Hinweis
Jedes Jahr gestalten die Katechumeninnen und Katechumenen ein Kreuz, jeweils für den Zeitraum Karfreitag bis Ewigkeitssonntag. 2025 wird ein geschälter Baumstamm als Längsbalken hinter dem Holzaltar aufgestellt. Der Baumstamm, den ein Katechumene organisiert hat, wurde mit einer Kettensäge nach Anweisungen und im Beisein der Katechumen oben auf 40 cm eingekerbt und in einen Ständer gestellt. Es wurde diskutiert, wie die Spaltung zu heilen sei. Ggf. wird es später noch Veränderungen am Stamm geben.
------
Ein spannender Moment in den Vorbereitungen der Karwoche und Osterzeit ist für mich alljährlich die Frage an die Katechumeninnen und Katechumenen: Welches Kreuz haben wir, haben Menschen unserer Zeit zu tragen?
I
Die Jugendlichen grübeln, sagen etwas, verwerfen es, bis einer meint: Spaltungen. Die Leute teilen sich in Meinungslager auf, die unversöhnlich nebeneinander stehen. Die anderen steigen sogleich darauf ein. Für mich sind diese Wesen zwischen Kinderzeit und Erwachsenenwelt ein Seismograph des Zeitgeistes: 80 % der Menschen in Deutschland nehmen eine Spaltung der Gesellschaft wahr. Die Jugendlichen spüren es auch: Erwachsene gebärden sich gerade gar nicht so erwachsen, Präsidenten nicht ausgenommen. Reizthemen rufen sofortige Verwerfungen hervor, Polarisierungen von sogenannten Populisten liegen in der Luft, Demonstrationen werden von Gegendemonstrationen begleitet. Unser Kreuz ist, dass wir lieber verdammen als zu streiten. Entweder echauffiert man sich oder winkt gleich ab, weil da sowieso kein konstruktives Gespräch mehr für möglich gehalten wird.
Auch an Jesus scheiden sich die Geister. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Das sagt er zuerst zu den Jüngern des Täufers. (Matthäust 11,6) Dann löst er wohl Ärger in Nazareth aus, wo man ihn von Jugend an kennt und nicht recht glauben kann, er sei der Messias. (Mt 13,57f.) Petrus sagt er voraus, dass am Ende dieser Nacht auch seine engsten Vertrauten Ärgernis an ihm nehmen werden, sogar er werde leugnen, ihn zu kennen. (Mt 26,31) Die Jünger des Täufers, die Nachbarn in Nazareth, sein bester Freund Petrus – sie alle bittet er, ihn nicht als Skandal zu betrachten, sondern als einen, der sie weiterbringen kann, ins Reich Gottes nämlich, das hier schon für sie beginnen könnte.
Jesus möchte kein Skandal sein, den man sich besser vom Halse hält. Er möchte mit den Menschen ins Gespräch kommen, damit sie seine großartige Vision von einer neuen Welt erst einmal anhören und sie vielleicht auch irgendwann als eine eigene Möglichkeit erkennen. Vor Aufrührern und Eiferern verschließen andere lieber ihre Türen. Darum kann er Ärger nicht gebrauchen: Glücklich wird, wer sich nicht an mir ärgert, sondern mich versteht.
Woran haben die Katechumeninnen und Katechumeneneigentlich gedacht? An Spaltungen, die sogar zu Kriegen führen, an sogenannte Klimaschützer und Klimaleugner, an Arme und Reiche, die in verschiedenen Welten leben, an Spaltungen zwischen Anhängern verschiedener Religionen, an Inländer und Ausländer, an Schwarze und Weiße, an Rechte und Linke, an Republikaner und Demokraten in den USA, an solche, die auf dem Schulhof bestimmte Computerspiele kennen und solche, die sie nicht kennen und deshalb außen vor sind, an solche, die früher Freunde waren, es dann aber nicht mehr sein können, weil sie sich verändert haben.
II
Karfreitag. Wir schauen auf das Kreuz Jesu. Am Ende war er ziemlich allein mit seiner Idee vom Reich Gottes. Die Mächtigen im Land und im Tempel wollten ihre Macht nicht teilen. Die Ohnmächtigen wollten sich nicht untereinander solidarisieren, sich lieber anschließen als mitzubestimmen. Sollte er zurück nach Galiläa gehen? Sollte er den Kelch abstellen für einen kommenden Messias? Sollte er sich der Staatsmacht in Rom und der Hohenpriesterschaft am Tempel beugen und seinen göttlichen Auftrag an den Kranken, den Wehrlosen, den Armen, den Gefangenen verleugnen und nur um sein Überleben besorgt sein?
Ich erinnere mich noch an eine Kolumne über Wolfgang Schäubles Gedanken zur Corona-Zeit. Er sagte: „Aber wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen“. Martin Klingst, der Kolumnist, hat ihm mit Rückendeckung des Bundesverfassungsgerichtes widersprochen.
