Zwischen Glück und Tragik. Philosophische Lebensdeutungen – Buchhinweis von Dr. Gerhard Maier

Karen Gloy:Zwischen Glück und Tragik. Philosophische Lebensdeutungen, Wilhelm Fink Verlag, München 2014, kartoniert, 220 S., 30,90 €,
ISBN 9783770556458

Verfasserin dieses Buches zu Fragen nach Sinn und Glück, Tragik und Unglück des menschlichen Lebens (individuell und allgemein-grundsätzlich) ist die Philosophin Karen Gloy. Von 1985-2006/07 lehrte sie in Luzern/Schweiz Philosophie und Geistesgeschichte. Nach wie vor lehrt sie auch in München und Ulm.

Nach dem kurzen einleitenden ersten Kapitel (S. 13f), das den „Gegenstand der Untersuchung“ (= Kapitelüberschrift) und das Fazit kennzeichnet, widmet sich Gloy im zweiten Kapitel (S. 15-27) dem Gilgamesch-Epos. „Das eigentliche, das gesamte Epos durchziehende Thema ist das Rätsel von Leben und Tod.“ (S. 22, umgestellt) Am Ende (Tafel X und XI) muss Gilgamesch einsehen, „dass all sein Sehnen und Streben, seine Mühen und Plagen umsonst waren und er sich in die vorgegebene Ordnung einzufügen hat.“ (S. 26) Präzise dazu passt die auf der Umschlagseite abgebildete Arbeit der 1940 geborenen Malerin und Bildhauerin Anna Chromy „Sisyphus“ (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Chromy#/media/File:Anna-Chromy-Sisyphus.jpg). Man liest dieses Kapitel gerne und freut sich an vielen Informationen, fragt sich aber auch, ob die Altertumswissenschaftler da unisono mitgingen und ob nicht die Problematik der Textüberlieferung dieses uralten Textes überspielt wird (vgl. TRE 5 [1980],74f und RGG 3 [2000],931).

Im dritten Kapitel (S. 29-65) springt Gloy aus der grauen Vorzeit des Gilgamesch-Epos in die Philosophie des Mittelalters (Thomas von Aquin) und des 19.Jahrhunderts (Fichte, Schelling, nicht aber Hegel) und auch des 20.Jahrhunderts (Wittgenstein) und traktiert gegenwärtige, semantische und epistemologische Fragen über „Die Frage nach dem Sinn des Lebens“ (= Kapitelüberschrift). Am Ende stellt sie auf S. 65 – beispielhaft den Blick auf Naturethnien, Kinder, Mystiker und Propheten richtend – das Folgende fest: „Aus alledem ist zu folgern, dass die ständig wiederkehrende, verbohrte Sinnfrage ein Kulturprodukt ist, das auf der Ausbildung und Präferenz einer spezifischen Denk- und Zeitstruktur, nämlich der des Abendlandes beruht, die mit Intentionalität operiert, sei es mit der Subjekt-Objekt-Gerichtetheit, sei es mit der Gerichtetheit von der Vergangenheit auf die Zukunft.“ Kritisch ließe sich an dieser Stelle einwenden, ob die Sinnfrage nicht so etwas wie eine anthropologische Konstante darstellt, die sich, gewiss kulturell, lebensgeschichtlich und religiös so oder so temperiert, auf jeden Fall stellt.

