Jesus „fährt auf gen Himmel“, seine Gefährten segnend. Eine Wolke nimmt ihn auf (nur nach dem Bericht der Apostelgeschichte 1,9). „Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Von dort wird er kommen …“ Die Jünger erfahren, dass der Tod Ihn nicht halten konnte. Sie erleben immer wieder, dass er da ist, dass er mitgeht, dass er nach wie vor Zeichen und Wunder geschehen lässt. Darum ist diese Himmelfahrt kein Abschied, sondern eine Zwischenzeit: Er wird wiederkommen, wie Er schon immer bei uns ist! Also ist diese – unsere – Zeit keine Wartezeit! Ich glaube, soweit könnten wir einer Meinung sein. Dieses Bild von Himmelfahrt passt deshalb auch so gut in die Maienzeit mit ihrer aufbrechenden, „auffahrenden“ Natur. Frisches Grün umgibt uns mit unzähligen Farbnuancen. Die Rapsfelder bei uns im Norden, der blaue Himmel darüber, die grünen Felder – ich könnte mich daran berauschen. „Der Winter ist vergangen / ich seh des Maien Schein“ – dieses Lied aus dem 16. Jahrhundert (!) fällt mir dabei ein. In der Bibel ist die Himmelfahrt Jesu nur von den Evangelisten erzählt worden. Doch dann gibt es einen Text, der sich mit der Rückkehr Jesu befasst. Wir erinnern uns: Jesus ist „aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes. Von dort wird er kommen“. So bekennen wir im Glaubensbekenntnis. Eine interessante Geschichte: So wie Jesus „gen Himmel fährt“ und von einer Wolke aufgenommen wird, so wird er wiederkommen. Doch wo finden wir einen entsprechenden Text in der Bibel? Es ist unser heutiger Predigttext aus dem einleitenden Grußkapitel der Offenbarung. Ich lese eine eigene Übersetzung:
Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asia – heute: Türkei:Gnade sei mit Euch und Friede von dem Seienden, dem, der War und dem Kommenden und von den sieben Geistern, die vor Seinem Thron stehen und Jesus Christus, dem Getreuen Zeugen, dem Erstgeborenen der Toten und dem Ersten unter den irdischen Königen! Von unserem Freund und unserem Erlöser von unseren Sünden durch sein Blut; und er hat uns zu einem Königreich gemacht, zu Priestern für Gott und seinem Vater. Ihm sei Ehre und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Siehe, Er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird Ihn sehen – auch die ihn durchbohrt haben; und über Ihn werden alle Stämme der Erde wehklagen. Ja, Amen. Ich bin das Alpha und das Omega, spricht der Herr, der Gott, der Seiende und der War und der Kommende, der Allherrscher.
Es mag wie ein Blick in den Himmel sein, den dieser Briefgruß des „Johannes“ eröffnet, gedrängt, geballt, verkürzt, intensiv. Die Empfänger mögen sogleich verstanden haben, was der Seher Johannes gemeint hat – für uns ist das vielleicht ein wenig schwieriger. Die Christen, an die sich „Johannes“ richtet, leiden unter Diskriminierung und Lebensgefahr. Warum? Sie wollen sich nicht am Opfer für den göttlichen Kaiser in Rom beteiligen und sprengen somit das einigende Band Roms. Das ist Aufruhr, Aufstand – ohne Demonstration auf den Straßen und ohne eine aktive und aggressive Aktion. Still sind die Christen eher – und vielleicht ist es gerade das, was die Machthabe (bis heute) fürchten. Die Christen müssen wie subversive Elemente angesehen worden sein und damit eine Gefahr für die offizielle Macht. Da mag schon mal der eine oder andere in einen Zweifel geraten sein, ob sich sein Glaube wirklich lohne. An diese Zweifler und „Kleingläubigen“ richtet sich das Buch der Offenbarung mit seinen großen Bildern und Gestalten, Aktionen und Aussagen. Und „Johannes“ beginnt schon gleich zu Beginn mit einem starken Bild, das ich aus dem Text einmal herausgreife: Siehe, Er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird Ihn sehen – auch die ihn durchbohrt haben; und über Ihn werden alle Stämme der Erde wehklagen. Ja, Amen.
