Frau Weisheit
Ein Dialog mit einer prominenten Dame
Predigttext | Sprüche 8,22-36 (mit Einführung) |
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Kirche / Ort: | Worms |
Datum: | 11.05.2025 |
Kirchenjahr: | Jubilate (3. Sonntag nach Ostern) |
Autor: | Pfarrerin Dorothea Zager |
Predigtttext: Sprüche /Proverbien 8,22-36 (Übersetzung nach Martin Luther)
Weisheit und Schöpfung
22Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. 23Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. 24Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen. 25Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren, 26als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens. 27Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über der Tiefe, 28als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, 29als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte, 30da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; 31ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.
32So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten! 33Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind! 34Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore! 35Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom Herrn. 36Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.
Exegetische Hinweise zum Predigttext
Die „personifizierte Weisheit“ mag uns Predigerinnen und Predigern vielleicht schon einmal zu Ohren gekommen sein. Aber darüber gepredigt haben sicher die wenigsten von uns. Deshalb empfehlen wir zur Vorbereitung wärmstens und dringend die Lektüre der „Exegese für die Predigt“ der Deutschen Bibelgesellschaft. Für den Sonntag Jubilate und den Predigttext Sprüche 8,22-36 haben diesmal Prof. Dr. Dr. Bernd U. Schipper (Einführung und Exegese) und Prof. Dr. Antje Roggenkamp (Praktisch-theologische Resonanzen) die Auslegung geschrieben.
Sie können diese Auslegung hier nachlesen: https://www.die-bibel.de/ressourcen/efp/reihe1/jubilate-sprueche-8
Es lohnt sich wirklich, die gesamte Exegese zu lesen und durchzuarbeiten. Für „Eilige“ seien zumindest die praktisch-theologischen Resonanzen hier zitiert:
Praktisch-theologische Resonanzen
1. Persönliche Resonanzen
Die Exegese macht darauf aufmerksam, dass der in Spr 8, 22-36 vorliegende Hymnus „Frau Weisheit“ als erstes Schöpfungswerk an Gott heranrückt. Die Perikope bringt innerhalb des Sprüchebuchs ein spezifisches Weisheitskonzept zur Sprache, das einer allgemeinen Erfahrungsweisheit gegenüber steht, die in anderen Kapiteln (Spr 10,1–22,16 und Spr 25–29) emergiert. Während diese z.T. in (anti-) thetischen Gesprächsformen auf Potential und Grenzen eines weisheitlichen Weltbildes hinweisen, thematisiert der Hymnus die Stellung der Weisheit im engen Geflecht von Welt und Gott. Die Weisheit ist nicht nur Gottes erstes Schöpfungswerk, sondern auch – gewissermaßen jenseits der Tora – Weisheitslehrerin. Dadurch wird dem Mensch, der mit ihr in Verbindung tritt, ein anderes Verhältnis zu Gott eröffnet. Das Sprüchebuch macht eine zunehmend theologische Dimension der Weisheit sichtbar, die sich schließlich auch dem Menschen in den Makarismen in V. 32b und V. 34 a übereignet.
2. Thematische Fokussierung
Insofern die personifizierte Weisheit einfach „alle“ anspricht, also auch die „Toren“ (V. 5) als „diejenigen, die nicht mehr unterwiesen werden können“ (Spr 13,16), ist zu fragen, in welchen Situationen sich aktuell ein Rekurs auf die „zeitlose Botschaft“ des Textes nahelegt. Vor dem Hintergrund der Friedens-Diskussionen könnten etwa mit den Toren jene Personen gemeint sein, die seit Beginn des Ukraine-Krieges z.T. auch unter Rekurs auf das Evangelium für einen mehr oder weniger ungerechten, da einseitigen Frieden der Ukraine mit Putin werben. – Nur, würde man damit nicht den Hörer:innenkreis unzulässig verengen? Würde man sich nicht – auch als Prediger:in – an die Stelle der Weisheit setzen? Es könnte diese Einsicht sein, auf die es dem Text ankommt, dass man seine eigenen Zugänge zu den von der Weisheit gewiesenen Wegen suchen muss. Ein derartiges Phänomen sehe ich im Umgang mit der AfD (und auch dem BSW).