Im vierten, leider viel zu kurzen Kapitel (S. 67-100) greift Gloy das erste Titelwort „Glück“ (= Kapitelüberschrift) auf. Sie differenziert den Glücksbegriff vierfach: Erfüllungs- und Empfindungsglück, Sinnesglück, Seelenglück und Glückseligkeit. Leider berücksichtigt Gloy die lange philosophische und theologische Glücksdiskussion zu wenig und die Ergebnisse der stark angewachsenen Glücksforschung der letzten Jahrzehnte (vgl. das von Dieter Thomä u.a. 2011 hg. Interdisziplinäre Glücks-Handbuch) so gut wie gar nicht. Dieser Mangel wird durch Gloys sehr interessanten und lehrreichen letzten Teil zum Bruttosozialglück in Bhutan (S. 88-100) wett gemacht. Er beruht auf eigenen, praktischen Erfahrungen (s. S. 95-98) und fließt hoffentlich in die Glücksforschung ein. – Das nächste Kapitel (S. 101-144) beinhaltet – so die Überschrift: „Die tragische Seinsauffassung in der antiken griechischen Tragödie“. Eingangs nennt Gloy in der längsten Anmerkung ihres Buches viele Buchtitel mit dem Thema ´tragische Welt- und Lebenssicht´. Diese fand „ihren prägnantesten Ausdruck im antiken Drama“ (S. 102). „Die tragische Lebensauffassung der frühen Griechen ist eine Singularität, die es nur in diesem Land und zu dieser Zeit gab…“ (S. 136) Nachdem Gloy verschiedene Definitionen, u.a. die von Aristoteles, Lessing und Goethe, referierte, wird die Tragik an verschiedenen Beispielen veranschaulicht. Nach der Lektüre dieses Kapitels bekommt man Lust, die eine oder andere Tragödie noch einmal oder zum ersten Mal zu lesen.

Im letzten Kapitel sechs, dem umfangreichsten (S. 145-200: „Nihilismus – Pessimismus“) beschäftigt sich Gloy in einiger Ausführlichkeit mit dem Pessimismus Schopenhauers, dem Nihilismus bei Nietzsche und dem Absurden bei Camus, also veritablen Daseinsentwürfen des 19.und 20.Jahrhunderts, die bis in unsere Tage hinein nachwirken, vollends wenn man ihre „Umgebungsbegriffe“ (S. 146) Agnostizismus, Skeptizismus, Pessimismus, Misanthropie, Weltschmerz, Zynismus u.ä. mit einbezieht. Gerne würde man explizite Verbindungslinien zu den zwei tragenden Begriffen ´Glück´und ´Tragik´ sehen. Schopenhauer beispielsweise beschrieb die WELT als Wehe, Elend, Leid und Tod und verlautbarte in seinen vielfach nachgedruckten „Aphorismen zur Lebensweisheit“ viele Glückssprüche, z.B. den folgenden: „Es gibt nur einen angeborenen Irrtum, und es ist der, dass wir da sind, um glücklich zu sein.“ – Das abschließende siebte Kapitel (S. 201f: „Die Multiperspektivität“) entspricht in Kürze und Grundsätzlichkeit dem einführenden ersten Kapitel.

Abschließend seien folgende zwei Bemerkungen gemacht, die erste sehr kurz, mehr formaler Natur und rundherum positiv, die zweite theologisch-grundsätzlicher Natur und mehr wertend.
– Gloy nennt und erschließt viele Quellen / Literatur, die einem nicht ohne Weiteres zur Hand sind. Dafür gebührt ihr großer Dank.
– Der Untertitel („Philosophische Daseinsdeutungen“) trifft den Nagel auf den Kopf. Gloys Zugriff ist philosophisch. Marginal zitiert sie zwar Bibelstellen (bis auf Paulus verweist der Index jedoch nicht darauf; Gott und Jesus tauchen darin gar nicht auf!), theologisch-christliche Aspekte spielen für sie jedoch so gut wie keine Rolle. Sie scheint dem Buddhismus nahe zu stehen, was nicht zuletzt durch Hesses berühmtes Glücks-Gedicht unterstrichen wird, das exponiert (vor dem Inhaltsverzeichnis) auf S. 7 abgedruckt ist:

Solang du nach dem Glücke jagst,
Bist du nicht reif zum Glücklichsein.
Und wäre alles Liebste dein.

Solange du um Verlorenes klagst
Und Ziel hast und rastlos bist,
Weißt du noch nicht, was Friede ist.

Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
Nicht ziel mehr noch Begehren kennst,
Das Glück nicht mehr mit Namen nennst,
Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz, und deine Seele ruht.

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