„Mein Leben sei ein Wandern“
Hansgünter Ludewig, „Mein Leben sei ein Wandern“. Die geistliche Biografie Gerhard Tersteegens, Brunnen-Verlag Gießen 2019, gebunden 542 S. 48,– €, ISBN 978-3-7655-9112-9
Der 1944 geborene Verfasser dieser Biografie Tersteegens (= T.) verfasste schon seine Dissertation zu T. (Gebet und Gotteserfahrung bei Gerhard Tersteegen). Alles, was Ludewig (= L.) seitdem veröffentlicht/e, dreht sich um T.; er ist jedoch in dem T.artikel der RGG überhaupt nicht, in der TRE nur bei den Lit.angaben erwähnt. Leider. Außer der hier vorzustellenden Biografie (sie erschien zum 250.Todesjahr T.s) ist S. 30 eine Werkbiografie zu Gerhard Tersteegens verbotene Schriften angekündet; diese lässt jedoch laut einer Information des Verlags im Mai 2020 noch auf sich warten. Spätestens dann wird L. zur unabdingbaren Sekundärquelle für Leben und Werk von T. avancieren.
Während L. bis dato also eher unbekannt war, ist sein Protagonist sehr bekannt. Zinsendorfs Herrrnhuter Gesangbuch vom 1735 enthielt neun T.lieder. Unter dem Einfluss der Erweckungsbewegung folgten im 19.Jh. sehr viele andere Gesangbücher. Acht Lieder T.s stehen im Stammteile des Evang. Gesangbuches (EG). Dem Abendlied „Nun sich der Tag gewendet“ (EG 481,5) ist L.s Buchtitel entlehnt. Die Lieder T.s sind jedoch nur eine Begründung seiner bleibenden Bekanntheit und Wichtigkeit. Laut Peter Zimmerling (er veröffentlichte 2015 „Evangelische Mystik“) ist T. „einer der wichtigsten Repräsentanten der Mystik auf dem Boden der reformatorischen Kirchen“.
Nach einer ausführlichen „Einführung“ geht L. in 16 Kapiteln
akribisch dem Leben und den Botschaften T.s nach. Mit Hilfe von 91 Abb. nimmt er die Leserinnen mit in die äußere vorrevolutionäre, monarchistisch und absolutistisch geprägte Welt des 18.Jh., die noch weit vor der „Aufhebung der Leibeigenschaft und die Auflösung der starren Grenzen von Ständen und Zünften“ (S. 172) steht. Das Verlagswesen war bestimmt von der Zensur, und die Mutter T.s „verweigert ihm das Studium“ und „schickt den Schulabgänger zu seiner Schwester nach Mülheim“ (S. 44), wo T. eine Kaufmannslehre beginnt und wo er zeitlebens wohnen bleibt und sich als Tuchweber, Schriftsteller und Seelsorger
betätigt. Vor allem aber nimmt L. seine Leser*innen mit hinein in die innere Gefühls- und Glaubenswelt T.s; diese sind gekennzeichnet durch Askese, Selbstverleugnung und obenan der Anbetung im sog. Herzensgebet. „Gebeth, Selbstverläugnung, Wandel in der Gegenwart Gottes, das ist unsere Religion“, schreibt T. 1766 in einem Brief (S. 130).
Über das Gesagte hinaus, seien am Ende drei Dinge festgehalten:
(1) L. stellt zu wenig die großen Linien dar; er verliert sich oft in eher unwichtige Kleinigkeiten.
(2) Vermittels dieser Biografie kann man seine eigeneFrömmigkeit tiefer gründen.
(3) Praktisch verwertbar ist L.s Werk als wertvolle Quelle für T.-Liedpredigten.
Dr. Gerhard Meier