Flügel im Augenblick
Friedrich Karl Barth, Flügel im Augenblick
, München 2009, Strube Verlag Edition 9078, ISBN 978 – 3 – 89912 – 126 – 1, 124 Seiten
Der kleine Textband ist zu einem Kleinod auf meinem Schreibtisch geworden. Allein die äußere Gestalt lädt dazu ein, für einen Augenblick innezuhalten und hineinzuschauen: durch transparentes Pergamentpapier fällt der Blick auf den sich wellenden Sand des Meeresbodens. Unendliche Weite lässt sich ahnen und deutet an, was den Leser, die Leserin, erwarten wird: “…ein ewiges / wellen muster / ein vom Wasser / gemahlenes / gemaltes Bild /…queres sinn bild / wie / gott uns / kommend / entkommt” (S. 121).
Wie Gott uns kommend entkommt, in jeder Gegenwart vertraut und doch neu zugleich – davon erzählen dann auch die Gedichte, Gebete und Lieder, die der heute in Bad Wildungen lebende Pfarrer und Dichter Friedrich Karl Barth aus vier Jahrzehnten zusammen getragen hat. Ein „letztes Mal bestellt er damit das Feld“, das er seit den 70ger Jahren in Zusammenarbeit mit seinen Freunden, seinem ehemaligen Vikariatsleiter und Freund Peter Horst und dem Komponisten Peter Janssens, gemeinsam beackert hat. Ein Teil der reichen Ernte, die eingeflossen ist in zahlreiche Kirchentagsliederhefte sowie ins Evangelische Gesangbuch ( „Kind, du bist uns anvertraut“; „Wir strecken uns nach dir“) findet sich genauso wie Wortspiele in unbekannteren Texten, die zum Nach- und Weiterdenken anregen. Sollten wir es in der Kirche nicht viel öfter versuchen „Überdruss auszulöffeln und Überfluss wegzuschütten“, wie er in seinem dialogischen Gedicht „Längst schon zu viel von dem Segen (S. 82) entwickelt?
Auf wieder anderen Seiten finden sich Psalmübertragungen, die Gottes Gegenwart in unserem Leben so glaubhaft und spürbar werden lassen, dass man sich Seiner Gegenwart gelassen und froh sogar im Tode anvertrauen mag: „Gott, deinem Namen will ich singen-/ und dann zu guter Letzt / versteck den meinen/ in deinem großen weiten Kleid“ (S. 48). Der Sensibilität für Gottes Kommen und Entgegenkommen korrespondieren die klaren, ausdrucksstarken Worte, die Barth für die Befindlichkeit und Bedürftigkeit von Menschen findet, wie etwa in seinem Text „Wie sich eine kranke Katze / ins Heu verkriecht,/ muss ich mich wegmachen / von euch. / Ins Dunkle, Warme / muss ich mich verstecken. / Wo mich kein Anruf erreicht, / wo mich kein Termin / mehr finden kann. / Lass mich in Ruhe. Kommt erst gar nicht rein. / Ich will mich vergessen. / Ich will schlafen, weg sein – / bis ich wieder Kraft spüre. / Das wird dauern. / Stell mir eine Flasche Wasser hin. Dann lass es gut sein“ (S. 109). Biblische Figuren, wie etwa Elia (S. 34), Bileam (S. 39) oder der „zähe Bauer“ Naboth (S. 40) begegnen dem Lesenden auf Augenhöhe, die es leicht machen, von ihnen weiter zu erzählen.
„Flügel im Augenblick“ erweisen sich auf dem Schreibtisch somit in vielfacher Weise als Kleinod. Für einen Augenblick erlauben sie eine Auszeit, in der der/die Lesende Gott und/oder sich selbst nahe kommt. Sie taugen nicht allein für den Sonntag, auch für den Alltag, sogar den trüben. Sie bieten Anregungen für all die, die selber gerne Andachten oder Predigten halten, auf der Suche sind nach liturgischen Texten in klarer Sprache oder nach Anregungen, die aufgegriffen, weiter entwickelt und weiter gesagt sein wollen. Als Auszeit für die Seele und als Anregung für die Arbeit in der Gemeinde ist „Flügel im Augenblick“ nicht zuletzt ein Geschenktipp für Kolleginnen und Kollegen, Haupt- und Ehrenamtliche genauso wie für Menschen, die einfach Freude haben am Lesen christlicher Poesie.
Brigitte Janssens
brigitte.janssens@kirchenkreis-herford.de