Predigt

Erwartungen

In was für einer Welt leben wir eigentlich?

PredigttextMarkus 10,35-45
Kirche / Ort:Berlin / Kirchengemeinde Boxhagen-Stralau
Datum:29.03.2009
Kirchenjahr:Judika (5. Sonntag der Passionszeit)
Autor:Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt

Predigttext: Markus 10,35-45 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, daß du für uns tust, um was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, daß ich für euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, daß wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wißt nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. 41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wißt, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Exegetisch-theologische (I.) und homiletische (II.) Erwägungen

I. Der Text Mk 10, 35-45 schließt sich an die dritte Leidensankündigung Jesu an (Mk 10, 33f.) und entspricht damit der Komposition des Markusevangeliums in den vorausgehenden Kap. 8 und 9: 8,31 –9,1 (erste Leidensankündigung Jesu und Rede über die Nachfolge; 9,30–37 (zweite Leidensankündigung und Rangstreit der Jünger). Die Gliederung in zwei Abschnitte ergibt sich durch die auftretenden Personen: Jakobus und Johannes führen mit Jesus ein Gespräch(V. 35–40), danach kommen die übrigen zehn Jünger hinzu (V. 41–45). Die Bitte der beiden Jünger (V. 37) verdeutlicht ihre Erwartung: „Im Mk Kontext ist die doxa Jesu die himmlische Herrlichkeit des Menschensohnes (vgl. 8,38: 13,26), in die er durch Tod und Auferstehung gelangt“ (Pesch, 55). Der Anspruch der Jünger Jesu auf dessen richterliche Macht und Würde steht in engem Zusammenhang mit der Menschensohnerwartung: „Die Absicht ist deutlich: Das Mißverständnis der Jünger vergrößert sich, je näher Jerusalem, der Ort der Offenbarung, heranrückt. Die Nähe Jerusalems bildet den Hintergrund für das vorgetragene Verlangen, in seiner Herrlichkeit zur Rechten und Linken Jesu – man kann hinzufügen: auf Thronen – sitzen zu dürfen. Worauf richtet sich der Ehrgeiz der Jünger?“ (Gnilka, 101) Es geht nicht um ein messianisches Reich, auf das Israel wartet, sondern um die Parusie Jesu. Die zentralen Begriffe Becher (poterion) und Taufe (baptisma) (V. 38) sprechen nicht sakramentale Probleme in der frühchristlichen Gemeinde an, sondern sind beim Begriff „Becher“ aus dem Zusammenhang der alttestamentlich-jüdischen Bechermetaphorik zu verstehen. Der Becher ist ein feststehendes Bild für das Gericht (vgl. Ps 75,9; Jer 25,15ff; Hab 2,16). Die Taufe ist im markinischen Zusammenhang auf den Tod und das Leiden bezogen. Bei der Frage Jesu an seine Jünger geht es um deren Bereitschaft und Fähigkeit zum Leiden. Sind die Jünger genauso wie er zum Leiden bereit? Die Antwort der Jünger (V. 39a) wird allgemein als „vaticinium ex eventu“ auf den Tod des Jakobus gedeutet. In V. 41 sprechen die übrigen zehn Jünger ihren Ärger über ihre beiden Mitjünger unverhohlen aus. Ab V. 42 führt Jesu seine Rede in Form einer dreiteiligen Jüngerbelehrung weiter. Er setzt sich zunächst mit den weltlichen Herrschern und ihrem Machtgebrauch und –missbrauch kritisch auseinander. Bei der Frage nach der Würde des Menschensohnes und dem damit im Zusammenhang stehenden Leiden, haben menschliche Macht und Herrschaft sowie deren Missbrauch keine Würde. Der Dienst des Menschensohnes (V. 45) besteht im Leiden und in der Lebenshingabe für viele. Und damit versteht Jesus das Dienen der Jünger (V. 43f) und ihr Leiden (V. 39) als ihre Würde. Der Text ist in seiner historischen wie inhaltlichen Vielschichtigkeit durch tragende Begriffe sowohl aus alttestamentlich-jüdischer Tradition als auch aus der frühen jesuanischen Tradition geprägt. Die inhaltliche Klammer sind die Verse 37 und 45, in denen es um die Erwartung des Menschensohnes in seiner richterlichen und herrschaftlichen Würde geht. Hier gibt es Anklänge an Dan 7 (bes. V. 27). Die Frage der Jünger Jakobus und Johannes nimmt diese Erwartung unmittelbar auf. Der Wunsch, rechts und links neben Jesus in seiner himmlischen Herrlichkeit (doxa) zu sitzen, macht ihren Anspruch auf Hoheit und Würde deutlich. In V. 45 interpretiert Jesus diese Erwartung des Menschensohnes als Herrscher und Richter um, indem er sie auf sein Leben und seinen Tod bezieht. Das Bild des Menschensohnes, dem alle Völker dienen, wird mit zwei weiteren, aus alttestamentlich-jüdischer Tradition stammenden Gedanken kombiniert: Der Begriff des Lösegeldes verweist auf Jes 43,3f., wo es um die Stellvertretung geht. In Mk 10,45 verweisen die Formulierungen „sein Leben geben“ und „die Vielen“ auf Bezüge zu Jes 53, dem Lied vom leidenden Gottesknecht, hin. Der entscheidende Begriff in V. 45 ist das Dienen (diakonein). Ursprünglich ist damit der Dienst am Tisch und die Sorge um den Lebensunterhalt gemeint. Im Neuen Testament wird das Verb „diakonein“ zum zentralen Begriff für die christliche Grundhaltung, die sich an Jesu Predigt und Ethik orientiert, und den innergemeindlichen karitativen Einsatz im Blick hat. Paulus verwendet den Begriff vor allem im Zusammenhang mit der Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde, also für diejenigen Gemeindeglieder, die in materielle Not geraten sind. Der theologische Gedanke dieses Wortfeldes ist aber umfassender: der Dienst durch materielle Hilfe ist gleichzeitig auch Hilfe zur Erlangung des Heils (vgl. Röm 11,13). Der Dienst Jesu ist in der Hingabe des Lebens als Lösegeld für die Vielen zusammengefasst. Bei Lukas wird der Zusammenhang zwischen dem Dienst der Jünger und Jüngerinnen und dem Dienst Jesu als Lebenshingabe durch die Einbindung der Gemeinderegel in die Abendmahlsgespräche deutlich. In Mk 10, 35–45 sind zwei, für den christlichen Glauben grundlegende Traditionen mit einander verwoben: die eschatologisch-messianisch geprägte Menschensohnerwartung, die auf das Leiden und den Tod Jesu bezogen wird, und der Gedanke des Dienstes Jesu, der den Dienst der Jünger in ihrer Gemeinschaft begründet. II. Die Predigt bietet von der Struktur des markinischen Textes bereits eine Gliederung, die die Themen der Perikope aufnehmen können. Folgende Gedanken lese ich aus dem Text: – Erwartungen und Fragen: Lohnt es sich für mich, Christin oder Christ zu sein? Wie unterscheide ich mich durch meine Zugehörigkeit zur Gemeinde von anderen Menschen? Was bedeutet mir dieser Unterschied? Was erwarte ich eigentlich von Gott für mein Leben? Was kommt am Ende heraus? – Ermahnung zum Dienen: Jesus lehnt die Frage der beiden Jünger nach ihrem Platz im Reich Gottes nicht ab. Auch wir haben Fragen, die wir stellen dürfen und die von Jesus nicht abgelehnt werden. Jesus verweist uns auf die Welt, in der wir leben. Da werden Schwächere ausgenutzt, da wird Macht missbraucht, nur um zu den Großen zu gehören. Jesus macht seinen Zuhörern deutlich, worum es eigentlich in der Welt geht: um Annahme des Nächsten, um gegenseitiges Ernstnehmen und Unterordnen, ohne den Machtstrukturen dieser Welt zu erliegen. – Befreiung zum Dienen: Jesus ist nicht der mahnende Lehrer, der mit erhobenem Zeigefinger uns Moral predigt, nein er ist der Mann am Kreuz, der mit ausgebreiteten Armen, der durch sein Dienen, durch seinen Tod uns Leben ermöglicht.

