Diese Tage stehen in London ganz im Zeichen der Erinnerung: Rememberance Day. Sie erinnern an das Ende des ersten Weltkriegs, 5 Jahre voller Zerstörung, voller Leid, voller Vergänglichkeit. Tausende und Abertausende ließen ihr Leben in den Jahren des Krieges. Städte wurden zerstört zum ersten Mal leidet die ganze Welt gleichzeitig unter den Folgen des Krieges.
I
Der Volkstrauertag in Deutschland entwickelte sich zu einem Gedenktag für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, wobei sich der Anlass nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Opfer beider Weltkriege erweiterte. Auch heute noch werden auf dieser Welt Kriege geführt, fallen Menschen Gewalttaten zum Opfer.
Nena singt zwar von 99 Jahren Krieg, aber trifft mit der Aussage „99 Jahre Krieg ließen keinen Platz für Sieger“ viel mehr auf den Punkt. Das einzige, was Kriege hinterlassen, ist Leid. Das war damals so und dass ist noch heute so. Krieg ist aber leider bei Weitem nicht der einzige Grund für Leid, schon in der Bibel lesen wir – es ist der Predigttext aus dem Buch Hiob:
Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut...Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir eine Frist setzen und dann an mich denken wolltest! ... Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen. -
Hiob – sein Name ist in den so genannten „Hiobsbotschaften“ zum Sprichwort geworden. Hiob lebte glücklich und zufrieden, er war reich und wohlhabend, er glaubte an Gott und galt als fromm, und dann trifft ihn eine Hiobsbotschaft nach der anderen: Sein Besitz wird gestohlen und vernichtet, seine Kinder verunglücken tödlich, er selbst leidet an den Schmerzen einer Krankheit. Hiob ist am Boden zerstört, geschlagen vom Schicksal, geschlagen von Freunden, die ihn belehren statt trösten; geschlagen von Gott. Auch seine Frau wendet sich von ihm ab. »Willst du immer noch an Gott glauben?« fragt sie ihn. »Verfluche ihn, bevor du selbst sterben wirst.« Aber Hiob lässt sich von Unglück und Leid nicht niederschlagen. Hiob frisst sein Elend nicht in sich hinein. Sondern er redet mit Gott. Er klagt ihn an und verlangt Rechenschaft.
Schau ihn dir an, den Menschen, die Krone der Schöpfung. Er wird geboren, er lebt und er stirbt, und das soll Alles gewesen sein? Der Mensch ist vergänglich und sterblich. Hiob gebraucht das Bild einer Blume, die aufblüht und schon bald wieder verwelkt. Das hebräische Wort für Blume kann auch Krone bedeuten. Heute hat einer die Krone auf dem Kopf und ist stolz auf seine Karriere, und morgen wird er in den Vorruhestand geschickt. Heute gesund und voller Lebensfreude, morgen krank und verzweifelt.
II
Was bleibt von unserem Leben, von unserer Arbeit und Mühe? »Der Mensch flieht wie ein Schatten und bleibt nicht«, sagt Hiob. Weder Faltencreme noch Medizin können verhindern, dass wir alt werden. Wie eine Blume verwelken, wie ein Blatt vom Baum fallen, das ist unser Schicksal. Doch für uns Menschen folgt auf den Winter kein neuer Frühling. Wer gestorben ist, kehrt nicht mehr zurück. 20 Jahre lang erinnert ein Grabstein an unseren Namen, dann wird abgeräumt, und wir sind vergessen. Ganz brutal spricht Hiob von unserer Vergänglichkeit und klagt Gott dafür an. So hat der Schöpfer uns geschaffen, er ist schuld daran, dass wir sterben müssen.
Das ist noch nicht alles: Dieses kurze und düstere Leben wird von Gott noch zusätzlich verdunkelt. Wie eine finstere Wolke schwebt er über uns Menschen. Keine Sekunde lässt er uns aus den Augen; wir stehen unter seinem Urteil. Der Humorist Eugen Roth (1895-1976) hat diese Erfahrung in einem Gedicht beschrieben:
Ein Mensch, der recht sich überlegt,
dass Gott ihn anschaut unentwegt,
fühlt mit der Zeit in Herz und Magen
ein ausgesprochnes Unbehagen.
Und bittet schließlich Gott voll Grauen,
nur fünf Minuten wegzuschauen.
