Das Buch der Psalmen
Manfred Oeming / Joachim Vette:
Das Buch der Psalmen, 3 Bd.
Neuer Stuttgarter Kommentar, Altes Testament, 13/1-3
Verlag Katholisches Bibelwerk Stuttgart
2000 (Bd. 1), 2010, (Bd. 2) 2016 (Bd. 3)
insgesamt 800 S., 49,95 €
ISBN 978-3-460-07134-6 (für alle drei zusammen)
Das Spezifikum des Kommentars nennt M. Oeming gleich im Vorwort zu Bd. 1, wo er die drei Quellen benennt, aus dem sich der Kommentar speist: Gemeindearbeit (Gespräche über Psalmen in einem Bibelkreis; Predigten über Psalmen), Forschung (die Auslegung geschieht im Gespräch mit den wesentlichen Kommentaren) und das persönliche Gebet (wie sie Oeming in konkreten Lebenslagen zum Gebet geholfen haben – das erinnert an Luthers Umgang mit den Psalmen, auch wenn Oeming nicht so konkret wird wie Luther). Diese Quellen werden immer wieder deutlich sichtbar, je nach Psalm in unterschiedlicher Weise, und wirklich fruchtbar gemacht, nicht zuletzt auch darin, dass unwahrscheinliche Forschungshypothesen entweder gar nicht erwähnt oder nur soweit benannt werden, wie sie für das Verständnis eines Psalms etwas austragen.
M. Oeming lässt sich von den Psalmen bestimmen: „Sie sind Rede zu Gott. In dieser Form der Gott-Rede entscheidet sich die Wahrheit aller Theologie. Theologie ist nicht das distanzierte Spekulieren über Gott und die Welt; Gott ist nicht aus gleichsam neutraler Position heraus zu erforschen, sondern nur in der Begegnung erschließt er sich oder nicht.“ (Bd. 1, S. 44) Und ganz im Sinne Luthers heißt es dann: „Wer Theologe sein will, muß beten. … Die Bedeutung der Psalmen als Schule des Betens, als Hilfe zur Sprachfindung im Gespräch mit Gott, ist überhaupt nicht zu überschätzen.“
Bd. 1 hat M. Oeming, seit 1996 Professor für AT in Heidelberg, alleine geschrieben; ab Bd. 2 hat vom Umfang her in etwa gleichen Anteilen J. Vette mitgeschrieben, 2007-2012 Akademischer Rat für atl. Theologie an der Uni Heidelberg, danach Leiter der Evang. Arbeitsstelle für Erwachsenenbildung in Mannheim und ebendort Mitglied des Leitungskollegiums des ökumenischen Bildungszentrums sanctclara. Inhaltlich sind die Auslegungen der Psalmen von Oeming theologisch deutlich gewichtiger als die von Vette, was sich auch schon daran zeigt, dass die meisten Exkurse aus der Feder von Oeming stammen und die theologisch wichtigen nahezu ausschließlich von ihm.
Die 49 Exkurse zu zentralen und auch schwierigen Themen der Psalmen bieten eine sehr gut lesbare kleine Theologie des AT in nuce. Sie sind jeweils im Inhaltsverzeichnis extra aufgelistet, so dass sie schnell auffindbar sind. Am Ende des 3.Bandes folgt ein „Nachwort: Die Theologie der Psalmen“ (S. 267-287; Oeming/Vette).
Die Kommentierung der Einzelpsalmen von M. Oeming zeigen seine reiche Erfahrung und große Kenntnis, auch immer wieder sein inneres Ringen, das zum Nachdenken anregt; er stellt theologische und existentielle Grundfragen. Die Kommentierung von J. Vette hingegen machen einen soliden und bodenständigen Eindruck, bringen aber vermehrt Gesichtspunkte des liturgischen Gebrauchs und der Musik zur Geltung.
Der Kommentar bezieht sich als Teil einer katholischen Reihe (NSK-AT) auf die Einheitsübersetzung, die zwar nicht abgedruckt ist, aber dem Leser zur Lektüre als Basis der Auslegung ausdrücklich nahegelegt wird. Die EÜ wird jeweils dort, wo es sachlich geboten ist, vom hebräischen Grundtext her ergänzt oder gewertet: etwa im Sinne von „schwächt ab“, „der hebräische Begriff ist weiter, als das von der EÜ gewählte deutsche Wort“ usw.