Heute lassen wir uns vom Evangelisten Johannes zum Kreuz führen, zu Jesus, dem die Befreiung der anderen wichtiger war als sein eigenes Überleben. Der Evangelist sieht Jesus den Querbalken selber tragen. Stark an diesem Hinweis ist nicht die Muskelkraft des Erlösers. Stark ist, dass er schon auf dem Weg zum Kreuz einen gewissen Simon von Kyrene vom Zwang befreit, ihm zu helfen. Irgendwann kommt Jesus an auf Golgota, einem Felsen, der wie ein Schädel aussieht. Der Längsstamm ist wohl schon eingepflockt wie unserer hier. Der Evangelist braucht diesen Weg zum Kreuz und auch die Kreuzigung nicht näher zu beschreiben. Hier ist er nüchtern. Wir sind schon angekommen.
Johannes zeigt uns noch die zwei anderen. Keine Räuber (Mt 27,38; Mk 15,27) oder Verbrecher (Lk 23,33), er möchte uns nicht zu Spaltungen antreiben zwischen dem guten Jesus und den bösen Menschen. Das Kreuz ist für alle gleich schmerzhaft und eine grausame Bestrafung. Aber Jesus darf in der Mitte den königlichen Platz einnehmen. Keine Via Dolorosa voller Blut und Schweiß, voller Geißelung und Erniedrigung. Keine minutiöse Beschreibung der leidvollen letzten zwölf Stunden wie in dem Film von Mel Gibson, The Passion of the Christ (2004).
Der Evangelist Johannes ist aber dann doch an dem Schild interessiert, das da über dem Kreuze hängt. Alle sollten wissen, warum er so leiden muss. Hier steht INRI – Jesus von Nazareth König der Juden. Auf hebräisch, auf lateinisch, auf griechisch, allen verständlich. Die Hohenpriester sind irritiert: Er behauptet doch nur, König der Juden zu sein! Pilatus setzt sich diesmal durch: Es bleibt, wie es da steht: König der Juden. Das Römische Reich hätte mit einem neuen Vasallenkönig ganz gut leben können. Was ist Wahrheit? hatte Pilatus noch gefragt, als Jesus sich einen König nannte. Einer, der nicht von dieser Welt ist, aber in dieser Welt die Wahrheit bezeugen soll.Nun ist er unfreiwillig zum Zeugen der Wahrheit geworden: INRI – Jesus von Nazareth, König der Juden.
Der Evangelist führt uns zu einem Kreuz, an dem Jesus seine engsten Vertrauten bei sich hat. Nicht nur drei Frauen sind da, seine Mutter, seine Tante und seine Vertraute Maria Magdalena, auch sein Lieblingsjünger. Jesus selbst eröffnet ihnen: Das Leben geht weiter. Ihr sollt beieinander bleiben, auch wenn ihr nicht verwandt seid. Mein Tod soll euch nicht trennen, sondern zusammenbringen. Wie mein priesterliches Gewand aus einem Stück ist, so soll auch die Kirche beisammen bleiben.
III
Seit dem Sederabend am Samstag vor Palmsonntag feiern Jüdinnen und Juden das siebentägige Passah 2025. Es gibt das Lamm der Tierzüchter, das Brot der Ackerbauern und die vier Becher Wein der Winzer. Befreiung, Sühne und die Hoffnung auf den Messias sind ein Fest wert. Der steinige Weg Israels in die Freiheit wird mit Bitterkräutern erinnert. Der schmerzhafte Weg der Christenheit in die Freiheit wird mit dem Kreuz erinnert. Zusammen gehören auch die Juden und die Christen, denn sie haben so viel gemeinsam: den schwierigen Weg in die Freiheit und den Juden Jesus. Der ist auch für die anderen ans Kreuz gegangen. Seine Liebe, die alle Spaltung überwindet, geht die ganze Welt an.
Der Evangelist Johannes sieht in Jesus selbst das Passahlamm: Mittags um 12.00 Uhr, am Rüsttag vor dem Passah, fällt Pilatus das Urteil: Jesus wird gekreuzigt. Jesus feiert nicht das Passah vor der Kreuzigung. Er ist selbst das Lamm, das am Rüsttag zur Schlachtbank geführt wird, wäscht vorher den Jüngern die Füße, erniedrigt sich bis zum Tode am Kreuz. Wie die Beine der Lämmer, so dürfen auch Jesu Beine am Kreuz nicht gebrochen werden. Was wir Essig nennen, ist wohl betäubender Wein mit Kräutern und wird mit einem Büschel Ysop gereicht. Damit bestrichen einst die Israeliten die Türpfosten mit dem Blut des Lammes. Jesus gibt sich hin: Soll ich den Kelch etwa nicht trinken, den mir der Vater gegeben hat? (Joh 18,11) hört unser Evangelist. Andere Evangelisten hatten gehört, dass Jesus den Kelch lieber doch nicht austrinken wollte. Jesus ist bei Johannes sehr klar. Er ließ sich kreuzigen von Andersdenkenden, von Irritierten, von solchen, die um ihre Macht fürchteten, wenn er weiterhin vom Gottesreich sprach.
