Demut?
Leise, möglichst unauffällig sein als Christ?
Predigttext | 1. Petrus 5,5b-11 |
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Kirche / Ort: | Walldorf b. Heidelberg |
Datum: | 28.09.2025 |
Kirchenjahr: | 15. Sonntag nach Trinitatis |
Autor: | Pfarrer Dr. Uwe Boch |
Predigttext: 1. Petrus 5,5b-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder und Schwestern in der Welt kommen. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit! Amen.
Wir springen mal wieder in eine andere Zeit. Als das Christentum noch keine kulturschaffende Religion war. Als es noch keinen großen Teil der Welt prägen konnte mit seiner Lebensweise. Als es in den Anfängen war. Und bedroht an allen Ecken und Enden von den Mächtigen dieser Welt.
I
Der Verfasser des 1. Petrusbriefes lebte zu dieser Zeit. Jesus war gerade 50 Jahre tot. Schriften und Erzählungen und Lehren über ihn verbreiteten sich langsam, aber sicher, im römischen Reich. Und ein christliches Selbstbewusstsein mit deutlich theologischem Unterbau begann sich zu formieren. Ich lese aus dem ersten Petrusbrief, Kapitel 5, die Verse 5b-11:
(Lesung des Predigttextes, 1. Petrus 5,5b-11, "Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut...")
II
Der Mann weiß, wovon er spricht. Wir können davon ausgehen, dass er die Leiden seiner Zeit miterlebt hat. Die Ideen, dass sein Glaube nichts wert sei. Dass sein Gott ein Popanz ist, den sich die kleine Gruppe der Christen ausgedacht hat. Dass der, auf den sich dieser Glaube beruft, ein erbärmlicher Versager, ein Verbrecher oder Aufschneider ist. Am Kreuz ist er gestorben. Das sagt doch schon alles. Wir sind mit dem Verfasser des Petrusbriefes in der Frühzeit des Christentums. Und die Frage kommt auf: Leise, möglichst unauffällig sein als Christ? Damit man unter dem Radar der Großen und Mächtigen fliegt. Keinen Anstoß erregt. Damit man den brüllenden Löwen entgeht. Denen, die alles besser wissen. Und ihren Glauben, ihre politische Haltung, ihre Lebensweise für die einzig richtigen halten. Damit man niemanden verprellt. Man weiß ja nicht, wer in drei Jahren an die Macht kommt. Vielleicht eine Partei, der das echte Christsein ein Dorn im Auge ist. Oder die es schafft, Christen auf ihre Seite zu ziehen. Und aus Gott einen Freund des Hochmuts und der Gewalt und der Menschenverachtung zu machen. Damit man wenigstens mit dem Leben davonkommt.
Heute sind wir Christen in einer ungleich besseren Lage als die ersten Christen im ersten Jahrhundert. Wir sitzen in Ethikräten, haben Abgesandte im Bundestag, auf die man hört. Wir berufen uns auf die kulturprägende Kraft des Christentums. Auf die Werte, die für die westliche Lebensweise grundlegend sind. Ja. Und in den USA bestimmen wir sogar über die Politik mit. Und verfallen den Verlockungen der Macht. Der Versuchung eines moralisch und letztlich auch genetisch überlegenen Christentums. Sollen wir Christen angesichts dessen leise sein, wenn es um Politik geht? Man hat mir das letztes Jahr nahe gelegt. Keinen Anstoß erwecken. Keine Kirchensteuerzahler im rechten Spektrum verprellen. Schweigen, oder zumindest nur flüstern, wenn die eine oder andere Partei – auch wenn sie in manchen Gegenden ein Drittel der Menschen als Wähler hat – ganz deutlich gegen das Evangelium des Christus agiert? Dann doch lieber – auch unter Missachtung von allem, was Jesus gelehrt hat – den Diktatoren dieser Welt das Wort reden? In Russland den Ukrainekrieg, und die Unterdrückung von Anderslebenden, Andersdenkenden und Andersglaubenden in den USA beklatschen. Oder schweigen, wenn auf beiden Seiten des Gaza-Krieges gehandelt wird, als ob es die Botschaft des Christus nicht gäbe? Die Menschen im Mittelmeer vergessen, weil wir andere Themen haben. Oder immer wieder mit Jesus nervig und penetrant auf die nassen Gräber, die Opfer unserer Lebensweise, hinweisen. Schwierig.
Hochmut herrscht in unserer Welt. Die Großsprecher haben das Sagen. Und wir? Ziehen wir uns auf einen Jesus zurück, der sich alleine als Erlöser auszeichnet? Fordert das von Christen dann gleich Demut? Der Verfasser des Textes sieht das wohl nicht so. Demut gehört zum Christsein dazu. Allerdings weniger als eine Haltung, die eingenommen wird vor der Welt. Vielmehr als die Anerkenntnis der selbstverständlichen Niedrigkeit aller Menschen vor Gott. Dem Höchsten. Dem Größten. Dem Unfasslichen. Demut in seiner griechischen Form hier im Text und auch im Lateinischen meint nicht die aktive Erniedrigung unter Menschen oder weltliche Gewalten. Sondern das Untergeordnet-Sein unter Gott. Die Niedrigkeit. Und diese Niedrigkeit kann sich in die Größe Gottes einhüllen. Und von dort ihre Kraft gewinnen.