In der Einleitung (S. 13-47) positioniert sich Oeming im Blick auf das Verständnis der Psalmen im Verhältnis zur wissenschaftlichen Erforschung der Psalmen dreifach:
(1) Zur Methodik: Die End- und Letztgestalt der Psalmen sind für ihn maßgeblich, nicht die mündliche Vorgeschichte und auch nicht die Redaktionsgeschichte. Hier setzt er sich scharf ab von den neueren Bemühungen um die Psalterexegese, bei der die Stellung innerhalb von Psalmgruppen und der Zusammenhang zu anderen Psalmen, also die redaktionelle Komposition erst den wahren Sinngehalt erschließe, und akzentuiert das Verständnis der Psalmen als „Einzelkunstwerke“, die als solche auszulegen seien. Das Profil der Psalmen in ihrer Endgestalt zeige auch ganz deutlich, dass eine Einzeichnung der Psalmen in die Religionen der Umwelt völlig verfehlt sei, weil sich die Psalmen „sehr deutlich und offensiv von den Religionen der Umwelt“ absetzten (S. 17). Oeming bricht auch ganz bewusst mit der klassischen Formkritik von Gunkel und Mowinckel, weil die Psalmen nicht in ihrer nur hypothetisch erschließbaren scheinbaren kultischen Verankerung verstanden werden wollten, sondern es handle sich bei den Psalmen um literarische Produkte auf der Ebene der Schriftlichkeit. Die theologische Weisheit sei entscheidend: „Der Psalm als ganzer ist eine Mischgattung, die zur Vermittlung einer Lehre, zur Unter- und Einweisung in die theologische Weltklugheit diente.“ (S. 23) Oeming nutzt auch in konzentrierter Weise die Wirkungsgeschichte der Psalmen in Judentum und Christentum für die gegenwärtige Auslegung.
(2) Zu Einleitungsfragen: Hier werden knapp Kennzeichen der Poesie der Psalmen skizziert, Fragen der Autorschaft und des Alters der Psalmen besprochen. M. Oeming sieht die Psalmen, weil er von ihrer Endgestalt ausgeht, als „Produkt der Spätzeit des Alten Testaments“, erst um 100 v.Chr. (S. 34), ohne deshalb zu leugnen, dass älteres Material aufgenommen sei –, Gattungen elementar erläutert und zum Aufbau des Psalters in fünf Büchern zurückhaltend (es gebe keine erkennbare Systematik in der Anordnung der Psalmen) das eine und andere fast pflichtgemäß erläutert.
(3) Zur theologischen Bedeutung des Psalters: Es geht hier um „die Summe der ganzen Theologie“ und wie oben bereits als Spezifikum benannt um „die hohe Schule des Gebetes“. Zugleich legt M. Oeming Wert auf die enge Verbindung zum NT und auch zur Gegenwart: „Exegese bedeutet für mich nicht nur eine rein historisch-abständige Erklärung, sondern zugleich auch eine Vergegenwärtigung.“ (S. 47)
Die lange Entstehungszeit des Kommentars hat auch Veränderungen mit sich gebracht. M. Oeming und J. Vette geben im Vorwort des 2. Bandes (S. 11ff) zu erkennen, dass sie von Zenger und Hossfeld gelernt und deshalb Gruppierungen von Psalmen stärker berücksichtigt haben, denn es gebe „viel mehr Verbindungslinien, als man bislang wahrgenommen hat, und zwar nicht nur auf der Ebene von Wortverbindungen zwischen Nachbarpsalmen, sondern auch auf der Ebene der konzeptionsleitenden Anordnung.“ Aber der Kommentar ringt mit der redaktionellen Arbeit von Zenger und Hossfeld bis zuletzt und kann sich nicht durchringen, diesen wichtigen Gesichtspunkt wirklich in letzter Ernsthaftigkeit aufzunehmen. Die Kritik an Zenger, „dass der Psalter einen wohl durchdachten und geordneten Kosmos darstelle“ (Bd. 3, S. 272) wird expliziert: „Hossfeld/Zenger sind darin im Irrtum, dass sie allzu zuversichtlich und glaubensvoll das Chaos in einen kompositorisch logischen Kosmos überführen wollen.“ (S. 275)
Anschaulich wird von M. Oeming seine Sicht unter dem Stichwort „Psalmistische Hängung“ zusammengefasst. Er orientiert sich dabei an der Art, wie in der Sankt Petersburger Eremitage Bilder aufgehängt werden, im Sinne der „Petersburger Hängung“: Ganze Wände werden mit einer Vielzahl von Kunstwerken behängt, so dass nicht das einzelne Kunstwerk zentral ist, sondern der Reichtum aller Kunstwerke zusammen. So sei es bei den Psalmen auch: „Obwohl jedes Gebet für sich ein einzigartiges Kunstwerk ist, ist das Objekt der Bewunderung letztlich nicht das einzelne Gebet, nicht die klare Ordnung, sondern der überbordende große Reichtum der Kunstwerke. Auch und gerade durch ihre leicht chaotische Präsentation beeindrucken sie; sie erzeugen gerade so auch und vor allem die Bewunderung und Anbetung desjenigen, der über eine so große Kunstsammlung verfügt, nämlich JHWH von Jerusalem.“ (Bd. 3,276)
Fazit: Wohltuend kurz und gut lesbar. Theologisch wichtig und unverzichtbar ist die konstitutive Einbeziehung des Gebetsvollzugs. Was von Hossfeld und Zenger gelernt wurde, hätte noch mehr aufgenommen werden sollen, gerade wenn man die Endgestalt hervorhebt.
Pfr. Thomas Maier, Direktor der Evangelischen Missionsschule Unterweissach