Zu klar in der Abgrenzung gegen die Juden, die von ihm nichts wissen wollen. Das schmerzt den Evangelisten. Einen tiefen Keil der Spaltung hat er zwischen Juden und Christusgläubigen wahrgenommen. Zu tief ist seine Enttäuschung über die Synagogengemeinden, die Jesus nicht als Messias annehmen. Viele Streitgespräche zwischen Jesus und seinen Jüngern und Jüngerinnen und herbe Worte gegen die Juden hat Johannes überliefert und hat damit für Jahrhunderte Spaltung gesät. Denn nach den teuflischen Worten (Joh 8,44) kam das Schweigen, die verweigerte Begegnung und die Verwerfung. Dabei hat Johannes gleichzeitig wie kein anderes Evangelium in Jesus den Liebenden gesehen. Zweimal hört er Jesus eindringlich von der Liebe reden als dem allerhöchsten Gebot. (Joh 13; 15) Diese Liebe findet sich auch in den berühmten Worten am Kreuz wieder. Drei von ihnen beziehen sich auf andere: Die Fürbitte: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Die Verheißung: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. Und die Aufforderung, die niedergeschlagenen Augen am Kreuz wieder zu öffnen und eine Perspektive zu sehen: Frau, das ist dein Sohn! Und an den Sohn: Siehe, das ist deine Mutter!
Sie sollen einander adoptieren, die Mutter und der Freund, sich so eine Zukunft eröffnen, wo alles nach einem Ende in Zerstreuung aussieht. Jesus, der ans Kreuz genagelte Liebesschwur Gottes. Der Gekreuzigte, der gerade seine persönliche Katastrophe erlebt, sagt noch vom Kreuz herab: Das Leben geht weiter. Für euch und für mich. Schaut einander an, dann erkennt ihr eure Zuständigkeit für die Zukunft. Ihr selbst seid euer nächstes Projekt. Geht gemeinsam weiter. Bleibt beieinander, um mir zu begegnen. (Hier oder nach der Predigt zur Einspielung empfohlen die ersten Takte von: Udo Lindenberg, „Stärker als die Zeit“, 2016)
IV
Wir haben uns für eine Weile dem Evangelisten Johannes angeschlossen und sind jetzt wieder bei unserer Gemeindejugend angekommen. Nun wollen Sie sicher wissen, wie es weitergeht, wie die Spaltung im Balken wieder verbunden werden kann. Unsere Jugendlichen haben lange darüber diskutiert, ob es besser ist zu streiten oder brisante Themen einfach auszuklammern.
Jesus ist nicht in der Echokammer seines Jünger- und Jüngerinnenkreises geblieben. Da waren nicht nur arme Fischer vom See Genezareth, die ihm folgten, sondern auch Frauen wohlhabender Männer, die den Reich-Gottes-Prediger finanziell unterstützten. Da waren viele Gespräche mit Pharisäern und Zöllnern. Von einer syrophönizischen Frau ließ er sich überzeugen, die Tochter zu heilen, und überzeugte seinerseits römische Hauptleute. Niemandem das Gespräch verweigert – jesuanische Inklusion!
Nach der Diskussion empfehlen die Jugendlichen doch, sich der anderen Meinung auszusetzen (Jugendliche tragen diese Sätze selbst vor): Sei bereit, andere Meinungen mehr zu akzeptieren. Suche mit anderen nach gemeinsamen Lösungen. Sei bereit für den Kompromiss. Sei auch mal bereit, dich überzeugen zu lassen. Versuche, die andere Sicht zu verstehen. Brich das Gespräch nicht ab! Lass andere ausreden, und höre ihnen gut zu.
Ich fand beim Zuhören die Vorschläge der Jugendlichen großartig. Sie sollten all das von uns Erwachsenen erwarten dürfen. So lange schon haben wir den Umgang mit anderen geübt. Aber da ist er wieder: der Balken im eigenen Auge. Nach diesen Jahren der Corona-Isolation ist soziales Verhalten neu zu lernen: das Streiten und das Lieben, nicht verteilt auf die einen und die anderen, sondern mit derselben Person. Der Streit hebt die Liebe nicht auf, sondern ist eben auch Zuwendung. Kinder, die mit ihrem Verhalten provozieren und Ärger erregen, wissen das. Durch Aufmerksamkeit und Zuwendung werden wir Kreuze und Spaltungen überwinden. Dann geht sie auf, die Auferstehungssonne, die da leuchtet hinter jedem (!) Kreuz. Heute schon.