Liturgisch – Lyrisches

Lieder: „O Herr, mach mich zum Werkzeug deines Friedens“ (EG 416); „Jesu Kreuz, Leiden und Pein“ (EG 78); „Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt“ (EG 413); „Ich steht vor dir mit leeren Händen Herr“ (EG 382); „Morgenglanz der Ewigkeit“ (EG 450). Eingangsgebet: Guter Gott, du bist das Tor zum Leben, du gibst uns Raum in diesem Gottesdienst, wo wir immer wieder deine Nähe erfahren. Du gibst uns Raum für unsere Angst und Freude, für unsere Hoffnung und Sehnsucht und auch für den Blick auf unsere dunklen Seiten. Du gibst uns Raum für einen Platz an deiner Seite, für den wir nicht kämpfen und den wir uns nicht verdienen müssen. Dieser Platz ist dein Geschenk, deine Gabe und deine Gnade für uns. Amen. Du hinter uns hinter allem, was war Kraft, die hervorbringt die Leben will Entfaltung Du in uns in allem, was ist Kraft, die durchdringt die Reifung will Verwandlung Du vor uns vor allem, was wird Kraft, die vorantreibt die Liebe will Vollendung (Lothar Zenetti, Texte der Zuversicht, München 1972, 299) Literatur: Wilfried Eckey, Das Markusevangelium. Orientierung am Weg Jesu. Ein Kommentar, Neukirchen-Vluyn 1998; Joachim Gnilka, Das Evangelium nach Markus, EKK Begründung der Diakonie in der nachösterlichen Gemeinde, in: ders., Geschichte und Theologie des Urchristentums. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1991, 399–416; Karl Theodor Kleinknecht, Der leidende Gerechtfertigte, Tübingen, 1984; Rudolf Pesch, Das Markusevangelium, HThK II/2, Freiburg 1977(2. Aufl.); Ludger Schenke, Das Markusevangelium. Literarische Eigenart. Text und Kommentierung, Stuttgart 2005; Peter Stuhlmacher, Existenzstellvertretung für die Vielen. Mk 10,45 (Mt 20,28), in: ders., Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit, Göttingen1981, 27–42; Gerd Theißen, Lichtspuren. Predigten und Bibelarbeiten, Gütersloh 1994; Alfons Weiser, Art. diakoneo / diakonia / diakonos, in: EWNT I, Sp. 726–732.

Neuigkeiten

Heinz Janssen: Aus den Quellen schöpfen

Die mit exegetischen Impulsen, Gebeten und einem Essay zu "Exegese und Homiletik" verbundenen Auslegungen wissen sich in einer weltweiten Communio, die "aus den Quellen des Heils" schöpft (Jesaja 12,3)...

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