Volker Gerhardt: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche
Volker Gerhardt: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche, Verlag C.H. Beck München, 2.Aufl. 2015, gebunden, 357 S., 29,95 €, ISBN 978 3 40666934 7
„Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas.“ So der Schriftsteller, Dichter und Übersetzer Christian Morgenstern (1871-1914) in einem seiner vielen Bonmots. Sehr vage, fast nihilistisch klingen seine Worte. Vielleicht passend zum Lebensgefühl vieler Zeitgenossen, die auf der Suche nach Sinn sind. Aber, wie der Landvermesser K. in Kafkas Roman „Das Schloss“ vergeblich sucht, so suchen und suchen viele, kommen aber – vielleicht sogar trotz der Hilfe anderer – nicht ans Ziel. Oder ein vermeinlich guter Sinn entpuppt sich als Luftblase. Begibt man sich von dieser mehr – aber nicht ausschließlich – individuellen Ebene in philosophische Sphären, so finden sich im Laufe der Geschichte der Philosophie viele Versuche, die Frage nach dem Sinn einer Lösung zuzuführen. Nach dem Ende des metaphysischen Weltbildes (zum Beispiel durch Kants Widerlegung der Gottesbeweise oder Wittgensteins und Adornos Rat, „die Sinnfrage einfach zu vergessen“; S. 260) erscheint es nicht mehr möglich, ein allgemein gültiges System zu bilden beziehungsweise ein solches zu vertreten.
Mit diesem Buch legt der 1944 geborene Berliner Philosoph Gerhardt (zu Person, Denken und Werk siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Volker_Gerhardt#cite_note-9) seine Sicht zu Welt und Mensch, Glaube und Sinn dar. In der Einleitung findet sich der steile Satz (Morgensterns Bonmot und dem einleitenden ersten Absatz konträr entgegen stehend), dass die Welt „nicht ohne einen Sinn zu denken ist, den jeder sowohl in ihr wie auch in sich zu finden vermag.“ (S. 20 umgestellt) Und als leitende Absicht nennt Gerhardt gleich zu Beginn seines Vorwortes, den Glauben so zu beschreiben, „dass seine Bedeutung für den Menschen kenntlich wird… Es (sc. das Buch) soll zeigen, dass wir vom Glauben nicht loskommen, solange wir noch etwas zu wissen glauben; es führt die Verschränkung von Wissen und Glauben vor…“ (S. 9) Und auf der darauf folgenden Seite: „Das Pathos der nachfolgenden Untersuchung ist darauf gerichtet, die Rationalität des Glaubens auszuweisen.“ Genauer dann am Ende der Einleitung auf S. 37: „Dem Nachweis der Verbindung zwischen Glauben und Wissen gilt das ganze Buch.“ Explizit traktiert er im vierten Kapitel den „Glauben als Einstellung zum Wissen“. Doch der Reihe nach.
Über dem ersten Kapitel (mit der Überschrift: „Das Ganze lässt sich nicht vergessen…“) steht, als Obersatz hervorgehoben und zum Buch insgesamt passend, folgender Satz aus Nietzsches „Götterdämmerung“: „Aber es gibt Nichts außer dem Ganzen!“ Über jedes der sechs Kapitel seines Buches stellt der Verfasser das Zitat eines Philosophen oder aber – etwas häufiger – das Wort eines Mystikers. Im zweiten Kapitel („Das Ganze zeigt sich nur in seinen Teilen…“) wendet sich Gerhardt im bewussten Gegensatz zur seiner Meinung nach geschichtsvergessenden Moderne der Geschichte seiner Zunft zu. Beginnend mit Heraklit fragte die Philosophie immer auch nach Gott. Nach einem gewissen Schwerpunkt bei Plato, endet Gerhardts Durchgang durch die Gottes-Geschichte der Philosophie mit Kant; S. 96-110 befasst er sich mit ihm. Gleich zu Beginn versteht Gerhardt Kant so, dass dieser mit der Aufhebung des Wissens „dem Glauben Platz zu machen“ versuchte (S. 96). Und er schließt so: „Aus kritischer Perspektive soll (damit) gesagt sein, dass der in seiner Vernunft sich selbst bestimmende Mensch Gott als sein Gegenüber braucht.“ (S. 109) Im dritten Kapitel analysiert Gerhardt den tragenden Begriff des Sinns, insbesondere in Bezug auf das Göttliche, auch wenn dieses S. 146f noch reichlich unbestimmt bleibt. Mehr zu erwarten und inhaltlich mehr geboten wird dann im fünften Kapitel („Der Sinn des Sinns. Das Göttliche als Bedeutung der Welt“; mit 56 S. das umfangreichste Kapitel). Gerhardt begreift das Göttliche „als das im Ganzen wirkende Moment der Welt“ (S. 225). Er will das Göttliche jedoch nicht pantheistisch verstanden wissen. Denn der Pantheismus hatte und hätte „für die Fragen der Ethik, des Rechts oder der Ästhetik keine Lösung zu bieten“ (S. 226 umgestellt). Am Ende dieses Kapitels steht S. 258-266 als letzter Abschnitt „Gott als Sinn des Sinns“. Immer deutlicher tauchen nun personale Kategorien auf. Dies wird im letzten Kapitel („Das Göttliche, Gott und das Menschliche der christlichen Botschaft“) noch einmal gesteigert. Gerhardt spricht nämlich prononciert „vom christlichen Gottesbegriff“ (S. 269), also auch von der Trinität – und von Christentum und Rolle und Funktion der Kirche.
Zusammenfassend und kurz gesagt: Der wieder in die Kirche eingetretene Philosoph Volker Gerhardt legt mit diesem Werk sein Glaubensbuch vor. Es muss und will philosophisch und theologisch gelesen und verstanden werden. Biblisch- theologisch wäre unter anderem zu fragen, inwieweit Gerhardts philosophischer Begriff des Glaubens mit einem genuin theologischen vermittelbar ist. Oder ob Gottes Sein bei Gerhardt nicht letztendlich im Weltsein aufgeht.