Das Erste: Dieser Jesus Christus ist in Bewegung. Er bleibt nicht auf seinem Thron „zur Rechten Gottes“ sitzen sondern kommt uns entgegen. (Ist Jesus nicht schon zu Lebzeiten seinen Jüngern, den Kranken, den Zweifelnden und Ungläubigen, den Klugen entgegengekommen? Ist es nicht ein Kennzeichen für Jesus Christus, dass er der Kommende ist?) Christus ist also kein „Machtinhaber“ und „Besitzstandswahrer“ – auch nicht im Himmel! Das Zweite: Alle Welt wird Ihn sehen – nicht nur die Frommen sondern alle Welt! Als ob man Ihm nicht ausweichen könnte. Ist hier nicht etwas von Widerstand oder Widerspruch zu spüren? (Auch hier erkenne ich den irdischen Jesus wieder, der nicht ausgewichen ist, sondern der klar und erkennbar war für seine Mitmenschen.) Dann ein Drittes: Seine Peiniger werden Ihn sehen – und erkennen, wiedererkennen. Es ist, als ob durch Seine Gegenwart eigene Schuld, eigenes Versagen, eigene dunkle Punkte im Leben sichtbar werden. Unsere bewährte Technik ist Verdrängung. Ohne Vergessen, Rationalisieren oder Verzerren könnten wir nicht leben. Die „ganze“ Wahrheit und Wirklichkeit könnten wir nicht ertragen. Sie würde uns seelisch zerstören. Jetzt kommt uns Christus entgegen, der „die Wahrheit“ ist und scheint bei uns zu erwecken, was wir nicht sehen wollen. All das „Böse“ in uns, das sich Bahn schaffen kann in unbewussten Scheußlichkeiten, das uns nächtliche Unruhe und Schlaflosigkeit beschert und die Beziehung zu Menschen empfindlich beeinträchtigen kann, all dieses „Böse“ darf sichtbar werden angesichts des Kommenden. Und was geschieht? Es ist wie unter Freunden: Ich spreche aus, was mich belastet, teile es mit dem Anderen und fühle danach leichter. Kann man dies nicht auch „Vergebung, Erlösung von Sünden“ nennen, die angesichts des kommenden Christus geschieht? Seid Ihr gespannt auf ein Viertes? „Johannes“ schreibt den bedrängten Christen in „Asien“, dass „alle Stämme der Erde über Ihn wehklagen werden“.
Wir erinnern uns an die „schöne“ Himmelfahrtsgeschichte? Die Jünger eilen froh nach Hause, nach Jerusalem und „predigen an allen Orten“, wie uns der Evangelist Markus berichtet (16,20). Und nicht nur das: „Der Herr wirkte mit ihnen und bekräftigte das Wort durch die mitfolgenden Zeichen“. Das ist das Himmelfahrtsfest! Doch jetzt schaut der Seher der Offenbarung etwas ganz anderes: Wehklage bei allen Stämmen der Erde. Was geschieht hier? Bricht hier etwas auf, das bislang unterdrückt worden ist, das keinen Raum gefunden hat, keinen geeigneten Zeitpunkt? Wenn wir uns treffen, beantworten wir oft die Frage nach dem Wohlergehen: „Danke, ich kann nicht klagen!“ Will ich dem Anderen nicht zur Last fallen? Lieber ersticken als meiner Klage Ausdruck zu verleihen! Der Kommende erlaubt die Klage. All unsere Abschiede, Trennungen, Enttäuschungen, Verletzungen haben jetzt, da Christus kommt, Platz. Es ist wie bei einem guten Freund, bei dem ich mich fallen lassen kann: „Wein dich aus! Es ist so viel Bitteres in Dir, das raus will, das gesehen – und gewürdigt werden will, bevor wir es verabschieden!“ Vergebung der Sünden? „Johannes“ hatte ja einige Zeilen vorher davon gesprochen, dass wir Christen zu Priestern für Gott gemacht werden und „um Gottes willen“ der Klage Raum geben dürfen. (Auch hier höre ich wieder den irdischen Jesus mit den Menschen reden und sehe, wie sie sich aufrichten und ins Leben, ein neues sinn-volles Leben.)
Noch einen letzten Punkt? Der Seher Johannes beschließt dieses Bild der Wiederkunft mit einem: Ja, Amen. Also eine absolute Verstärkung. Was Ihr hier seht und hört, das gilt. Der Kommende wird bei uns vieles lösen, auflösen, wird uns erlösen von vielem, was uns quält. Dann können wir aufstehen, können verstehen, wozu wir leben. Vielleicht erfahren wir einen neuen Geist, vielleicht sogar sieben neue Geister, wie „Johannes“ zu Beginn schreibt. Auf jeden Fall erleben wir das große Ja, Amen, das Gott zu uns spricht. Ein solches Ja eines Freundes kann eine unerhörte Wirkung haben. Sicherlich haben Sie das auch schon erlebt! So kann im Nächsten Gott sichtbar werden. (Wieder denke ich an den irdischen Jesus, den Zimmermannssohn aus Nazareth, in dem für viele Menschen mehr am Werke war als nur ein Mensch. Das haben sie dann aufgeschrieben, jeder seine eigenen Erfahrungen mit diesem Menschen. So gibt es verschiedene Aussagen zu Ihm. Aber alle sind „Anrührungen“, Berührungen.) So komme ich zum Schluss. Zuerst schien das Bild des Sehers Johannes wie eine Bußpredigt. Doch jetzt mögen wir spüren, dass Himmelfahrt eine heilende Bedeutung haben will. Vielleicht können wir jetzt noch freudiger und inniger von unseren „Erfahrungen mit Gott“ (H. Zahrnt) erzählen. Vielleicht hat unser Himmelfahrtsbild neue Farben erhalten, vielleicht einen Kontrast, der es noch wertvoller macht!? Vielleicht können wir das Himmelfahrtslied heute noch fröhlicher als sonst singen: Gen Himmel aufgefahren ist / der Ehrenkönig Jesus Christ / Halleluja!