Meine Füße auf weitem Raum, Margot Käßmann

Margot Käßmann, Meine Füße auf weitem Raum, Hansisches Druck- und Verlagshaus GmbH, Frankfurt am Main, 2009, chrismon edition (Texte für die Seele), 235 S.

Empfehlend sei auf diese kleine Predigtsammlung der hochgeschätzten früheren Landesbischöfin der Evangelischen Landeskirche Hannover und Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland hingewiesen. Margot Käßmann durchwandert in den dreizehn zusammengestellten Predigten einen weiten Raum. Sie verliert dabei nicht den Kontakt zu ihrem Christsein, ihren Anliegen in dieser Welt und ihrer Lesergemeinde. In ansprechender  Aufmachung und gut lesbarer Großschrift fühlt man sich als Leser oder Leserin eingeladen, sich in die Weite ihrer Bibelauslegungen mitnehmen zu lassen und wird Nahrung für die Seele finden.

Im Vorwort führt Margot Käßmann ihre Predigten als seelsorgliche Predigten ein, die stärken, heilend wirken, ermutigend und bildend sein sollen. Sie stellt sie gelingend in den Kontext unseres Lebens und unserer Zeit  und wird damit viele Menschen erreichen. Drei Predigten habe ich ausgewählt, auf die ich besonders eingehen möchte. Die Predigt zu Johannes 1, 23-24, dem Text der Taufe Jesu durch Johannes, die Margot Käßmann unter das Thema „Evangelisch: kritisch und frei“ stellt. Hervorragend gelingt es ihr, das evangelische Profil herauszuarbeiten; die Predigt zu Lukas 10, 25-37, eine Bibelarbeit in einem Predigtband, und eine wirklich seelsorgerliche Predigt: „Heilung für unsere geschundenen Seelen“ zu Matthäus 15, 21-28.

Evangelisch: kritisch und frei“,  Predigt zu Johannes 1, 23-24

Gelungen führt uns die Autorin auf der Grundlage des Bibeltextes als evangelische Christen und Christinnen zu dem Profil unseres protestantischen Glaubens. Die Bibelverse stellt sie an den Anfang und lenkt dann den Blick auf das Verhältnis der beiden Männer zueinander. Die Taufe Jesu durch Johannes in den Mittelpunkt stellend lässt sie uns auf den Beginn ihrer Beziehung zurückschauen. Diese beginnt im Lukasevangelium mit der Begegnung der beiden werdenden Mütter Maria und Elisabeth und dem Hüpfen des Kindes Johannes im Bauch der Elisabeth (Lk 1). Wir werden eingeladen, in die Zukunft der beiden Männer zu blicken und die Erkenntnis des Johannes wahrzunehmen: Jesus ist der Messias. Margot Käßmann schildert eindrücklich, wie der charismatische Johannes vermitteln kann, wer dieser Jesus ist. Sie greift die Bilder von Lamm und Taube auf, welche Johannes verwendet, und malt uns die Kraft der Aussagen, die in diesen Bildern steckt, eindrücklich vor Augen.

Das Zentrum des Bibeltextes, die Taufe, stellt sie erneut in den Mittelpunkt und benennt die Taufe als das entscheidende ökumenische Symbol, den Konsens bei allen Unterschieden unserer christlichen Konfessionen. Margot Käßmann sieht dies als ökumenische Chance und führt uns  zu unseren evangelischen Grundüberzeugungen. Sie schildert die Bedeutung unserer Freiheit, der Rechtfertigung aus Gnade, dem Priestertum aller Getauften, der Vielfalt der Meinungen sowie die Bedeutung des Zusammenhaltens von Glaube und Vernunft. Präzise, kurz und verständlich ohne „erhobenen Zeigefinger“ spiegelt sie unsere Überzeugungen wieder und endet damit, dass wir mit anderen Kirchen gemeinsam in der Nachfolge des Mannes stehen, den Johannes zuerst als Sohn Gottes erkannt hat. So gelingt ihr der Bogen, ausgehend von dem Taufgeschehen, in dem Johannes erkennt, um was und wen es in seiner Begegnung geht, worum es mit unserer Erkenntnis in der Begegnung mit und in der Nachfolge Jesu geht. Eine Predigt, die Alle lesen sollten, die ökumenische Verbindung suchen und sie leben wollen, aber ihr evangelisches Profil schätzen und ihre Rückbesinnung darauf auch immer wieder brauchen. Zu empfehlen wäre sie auch den Menschen, die keine konfessionellen Unterschiede mehr wahrnehmen oder kennen.