Wir sind nicht die „Stillen im Lande“ und können uns auch nicht aus der Politik heraushalten. Wenn wir Jesus ernst nehmen. Wir machen uns nicht klein. Sondern haben das Recht und die Pflicht, laut und vernehmlich von unserem Gott zu sprechen. Tun wir das nicht, tut es niemand. Oder, noch schlimmer: Dann machen es die Teufel, die Verwirrer, die Popanze. Noch nie hat man einen Gegenspieler Gottes gebraucht, wenn man die Menschheit teuflisch haben wollte. Das schaffen wir auch ganz alleine. Dort, wo wir unsere Niedrigkeit und ihr Eingehüllt-Sein in den großen Gott nicht anerkennen können. Wo wir beginnen, nach eigenen Regeln zu leben. Und fremd und volksverbunden unterscheiden. Wo wir Geschlechterunterschiede zu Hierarchien des Menschenwerts machen. Und den geografischen Zufall der Geburt zu einem Kriterium der Nächstenliebe. Letztlich: Dort, wo wir die Größe Gottes, der Welt, des Lebens eben nicht mehr anerkennen. Und uns selbst mit unseren Gleichdenkenden in den Mittelpunkt stellen. Da wird es teuflisch in der Welt. Da wird ein Rechtsradikaler Rassist zum Messias. Und Jesus herabwirtschaftet zur religiösen Allzweckwaffe der Menschenfeinde. Und da ist die Größe Gottes nur noch eine Randnotiz, eine theoretische Bestimmtheit unseres Lebens. Die aber in der Praxis nichts mehr bedeutet.
III
Der erste Vers unseres Textes war vor zwei Wochen der Wochenspruch. Bei uns in der Gemeinde gibt es seit vier Jahren etwa die Tradition, dass der Wochenspruch in eine „Ganz-kurz-Predigt“ verwandelt wird. Und im Stadtanzeiger und auf Social Media veröffentlicht. Damit man ihn versteht. Auch mit Ohren, die die biblische Sprache nicht oder nicht mehr verstehen. Vor einiger Zeit hat auch die Landeskirche dieses Prinzip übernommen und ergänzt den Wochenspruch durch eine kurze auslegende Form. Und man merkt beim Vergleich schon, wie wichtig es ist, genau zu formulieren. Und wie wichtig die theologische Grundhaltung ist. Weil auch ein Satz eine Haltung ausdrückt. „Gott widersteht dem Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“ Bei der Ekiba heißt das sinngemäß: Lasst uns die Plagen unserer Zeit und unsere persönlichen Niederlagen annehmen. Gott trägt uns durch. Es kann und sollte aber heißen: Die Großsprecherei der Christen und Nichtchristen mag Gott nicht leiden. Und ihm sind die Menschen lieber, die sich in seine Größe einhüllen lassen und ihre Kraft daraus gewinnen. Passives Leben? - Oder aktives Engagement für Gott und die Welt. Rückzug auf sich selbst? - Oder bewusstes Einsetzen für Menschen und Welt?
Ich weiß, wozu ich tendiere. Und der Verfasser des Petrusbriefes. Es ist Gott, der allem Hochmut, aller Großsprecherei und allem Überlegenheitsgefasel gegenüber tritt. In diesem Rahmen wächst Kraft. Werde ich aufgerichtet, gestärkt, kräftigt, sagt der Schreiber des Briefes. Nicht der Mensch, der sich vor der Welt klein macht und schaut, dass er in Demut durchkommt, ist gemeint. Sondern der, der nüchtern ist und wacht, wenn die Welt zum Teufel geht. Nicht der Stille im Lande, dem Jesus zum Meditationsgegenüber wird. Sondern der, der in Jesus den sieht, der die Geldhändler aus dem Tempel wirft. Der dorthin geht, wo Menschsein unter anderen Menschen leidet. Und klare Worte sagt über vermeintliche soziale Unterschiede. Dieser Jesus ist das Vorbild für demütige Menschen. Denn die Demut gilt Gott gegenüber. Und Gott braucht die Demütigen, die von sich selbst absehen können. Und sich einsetzen. Sich einmischen:
Bei den großen Themen unserer Dörfer und Städte. Dem Kampf gegen die politische Menschenverachtung. Der Sorge und dem Einsatz für eine Welt, die langsam verbrennt, wenn wir nichts tun. Und bei den kleinen Dingen. Dem Einbringen außerhalb der Kirchenmauern. In Vereinen und genau dort, wo das wahre Leben spielt. Wo gutbürgerliche Gewohnheiten kaum noch eine Rolle spielen. Nicht nur den klassische Werken andächtig lauschen. Sondern laut sein auf dem Fußballplatz, in der Kneipe, auf den Straßenfesten. Dort, wo das Leben selbst laut und ungehobelt und echt ist. Furchtlos und demütig vor Gott das Evangelium verbreiten. Persönlich und authentisch als Christen.
Denn: Noch erleben wir als Christen hier bei uns kaum Bedrängnisse. Aber wer weiß? Am Horizont deutet sich Anderes an. Aber es gehört zum Christsein dazu, sich in die Größe Gottes eingebunden zu wissen. Und aus der Demut heraus Christsein zu leben. Laut, lebendig, wild und mutig. Was sich die Christen im Petrusbrief kaum leisten konnten. Und was der Verfasser dennoch forderte. Wir können es. Und es gehört zu unseren Aufgaben.