So ließen sich etwa deren Wählerinnen als „Toren“ ansprechen. Aber diese Gleichsetzung wäre in einer Predigt – anders als im politischen Kommentar – übergriffig. Die Suche nach der Aktualisierung der zeitlosen Botschaft der Weisheit führt auch in diesem Fall ins Frage stellen hinein: Wie verhält man sich als Christ gegenüber populistischen Parteien? Wie verhält man sich, wenn die Demokratie so wie wir sie kennen zu unterlaufen werden droht? Welche Verantwortung kann der oder die Einzelne für die Gesellschaft übernehmen?
Und noch ein zweiter Aspekt wird beim Nachdenken über die zeitlose Botschaft der Weisheit relevant: Setzt man mit dem Ende des Hymnus (V. 35.36) voraus, dass es schon jetzt, in dieser durch Gott geschaffenen und von der Weisheit mit getragenen Welt, um die Einschärfung der Erkenntnis geht, dass eine Person bereits im „Leben den Kräften des Todes anheimgefallen ist“, dann kann das, was selbst die Toren bewachen können, der Eingang zu einer von der Weisheit vermittelten Erkenntnis sein: Das Leben kann nur dann gelingen, wenn über dem Menschen der Segen Gottes liegt. Der Mensch aber, dem der Segen durch die Weisheit angeboten wird, muss sich zu dieser Offerte verhalten, indem er sich auf den ihm durch die Weisheit vermittelten Segen Gottes einlässt.
3. Theologische Aktualisierung
Indem der Text zwei Makarismen (V. 32b.34a) exponiert, in denen die Weisheit jene glücklich preist, die sich an ihren Wegen und an ihren Worten orientieren, öffnet sich seine Perspektive auf die von der Weisheit erzählte und als Hymnus vorgetragene Vorgeschichte. Die Weisheit nimmt den Menschen mit in ihre Erinnerungen hinein, indem sie ihm in anschaulichen, wunderbar plastischen, der Genesis entnommenen (Sprach-)Bildern vor Augen führt, was Gott seiner Schöpfung – durch ihre Vorgeschöpflichkeit, ihre Vorzeitigkeit, vor allem aber sein Schöpfungshandeln – an Wohltaten zukommen lässt. Die Weisheit wird zur Zeugin von Gottes schöpferischem Handeln, über das sie gleichzeitig – noch während er dabei ist – jubilieren, jauchzen und frohlocken kann. Als Mittlerin lässt sie uns an ihrem Erinnern teilhaben, auf dass wir – auch in komplexen, verwirrenden Zeitläufen – mit ihr frohlocken.
4. Bezug zum Kirchenjahr
Der sich auf die Weisheit fokussierende Text ist für den Sonntag Jubilate gut geeignet, insofern die Gestalt der Frau Weisheit den Weg im Raum zwischen Ostern und Pfingsten überbrückt. Zwischen Auferstehung und Pfingsten eröffnen ihre Erinnerungen Gelegenheit sich Gottes Wohltaten an seiner Schöpfung zu vergewissern. Dieses Erinnern passt zum Charakter des Sonntags, der im Rückgriff auf den 66. Psalm dem Sonntag seinen Namen gibt: Jauchzet Gott, alle Lande! An diesem Sonntag soll es um Schöpfung und neues Leben gehen. Die Predigt an Jubilate, dem dritten Sonntag nach Ostern kann darauf abheben, den Raum zwischen Ostern und Pfingsten im Konzept der personifizierten, aber wirkmächtigen Weisheit für den Menschen auszuloten. Dabei erweist sich die Weisheit für die Adressaten als eine Gestalt, die sie von der Auferstehung Jesu an Ostern her kommend auf den Geistempfang an Pfingsten zurüstet.
5. Anregungen
Angesichts der dominanten Stellung der Frau Weisheit legt sich eine dialogische Predigt nahe, in der Frau Weisheit über ihre Erfahrungen und Erinnerungen befragt wird. Diese Befragung kann an verschiedenen Stellen des Textes ansetzen, sie sollte aber reflektieren, dass konkrete Handlungsanweisungen nicht gegeben werden. Was der Einzelne tun kann oder sollte, muss er letztlich selbst entdecken. Daher ließe sich etwa fragen: Was braucht man eigentlich, um den „Tod im Leben“ (V. 35.36) zu überwinden?
Denkbar wäre auch ein Zugang, der danach fragt, wie wir eigentlich konkret (V. 32b.34a) glücklich werden können. In diesem zweiten Fall könnte ein Schreibimpuls beispielsweise lauten: Glücklich diejenigen, die meine Wege bewahren - Wie geht das? Welche Schritte muss ich dafür gehen? Was ist damit überhaupt gemeint?