Barmherzig sein – mit sich selbst und anderen“, Predigt zu Lukas 10, 25-37, dem Gleichniss vom barmherzigen Samariter.

Keine Predigt sollte so lang sein wie diese, aber vielleicht ist es mit den Bibelarbeiten auf dem Kirchentag ja etwas anders. Dass es eine Kirchentagsbibelarbeit ist, erfährt man erst am Schluss der Ausführungen (ein Hinweis darauf am Anfang wäre sinnvoll gewesen, der Leser/die Leserin würden vielleicht diese Länge, die Ausführlichkeit und das Aufnehmen immer wieder neuer Aspekte geduldiger annehmen). Margot Käßmann fängt ganz humorvoll mit der Schilderung einer originellen Begebenheit an, eine schöne Hinführung zu dem sehr bekannten Text. „O mann, die story kenn ich schon“, diese zitierte Aussage eines Kindes  habe ich dann beim Weiterlesen der Auslegung oft gedacht. So wird ausführlich das Liebesgebot erläutert und mit Beispielen veranschaulicht. Kein Beispiel ist unwichtig, aber immer wieder schlich sich bei mir der Gedanke ein, dass ich als Leserin bzw. Hörerin diese Story doch schon kenne. Darum die leise Anfrage: Brauche ich so viele Beispiele, um etwas deutlich werden zu lassen? Was frisch in unseren Alltag übersetzt angefangen hat, beginnt, sich irgendwann in die Länge zu ziehen oder gar langweilig zu werden. Frau Käßmann nimmt die Leser und Leserinnen mit, um das biblische Geschehen auf vielfältige Situationen zu beziehen; sie benennt die Zeit des Nationalsozialismus,  die Armut bei uns, die Armut in Südindien, die  Globalisierung und ihre Folgen in Kolombien und Indonesien, die USA und die afrikanischen Flüchtlinge, Äthiopien und die Weltwirtschaftsprobleme, die Weltethikprobleme und weitere bedrängende Anhaltspunkte. Vieles wird hier aber (dies sei kritisch angemerkt) nur angedeutet, das jedoch Erklärung bräuchte, und Einiges wird besprochen, das eher als bekannt vorausgesetzt werden kann. Doch finden sich anregende, auch neue Gedanken, welche die Autorin in den Zusammenhang mit dem Bibeltext stellt.

Heilung für unsere geschundenen Seelen“, Predigt zu Matthäus 15, 21-28

Diese Predigt kann heilsam wirken. Jesus begegnet im Bibeltext der kanaanäischen Frau, die um die Heilung ihrer kranken Tochter ringt und Jesus um Hilfe anfleht. Darauf will sich Jesus gar nicht einlassen und argumentiert, dass er nur für sein jüdischen Volk zuständig sei. Die Kanaanäerin  nimmt Jesu abweisende Argumentation auf, erweitert die Sicht und erreicht die Heilung der Tochter. Margot Käßmann lässt von Anfang an persönliche Betroffenheit zu, bleibt aber stets im Kontakt mit dem Bibeltext. Sie nimmt geschickt den gesellschaftlichen Kontext von damals wie von heute in den Blick, denn wieviele Eltern ringen um ihr Kind, und wieviele Frauen geraten ins Abseits, weil sie Mutter sind. Dazu das Jesusbild: Geschickt schildert uns Margot Käßmann einen Jesus, der sich auf einen Lernprozess einlassen muss, und sie eröffnet uns so ein Gottesbild, das lebensmutig macht. Sie verweist darauf, dass Gott eben nicht der entrückte Weltenlenker ist, sondern der in Christus offenbare Gott, er hat eine Geschichte mit uns Menschen. Es gelingt ihr, klar zu machen, dass Gott oder Jesus keine starren Größen sind, sondern dass in der Begegnung mit ihnen Entwicklung möglich ist, ganz so wie in der Begegnung zwischen Jesus und dieser Frau.

Die Predigerin führt uns zu der Erkenntnis, dass es um ein umfassendes Geschehen zwischen Göttlichem und Menschlichem geht, ein Geschehen, welches heilend in die Zukunft wirken kann. Ein empfehlenswerter „Text für die Seele voller Hoffnung und Engagement“. Ich wünsche dem Buch viele aufmerksame Leser und Leserinnen, denn es lohnt sich, sich auf die Gedanken von Margot Käßmann einzulassen.

Petra Neumann-Janssen

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