Aber Gott schaut nicht weg, und das ist auch gut so! Gott wendet sich nicht ab von uns Menschen. Schon gar nicht in unseren schwersten Stunden, in unserem Leid. Im Gegenteil, gerade da ist Gott bei uns und trägt uns. Und doch lässt Gott Leid zu. Aber wieso? Ich muss gestehen ich bin immer mal wieder ganz gerne auf Facebook unterwegs und surfe so ein bisschen durch die Bilder, die irgendwer irgendwo gepostet und dann ein anderer geliked hat, und manchmal stoße ich dabei auf kleine Kostbarkeiten, so bin ich auch auf ein Bild gestoßen, welches wie folgt aussieht:
"Ein alter weiser Mann mit weißem Bart sitzt auf einer Parkbank, man kann sein Gesicht nicht sehen, aber es ist klar, es handelt sich hierbei um Gott. Und neben ihm sitzt ein Mensch, ein Paul Jedermann. Zwischen diesen beiden Figuren sind Sprechblasen zu sehen. Paul Jedermann fragt Gott: „Sag mal, wieso lässt du das eigentlich zu, die Kriege, die Katastrophen, das ganze Leid?“ Gott antwortet in seiner Sprechblase mit dem Satz: „Das Gleiche wollte ich dich gerade auch Fragen?“
Machen wir es uns nicht ein bisschen leicht, wenn wir Gott für all das Leid, das es auf der Welt gibt, verantwortlich machen? Wie froh können wir doch sein, dass uns Gott den freien Willen gegeben hat. Wir können selbst Entscheidungen treffen, können unserem Willen nach gehen, auch wenn Gott vielleicht etwas ganz Anderes für uns vorgesehen hat. Sicher, nicht jede Entscheidung, die wir treffen, führt zu Leid oder lässt Leid zu. Aber doch sind es oft menschliche Entscheidungen, die Leid in Kauf nehmen, Leid zulassen, die bewusst Leid schaffen. Das sieht Gott, das nimmt er in Kauf, denn er lässt uns weiter unsere eigenen Entscheidungen treffen. Wir sind nicht seine Marionetten. Wir können denken und handeln, so wie wir es für richtig halten. Gott sieht das nicht nur, er hält es auch aus. Hält uns Menschen aus und das faszinierende ist: ER liebt uns trotzdem, so sehr, dass er selbst zum Menschen wird in Jesus Christus. Er erträgt selbst alles Leid, alle Trauer, alle Verzweiflung, die wir Menschen immer wieder spüren, und baut sich selbst eine Brücke zwischen den Menschen und sich selbst, eine Brücke, über die wir gehen können, weil er zuerst über sie gegangen ist. Eine Brücke der Liebe.
III
Bei Hiob hat alles damit angefangen, dass Gott zulässt, dass Satan Hiob Leid zufügt, weil er bei Hiob darauf vertraut, dass Hiob sich immer für Gott, für seine Beziehung zu Gott entscheidet. Das tut Hiob auch, wenn auch nicht stillschweigend. Hiob führt Diskussionen, erst mit drei Freunden, in denen er sein Vertrauen auf Gott rechtfertigt, und sich keiner Schuld bewusst ist. Dann in Dialogen mit Gott, in denen er Gott auch wissen lässt, dass er es nicht versteht, was mit ihm passiert. Dass er es nicht nachvollziehen kann und dass er es auch nicht in Ordnung findet. Gott nimmt diesen Dialog mit Hiob an. Er setzt sich mit ihm auseinander. Gott schaut nicht weg, wie es Hiob fordert. Am Ende schließt das Buch Hiob damit, dass Hiob all das, was er besessen hat und noch ein Vielfaches davon wiederbekommt. Ich finde den Gedanken schön, dass eine meiner Lieblingsgeschichten, die Geschichte der Spuren im Sand, eine Folge aus dieser Geschichte ist, wenn Hiob am Ende seines Lebens bei Gott ist, nach all dem Leid, dem Streit, so wie wir es alle sein dürfen, und mit ihm zusammen auf sein Leben zurückblickt:
"Eines Nachts hatte ich einen Traum: Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn. Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben. Jedesmal sah ich zwei Fussspuren im Sand, meine eigene und die meines Herrn. Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens. Besorgt fragte ich den Herrn: „Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte?" Da antwortete er: „Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen".